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6. September 2021
Bernd Rosin-Lampertius
Betriebsaufgabe

Wenn kein Nachfolger gefunden wird

Eigentlich lief ihr Orthopädieschuhtechnik-Betrieb gut und die Arbeit machte ihnen große Freude. Dennoch haben Reinhart und Christiane Schmidt ihren Betrieb in Pasewalk nun aufgegeben. Die Gründe: Die zunehmende, Kleinbetriebe über Gebühr belastende Bürokratie und die Schwierigkeit, einen Nachfolger für ihren ländlichen Standort zu finden.
Reinhart
Foto: Rosin-Lampertius

Reinhart Schmidt ist noch sehr ambivalent, seine Frau Christiane nicht. Zum 30. Juni haben sie ihr Geschäft endgültig aufgegeben. Während sie sich auf die Enkel und ein Leben ohne bürokratische Gängeleien freut, schaut er noch wehmütig auf das zu Ende gegangene Berufsleben zurück, auch wenn bei ihm letztlich doch die Freude überwiegt.

Wirtschaftliche Gründe waren es nicht und auch nicht das Alter, selbst wenn beide schon in einem Alter sind, in dem bei anderen der Ruhestand normal ist. Auch war es nicht die fehlende Freude am Beruf – im Gegenteil. Christiane Schmidt hat sogar im Alter von 51 Jahren die Ausbildung zur Orthopädieschuhmacherin begonnen, um ihren Mann zu unterstützen. Mit einer gewissen Selbstironie blickt sie auf diese Zeit zurück, in der sie Seniorin unter lauter Schulabgängern war.

1972 konnte Reinhart Schmidt unter drei Lehrberufen wählen und entschied sich für eine Ausbildung zum Orthopädieschuhmacher. Eine Wahl, die er eigentlich bis heute nie bereut hat. Nach dem Ende der Lehrzeit 1975 konnte er schon 1976 in den damaligen Meisterkurs einsteigen, obwohl das zur damaligen DDR-Zeit nicht gern gesehen war, da dafür eine dreijährige Berufserfahrung nach der Lehre vorgesehen war. Erfolgreich schloss er die Meisterprüfung 1978 ab, wonach er als Meister bis 1982 in der orthopädischen Abteilung der Universitätsklinik Leipzig arbeitete. Nach der Armeezeit machte er sich im März 1984 in Pasewalk selbstständig.

Die Wende brachte dann erhebliche Änderungen. Neben der staatlichen Sozialversicherung gab es in der DDR nur zwei, drei andere Kostenträger – die Bürokratie in der Orthopädieschuhtechnik war eine zu vernachlässigende Größe, erinnert sich Reinhart Schmidt. Obwohl die DDR selbst durch und durch bürokratisiert gewesen sei, seien das aus heutiger Sicht, zumindest den Verwaltungsaufwand in der Orthopädieschuhtechnik betreffend, paradiesische Zustände gewesen. „Es gab wenige Positionen, wenige Formulare sowie klare Abläufe und auch gezahlt wurde zeitnah“, so Schmidt. Auch gab es zu DDR-Zeiten Wartezeiten von ein bis zwei Jahren für eine Versorgung.

Das änderte sich nach der Wende, die Anzahl der Kostenträger war nun beinahe unübersehbar und auch die bürokratischen Anforderungen nahmen drastisch zu. Hinzu kam der Wegfall der einfachen Versorgungen. Trotzdem konnten die Betriebe in Mecklenburg-Vorpommern nach der Wende nicht über fehlende Arbeit klagen.

Auf die Frage, wann die ersten Überlegungen aufkamen, den Betrieb aufzugeben, und aus welchen Gründen, antwortet Christiane Schmidt wie aus der Pistole geschossen: „Vor zehn bis fünfzehn Jahren, wegen der immer stärker dominierenden Bürokratie“. Diese wurde von den Schmidts zunehmend als Drangsalierung empfunden.

Letztlich kam aber noch ein weiterer entscheidender Punkt hinzu, nämlich die erfolglose Suche nach einem Nachfolger. Interessenten habe es für den wirtschaftlich gut da stehenden Betrieb durchaus gegeben, doch war ihnen Pasewalk letztlich zu sehr „Provinz“, obwohl Berlin nur eine gute Bahn- oder Autostunde entfernt ist. Auch sondierten die Schmidts, ob es die Möglichkeit eines Nachfolgers aus dem nahe gelegenen Polen gibt. Das war nicht der Fall, da es in Polen den Beruf des Orthopädieschuhmachers nicht einmal in Ansätzen gibt.

Die Schmidts sehen hier die Politik und die Krankenkassen in der Pflicht, gegenzusteuern. Denn wenn hier keine entsprechenden Anreize gesetzt werden, werden andere Betriebe folgen und die Versorgungsmöglichkeiten in den dünn besiedelten Regionen werden drastisch abnehmen.

Anschrift des Verfassers:
Bernd Rosin-Lampertius
Geschäftsführung Innung für Orthopädie-Schuhtechnik Mecklenburg-Vorpommern
Hasenheide 70
10967 Berlin

Artikel aus Orthopädieschuhtechnik 9/2021
Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
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