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26. Januar 2017
Redaktion
„Lunatec motion“

Ein neues Material in der Anwendung

Von OSM Martina Hennicke

Auslöser für die Entwicklung von Luna­tec motion, das Nora systems im Mai 2016 auf der OTWorld präsentierte, war die Diskussion in Fachkreisen über die Kraftaufnahme und -umverteilung physikalischer Kräfte in der orthopädischen Hilfsmittelversorgung. Daraus ergab sich die Frage, wie ein Material beschaffen sein müsste, das hier möglichst gute Ergebnisse erzielt.
Lunatec
Abb. M. Hennicke

Mit Lunatec motion und der Verbundplatte Lunatec combi motion setzte Nora systems die gewünschten Materialeigenschaften um.

Die Krafteinsparung des Materials wurde anhand eines Prüfverfahrens nachgewiesen. Zudem wurden praktische Trageversuche durchgeführt. Diese ergaben stets sehr gute Ergebnisse und durchweg positive Rückmeldungen der Verarbeiter, berichtet Nora systems.

Lunatec motion ist ein hygienisch ­geschlossenzelliges EVA mit etwa 10 Shore A und damit extrem weich. Dieses Material kann durch die neue Rohstoffzusammensetzung aus hochwertigen Grund­poly­meren die Scherkräfte, die in der Dynamik entstehen, aufnehmen und auf ein Minimum reduzieren. Auch in der vertikalen Belastungsrichtung zeigt es sehr gute bettende und dämpfende Eigenschaften, die den Körper in der Bewegung entlasten. Eine Prüfung der Rückstellfähigkeit des Materials zeigte durchweg sehr gute Ergebnisse.

Die Scherkraftreduzierung bietet eine große Vielfalt an Einsatzmöglichkeiten: für Bettungen, Einlagen oder beispielsweise im Orthesenbau, als Oberschicht oder Bezug. Versorgungen  in Sandwich-Bauweise für Rheuma-, Schmerz- oder Diabetespatienten sind sehr gut zu realisieren.

Einsatzbereiche

Aufgrund der geschlossenen Zellen kann Lunatec motion problemlos gereinigt und desinfiziert und deshalb auch in der Akutversorgung eingesetzt werden. Luna­tec motion ist thermisch sehr gut verformbar und passt sich im Vacuum-Tiefziehgerät dem Leisten/Modell sehr gut an. Auch bei der Verarbeitung per Hand hält es ausreichend lang seine Temperatur, um es auf einen Leisten aufzuarbeiten. Als Einzelmaterial lässt es sich problemlos im Schicht- oder Sandwichbau verarbeiten.

Mit der Verbundplatte Lunatec combi motion steht dem Verarbeiter ein Material zum Einlagen- und Bettungsbau zur Verfügung, das wie alle Nora-Verbundmaterialien Arbeitsgänge verkürzt und somit Zeit spart, da ein Klebevorgang entfällt. Auch ist eine Blasenbildung zwischen den einzelnen Schichten oder eine Verhärtung durch die Klebstoffe ausgeschlossen.

Die Verarbeitung

Wie bei allen Produkten, die neu in der Verarbeitung sind, empfiehlt sich auch für Lunatec motion ein besonnenes Herantasten an den Umgang mit dem Material. Es lässt sich hervorragend tiefziehen, verkleben und von Hand anformen. Die Handhabung ist mit der von Lunairmed oder anderen weichen EVA-Materialien von Nora systems vergleichbar. Das Aufkleben von Bezugsmaterialien, wie beispielsweise Leder oder Vlies, ist ebenso problemlos möglich wie das spätere Ablösen einer Decke mit Sohlenlöser.

Tipp für die Verarbeitung und für die Praxis

Ein feines Schleifband sorgt für ein schönes optisches Finish. Lunatec motion lässt sich schnell schleifen, weshalb meist ein Band mit 60er- oder 80er-Körnung ausreichend ist.

Um die Standsicherheit des Patienten auf dem sich „wolkig“ anfühlenden Material mit den Vorteilen der Scherkraftredu­zierung zu verbinden, besteht die Möglichkeit, eine dünnere Schicht, zum Beispiel 2 oder 3 mm Lunatec motion als Deckschicht der Bettungen zu verwenden.

Versorgungsbeispiele

Bettung für eine Rheumapatientin

Für diesen Einsatzbereich war das Material ursprünglich gedacht. Materialeinsatz: Lunatec combi motion, Ausgleich mit Lunasoft SL.

Die langjährige Kundin (79 Jahre) leidet unter rheumatischer Arthritis. Beide Füße verändern sich zusehends, an den vorhandenen Schuhen und Bettungen wird oft nachgepolstert. Besonders das sich absenkende Kahnbein und der umliegende Mittelfußbereich bereiten immer wieder Probleme. Bei der diesjährigen Versorgung mit orthopädischen Maßschuhen musste der Leisten umgearbeitet werden. Die Passform war nach der Überprüfung mit Probeschuhen gut. Die Bettungen wurden entsprechend aufgebaut und gepolstert; rechts unter dem Kahn- und Würfelbein sowie Basis M1 wurde mit speziellen Materialien gearbeitet.

Nach einer Tragezeit von zwei Wochen klagte die Patientin über starke Schmerzen rechts medial nach ein paar Minuten Laufen in den orthopädischen Schuhen. Der Schuh und die Bettung wurden kontrolliert. Im unbelasteten wie im teilbelasteten Zustand zeigte sich ein guter Sitz der Versorgung am Fuß. Kritisch erschien eine Hautfalte unter dem rechts heraustretenden Kahnbein, das bei der Schrittabwicklung sowohl Druck als auch Reibung ausgesetzt ist. Mit Lunatec combi motion stellten wir neue schalige Bettungen her, die seitlich und unterhalb der heraustretenden Bereiche punktentlastet und mit Lunatec motion ausgefüllt wurden. Auf einen Bezug wurde verzichtet.

Die Patientin empfand schon beim ers­ten Auftreten mit den neuen Bettungen in den orthopädischen Schuhen ein sehr angenehmes, weiches und auch sicheres  Tragegefühl.

Nach einer Tragezeit von etwa zwei Wochen kontrollierten wir die Versorgung. Die orthopädischen Schuhe hatten einen guten Sitz am Fuß und wiesen normale Tragespuren auf. Die Bettungen zeigten kaum sichtbare Spuren, auch die Materialstärke war erhalten. Die Kundin war begeistert und glücklich, schmerzfrei laufen zu können und sagte: „Ich laufe wie auf Wolken…“. Da sie recht oft schwimmt und zur Wassergymnastik geht, bestellte sie für ihre vorhandenen Badeschuhe ein Paar Bettungen, ebenfalls aus Lunatec combi motion, die wir entsprechend herstellten und einpass­ten. Auch beim Einsatz im Wasser besteht das Material alle Anforderungen: Die Patientin fühlte sich sicher im Stand; es gab keine glitschigen Fußsohlen, keine Reibung und keinen Druck.

Rheumafuß
Abb. M. Hennicke
Der zu versorgende Rheumafuß.
Versorgung
Abb. M. Hennicke
Versorgung einer Rheumapatientin mit einer Bettung. Seitliche Ansicht.
Versorgung
Abb. M. Hennicke
Versorgung einer Rheumapatientin mit einer Bettung. Ansicht von hinten.
Versorgung
Abb. M. Hennicke
Versorgung der Rheumapatientin mit einem Badeschuh aus Lunatec combi motion.

Lagerungsorthesen Unterschenkel – Fuß

Materialeinsatz: Lunatec motion 8 mm,  PE 6 mm als Versteifungsmaterial.

Der Patient (55 Jahre) leidet nach einem schweren Arbeitsunfall 2010 mit Schädel-Hirn-Trauma unter einer cranialen Tetraparese, ist querschnittsgelähmt und bettlägerig. Es erfolgte in den Jahren kaum eine physiotherapeutische Behandlung, daher veränderten sich Beine und Füße in eine extreme, fast kontrakte Spitzfußstellung. Bei seinem Aufenthalt in einer Rehaklinik wurde auch Fersendekubiti und eine Druckstelle am rechten Großzehengrundgelenk, MRSA und ein ab und zu auftretender Tonus der schon überstreckten Füße festgestellt. Als therapeutische Maßnahmen wurden unter anderem Ergotherapie und Lagerungs-Orthesen verordnet.

Die Anforderungen an diese Versorgung waren die Erhaltung der aktuellen Fuß/Beinstellung, ohne Gegendruck auszuüben, sowie die Entlastung der Dekubiti. Die Füße und Unterschenkel sollten umfassend gepolstert werden, um weitere Druckstellen zu vermeiden. Das Material hierfür musste desinfizierbar sein, aber auch nachträglich veränderbar. Die Orthesen sollten ein einfaches Handling für die Pflegekräfte haben und vom Kos­tenträger erstattet werden.

Von beiden Füßen und Unterschenkeln wurde nach Gipsabdruck ein Leisten erstellt, mit entsprechender Weitung an den Vorfüßen. Die Anprobe erfolgte mit Probeschuhen. Mit Lunatec motion in einer Stärke von 8 mm wurde per Hand ein Polstermantel über den Leisten gezogen. Für die Orthesenschale verwendeten wir MO in einer Stärke von 6 mm. Nach einer recht langen Abkühlzeit schnitten wir mit einem sehr scharfen Messer den Weichwandschaft auf und lösten den Mantel mit der Orthese vom Leisten. Nach dem Feinschliff und der Entschärfung der Kanten am motion-Schaft wurden die Verschlüsse angebracht.

In der Rehaklinik wurden im Beisein der Ergotherapeutin und einer Pflegekraft  die Orthesen angelegt und das Handling vermittelt. Nach einer Tragedauer von etwa 8 Tagen überprüften wir nochmals den Sitz der Orthesen sowie die Füße und Beine auf mögliche entstandene Druckstelle. Es waren keine Druckstellen am Körper aufgetreten, die Materialien wiesen ebenfalls keinerlei Druckspuren auf. Sie wurden von den Pflegekräften regelmäßig gereinigt und desinfiziert, was auf dem Material kei­nerlei Spuren hinterließ.

Im Nachhinein würde ich den Leisten vorab mit Norit isolieren, um eine ganz glatte Oberfläche in der zum Körper gewandten Seite zu erhalten. So hatte ich einige Nacharbeit mit dem Föhn, um Unebenheiten (z.B. kleine Lufteinschlüsse im Leistenschaum), die sich am Leisten befanden, „auszubügeln“.

Versorgung
Abb. M. Hennicke
Versorgung eines querschnittsgelähmten Patienten mit kontraktem Spitzfuß. Ausgangsituation rechter Fuß.
Versorgung
Abb. M. Hennicke
Kontrakter Spitzfuß. Ausgangssituation linker Fuß.
Versorgung
Abb. M. Hennicke
Versorgung eines querschnittsgelähmten Patienten mit kontraktem Spitzfuß. Hier die die Probefolie.
Versorgung
Abb. M. Hennicke
Versorgung eines querschnittsgelähmten Patienten mit kontraktem Spitzfuß. Hier mit fertiger Unterschenkellagerungsorthese aus Lunatec motion. Ansicht von oben.
Versorgung
Abb. M. Hennicke
Derselbe Patient mit der Unterschenkellagerungsorthese aus Lunatec motion. Ansicht von unten.

Selbsttest – Weichschaumeinlagen

Materialeinsatz: Lunatec combi motion.

Lunatec combi motion wollte ich im Selbstversuch als langsohlige Weichschaumeinlage zum Joggen testen. Hierfür wurde das Material über ein Maß­positiv mit dem Vacuumtiefziehgerät aufgearbeitet und in die Joggingschuhe eingepasst.

Auf einen Bezug der Einlage wurde verzichtet. Schon beim Anziehen der Schuhe bemerkte ich, wie das Ein­schlupfen von Lunatec Motion abgebremst wurde. Bei den ersten Schritten auf Asphalt fiel mir eine bessere Dämpfung beim Auftreten sofort auf. Beim Joggen hatte ich das Gefühl, die Schuhe mit der motion-Einlage bilden zusammen mit meinen Füßen eine Einheit, meine Füße saßen sehr gut in den Schuhen. Ich spürte keinerlei Rutschbewegung in der vertikalen oder horizontalen Richtung, bei jedem Auftritt spürte ich eine angenehme Dämpfung.

Nun haben die Einlagen einen Kilometerstand von etwa 500, wurden bisher allen Witterungen, außer Schnee und Eis, ausgesetzt und bin weiterhin begeis­tert. Während der „Laufzeit“ bekomme ich weder heiße noch kalte Füße, ich schwitze nicht auf den Einlagen, selbst bei Regen wird durch den Schuh dringendes Wasser scheinbar abtransportiert, die Schuhe und Strümpfe werden nass, aber nicht die Einlage.

Lunatec motion ist sehr gut zu reinigen. Die Passform ist auch weiterhin einwandfrei, die motion-Schicht weist keinen nennenswerten Verschleiß auf. Beim Joggen möchte ich dieses Tragegefühl nicht mehr missen.

Joggingeinlagen
Abb. M. Hennicke
Joggingeinlagen für den Selbsttest.

Aufpolsterung von Orthesen

Im Orthesenbau eignet sich Lunatec motion nicht nur für Weichwandmäntel, sondern auch für die Auffütterung bei Form- oder Umfangveränderungen der Füße und Beine. Dabei ist zu beachten, fließende Übergänge herzustellen. Das Material ist gut schleif- und verklebbar. Es kann kalt oder thermisch verarbeitet werden und legt sich auch sehr gut in eine vorgegebene Form.

Ein junger 28-jähriger Patient mit  diabetischem Fußsyndrom und Ulcera im Fußsohlenbereich wurde Ende April 2016 mit einer Zwei-Schalen-Unterschenkelorthese versorgt. Durch die Mobilität des Patienten verschlankte sich dessen Unterschenkel nach einer Tragezeit von etwa vier Wochen, was für ihn positiv war – nur die Orthese hatte im Beinbereich nicht mehr den Sitz. Für die Aufpolsterung des Weichwandschaftes setzte ich Lunatec motion in einer Stärke von 3 mm ein. Gut ausgeschliffen für die Übergänge und leicht erwärmt ließ es sich sehr gut einlegen. Die Orthese kann somit weiterhin getragen werden.

Zweischalen-Orthese,
Abb. M. Hennicke
Zweischalen-Orthese, aufgepolstert mit Lunatec motion.
Zweischalen-Orthese,
Abb. M. Hennicke
Zweischalen-Orthese, aufgepolstert mit Lunatec motion. Detailansicht.

Durch die Aufnahme der Scherkräfte und die sehr gute Handhabung in der Verarbeitung, ist Lunatec motion vielseitig einsetzbar und ermöglicht aus meiner Sicht Versorgungen, die bisher nicht denkbar waren. Es bereichert die Auswahl an Polstermaterialien und spricht die Kreativität der Verarbeiter in der OST und OT an.

Anschrift der Verfasserin:
OSM Martina Hennicke
MH Orthopädie GmbH
Werderstr. 1
76137 Karlsruhe

Artikel aus OST-Ausgabe 11 / 2016

Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
Schuhsohle
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