Folgen Sie uns
5. Februar 2020
Annette Switala
Workshop

Prozess-Digitalisierung in der Orthopädieschuhtechnik

Einfach „drauf-los-digitalisieren“ macht wenig Sinn. Vielmehr ist es wichtig, zuerst die Prozesse und Arbeitsabläufe im Betrieb zu überdenken und dann daraus digitale Projekte zu entwickeln. Wie das gelingen kann, vermittelte Christoph Krause in einem Workshop von C. Maurer Fachmedien in Berlin.
Ein
Foto: C. Maurer Fachmedien

Thore Jöhnck (Sanitätshaus und Orthopädieschuhtechnik Kriwat) und Philipp Oberle (Oberle Gesunde Schuhe) zeigten beispielhaft, wie Digitalisierung im OST-Betrieb gelingen kann.

Die Digitalisierung lässt sich nicht mehr aufhalten, machte Christoph Krause zunächst klar – die Technologie sei längst da und entwickele sich rasant weiter. Große Unternehmen hätten längst erkannt, welches Potenzial die Erfassung und Auswertung von Daten hat – nun komme es darauf an, wer sich diese Daten zunutzen mache, die Schnittstellen besetze und die vorhandenen Technologien zur Entwicklung ­neuer Produkte und Geschäftsmodelle ­nutze. „Wenn ihr es für euren Bereich nicht macht, dann werden es andere tun: die Industrie oder Player, die gar nicht aus dem Gesundheitsbereich kommen“, betonte Krause.

Anhand innovativer Ideen aus anderen Gewerken verdeutlichte er, dass das Handwerk eigentlich dafür prädestiniert sei, selbst erfolgreiche digitale Geschäftsideen zu entwickeln. Denn es verfüge über spezialisiertes Fachwissen und Wissen zu Prozessen, das niemand sonst bieten könne, und das in einem Bereich, der auch in Zukunft unbedingt gebraucht werde.

Digitale Technologien im eigenen Betrieb sinnvoll einzusetzen und die Betriebsabläufe damit zu optimieren, sei das eine, was Handwerksunternehmen voranbringen könne. Das andere aber sei, mit dem ureigenen Fachwissen digitale Angebote zu entwickeln, die dann im größeren Ausmaß vermarktet werden könnten. Denkbar seien zum Beispiel Plattformen und Dienstleistungen für das eigene Handwerk, mit Sensortechnologie ausgestattete „intelligente“ Produkte oder neue digitale Anwendungen mit Mehrwert für größere Zielgruppen. Hier sei es in vielen Fällen ratsam, sich mit innovationsfreudigen Kollegen zusammenzuschließen und gemeinsam Partner zu suchen, die IT-Know-how zu den jeweiligen Projekte beisteuern.

Erst Prozesse optimieren

Bei der Digitalisierung der Betriebsabläufe sei es sinnvoll, zunächst ohne den Gedanken an die Digitalisierung, zu erfassen, wie die Abläufe im eigenen Betrieb aussehen. Dann könne man überlegen, wie sie optimiert werden können. Hierzu führte Krause in die Prozesssprache BPMN2.0 ein, die Betriebsabläufe grafisch abbildet und transparent darstellt. Die Teilnehmer zeichneten damit auf, wie ihre derzeitigen Prozesse im Betrieb aussehen. Gemeinsam wurde diskutiert, an welchen Stellen sich diese auch anders gestalten lassen oder Daten so erfasst werden können, dass sie an anderer Stelle wieder eingesetzt werden können.

In der Diskussion darüber, für welche Arbeitsschritte welche Software eingesetzt werden kann, bemängelten einige Teilnehmer, dass es zu wenig Schnittstellen zwischen den Programmen unterschiedlicher Anbieter gebe, aber auch, dass die derzeit auf dem Markt befindliche Software nicht optimal auf die Abläufe in der OST zugeschnitten sei.

„Das wäre jetzt die Chance für euer Handwerk, eine eigene Software zu entwickeln!“, meinte Krause. Niemand wisse so gut wie die Orthopädieschuhmacher selbst, was sie brauchen, und für die IT-Entwicklung könne man externe Partner hinzunehmen. Zum Beispiel unterstützen die Kompetenzzentren Digitales Handwerk, und auf sogenannten „Hackathons“ könne man junge IT-Begeisterte treffen, mit denen man Ideen umsetzen könne.

Best practice

Die Kriwat GmbH hat die Digitalisierung des eigenen Unternehmens bereits umfassend vorangetrieben. Thore Jöhnck gab Einblick in die dortige Prozessmodellierung mit Viflow, die Arbeitsplanung mit Papershift und den Aufbau eines E-Learning-Portals für Mitarbeiter.

Neben dieser internen Prozessdigitalisierung hat Kriwat eine innovative digitale Kundenbetreuung (kriwat-digital) aufgebaut, die eine Online-Terminbuchung, Trainingsprogramme für verschiedene Beschwerden, ein Video-Portal und eine komplexe Nachbetreuung der Kunden umfasst. Dabei werden die Kunden je nach Krankheitsbild mit passenden Infos, Übungen sowie Hinweisen auf Produkte und Service-Angebote von Kriwat versorgt.

Mit dieser weitgehend automatisierten Kundenbetreuung konnte die Kundenzufriedenheit deutlich erhöht werden, sehr positive Bewertungen bei google und den Social Media und deutlich mehr Nachbestellungen und Zusatzverkäufe erreicht werden. Die digitale Kundenbetreuung bietet Kriwat inzwischen auch anderen Betrieben zur Nutzung an.

„Ein Beispiel für ein erfolgreiches Projekt, das skaliert, also im größeren Maßstab auf den Markt gebracht werden konnte“, kommentierte Krause.

Die Digitalisierung der Produktionsprozesse ermöglicht es Oberle Gesunde Schuhe, trotz Fachkräftemangels ein Wachstum um 50 Prozent in den letzten zwei Jahren mit der gleichen Mitarbeiterzahl zu stemmen. Am Beispiel von Einlagen-, Maßschuh- und Kompressionsversorgung machte Philipp Oberle deutlich, dass neue Technologien auch die Arbeitsabläufe verändern. Beispielsweise, indem durch den 3D-Druck der Probeschuh nun vor dem Leisten angefertigt werde. Dabei zeigte Oberle auch die Kosten- und Zeitersparnis durch die neuen Technologien auf. Weitere Effizienzsteigerungen habe man durch die Auslagerung von Fertigungsschritten erzielt, so Philipp Oberle. Hier warnte Krause jedoch, dass man bei der externen Fertigung immer auch dafür Sorge tragen müsse, Herr der eigenen Daten und der ureigenen Dienstleistung zu bleiben. Sonst bestehe durchaus die Gefahr, selbst dazu beizutragen, dass die Versorgung irgendwann ohne das Handwerk stattfinden wird.

Risiken und Chancen erkennen

Wo wird die Orthopädieschuhtechnik in fünf Jahren stehen? In Kleingruppen erarbeiteten die Teilnehmer, wie sie sich die technologischen und gesundheitspolitischen Entwicklungen in näherer Zukunft vorstellen und welche Risiken und Chancen sich für die Orthopädieschuhtechnik daraus ergeben können.

Beispiel Einlagenversorgung: Durch digitale Messtechniken, immer bessere Apps zur Selbstvermessung und vor allem durch die Entwicklung von Algorithmen könnte es dazu kommen, dass auch die individuelle Einlagenfertigung mehr und mehr automatisiert wird. Damit könnten andere Anbieter als das Handwerk, zum Beispiel die Industrie, in die Versorgung einsteigen.

Die Chance, die Handwerksbetriebe trotzdem ergreifen können, könnte sein, sich durch eine hervorragende Anamnese, fundierte Beratung und Dienstleistung als Experten zu profilieren, die den Kunden persönlich und vor Ort betreuen – oder selbst, möglicherweise gemeinsam mit einer Vielzahl von Betrieben – die Schnittstelle zu besetzen, an die der Kunde seine digitalen Daten schickt und über die er seine Einlagen bestellt.

Eigene Projekte umsetzen

Schließlich zeigte Christoph Krause den Teilnehmern ein Tool, mit dem man eigene Ideen prüfen und ihre Umsetzung planen kann. Was möchte ich, mit welchem Ziel? Was habe ich bereits dafür zur Verfügung? Welche Hindernisse stehen mir im Weg, und was brauche ich, um sie zu überwinden? Anhand solcher Fragen erarbeitete jeder Teilnehmer ein konkretes Projekt, das er in nächster Zeit realisieren könnte. In der Diskussion der Ideen profitierten die Teilnehmer von ihren unterschiedlichen Erfahrungen und Kenntnissen. Christoph Krause gab hilfreiche Tipps, wie das eigene Projekt vorangebracht werden kann, und bot auch an, passende Partner für besondere Ideen zu vermitteln

 

Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
Schuhsohle
Zurück
Speichern
Nach oben