Der Plattfuß – Ursachen, Untersuchung und Behandlung
Am 22. November 1991 veröffentlichte E. Rosenthal in der New York Times: „Der Plattfuß ist funktional perfekt und kann beim Sport ein Vorteil sein.“ Auch über den Vorteil des hypermobilen Plattfußes von israelischen Rekruten in Marschstiefeln (Knobelbecher) wurde berichtet. Trotzdem sehen wir in der fußorthopädischen Ambulanz täglich Patienten mit symptomatischen Plattfüßen, so dass eine differenziertere Betrachtung dieser Fehlstellung des Fußes angebracht erscheint.
Wird der Pes planus, der genau wie der Klumpfuß eine dreidimensionale Fehlstellung darstellt, alleine auf die Abflachung des Längsgewölbes reduziert, kann er bei intakter Gelenkstellung und Gelenkfunktion entwicklungsbedingt, familiär und in Bezug auf einige menschliche Rassen ebenfalls keine behandlungsbedürftige Pathologie darstellen.
In der Vergangenheit haben sich verschiedene Orthopäden mit dem Plattfuß beschäftigt. Einer der ersten war Pieter Camper, der 1774 die Bedeutung der Schuhe auf die Fußentwicklung beschrieb. Nicoladoni stellte 1890 den Hammerzehenplattfuß vor. Auch Adolf Lorenz bearbeitete in seiner Habilitationsschrift 1883 die Lehre vom erworbenen Plattfuß. Diese Liste ließe sich noch endlos weiter fortsetzen.
Die Monographie von Wilhelm Thomsens „Kampf der Fußschwäche“, welche 1939 in der 1. Auflage erschien und wahrscheinlich auf Grund der Nähe zum Nationalsozialismus und wegen der turbulenten Zeit nur wenig Beachtung fand, sollte jedoch noch Erwähnung finden, da in diesem Buch wesentliche Anmerkungen zur Pathobiomechanik des Plattfußes enthalten sind.
Schlussendlich war es R. I. Harris, der 1948 zusammen mit seinem Kollegen T. Beath die klassische Studie zu Fußerkrankungen bei kanadischen Rekruten durchführte und herausfand, dass der Plattfuß nur symptomatisch ist, wenn eine Wadenverkürzung oder eine tarsale Coalitio (Verschmelzung von Rückfuß und Fußwurzelknochen) vorliegen. Harris empfahl eine spezielle Röntgenaufnahme zum Nachweis einer talokalkanearen Coalitio im Bereich des Sustentaculum tali (Balkon des Fersenbeins zur Unterstützung des Taluskopfes).
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Klinisches Erscheinungsbild
Der Plattfuß beschreibt als dreidimensionale Deformität zunächst ein Absinken des medialen Fußlängsgewölbes. Klinisch zeigt sich dieses in der seitlichen Betrachtung durch eine teilweise oder vollständige Aufhebung des inneren Fußgewölbes. Meist findet sich über dem inneren Sprungbeinkopf und Kahnbein eine deutliche Schwiele durch die unphysiologische Mehrbelastung in diesem Bereich.
In der seitlichen Röntgenstandaufnahme wird dieses durch eine Negativierung des Winkels zwischen Sprungbeinlängsachse und erstem Mittelfußknochen deutlich. In der seitlichen Betrachtung kann der Pes planus auch als dekompensierter Spitzfuß verstanden werden, da es durch das Absinken des inneren Fußlängsgewölbes regelmäßig zu einem Fersenhochstand kommt. Dieses geht, wie schon zuvor beschrieben, regelmäßig mit einer verkürzten Wadenmuskulatur einher (s. unten „Silfverskiöld-Test“).
Offensichtlich kann sowohl die Instabilität des unteren Sprunggelenkes zu
einer verkürzten Wadenmuskulatur führen, die ihrerseits bei dem gestörten Abrollverhalten die Entwicklung des Pes planus fördert, als auch eine primäre Verkürzung der Wadenmuskulatur einen Pes planus bei entsprechender Disposition verursachen. Die klinische Betrachtung zeigt, dass beides möglich ist.
Zur Überprüfung der verkürzten Wadenmuskulatur hat sich der Test nach Silfverskiöld bewährt (s. unten).
Wird der Plattfuß von hinten betrachtet, so zeigt sich eine Abspreizungskomponente der Fußwurzel gegenüber dem Rückfuß. Meist ist das hauptsächlich betroffene Gelenk das Sprungbein-Kahnbeingelenk. Es ist aber auch das untere Sprunggelenk und das Fersenbein-Würfelbeingelenk an der Fehlstellung beteiligt. Neben dieser Abspreizkomponente zeigt sich in der dritten Ebene, der Betrachtung von hinten, ein Rückfußvalgus und das sogenannte Zeichen der zu vielen Zehen, da bei einem physiologisch ausgebildeten Fuß bei der Betrachtung von hinten etwa 1,5 Zehen, nämlich der 5. und der 4. Zeh, neben der Fibula zu sehen sind und auf Grund der Abspreizposition des Vorfußes beim Plattfuß eben mehr Zehen zu sehen sind. Dieses verdeutlicht sich ebenfalls in der Röntgenstandaufnahme des Fußes in der Projektion von oben.
Auf Grund der besonderen Biomechanik der Chopart’schen Gelenklinie führt die Abspreizung in diesem Gelenk auch zu einer Rotationsbewegung. Diese wird auch durch den längeren Hebelarm des Vorfußes im Vergleich zum Rückfuß noch unterstützt, so dass bei korrigiertem Rückfuß eine Vorfußsupination (Vorfußinnendrehung) resultiert.
Der kindliche Plattfuß
Große Probleme hinsichtlich einer notwendigen Behandlung weist bisweilen der kindliche Plattfuß auf. Da das kindliche Fußgewölbe zunächst physiologisch flach ist und da der sogenannte Spitzy’sche Fettkörper das mediale Fußlängsgewölbe nach der Geburt nahezu vollständig ausfüllt, erscheint der kindliche Fuß zunächst als Plattfuß. Aus den entsprechenden Publikationen und der eigenen Erfahrung zeigt sich, dass dieser natürliche kindliche Plattfuß sich jedoch zwischen dem 4. und 6. Lebensjahr spontan aufrichtet, so dass in der Phase vor dem 4. Lebensjahr eine orthopädietechnische Therapie wie die Einlagenbehandlung zurückhaltend angeboten werden sollte. Dennoch kann im Einzelfall auch vor Abschluss des 4. Lebensjahres einmal eine orthopädietechnische Versorgung bei entsprechend starker klinischer Ausprägung notwendig werden.
Testmethoden für die Flexibilität des Plattfußes
Als Tests zur Überprüfung der Flexibilität des Plattfußes werden verschiedene Testverfahren beschrieben. Hübscher inaugurierte 1906 das sogenannte Hübscher- Manöver, bei dem es durch die passive Dorsalextension der Großzehe beim stehenden Fuß zu einer Aufrichtung des Fußlängsgewölbes kommt (Seilwindenmechanismus). Auch der sogenannte Jack-Test (der Name kommt von dem englischen Wort Jack für den Wagenheber) richtet sich der Rückfuß-Knickfuß im Zehenspitzenstand auf und die x-ige Rückfußkonfiguration wandelt sich in eine leichte O-Konfiguration.
Der Rumpfdrehtest zeigt, dass es bei der Rumpfdrehung nach rechts zu einer Verbesserung der Plattfußkonfiguration rechts und zu einer Verschlimmerung links kommt. Bei der Drehung zur linken Seite kommt es dann zu einer Verbesserung der Position links und zu einer Verschlimmerung der Position rechts, da der Talus mit der Sprunggelenksgabel aus der Fußgelenkspfanne (Gelenkstruktur, die vom Kahnbein, dem Pfannenband und dem Sustentaculum tali gebildet wird) und so die Deformierung noch verstärkt. Bei der Drehung des Rumpfes zur betroffenen Seite kommt es quasi zur Reposition in diesem Bereich.
Test nach Silfverskiöld
Zur Überprüfung der verkürzten Wadenmuskulatur hat sich der Test nach Silfverskiöld bewährt. Der Behandler steht auf der zu untersuchenden Seite neben dem auf der Untersuchungsliege liegenden Patienten. Mit der Hand umfasst er die Ferse so, dass die Ferse in physiologischer Neutralstellung gehalten wird und mit dem Daumenballen das Fußlängsgewölbe unterstützt wird. Die andere Hand stabilisiert in 90° Hüftbeugung und Kniebeugung das Knie im suprakondylären Bereich. So wird der m. gastrocnemius entlastet und vorwiegend der m. gastro-soleus überprüft. Normalerweise sollte eine Fußhebung von etwa 20° – 25° möglich sein. Aus dieser Position heraus wird dann das Knie gestreckt und die Zunahme der Muskelspannung durch eine Abnahme der Dorsalextension festgestellt. Eine Reduzierung der Dorsalextension von etwa 5° ist ein physiologisches Phänomen, welches aus der Verlängerung der Strecke von Ansatz und Ursprung des m. gastrocnemius bei Kniestreckung resultiert. Man spricht von einem positiven Silfverskiöld-Test, wenn die Dorsalextension reduziert ist. Der Test kann einfach positiv sein. Dieses betrifft dann meist die Fußhebung in Kniestreckung. Der Test wird als doppelt positiv bezeichnet, wenn die Fußhebung sowohl in Kniebeugung als auch in Kniestreckung vermindert ist.
Ursachen
Die Ursache des Plattfußes ist vielfältig. Zunächst sei hier eine vermehrte Bindegewebs-elastizität genannt. Besonders in Kombination mit Übergewicht und einem X-Bein kommt es hier bei Heranwachsenden regelmäßig zur Ausprägung eines Pes planus.
Auch die muskuläre Imbalance kann an der Ausbildung eines Plattfußes beteiligt sein. Die verkürzte Wadenmuskulatur wurde oben schon angesprochen und sollte in die Untersuchung und Behandlung stets mit einbezogen werden.
Bei einem physiologisch ausgerichteten Fuß besteht eine harmonische Balance zwischen den Innendrehern (vorderer und überwiegend hinterer Schienbeinmuskel) und den Außendrehern (langer und kurzer Wadenbeinmuskel). Ein Ungleichgewicht kann durch eine Schwäche des hinteren Schienbeinmuskels entstehen, der durch seinen Sehnenverlauf unterhalb des Innenknöchels bis zur knöchernen Rauigkeit des Kahnbeins einen inneren Stabilisator des Sprungbein-Kahnbeingelenkes bildet. Wenn dieser Muskel durch eine Verletzung (Tibialis posterior Insuffizienz) oder eine neurologische Abschwächung ausfällt, ist quasi der Weg nach innen für den Sprungbeinkopf frei.
Umgekehrt kann ein Überwiegen der Außendreher ebenfalls zu einem Ungleichgewicht führen, wie dieses regelmäßig bei der Spastizität beobachtet werden kann.
Die Bedeutung des Os tibiale externum
Frederick Kidner beschrieb in seinem Artikel „der Einfluss des Prae-Hallux auf die Plattfußgenese“ 1929 die Bedeutung des Os tibiale externum auf die Plattfußentwicklung. Das Os tibiale externum ist ein variables Knöchelchen im Ansatzbereich der hinteren Schienenbeinmuskelsehne, das entweder wie eine kleine Perle im Ansatzbereich der Sehne liegt, ohne mit dem zentralen Kahnbeinkörper verbunden zu sein, oder als ein größerer zusätzlicher Knochen mit dem Ansatzbereich des Kahnbeins eine knorpelige oder bindegewebige Verbindung bildet. Schlussendlich kann dieser variable Knochen auch vollständig mit dem Kahnbein verschmolzen sein. Dann wird diese Konfiguration als Os cornutum bezeichnet.
Überwiegend im zweiten Fall kommt es regelmäßig durch die Verlagerung des Ansatzes der Sehne des hinteren Schienbeinmuskels nach innen zu mehr Raum für den Taluskopf nach innen und damit zur Entwicklung eines Pes planus.
Die operative Therapie dieser Konstellation ist die Resektion des Os tibiale externum. Dieses kann durch ein Längsspalten des hinteren Schienbeinmuskel-sehnenansatzes sehr schonend durchgeführt werden. Dabei wird das Os tibiale externum vollständig entfernt und der Übergang zum Kahnbein geglättet. Gegebenenfalls kann bei diesem Eingriff das Pfannenband auch gerafft werden, falls dieses erforderlich ist. In der Nachbehandlung sollte eine vorübergehende Unterstützung des inneren Fußlängsgewölbes durch eine langsohlige Sustentaculum-Stützeinlage vorgenommen werden.
Verwachsungen zwischen Kahnbein und Fersenbein
Die Coalitio talonavicularis (Verwachsung zwischen Kahnbein und Fersenbein) beschreibt eine Brückenbildung zwischen dem unteren und äußeren Anteil des Kahnbeins zum vorderen Anteil des Fersenbeins. Diese Konfiguration bedingt, dass der kindliche Fuß sich nicht natürlich entwickeln kann. Die Zwingenbildung zwischen Kahnbein und Fersenbein bedingt, dass das wachsende Sprungbein eine innenrotatorische Bewegung im Vergleich zum Fuß macht. Diese Konstitution lässt sich leicht dadurch erkennen, dass das physiologische Ausmaß der Innendrehung und Außendrehung des Fußes vermindert ist und sich der Rückfuß-Knickfuß im Zehenspitzenstand nicht aufrichtet.
Neuromuskuläre Erkrankungen
Besonders neuromuskuläre Erkrankungen wie die Spina bifida und Cerebralparese weisen regelhaft extreme Formen des Plattfußes auf. Wenn diese Plattfüßigkeit durch Orthesen nicht beherrschbar ist, haben sich in der Therapie besonders Sehnenverlagerungen und versteifende Korrekturoperationen bewährt.
Konservative Therapie
Grundsätzlich sollte die Behandlung des hypermobilen Plattfußes einer Stufentherapie folgen.
Einlagenversorgung
Wie schon oben beschrieben, sollte im Kleinkindalter eine Einlagenversorgung nur sehr zurückhaltend erfolgen. In moderaten Fällen ist hier eine Stimulationsbehandlung des Fußes und Dehnungsbehandlung der Wadenmuskulatur hilfreich und kann in der weiteren Entwicklung zur vollständigen Korrektur führen.
Sollte jedoch eine Einlagenversorgung notwendig sein, hat es sich bewährt, den Abdruck zur Anfertigung einer Einlage mit einer Gipslonguette zu modellieren, um manuell den Fuß so weit zu redressieren, wie es schlussendlich möglich ist. Die Einlage sollte als langsohlige, fersenumgreifende Sustentaculum-Stützeinlage nach Gipsabdruck gefertigt sein und gegebenenfalls mit einem Supinationskeil versehen werden, um ein Abkippen nach medial im Schuh zu vermeiden.
Physiotherapie
Essentiell ist jedoch die Physiotherapie, die als Triggerpunktbehandlung der vermehrt tonisierten Wadenmuskulatur, als Detonisierung des m. gastrocnemius und Dehnung der Wadenmuskulatur sowie als Antagonistentraining in Kombination mit Koordinationsübungen durchgeführt werden sollte.
Orthesen
Liegt auf Grund der Ausprägung des Plattfußes eine vollständige Dekompensation des inneren Fußgewölbes mit einem gravierenden Rückfußvalgus vor, kann auch im Einzelfall eine Orthesenbehandlung sinnvoll sein.
Hier hat sich die Anfertigung einer Unterschenkelorthese im Sinne des Schienenschellen-apparates mit einem Hessing-Schnürschuh sehr bewährt. Wenn bei Beginn der Therapie noch genügend Wachstumspotenzial vorhanden ist, kann die regelmäßige Anwendung der Orthese zu einer Wachstumslenkung und damit zu einem Ausheilen des Plattfußes führen. Auf jeden Fall kann der chirurgische Therapieaufwand schlussendlich deutlich reduziert werden, um so langfristig bessere Ergebnisse zu erzielen.
Einlagenversorgung umstritten
Lynn Staheli, einer der bekanntesten nordamerikanischen Kinderorthopäden, hat in seinem Artikel über den Plattfuß 1999 geschrieben, dass die Behandlung von Kindern mit einem physiologischen abgeflachten Fußlängsgewölbe mit Einlagen oder Schuhzurichtung nicht nur uneffektiv und unkomfortabel sind, sondern auch behindernd und für das Kind mit einem verringerten Selbstwertgefühl im Erwachsenenalter verknüpft sein sollen.
Ein weiterer Artikel, der in die gleiche Kerbe schlägt, war die Publikation von Wenger aus dem Jahre 1989. Hier wurde eine prospektiv randomisierte Plattfußstudie bei Kleinkindern durchgeführt. Die Studie bestand aus einer Kontrollgruppe und drei unterschiedlichen Therapiegruppen. Zum einen wurde mit einer Konfektionseinlage behandelt, zum anderen mit einer Fersenkappe und schlussendlich mit einer sogenannten „University of California Gate Lab“-Einlage. In der Studie zeigte sich über drei Jahre hinweg, dass sich das mediale Fußlängsgewölbe in allen Gruppen verbesserte und keine signifikante Verbesserung zum natürlichen Verlauf bestand. Sowohl die Äußerung von Staheli als auch die Studie von Dr. Wenger haben letztendlich auch im deutschsprachigen Raum dazu geführt, dass viele Kinderorthopäden Abstand von Einlagenversorgung genommen haben. Klar ist, dass kein seriöser Behandler eine physiologische Plattfüßigkeit behandeln will.
Bei Wengers Studie wurde jedoch nicht darauf geachtet, dass die verkürzte Wadenmuskulatur überhaupt keine Beachtung fand. Hier ist in der Abbildung zu sehen, dass in der seitlichen Röntgenstandaufnahme der Fuß zwar mit einer sehr schönen Einlage unterstützt wird, aber wegen der begleitenden Wadenverkürzung kann die Ferse jedoch nicht nach unten kommen. So kann sich kein Fußgewölbe ausbilden. Mit anderen Worten schaukelt hier der Fuß nur auf der Einlage. Dieses führt natürlich zu einer weiteren Tonisierung der Wadenmuskulatur, zu einem Rückfuß-Spitzfuß und damit zu einem vermehrten Plattfuß.
Daher ist es Bestandteil unseres Konzeptes, die Einlagenversorgung immer nach Gipsabdruck durchzuführen. Sollte dann bei aufgerichtetem Fußlängsgewölbe eine Einschränkung der Fußhebung auf Grund der kontrakten Wadenmuskulatur vorhanden sein, wird diese zunächst durch eine Abrollsohle kompensiert, die dann entfernt werden kann, wenn die oben beschriebene Krankengymnastik erfolgreich war und wieder eine angemessene Dorsalextension erzielt werden kann.
Operative Therapie
Besteht nahe dem Erwachsenenalter weiterhin ein symptomatischer hypermobiler Plattfuß, hat sich das folgende operative Vorgehen bewährt. Erster Bestandteil der Operation ist fast immer die Verlängerung der Wadenmuskulatur. Liegt hier nur eine Gastrocnemiusverkürzung vor, wird die Gastrocnemiusaponeurose in der modifizierten Technik nach Strayer quer durchtrennt oder bei Beeinträchtigung des m.gastrocnemius und m.gastrosoleus eine Achillessehnenverlängerung durchgeführt. Dieses kann Z-förmig oder perkutan in der Technik nach Hoke durchgeführt werden.
In einem zweiten Operationsschritt wird das mediale Fußlängsgewölbe in der Technik nach Young rekonstruiert. Diese Methode beschreibt die Umlenkung der Sehne des vorderen Schienbeinmuskels, die durch eine seitliche Nut im Bereich des Kahnbeins geführt und gegebenenfalls auch mit dem Pfannenband zur dynamischen Unterstützung des inneren Fußlängsgewölbes vernäht wird. Außerdem wird der temporär abgelöste Sehnenansatz der hinteren Schienbeinmuskelsehne zur Stabilisation zusätzlich über diesen Komplex genäht.
Die regelmäßig, durch die dauerhaft bestandene Vorfußabspreizung verkürzte laterale Fußsäule wird durch eine Verlängerungsoperation im Bereich des vorderen Fersenbeinanteils in der Technik nach Evans durchgeführt. Dabei wird entweder ein tricortikaler Knochenspan aus dem Beckenkamm verwendet oder ein Kunstknochen.
Nach unserer Erfahrung heilen die Kunstknochen etwas langsamer ein als der eigene Beckenkammknochen. Dieses hat aber bei der notwendigen Gipsimmobilisation keine allzu große Konsequenz.
In der Nachbehandlung wird der operierte Fuß mit einem Unterschenkel-Scotch-Cast in Korrekturstellung und moderater Fußhebung von etwa 5° sechs Wochen behandelt. Zwischendurch werden in zweiwöchigen Abständen regelmäßige Gipswechsel durchgeführt und am Ende der 4. Woche während des Gipswechsels ein Abdruck für eine Unterschenkel-orthese, wie oben beschrieben, gemacht. Diese Orthese ist dann am Ende der sechsten Woche im Rohbau gefertigt und kann im Rahmen der Hilfsmittelabnahme endgefertigt werden. Begleitend wird eine Röntgenaufnahme des Fußes durchgeführt, um festzustellen, ob der Knochenspan im vorderen Fersenbeinanteil fest eingewachsen ist. Dann kann der Patient mit der Orthese mit der Belastung beginnen.
Bei den operativen Verfahren hat sich in den letzten Jahren bei vielen Kollegen die Arthroereisis zur Behandlung des kindlichen Plattfußes großer Beliebtheit erfreut. Dieser Begriff beschreibt eine Methode, bei der ein Implantat entweder den Sinus tarsi (= mit Fett gefüllter Hohlraum zwischen Sprung- und Kahnbein) aufspreizt und so den Plattfuß korrigiert oder eine Schraube den äußeren Vorsprung des Sprungbeins in Korrekturstellung des Fußes blockiert, so dass die Fehlstellung vermieden wird. Ob es sich hier um ein notwendiges ergänzendes Verfahren handelt oder mit dieser Methode lediglich leichtere Fälle, die auch konservativ beherrschbar wären, therapiert werden, kann trotz intensivster Beschäftigung mit dieser Materie vom Autor noch nicht abschließend bewertet werden.
Fazit
Tatsächlich bietet der Plattfuß in der milden Ausprägung aufgrund seiner vermehrten Beweglichkeit im unteren Sprunggelenk auch die Möglichkeit einer vermehrten Anpassung an unebenes Gelände. Gerade wenn diese Konstitution noch von einem überknöchelhohen
Therapie(leder)schuh (Knobelbecher) geschützt wird. So verwundern die anfangs zitierten Publikationen nicht.
Die Schwierigkeit in der Erarbeitung klarer Therapierichtlinien für den Plattfuß besteht darin, dass alle oben beschriebenen Ursachen in graduell unterschiedlicher Ausprägung vorhanden sein können und diese Beschwerden verursachen können, aber nicht müssen. Gerade bei dem sich in der Entwicklung befindlichen Kinderfuß ist viel Erfahrung nötig, um den goldenen Mittelweg zwischen therapeutischem Nihilismus und Übertherapie zu finden.
Eine sorgfältige klinische Untersuchung und penible Hilfsmittelabnahme führt bei dieser weit verbreiteten Deformität jedoch zu einem schnellen Anwachsen von Kompetenz, Sicherheit in der Indikationsstellung und zufriedenen Patienten.
Zusammenfassung
Der Plattfuß (Pes planus) beschreibt eine dreidimensionale Deformität mit Abflachung des Fußlängsgewölbes, Abspreizung des Vorfußes und Knickfuß. Zusätzlich besteht eine Innendrehungsfehlstellung des Vor- gegen den Rückfuß und eine Spitzfußkomponente des Rückfußes mit regelmäßig vorhandener Verkürzung der Wadenmuskulatur. Neben konstitutionellen Formen bestehen sekundäre Formen, bei denen strukturelle, stoffwechselbedingte und neurologische Ursachen den Pes planus hervorrufen. Je nach Alter, Ausprägung und Beschwerdebild wird von der Einlagenversorgung mit Abrollsohle bis zur komplexen operativen Rekonstruktion stadiengerecht vorgegangen. Die sorgfältige Untersuchung und subtile Stufentherapie führt zu zufriedenstellenden Ergebnissen.
Anschrift des Verfassers
Dr. med. Ludwig Schwering
Ärztlicher Leiter der
Technischen Orthopädie
Mathias-Spital Rheine
Frankenburgstraße 3
48143 Rheine
OST-Ausgabe 5/2016