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6. September 2021
Redaktion

BVMed zieht kritische MDR-Bilanz: „Die Lage spitzt sich zu, der Handlungsdruck wächst“

Auch 100 Tage nach Geltungsbeginn der EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) am 26. Mai 2021 gilt nach Ansicht des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed): Die Medizintechnik-Branche ist bereit, das System ist es nicht. „Noch immer gibt es einen dramatischen Kapazitätsengpass bei den Benannten Stellen. Es droht ein gewaltiger Zertifikatsstau in den nächsten Jahren aufgrund der knappen Ressourcen“, so die kritische Bilanz von BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll zur MDR-Implementierung.

EU-Flagge
Foto: Gina Sanders/Adobe Stock

Aufgrund der Engpässe und gestiegenen bürokratischen Aufwände drohen viele Produkte vom Markt zu verschwinden – zum Nachteil der Patientenversorgung, wie Kinderchirurgen oder Orthopäden bereits jetzt feststellen, erklärt der BVMed. Zudem kämen Innovationen zum Erliegen, da Forschungsabteilungen aktuell auf MDR-Regularien fokussieren müssen. „Wir brauchen hier dringend mehr Ressourcen für Zertifizierungsprozesse und Lösungen, vor allem für bewährte Bestands- und Nischenprodukte“, so Möll.

Neben den Kapazitätsengpässen und der noch immer zu geringen Anzahl an Benannten Stellen (aktuell 23 statt vormals 58) sieht der BVMed zahlreiche weitere Baustellen im MDR-System: Die Datenbank Eudamed als geplantes digitales Rückgrat verzögere sich weiter. Auf nationaler Ebene würden immer mehr Sonderwege etabliert, die für die international ausgerichteten MedTech-Unternehmen eine weitere Hürde darstellen. Zudem gebe es in der Praxis immer häufiger das Problem einer strengen Auslegung der MDR über rechtlich nicht bindende, aber „zwingend“ anzuwendende Leitfäden, die zum Teil noch nicht einmal veröffentlicht seien.

„Die Lage spitzt sich zu, der Handlungsdruck wächst. Wir müssen Benannte Stellen schneller notifizieren, Remote Audits zulassen, die Übergangsfrist für Altzertifikate verlängern sowie Lösungen für Bestands- und Nischenprodukte etablieren. Die neue Bundesregierung muss dieses Thema schnell angehen. Die MedTech-Branche und der BVMed stehen für ein Spitzengespräche auf Bundes- und Länderebene zur Verfügung“, so BVMed-Geschäftsführer Möll.

Der BVMed sieht unter anderem folgende Lösungsansätze:

  • Benannte Stellen müssen in einer konzertierten Aktion aller beteiligten Behörden schneller notifiziert werden. Alle Scopes (Fachspektren) müssen ausreichend abgedeckt sein. Es müssen genügend Ressourcen in den Benannten Stellen vorhanden sein. Für Hersteller, die nachweislich keine Benannte Stelle finden, müssen Lösungen etabliert werden.
  • Die Übergangsphase und die Laufzeit der Zertifikate müssen verlängert werden, um den abzusehenden Engpass im Jahr 2024 zu entzerren.
  • Für bewährte Bestandsprodukte müssen pragmatische Lösungen beispielsweise über das Instrument der „Anerkennung klinischer Praxis“ gefunden werden.
  • Für „Orphan Devices“ (Nischenprodukte) muss die Europäische Kommission Ausnahmeregelungen nach dem US-Vorbild der „Humanitarian Device Exemption“ sowie der „Orphan Drug“-Regelungen in Europa schaffen.
  • Für KMU sollten spezielle Förderprogramme beispielsweise zur Unterstützung von klinischen Studien aufgelegt werden. Diese Förderprogramme dürfen sich nicht nur auf Neuentwicklungen und Innovationen beschränken, sondern müssen Bestandsprodukte einschließen.
  • Für die Marktbeobachtung wird ein agiles und digitales „Post-Market-Surveillance“-System benötigt, um die Patientensicherheit weiterhin zu gewährleisten. Dabei muss das gesamte Gesundheitssystem eingebunden werden: Fachgesellschaften, Krankenhäuser, Krankenkassen.

 

Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
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