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2. September 2022
Redaktion

OST/IVO-Kongress: Biomechanik des Fußes im Fokus

WOLFGANG BEST


Egal auf welchem Kontinent: Der menschliche Fuß hat überall die gleiche Anatomie und Biomechanik. Aber die Ursache von Fußproblemen werden durchaus unterschiedlich interpretiert und auch die therapeutischen Ansätze sind häufig verschieden. Der IVO-Kongress bietet die Gelegenheit, einige dieser Ansätze kennenzulernen und mit den Kollegen aus anderen Ländern zu diskutieren.

C. Maurer Fachmedien

Kelly Robb und Michael Ryan haben in Kanada den Beruf des Pedorthists, das kanadische Pendant zum Orthopädieschuhmacher, gelernt und sich danach für eine wissenschaftliche Karriere entschieden, um das, was sie in der Ausbildung gelernt haben, wissenschaftlich zu untersuchen und zu validieren. Heute ist Michael Ryan außerordentlicher Professor an der Abteilung für Biomedizinische Physiologie und Kinesiologie an der Simon Fraser University in Vancouver. Er gehört zu den führenden Experten auf dem Gebiet der Erforschung der Rolle von Schuhen bezüglich des Verletzungsrisikos bei Läufern. Den Bezug zur Praxis hat er weiterhin als Leiter der Produkt- und Innovationsabteilung bei „Kintec Footwear + Orthotics“, einem großen Orthopädieschuhtechnik-Betrieb in Kanada.

Kelly Robb schließt derzeit ihr Promotionsstudium an der Wilfrid Laurier University in Waterloo ab. Ihre aktuelle Forschung konzentriert sich auf die Verbindung zwischen Neuromechanik, mechanorezeptorischer Aktivierung, muskulärer Aktivität der unteren Gliedmaßen und Einlagen. Aktuell ist sie auch Präsidentin der Pedorthic Association of Canada.

Kelly Robb und Michael Ryan werden in ihrem gemeinsamen Vortrag auf dem Kongress einen umfassenden Überblick über frühere und aktuelle Ansätze zum Verständnis der Fußbiomechanik und der Versorgungsansätze in Nordamerika geben. Im Laufe der Entwicklung hatte jede theoretische Perspektive einen einzigartigen Wert für den Kliniker geliefert. Doch jede Theorie war auf die zum jeweiligen Zeitpunkt verfügbaren wissenschaftlichen Forschungsergebnisse beschränkt. Kelly Robb und Michael Ryan werden die Theorien, wie zum Beispiel die subtalare Neutraltheorie von Merton L. Root oder die Theorie des Gleichgewichts der subtalaren Gelenkachse aus heutiger wissenschaftlicher Sicht bewerten und zwei neuere Konzepte vorstellen: sensomotorische Versorgungskonzepte und den sogenannten Komfortfilter, der in der Laufschuhbranche schon seit Jahren diskutiert wird. In Köln wird Michael Ryan Daten aus einer kanadischen Forschungsdatenbank mit mehr als 10000 klinischen Ergebnismessungen zum Komfortfilter bei der Einlagenversorgung präsentieren.

Die europäische Perspektive und die Unterschiede zu den nordamerikanischen Versorgungsansätzen wird OSM und Dipl.-Ing. Thomas Stief in seinem Vortrag darstellen. Auch wenn es in Nordamerika verschiedenen Ansätze gab und gibt, so steht dort doch häufig eine Korrektur des Rückfußes durch die Einlagenversorgung im Mittelpunkt, welche auch die Probleme im Vorfuß therapieren soll. Pelotten am Vorfuß, zum Beispiel zur Korrektur oder Unterstützung der medialen Wölbung, sind dort unbekannt. Thomas Stief wird die klassischen Versorgungskonzepte aus Europa und aktuellere Konzepte aus biomechanischer Sicht betrachten und dabei auch das Spannungsfeld zwischen Vorfuß und Rückfuß im Fokus haben. Die Biomechanik des Fußes und die Versorgungskonzepte der Orthopädieschuhtechnik sind Thomas Stief bestens vertraut. Er ist Orthopädieschuhmachermeister, hat in Münster Technische Orthopädie studiert und lehrt und forscht seit 2017 am Institut für Sportwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen, unter anderem zu neuen Einlagenkonzepten. Diese Kongresssitzung am Samstag, 15. Oktober 2022, um 9.15 Uhr findet in Kooperation mit der Studiengemeinschaft für Orthopädieschuhtechnik statt.

Seminare zum intenationalen Austausch

Die Referenten aus dem oben beschriebenen Vortragsblock bieten auch biomechanische Themen im Seminarprogramm an. Thomas Stief wird einmal auf Deutsch (Freitag, 14.10. um 11 Uhr) und auf Englisch (Freitag, 14.10. um 14 Uhr) in die biomechanische Wirkung von Schuhzurichtungen einführen und deren praktische Anwendung erläutern.

Am Freitag 14.10. um 12.30 Uhr gibt es Gelegenheit, mit Kelly Robb und Michael Ryan konkret über Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Versorgung zu diskutieren. Anhand eines häufig auftretenden Problems werden die Referenten die nordamerikanische Vorgehensweise bei der Einlagenversorgung vorstellen. Dazu gehören eine Anamnese, eine Untersuchung ohne und mit Belastung, eine Ganganalyse, gefolgt von einer Synthese dieser Untersuchungsergebnisse, die zur Auswahl von geeignetem Schuhwerk und dem Entwurf, der Herstellung und Lieferung einer Einlage führt. Während des Vortrags besteht die Möglichkeit, Fragen zu stellen und jeden Schritt zu diskutieren.

Am selben Tag , um 17 Uhr wollen die beiden einen wissenschaftlich fundierten Einblick in die Neurophysiologie und Sensomotorik in der Orthopädieschuhtechnik geben. In Interviewform statt als Vortrag soll ein komplexes Thema einfach und verständlich und gleichzeitig unterhaltsam präsentiert werden. Auch hier freuen sich die Referenten auf den Austausch mit Kollegen.

Biomechanik: Grundlagen und Anwendung

Dr. Ludwig Schwering, Orthopäde und Chirurg am Mariannen-Hospital in Werl, wird am Samstag, 15.10 um 9.30 Uhr in die funktionelle Anatomie und Biomechanik des Fußes einführen. Dabei wird er besonderes Augenmerk darauf legen, wie Instabilitäten und Imbalancen mit zunehmendem Alter progrediente Fehlstellungen verursachen und zu den typischen zivilisatorischen Deformitäten wie Hallux valgus, Hammerzehen und anderen führen. Anhand einzelner Deformitäten des Fußes wird die Pathobiomechanik erläutert und so das Entstehen von Fehlstellungen aus der gestörten Biomechanik des Fußes erklärt.

Dr. Thomas Obens vom Tübinger Institut für angewandte Biomechanik wird in seinem Seminar zeigen, wie biomechanische Erkenntnisse für die Optimierung der Einlagenversorgung genutzt werden können.

Dabei wird es nicht nur um Messwerte aus der Analyse gehen, sondern vor allem darum, wie man in der Einlagenversorgung der Individualität des Patienten gerecht werden kann. Mit der „angewandten Biomechanik“ sollen die beiden Pole „objektiv“ und „subjektiv“ zu einer „Einheit“ verschmolzen werden, damit der Patient funktionell gut versorgt ist. Das Seminar vermittelt, wie mit einer Kombination aus biomechanischem Wissen und den richtigen Fragen zum Kunden-Gespür die Einlagenversorgung optimiert werden kann.

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Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
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