Folgen Sie uns
17. Oktober 2018
Redaktion

„Veganes Leder“ als Alternative?

Wird echtes Leder in Zukunft zum Luxusgut? Das begrenzte Angebot, schwankende Qualität und steigende Preise erschweren den Lederhandel. Kunstleder ist häufig schlechter zu verarbeiten. Kann so genanntes „veganes Leder“ eine Alternative sein?


PETRA ZIMMERMANN

Foto: BOSS Menswear

Leder ist gegerbte Tierhaut – atmungsaktiv, reißfest, dämmend und gut zu verarbeiten, insofern kann es logischerweise kein „veganes Leder“ oder „Veganleder“ geben. Solche Produktkennzeichnungen können aufgrund der Normen für die Kennzeichnung von 
Leder und Lederprodukten zu Abmahnungen führen, so leder-info.de. Mitunter werden preiswerte Kunststoffprodukte mit zweifelhafter Herkunft als vegan an­gepriesen. Und die Industrie hat es nicht leicht, Sub­stitute mit ähnlichen Eigenschaften wie Leder zu entwickeln.{pborder}

Auch manche Bezeichnungen sind irreführend, so zum Beispiel Rhabarberleder, das mit Inhaltsstoffen aus der Rhabarberwurzel und nicht mit Chemikalien
gegerbt wird. Dieses besteht nicht aus Pflanzenfasern, wie der Name vermuten lässt, sondern aus Rindsleder. 2014 startete eine italienische Firma das Projekt, aus Weintraubenschale, Stielen und Kernen sogenanntes Weinleder zu produzieren. 2017 verlangte der italienische Lederverband UNIC erfolgreich, von dieser 
Bezeichnung abzusehen, weil es sich nicht um Leder handele, so leder-info.de. Die folgende Übersicht stellt alternative Materialien und ihre Hersteller vor, leider werden auch diese gängig als „Leder“ bezeichnet:

„Vegatarleder“

Ein weiteres Material, das kein Leder ist, wird als „Vegatarleder“ angeboten. Die Werbung des Herstellers Vegatar besagt, dass es aussehe wie Leder, strapazierfähig und langlebig wie Leder, aber auf Basis von Pflanzenfasern hergestellt sei. Es erfülle den Öko-Tex-Standard 100, entspreche der DIN EN ISO 10993-5+10 (Biologische Beurteilung von Medizinprodukten), sei flammhemmend ausgerüstet gemäß DIN EN 1021-1 und erfülle die Spielzeugnorm DIN EN 71-3. Optisch sieht es aus wie Kunstleder und tatsächlich sind nur 
80 Prozent der Materialien aus Naturstoffen. Somit sind 20 Prozent Fremdstoffe, die nicht weiter spezifiziert sind. Untersuchungen, die Vegatarleder und normales Kunstleder vergleichen, sind laut der Homepage www.leder-info.de nicht bekannt.

Trama

Aus der Kappenhaut vom Pilz wird ein lederartiges 
Material unter dem Namen „Trama“ in Transsylvanien/Rumänien hergestellt. Trama ist ein filzartiger Stoff aus pflanzlichem Material. Es wird fälschlicherweise als „Mushroom Leather“ bezeichnet, zum Beispiel von Amadou Leather. Laut leder-info.de sei dieses Material zwar sehr weich und angenehm im Griff, habe aber nicht „im Geringsten [etwas] mit der Reißfestigkeit von Leder gemein“. Der Baumpilz Phellinus ellipsoideus ist ein Parasit, der Bäume in subtropischen Wäldern befällt. Die italienische Firma Grado Zero Espace hat daraus einen Lederersatz entwickelt. Das Muskin genannte „Pilzleder“ entsteht, indem die Pilze in ein vorgegebenes Gewebe wachsen. Muskin sieht wie Veloursleder aus, es soll jedoch viel weicher, atmungsaktiver, biegsamer und besonders für den direkten Hautkontakt geeignet sein.

Neue Angebote

Sogenanntes „Blattleder“ wird in Asien hergestellt. Es besteht aus Teak-Blättern, die laut Werbung vom Boden per Hand aufgesammelt, getrocknet und mit Baumwolle vernäht werden. Anschließend wird die Blätteroberfläche mit einer sehr feinen und dünnen Laminierung versehen. Diese mache die Oberfläche wasserabweisend und sorge für Stabilität und eine gewisse Langlebigkeit des Endproduktes, laut Hersteller Ecomonkey.

„Ananasleder“

Etwas exotischer wird es mit Piñatex, einem Leder­imitat aus Ananas. Piñatex wurde von der spanischen Designerin Carmen Hijosa 2013 entwickelt. Laut Herstellerwerbung werden nur philippinische Ananasblätter verwendet, die sonst bei der Ernte übrig bleiben. Mit einem speziellen Verfahren werden aus ihnen die Fasern herausgezogen. So entsteht bei der industriellen Herstellung ein nicht gewebtes Vliesgewebe. Dieses bildet die Basis für das Material, das zu 80 Prozent aus Ananasfasern und zu 20 Prozent aus Polylactid (PLA) besteht. Polyactid ist ein nicht natürlich vorkommender Polyester, der über eine mehrstufige Synthese aus Zucker hergestellt wird. Dabei wird Zucker zu Milchsäure fermentiert und diese zu PLA polymerisiert. Laut Hersteller besteht ein Quadratmeter aus 480 Ananasblättern, das entspricht 16 Ananas.

Produziert wird es in einer Textilfabrik in Barcelona in 155 cm breiten 
Rollen mit einer Materialstärke von 1,5 bis 2 Millimeter. Es könne in unterschiedlichen Farbtönen, Dicken und Beschaffenheit produziert werden. Laut Werbung sei das Material weich, atmungsaktiv, stabil aber flexibel. Für die Pflege gibt es spezielles Wachs. Unter dem Markennamen Ananas Anam wird es bislang für die Herstellung von Kleidung, Taschen und Schuhen benutzt. Puma und Camper haben bereits Schuhe daraus hergestellt. Schuhmacher, die das 
Material einmal ausprobieren wollten, warten schon sehr lange auf entsprechende Materialproben.

{slider=Lederalternative Mikrofasern}

„Micronappa“, „Microsuede“ oder „Ultrasuede“ sind Bezeichnungen
für synthetische Lederimitate aus Mikrofasern. Das können
zum Beispiel Polyamid, Nylon, Polyester oder Polyurethan sein,
die oftmals auf einem Baumwollgewebe verwoben sind. Wie beschichtetes
Kunstleder lassen sich Mikrofasern zu Stoffen mit unterschiedlicher
Optik und Haptik verarbeiten und sind weitgehend
atmungsaktiv.

{/slider}

BOSS Menswear bietet eine Sneakerreihe aus Piñatex an BOSS Menswear bietet eine Sneakerreihe aus Piñatex an
BOSS Menswear bietet eine Sneakerreihe aus Piñatex an

„Eukalyptusleder“

Auch aus den Fasern der Blätter des Eukalyptusbaums lässt sich Lederersatz herstellen. So verwendet der deutsche Hersteller Noami Eukalyptus in Verbindung mit recyceltem Polyester, um eine nachhaltige Lederalternative für Gürtel anzubieten.

„Apfelleder“

Dem italienischen Unternehmen Frumat ist es gelungen, sogenanntes „Apfelleder“ zu kreieren. Es wird in Bozen hergestellt und beruht auf Resten der Apfelsafternte, dem sogenannten Trester. Eine erste Mode-
Kollektion wurde bereits 2016 auf der Fachmesse Interpoma vorgeführt, ein Jahr zuvor ein Lederstuhl. Wie flexibel das Material eingesetzt werden kann, zeigt die Tatsache, dass Frumat aus demselben Rohstoff auch Papier herstellt. Frumats Apfelleder verwenden schon einige Unternehmen: Happy Genie, eine Luxusmarke aus der Schweiz, für seine Handtaschen und der italienische Hersteller Veeraah für Schuhe.

Lederersatz aus Obstabfall

Im Anfangsstadium befindet sich „Fruit Leather Rotterdam“: Ein Studententeam wollte auf diese Weise Tonnen von Obstabfall vom Rotterdamer Straßenmarkt sinnvoll verwenden. Die Obstmasse ohne Samen wird eingekocht, bis sie flüssig und bakterienfrei ist, danach getrocknet. Aus dem daraus gewonnenen Material werden Taschen, Dekoration und Stühle hergestellt, die momentan eher Prototypen und Designobjekten gleichen.

„Weinleder“

Der italienische Architekt und Möbeldesigner Gianpiero Tessitore suchte für Polstermaterialien nach einer nachhaltigen Alternative zu Tierleder oder synthetischem Leder auf Erdölbasis. Francesco Merlino, Umwelttechniker der Uni Florenz und heutiger Geschäftspartner von Tessitore entdeckte, dass sich Weintraubentrester ideal für die Produktion eines pflanzlichen Leders eignet. Tessitore patentierte den Produktionsprozess des „Weinleders“ und gründete 2016 das 
Unternehmen Vegea.

Das „Weinleder“ ist nicht nur für die Modeindustrie, also für Kleidung, Schuhe, Taschen und Accessoires interessant, auch für Polstermöbel oder Autositzbezüge ist das Material gut geeignet. In Kooperation mit Textilunternehmen entwickelt Vegea verschiedene Variationen des Materials, die sich in 
Gewicht, Stärke, Elastizität, Verarbeitung und Textur unterscheiden.

Korkleder

Ebenso nachwachsend ist Korkleder aus dem Korkbaum, es ist strapazierfähig, atmungsaktiv, spritzwasserdicht und hält warm. Damit es auch in der Haltbarkeit mit Leder mithalten kann, reicht für die Pflege ein feuchtes Tuch. Kork kann gemasert und gefärbt werden. Das Unternehmen Bleed stellt seit 2016 diverse Kleidung und Accessoires aus Kork beziehungsweise Korkleder her. Schuhe aus Korkleder, nicht nur Schuhsohlen, verkauft der Hersteller Avesu.

„Lederpapier“

Dieses sieht aus wie Leder, ist aber Papier. Es besteht in der Regel aus einem Zellulose-Latex-Gemisch. Das Material enthält kein Pentachlorphenol, PVC oder BPA. Es ist reiß- und abriebfest, lässt sich schneiden, waschen, bügeln, kleben, rollen, stanzen, prägen und vernähen. Die italienischen Unternehmen Uashmana und Smart Materials bieten „Lederpapier“ an. In Deutschland gibt es zwei bekannte Labels: SnapPap und Urus Vegatex.

Laut Herstellerwerbung des Papierleders Jacroki sei 
Jacron ein einzigartiges Material „mit authentischem Leder-Feeling“, das in verschiedenen Stärken hergestellt werden könne. Es halte der industriellen Wäsche ebenso wie Nadeldetektoren stand und sei zudem reißfest. Jacron könne detailgetreu bedruckt werden und gebe PMS Farben realistisch wieder.

Aus dem Labor

Die Firma Bolt Threads und das Startup MycoWorks produzieren „veganes Leder“, das hauptsächlich aus Pilzen besteht. Gewonnen wird die Leder-Alternative aus Myzelen, den dichten Wurzelfasern von Pilzen, die unter der Erde wachsen. Die Pilzkulturen brauchen 
lediglich biologische Abfälle, etwa Sägemehl oder Reste von Reis- oder Maisernten. Nach wenigen Tagen sind diese von den daraus wachsenden Pilzen überzogen, die Masse kann dann in Form gepresst, getrocknet und gegerbt werden. Was verblüffend ist: „Füttert“ man die Fäden des Myzels mit der richtigen Nahrung, können sie sogar zu Stein- oder Plastikersatz heranwachsen; gesehen bei Ecovative.

Das „Pilzleder“ sieht aus wie tierisches Leder, soll weich und atmungsaktiv sein und zugleich robust und reißfest. Problemlos lässt es sich formen, färben und prägen. Trotz der Vorteile ist es aber noch eine Randerscheinung. Aus dem Lederersatz Mylo von Bolt Threads zum Beispiel macht die Designerin Stella McCartney Handtaschen. MycoWorks hat kürzlich den ersten Geldbeutel aus „Pilzleder“ vorgestellt, in ein paar Jahren soll das Material in größeren Mengen zu kaufen sein.

Mit Gentechnik

Lederersatz aus genveränderten Hefen sollen die ethischen und ökologischen Probleme des Naturprodukts Leder lösen – das verspricht das amerikanische Start-up Modern Meadow. Prototypen existieren bereits – exklusiv angefertigt und inszeniert im Museum of Modern Art in New York: ein T-Shirt, gemustert wie das Fell 
einer Giraffe, aber in Schwarz-Weiß. Die weißen Flächen sind aus Stoff, die breiten schwarzen Bahnen, die alles zusammenhalten, bestehen aus „Leder“ aus dem Labor.
Gewachsen ist dieses Material aus einem Hefestamm, der dazu bestimmt ist, Kollagen zu produzieren – das Protein in der Haut, das dem Leder seine Festigkeit und Dehnbarkeit verleiht. Mittels Gene Editing und Genmanipulation verändert, zu Blättern gepreßt und gegerbt, wird ihr Kollagen im Wesentlichen zu Leder.

Bolt Threads produziert „veganes Leder“, das hauptsächlich aus Pilzen besteht. Aus dem Lederersatz Mylo™ gibt es eine erste Tasche Bolt Threads produziert „veganes Leder“, das hauptsächlich aus Pilzen besteht. Aus dem Lederersatz Mylo™ gibt es eine erste Tasche
Bolt Threads produziert „veganes Leder“, das hauptsächlich aus Pilzen besteht.
Aus dem Lederersatz Mylo™ gibt es eine erste Tasche
Ecomonkey verkauft Blattleder aus am Boden liegenden Teak-Blättern, die mit Baumwolle vernäht werden. Die Blätteroberfläche wird mit einer sehr feinen Laminierung überzogen. Staatlicher Mindestlohn und faire Arbeitsbedingungen werden dabei eingehalten, davon hat sich Firmengründer Dominik Ricken persönlich überzeugt  Ecomonkey verkauft Blattleder aus am Boden liegenden Teak-Blättern, die mit Baumwolle vernäht werden. Die Blätteroberfläche wird mit einer sehr feinen Laminierung überzogen. Staatlicher Mindestlohn und faire Arbeitsbedingungen werden dabei eingehalten, davon hat sich Firmengründer Dominik Ricken persönlich überzeugt 
Ecomonkey verkauft Blattleder aus am Boden liegenden Teak-Blättern, die mit Baumwolle vernäht werden.
Die Blätteroberfläche wird mit einer
sehr feinen Laminierung überzogen. Staatlicher Mindestlohn und faire
Arbeitsbedingungen werden dabei eingehalten, davon hat sich Firmengründer
Dominik Ricken persönlich überzeugt

Co-Gründer und CEO Andras Forgacs hatte zuvor die Firma Organovo mitgegründet, die menschliches Gewebe im Labor züchtet. Mit Modern Meadow wollte er diese Technik weiterentwickeln, um Muskelfleisch aus dem Labor anzubieten. Auch der Plan, Häute als 
Lederersatz im Labor wachsen zu lassen, kam auf. Aber beide Ideen musste Modern Meadow verwerfen. Statt aufwändig Zellen zu züchten, setzt es nun auf die einfache Technik der Fermentation. Der Vorteil gegenüber Tierhaut: weniger Verschnitt, weil sich die Kunsthaut in industriefreundlichen Rechtecken herstellen lässt und keine Narben oder Insektenstiche habe, so die Fachzeitschrift Technology Review.

Zusätzlich lasse es sich flüssig auf Stoff aufsprühen oder verschmelzen – das Material soll in den nächsten Jahren unter dem Namen Zoa vermarktet werden.
In Nährtanks lässt das Leipziger Unternehmen 
ScobyTec ein biologisches „Zellulose-Leder“ auf Basis von Pilz- und Bakterienkulturen heranwachsen. Das getrocknete Material „ScobyTec BNC“ soll robust und langlebig sein und wird vom Schuhhersteller Ricosta bereits genutzt.

Keine Alternativen?

Trotz aller modernen Herstellungsverfahren und alter­nativer Materialien sind sogenannte „vegane Leder“ bislang eher eine teure Nischenware. Die Zukunft wird zeigen, inwieweit die künstliche Lederherstellung realistisch wird und in ferner Zukunft als Massenware zur Verfügung steht. Der Markt für Lederersatz-Materialien steckt aber gerade erst in den Anfängen, teilweise ist es schwierig, die Materialien zu bekommen. Experimentierfreudige Schuhmacher könnten solche alternativen Materialien als Ergänzung ihres bisherigen Arbeits­materials „Echtleder“ testen und auf ihre tatsächliche Verwendbarkeit prüfen.   

 

 

Ausgabe 10 / 2018

Artikel als PDF herunterladen

Herunterladen

 

Bilder aus dem Artikel:

Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
Schuhsohle
Zurück
Speichern
Nach oben