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15. Juli 2016
Redaktion

Maßarbeit in Konfektion

Die Zehenschutzkappe ist häufig der „Engpass“, wenn es gilt, deformierte Füße mit baumustergeprüften Sicherheitsschuhen zu versorgen. So war es auch in dem Fall eines Patienten mit kontraktem Hohlfuß aufgrund einer hereditären Neuropathie. Hier ermöglichte der Umstieg auf einen konfektionierten Schuh mit extra hoher und breiter Zehenschutzkappe eine fußgerechte Versorgung, die auch den sicherheitstechnischen Anforderungen genügte.
Von Rainer Seibel


Foto: medicare motion

Das eigentlich Selbstverständliche, nämlich seiner täglichen Arbeit beschwerdefrei nachgehen zu können, war für Jochen M. immer mehr zur Ausnahme geworden. Zunehmend machten dem 44-jährigen Lageristen die Auswirkungen einer hereditären Neuropathie zu schaffen. Dieser Gendefekt, der gehäuft in seiner Familie auftritt, hat auch Auswirkungen auf seine Füße und die Muskulatur der unteren Extremität. Bis zu seinem ­neunten Lebensjahr hatten sich die Sehnen in seinen Füßen verkürzt und verhärtet. Die Folge davon ist ein ausgeprägter Hohlfuß mit Krallenzehen. Der Hohlfuß ist rigide, die Zehen sind eingeschränkt beweglich. Aufgrund der schlaffen Lähmung im M. peroneus longus ist die Unterschenkelmuskulatur stark atrophiert. Ähnliche Symptome zeigen sich bei ihm auch an den Händen.
Der Patient war zuvor mit orthopädischen Maßschuhen nach einem Bau­muster geprüften Bausatz versorgt worden. Er klagte jedoch über die Zunahme von Druckschmerzen und ein Taubheitsgefühl im Fuß. Beides beeinträchtigte nach seiner Aussage auch die Stand- und Gangsicherheit, so dass er immer häufiger stolperte.

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Die Hauptursache für seine Druckschmerzen und das Taubheitsgefühl fand sich im Vorfußbereich des Schuhs. Aufgrund des verwendeten Baumusters reichte die Größe der Schutzkappe nicht aus, um dem Vorfuß und den Zehen einschließlich adäquat starker Fußbettung ausreichend Raum zu bieten. Der Fuß erhielt Druck, der nicht nur Schmerzen verursachte, sondern auch das Taubheitsgefühl.
Eine genauere Betrachtung des Maßschuhes zeigte außerdem, dass die Schuhe im Bereich des Sprunggelenks zwar gepolstert waren, aber nicht ausreichend Unterstützung für die Fußheberparese boten und das Sprunggelenk nur unzureichend stabilisierten. Auch dies trug vermutlich zur Gangunsicherheit bei.
Eine entsprechend hohe und weite Schutzkappe, die Raum für den deformierten Fuß mit den Zehenfehlstellungen geboten hätte, war für eine neue Versorgung mit orthopädischen Maßschuhen als baumustergeprüftes System nicht verfügbar. Im November 2015 erfolgte deshalb eine Versorgung mit einem konfektionierten Sicherheitsstiefel (Uvex motion 3XL) mit Maßeinlage.
Dieser Schuh, der zunächst als Halbschuh entwickelt wurde und jetzt auch als Stiefel erhältlich ist, verfügt über eine speziell entwickelte Vorderkappe, die vor allem in der Höhe und der Weite vergrößert wurde und so mehr Raum für deformierte Füße und den Einsatz von individuellen Fußbettungen mit Dämpfungsmaterialien bietet. Auch stärker deformierte Füße finden bei einer Weite > 15 hier ausreichend Platz.

Fußbettung benötigte mehr Volumen
Aufgabe der Maßeinlage war es nicht nur, den Fuß zu betten, sondern auch eine leichte, jedoch korrigierbare Klumpfußkomponente auszugleichen, die zusätzlich zum Hohlfuß bestand. Dazu wurde ein lotrecht korrigiertes Gipspositiv erstellt, über das die Einlage in Schalenbauweise tiefgezogen wurde. In der Bettung erfolgte eine konsequente retrokapitale Abstützung der Metatarsale II bis IV mit Tieferlegung des ersten Strahls in Verbindung mit einem 7mm Ballen­pols­ter in Shore-Härte 15. Als Bettungsstärke wurden 10 Millimeter im Zehenbereich und 15 Millimeter im Fersenbereich aufgebaut, vergleichbar mit den Anforderungen für eine diabetes-adaptierte Fußbettung.
Das obere Sprunggelenk ist nur eingeschränkt beweglich, weswegen der Fuß im Schuh im Verhältnis zum Unterschenkel mit einem Winkel von 95° eingestellt wurde. Um eine sichere Schrittabwicklung zu ermöglichen, wurde die Absatzsprengung an der Laufsohle entsprechend angepasst. Abschließend wurde die Laufsohle mit einer Ballenrolle mit einer Außenranderhöhung von 4 Millimeter versehen, um einem Umknicken nach außen vorzubeugen.
Für den Ausgleich der Fußheberparese waren die Stabilisierungselemente ausreichend, die mit dem Schuh mitgeliefert werden. Diese Schaftstäbe können innen (einer) und außen (zwei) am Schuh in speziell vorbereitete Taschen eingesteckt werden, um so dem Sprunggelenk mehr Stabilität zu geben. Sie können individuell eingesetzt beziehungsweise ausgetauscht werden, ohne dass der Schuh seine gültige Zertifizierung verliert.
Nachdem der Patient zunächst probeweise mit dem Schuhe versorgt wurde, entschied er sich nach kurzer Zeit ganz für den Schuh. „Ich habe jetzt wieder mehr Gefühl in den Füßen. Zuletzt konnte ich sogar ein leichtes Kribbeln spüren“, berichtete er nach kurzer Tragezeit. „Das Wichtigste für mich ist, dass ich meine Füße und damit auch meinen Gang besser kontrollieren kann. Außerdem sind meine Schmerzschübe nicht mehr so stark wie noch vor ein paar Monaten und insgesamt seltener geworden.“
Durch das größere Volumen des Schuhs mit der großen Schutzkappe und damit ausreichend Höhe und Weite konnte der Fuß trotz seiner ausgeprägten Deformität ausreichend weich gebettet werden. Das subjektive Empfinden des Patienten wurde durch die praktischen Erfahrungen bestätigt. Konnte er sich in seinen alten Maßschuhen gerade einmal zwanzig Minuten beschwerdefrei bewegen, so ist er jetzt mit der neuen Schuhversorgung in der Lage, eine Stunde lang ohne Schmerzen zu gehen. Der Mann ­arbeitet als Lagerist ganz normal im Schichtbetrieb mit und kann mit seinen Schuhen auch problemlos Stapler fahren.
Dieses Beispiel zeigt, dass für bestimmte Fußdeformationen, die nicht in normalen Sicherheitsschuhen versorgt werden können, nicht ein Maßschuh, sondern auch ein konfektionierter Schuh mit dem notwenigen Raum im Vorfuß die bessere Lösung sein kann. Mit einem Gewicht von 1300 Gramm ist der Stiefel zudem rund 500 Gramm leichter als ein vergleichbares maßangefertigtes Pendant. Orthopädieschuhmachern bietet der Einsatz des neuen Sicherheitsstiefels auch einen Zeitvorteil, da die Anpassung an die spezifischen Bedürfnisse seines Trägers nur rund fünf Stunden Arbeitszeit benötigt, also etwa ein Drittel der Arbeitszeit die für einen orthopädischen Sicherheitsmaßschuh zu veranschlagen ist.

Ausgabe 3/2016

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Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
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