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7. Februar 2017
Redaktion

Zwei Tage Ausblicke auf die Zukunft

Wie bekommen wir motivierten Nachwuchs? Wie verändern neue Fertigungsverfahren das Handwerk? Und wie gewinnen und halten wir Kunden für unsere Geschäfte? Diese Themen standen im Mittelpunkt der 3. Zukunftstage des Zentralverbandes Orthopädieschuhtechnik am 1. und 2. Dezember im Haus des Handwerks in Berlin. VON WOLFGANG BEST

Faszientrainerin
Foto: Zentralverband Orthopädieschuhtechnik

Es reicht nicht, die Kunden zufrieden zu stellen. Das ist die Note 3 – 4“, sagt Hans-Georg Pompe. „Sie müssen die Leute begeistern“, meinte der Trainer und Buchautor in seinem Vortrag über das „Gold von Morgen“. Wie man die Generation 50plus gewinnt, war sein Thema, doch vieles, was er über den richtigen Umgang mit den neuen Senioren verriet, lässt sich ohne Weiteres auf den Umgang mit allen Kunden übertragen. „Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Atmosphäre“, nannte Pompe als Schlüsselbegriffe dieser anspruchsvollen und zahlungskräftigen Kundengruppe. „Die schauen genau hin“, erklärte er, „und überlegen sich genau, wem sie ihr Geld anvertrauen“. Die Servicequalität sei wichtiger als der Preis, deshalb müsse man versuchen, Beziehungen zu den Kunden aufzubauen.

Doch wie baut man diese Beziehung auf? Hierzu gab Pompe viele Anregungen, angefangen von ganz einfachen Ratschlägen, wie dem Kunden bei der Begrüßung die Hand zu geben und den eigenen Namen zu sagen, wenn man sich noch nicht kennt. Das schaffe Vertrauen und in den allermeisten Fällen würden die Kunden dann auch ihren Namen sagen, mit dem man sie im Verlauf des Gesprächs immer wieder ansprechen könne.

„Sie verkaufen keine Produkte“, erklärte er den Teilnehmern. „Sie verkaufen Mobilität, Teilhabe am sozialen Leben, Wohlbefinden und Gesundheit“. Die Kunden suchen einen Nutzen oder eine Problemlösung, so Pompe. Wichtig sei, dass der Orthopädieschuhmacher, nicht nur die Lösung präsentiere, sondern den Kunden in die Entscheidungsfindung einbeziehe und ihm so beim Kaufen helfe. Das ist, zumindest beim Erstkontakt, zeitintensiv. Aber Pompe ist überzeugt, dass sich der Einsatz lohnt. „Die 50plus-Kunden haben Beziehungen zu vier Generationen“, erklärte er: zu den eigenen Kindern, den Enkeln, den eigenen Eltern und natürlich zu ihrer eigenen Genera­tion. „Wenn wir einmal säen, ernten wir im besten Fall vier Mal“.

Keine Angst vor den Kunden

„Wovor hat man beim Flirten am meisten Angst?“ Vor der Ablehnung, erklärte Flirtcoach Horst Wenzel. Der junge Kölner hilft Menschen, ihre Scheu zu überwinden, andere Menschen anzusprechen und mit ihnen in Kontakt zu kommen. Das Flirten ist gar nicht so weit vom Beratungsgespräch im Handel entfernt, erklärte er, denn auch im Handel und im Umgang mit Patienten komme es heute darauf an, eine persönliche Beziehung aufzubauen. Und auch im Beratungsgespräch gelte es, Hürden zu überwinden und mit den Kunden ins Gespräch zu kommen. Mit vielen Beispielen und auch praktischen Übungen machte Wenzel Mut, auf die Kunden zuzugehen.

Außer Haus oder nur im eigenen Betrieb?

War es früher selbstverständlich, alles in der eigenen Werkstatt zu fertigen, hat der Mangel an Fachkräften in vielen Betrieben dazu geführt, dass vermehrt Fertigungsaufträge auch außer Haus gegeben werden oder moderne Technologien  eingesetzt werden, wie zum Beispiel Einlagenfräsen. Wie wird diese Entwicklung das Handwerk verändern? Diese Frage versuchten Anton Bittler, Ulrike Kamp­hausen und_ Thomas Suhr zu beantworten.

„Die Fremdfertigung ist immer noch ein Reizthema in der Branche“, begann Unternehmensberater Anton Bittler seinen Vortrag. Allerdings sei es nicht neu. Schon immer hätten sich Kollegen ausgeholfen und Schäfte fertige man schon lange außer Haus.

Betrachtet man die Maßschuhproduktion, hat die Fremdfertigung auf den ersten Blick viele Vorteile: Man benötigt weniger Personal, man hat oft kürzere Lieferzeiten und ist flexibler in der Auftragsbearbeitung. Allerdings, so Bittler, hätten Betriebe auch schon schlechte Erfahrungen hinsichtlich der Qualität gemacht. Zudem erfordere auch die Fremdfertigung einen gewissen Aufwand an Organisation und Logistik.

Lohnt sich das dann überhaupt? Anhand einer Musterkalkulation konnte Anton Bittler zeigen, dass die Fremdfertigung vor allem Vorteile bietet, wenn man die Auslastung der Mitarbeiter in die Kalkulation einrechnet. Bei der Fremdfertigung zahle man nur die tatsächlich bestellten Aufträge und nicht die Leerzeiten. Vor allem aber biete sich die Fremdfertigung an, wenn der Betrieb zu viele Aufträge hat und die Kapazitäten nicht ausreichen. „Sie verzichten auf Umsatz, wenn die Aufträge liegen bleiben“, meinte Bittler. 

OSM Thomas Suhr fertigte bis 1992 alles selbst im Betrieb, auch die Schäfte. Und er sorgte für Nachwuchs im Handwerk, indem er zwölf Lehrlinge ausbildete. Doch sein Betrieb ist im ländlichen Raum angesiedelt. Viele der von ihm ausgebildeten Lehrlinge zog es in grö-ßere Städte. Ausreichend qualifizierte Fachkräfte, um alles selbst machen zu können, waren und sind schwer zu finden. Für ihn war es deshalb schlichte Notwendigkeit, auf externe Fertigung zurückzugreifen, zunächst bei den Schäften, später auch bei den Schuhen. Was das für einen Betrieb bedeutet, stellte Suhr sehr differenziert dar. „Es ist schwer, gute und verlässliche Partner zu finden und man verliert die eigene Flexibilität“, sagte er hinsichtlich der Schaftfertigung. Im Leistenbau arbeitet er mit Scanner und lässt sich einen Nettoleis­ten mit Probeschuh fertigen. Gleichzeitig gebe man auch handwerkliche Kompetenz nach außen und mache sich von einem externen Dienstleister abhängig. Das gelte auch für den Bodenbau. Suhr machte deutlich, dass er sehr gerne im eigenen Betrieb fertigen würde, aber als Betriebsinhaber habe er nicht die Wahl, da ja die Aufträge – auch im Sinne des betriebswirtschaftlichen Erfolgs – erledigt werden müssten.

Ein überzeugendes Plädoyer für die handwerkliche Arbeit hielt OSM Ulrike Kamphausen. Die individuelle Versorgung und der Umgang mit den Patienten sind für sie die Grundlagen des Erfolgs. Am Beispiel der Einlagenversorgung im Betrieb, in dem sie angestellt ist, zeigte sie, was es für sie heißt, sich Zeit für die Kunden zu nehmen, um ihr Problem zu erkennen und dann die passgenaue Lösung zu fertigen. „Das Wichtigste ist die Verbindung zum Kunden“, erklärte sie. „Sie schätzten Individualität, Qualität und Beratung und sie sind auch bereit, dafür zu bezahlen“, ist sie überzeugt.{pborder}

Die Tatsache, dass sich der an­schließenden Podiumsdiskussion sehr viele der etwa 80 Teilnehmer beteiligten, zeigte, dass das Thema Nachwuchs und die Zukunft der Fertigung im Handwerk viele Betriebe umtreibt.  Sehr engagiert und dennoch sachlich wurde das Für und Wider der neuen Produktionsmöglichkeiten diskutiert. Geht es letztlich nur um die gute Lösung für den Kunden, dem es wahrscheinlich egal ist, wie das Hilfsmittel hergestellt wird, wenn ihm nur hilft? Oder geht etwas Wesentliches verloren, wenn die handwerkliche Arbeit in den Werkstätten durch die Zunahme der Fremdfertigung weniger gepflegt wird? Diese Gefahr wurde durchaus gesehen. „Die Kernkompetenz muss im Betrieb bleiben“, formulierte deshalb einer der Teilnehmer. Fremdfertigung könne erst beginnen, wenn Funktion und Individualität durch Leisten und Bettung im eigenen Betrieb festgelegt sind.

Dass die Fremdfertigung ab diesem Stadium zunehmen wird, stand für viele außer Frage, auch wenn einige dieses durchaus skeptisch sehen. Diese Skepsis bezieht sich auch auf die Preisgestaltung der Krankenkassen. Die könnten den Kostenvorteil, der sich eventuell durch die Fremdfertigung ergibt, einfordern, warnte  OSM Jens Schulte. OSM Daniel Bürkner  vertrat die Ansicht, dass die Preisgestaltung bislang zu sehr auf das Produkt fokussiert ist. Die Zeit, die es braucht, um den genauen Status des Patienten zu ermitteln und das Wissen, wie das Hilfsmittel gebaut werden muss, seien in der Kalkulation bislang nicht enthalten. „Unsere Kompetenz wird bei den Preisen außen vor gelassen, kritisierte er.

 „Lasst uns unser Fachwissen hochhalten. Was wir können, kann sonst keiner“, machte ZVOS-Präsident Werner Dierolf Mut, sich den Veränderungen nicht zu verschließen. Nur der Orthopädieschuhmacher wisse, was der Patient braucht. Er wähle die passende Lösung aus, ob konfektioniert oder handwerklich gefertigt. Auch OSM Axel Merz, Alb-stadt, sieht den Orthopädieschuhmacher eher als denjenigen, der mit seinem Wissen und seiner Kompetenz weiß, was für den Patienten am Besten ist. Er wolle nicht gegen das Handwerk sprechen, betonte er. Für ihn geht es aber vor allem um die individuelle Lösung, die dem Patienten hilft, sei sie handwerklich hergestellt, woanders gefertigt oder durch die Anpassung eines konfektionierten Produktes.

Hat das Handwerk überhaupt die Wahl zwischen Fremd- und Eigenfertigung? Anton Bittler wies darauf hin, dass Nachbarhandwerke hier viel pragmatischer Vorgehen und die Fremdfertigung teils konsequent nutzen, um die Personalkosten niedrig zu halten. So oder so werde man deshalb künftig mit diesem Thema konfrontiert werden. Thomas Suhr sieht die Zukunft deshalb zweigleisig. Nur noch außer Haus zu produzieren, käme für ihn nicht in Frage. Doch seinen Kollegen riet er: „Lasst uns auch Fremdfertigung machen, um unser Handwerk aufrecht zu erhalten“. Sonst bestehe die Gefahr, dass man überrollt wird.

Zukunftsmarkt Sportversorgung

OSM Axel Merz ist neben seinem Beruf als Orthopädieschuhmacher auch noch zertifizierter Bewegungsanalytiker, Triathlontrainer und Gastdozent an der Landessportschule Baden-Württemberg. Und er hat als Iron-Man-Finisher die längste und härteste Triathlon-Distanz absolviert. Begonnen hat er vor gut 15 Jahren mit der Laufschuhberatung in Kooperation mit einem Sportgeschäft. Seine Zusatzausbildungen in Bewegungsanalyse und als Trainer absolvierte er vor dem Hintergrund, dass seine Ausbildung alleine ihm nicht die Werkzeuge und das Wissen boten, den Ursachen der Probleme der Sportler auf den Grund zu gehen.  Als ausgebildeter Trainer wisse er heute, was seine Kunden im Training verändern können. Und die Bewegungsanalyse hilft ihm, die Probleme im Bewegungsablauf zu erkennen. Wer zu ihm kommt, erhält deshalb immer eine ausführliche Analyse – manuell und mit der Kamera – und eine Beratung mit einer individuellen Lösung, die über die Schuhversorgung hinaus Tipps enthält,  was der Sportler selbst tun kann. „Es ist wichtig, dass ich selber Sportler bin“, sagt Merz. Dadurch kenne er alle Probleme seiner Kunden aus eigener Erfahrung.

Ganz von alleine kamen die Kunden jedoch nicht.  Merz präsentierte sein Angebot auf vielen Laufveranstaltungen und gründete eine Laufschule. Auch Vorträge, Kontakte zu Partnern in der Sportversorgung, Angebote zum betrieblichen Gesundheitsmanagement halfen dabei, den Bekanntheitsgrad zu steigern.

Merz’ Beispiel zeigt, dass es in der Orthopädieschuhtechnik möglich ist, sich auch bei Sportlern einen Namen zu machen. Voraussetzung ist allerdings die Bereitschaft, sich umfassend weiter zu qualifizieren, um in diesem Markt auch mit der nötigen Kompetenz auftreten zu können, denn Sportler sind eine anspruchsvolle Kundengruppe.

Viele Impulse gesetzt

Zukunftsszenarien präsentieren und diskutieren sowie neue Wege aufzuzeigen, war der Anspruch der dritten Zukunftstage des Zentralverbandes Orthopädieschuhtechnik in Berlin. Dieses Versprechen haben die zwei Tage in Berlin eingelöst, auch wenn es natürlich nicht für alle Zukunftsaufgaben fertige oder kurzfristige Lösungen geben konnte. Die Nachwuchsgewinnung wird die Branche ebenso die nächsten Jahre beschäftigen, wie die Frage, wie sich das Handwerk durch neue Technologien und den heute schon bestehenden Mangel an Fachkräften verändern wird. Dass dabei auch die Frage nach dem Selbstverständnis des Handwerks gestellt wird, wurde in den Diskussionen deutlich. Mit den Zukunftstagen hat der ZVOS jedoch ein Forum geschaffen, wo solche Fragen offen diskutiert werden und jeder für sich viele Impulse mitnehmen kann.

 

Ausgabe 01/ 2017

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