Versorgung eines jungen Charcot-Marie-Tooth-Patienten
Die Charcot-Marie-Tooth Erkrankung, kurz CMT, hat nichts mit dem Charcot-Fuß zu tun, sondern ist eine neuronale Erbkrankheit, bei der eine Genmutation am 17. Chromosom für eine Nervenschädigung sorgt.
Benannt wurde sie nach den Neurologen Jean-Martin Charcot, Pierre Marie und Howard Tooth. Synonyme sind auch Hereditäre motorisch-sensible Neuropathie (HMSN), Charcot-Marie-Tooth-Hoffmann-Syndrom oder Morbus Charcot-Marie-Tooth.
Bei CMT handelt es sich um einen irreparablen Gendefekt. Auf 100.000 Personen kommen zirka 20 – 40 Betroffene. Geschädigt ist das periphere Nervensystem. Das führt dazu, dass Nervenimpulse aus dem Gehirn nicht mehr bei den entsprechenden Muskeln ankommen. Durch die gestörte Impulsübertragung kommt es zu einem Muskelungleichgewicht von Spieler und Gegenspieler, was dann zu Fußfehlstellungen führt.
Obwohl die Krankheit schon im Kindesalter beginnt, zeigen sich die Symptome bei vielen Betroffenen erst im dritten Lebensjahrzehnt. Betroffen sind in erster Linie die Beine, aber auch die Arme zeigen Muskelschwächen.
Das typische Befallmuster der Muskulatur sieht bei CMT wie folgt aus: Die Muskelschwäche beginnt bei den kurzen Fußmuskeln, anschließend werden auch die langen Fußmuskeln in der unten beschriebenen Reihenfolge befallen:
- M. peroneus longus und brevis (langer und kurzer Wadenbeinmuskel)
- M. tibialis anterior (vorderer Schienbeinmuskel)
- M. extensor digitorum longus (langer Zehenstrecker)
Im weiteren Verlauf werden die restlichen Unterschenkelmuskeln befallen. Durch diese typische Abfolge der Muskelschwächung, entsteht am häufigsten ein Hohlfuß und, besonders typisch, der Ballenhohlfuß.
Die Muskelschwäche beginnt peripher in den Händen und Füßen und breitet sich dann zur Körpermitte hin aus.
Das Bedauerliche an der Krankheit ist, dass eine Heilung bis heute nicht möglich ist. Sie verläuft langsam progredient, also stets schlechter werdend. Die allgemeine Lebenserwartung der Betroffenen ist dadurch aber nicht eingeschränkt.
Therapie
Da die Krankheit nicht heilbar ist, erfolgt die Therapie symptomatisch. Besondere Beachtung sollte der Physiotherapie zukommen, sie dient der Kontrakturenprophylaxe. Um das Gangbild und die Druckverteilung sowie mögliche Bewegungseinschränkungen in den Gelenken positiv zu beeinflussen, ist eine orthopädieschuhtechnische Versorgung nötig. In schweren Fällen kommt es zu operativen Eingriffen, bei denen ein Sehnentransfer die Zugwirkung der Muskeln verändern soll.
Das Ziel jedes Therapieansatzes ist es, starke Fehlstellungen zu verhindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu erhalten oder zu verbessern.
Der Patient
Bei dem hier beschriebenen, noch jungen Patienten (18 Jahre alt) bildeten sich bereits im Kindesalter Hohlfüße. Der Patient bemerkte selbst, dass er beim Rennen nicht mit den anderen Kindern mithalten konnte. Nach einer Tibiafraktur im Alter von 11 Jahren verschlechterte sich die Fußstellung links als Klumpfuß mit leichter Spitzfußkomponente. Vier Jahre später folgte eine Operation. Hier wurde die Achillessehne verlängert und Sehnenansätze am Fußrücken versetzt.
Wie schon in seinem äußeren Erscheinungsbild erkennbar, leidet der Patient unter Muskelschwund (Muskelatrophie). Frühe Symptome waren bei ihm Gangstörungen und der symmetrische Abbau der Unterschenkelmuskeln. Es bildeten sich also sogenannte Storchenbeine. Auf den Bildern sieht man den rechtsseitigen kontrakten Hohlfuß und den linksseitigen, bereits operierten Klumpfuß.
Bewegungen im oberen oder unteren Sprunggelenk sind nur noch als kleine Wackelbewegungen möglich. Deutlich zu erkennen sind die hochgesprengten Fußrücken sowie ein Hallux malleus beidseits, und auch die anderen Zehen sind als Hammerzehen sichtbar.
In der Rückansicht kann man sehr deutlich die Varusstellung der Ferse und des gesamten linken Fußes erkennen (Abb. 4). Man sieht auch, dass der Innenballen keinen guten Bodenkontakt hat. Durch den Coleman-Block-Test konnte festgestellt werden, dass der Vorfuß eine Pronation zulässt und damit verbesserter Bodenkontakt des Innenballens erreicht werden kann.
Die Vermutung einer starken Fußaußenrandbelastung bestätigte sich bei der Druckmessung (Abb. 2). Anhand der roten Ganglinie ist in der Dynamik der leichte Spitzfuß zu erkennen.
Plantar weist der Patient aufgrund des hohen Drucks vermehrte Hornhautbildung am MFK 5 auf. Ebenfalls erkennbar sind die unterschiedlichen Fußlängen, was auf die Tibiafraktur und die damit einhergehende Verschlechterung der Fußstellung links zurückzuführen ist.
Orthopädieschuhtechnische Versorgung bis zur Operation
Im vorliegenden Fall würde wohl nichts gegen eine Maßschuhversorgung sprechen. Der Patient ist allerdings noch sehr jung und kann sich noch nicht mit dem Gedanken anfreunden, orthopädische Maßschuhe zu tragen. Da für Oktober 2022 noch eine Operation am linken Fuß geplant war, konnten wir uns auf eine Schuhzurichtung und Einlage im Sonderbau verständigen.
Bei der Zurichtung wurden eine Schuhbodenverbreiterung, eine Sohlenversteifung und Mittelfußrollen an einem Paar Nike Air Force gefertigt. Sie bieten von Grund auf schon eine recht gute Stabilität.
Bei der Einlage wurden die Basis V, die MFK 1 und 5 beidseits gepolstert. Zusätzlich wurde der Vorfuß durch eine Stufenpelotte entlastet.
Wie sich bereits im Coleman-Block-Test bestätigt hatte, konnte der linke Vorfuß auf der Einlage leicht proniert werden. Auf diese Weise bekam das Großzehengrundgelenk wieder etwas mehr Bodenkontakt.
Fazit
Nach vier Wochen Tragezeit hatte sich die Standfestigkeit durch die Schuhverbreiterung positiv verändert. Außerdem berichtete der Patient über eine längere Belastbarkeit der Füße, was auf die Rolle und die Druckentlastung auf der Einlage zurückzuführen ist.
Allerdings hatte der Patient anfangs Muskelkater in den Beinen. Bereits bei der Auslieferung hatten wir darauf hingewiesen, dass das passieren kann. Durch die Carbonversteifung und Rolle ist der Schuh natürlich noch schwerer geworden.
Operative Versorgung
Mittlerweile ist die Operation am linken Fuß erfolgt. Das Os naviculare (Kahnbein) wurde komplett entfernt, ebenso Teile von Talus (Sprungbein) und Calcaneus (Fersenbein). Die Gelenke des Großzehs wurden versteift, plantar wurde die Plantaraponeurose gespalten, um dem Fuß mehr Streckung zu ermöglichen.
Wenn die Heilung komplett abgeschlossen ist, wird sich zeigen, wie sich die orthopädieschuhtechnische Versorgung gestalten lässt.
Anschrift der Verfasserin:
Katja Streckhardt
Am Räschen 7
35279 Neustadt
KATJA STRECKHARDT