Plantarfasziitis – orthopädische und sensomotorische Einlagentechniken kombinieren
Von Lothar Jahrling: Die sensomotorische Einlage aktiviert oder hemmt Muskeln; die klassische orthopädische Einlage stützt und bettet: Das ist leider zu kurz gedacht. Mit klassischen Ansätzen in der Einlagenversorgung werden teils erst die Voraussetzungen geschaffen, damit das sensomotorische System wieder richtig arbeiten kann. Dies wird am Beispiel der Einlagenversorgung bei einer Plantarfasziitis deutlich.
Wie allen Lesern, die sich um das sensomotorische System kümmern, bekannt ist, sollte das sensomotorische System dem Körper im Idealfall automatisiert Bewegung zur Verfügung stellen. Diese Bewegungsmuster haben wir zuvor über viele Wiederholungen eingeübt und dadurch automatisiert. Dabei ist das sensomotorische System ein Strategiesystem, das mit allen anderen Systemen im Körper einen regen Informationsaustausch betreibt (Laube, 2009).
Der Schmerz gehört dabei zu einem großen Störfaktor, da er die einmal erlernten Bewegungsmuster verändert. Dies gilt auch bei Schmerzen an der Plantarfaszie. Das nozizeptive System fordert den Patienten dazu auf, das Areal des Schmerzes nicht mehr zu benutzen beziehungsweise, Bewegungen, die Schmerzen verursachen, so gut es geht zu vermeiden. Die Nozizeption ist die Wahrnehmung von Reizen, die den Körper potenziell oder tatsächlich schädigen können. Diese Reize werden von Nozizeptoren registriert und über afferente Schmerzfasern ins Gehirn geleitet, wo die Schmerzempfindung entsteht.
Bei der Ursachenforschung nicht nur auf den Fuß schauen
Die Entstehungsursache der Plantarfasziitis ist wissenschaftlich nicht abschließend geklärt. Höchstwahrscheinlich spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Als gefährdet gelten übergewichtige Menschen, aber auch überdurchschnittlich aktive Menschen wie Läufer und Sportler. Auch langes Stehen bei der Arbeit kann Auslöser für die Überlastung der Plantarfaszie sein. Am häufigsten tritt die Plantarfasziitis im Alter von 40 bis 60 Jahren auf. Für die Plantarfasziitis sind ausstrahlende Schmerzen von der Ferse bis in die mediale Seite des Fußgewölbes charakteristisch.{pborder}
In meiner Berufspraxis habe ich über viele Jahre die Beobachtung gemacht, dass die meisten Patienten mit einer Plantarfasziitis einen eher hoch gesprengten Fuß aufweisen. Wenn sich ein solcher Fuß in der medialen Längswölbung absenkt, kommt unweigerlich Spannung auf die Plantarfaszie. Ein flacherer Fuß macht, nach meiner Erfahrung, seltener Probleme.
Da wir immer auch nach den Lebensumständen unserer Patienten fragen, wissen wir, dass einer Plantarfasziitis nicht selten belastende Lebenssituationen und Stress vorausgehen. Dies wirkt sich natürlich nicht direkt auf die Plantarfaszie aus. Aus der Faszienforschung weiß man jedoch, dass bei Stress Botenstoffe produziert werden, die zu einer langsamen Faszienversteifung führen können. Über die myofaszialen Ketten kann sich das auch auf den Fuß auswirken, zum Beispiel über die sogenannte oberflächliche Rückenlinie, auch dorsale Kette genannt. Diese zieht von den Zehengrundgelenken über die Plantarfaszie und die rückwärtige Seite des Körpers hoch über die Schädeldecke bis zu den Augenbrauen.

3. Setzen der medialen Pelotte unter dem Sustentaculum tali zur Aufrichtung des Fußes
In myofaszialer Verbindung stehen hier die Fußsohle, die Achillessehne, die Wadenmuskulatur, die rückwärtige Oberschenkelmuskulatur, die langen Rückenstrecker und die bindegewebige Platte des Schädels. Der oberflächlichen Rückenlinie wird als Funktion die Unterstützung des Körpers in Extensionsbewegung (Streckung) und die Stabilisation in der aufrechten Haltung zugeschrieben. (nach: Schleip/Baker, 2015).
Störungen und Bewegungseinschränkungen in dieser Kette können sich also durchaus auf den Fuß auswirken. Wenn wir eine Plantarfasziitis behandeln, müssen wir also nicht nur auf den Fuß schauen, sondern immer auch an die Lebensumstände denken und dass die Ursachen für die Schmerzen nicht nur aus dem Fuß selbst kommen können.
Erstes Ziel: Schmerz reduzieren
Damit das sensomotorische System wieder eine gute und ungestörte Arbeit verrichten kann, ist es die erste Aufgabe, den Schmerz zu eliminieren. Da der Schmerz aus der Entzündung der faszialen Strukturen heraus resultiert, muss zunächst der Entzündung der Kampf angesagt werden. In der Literatur werden verschiedene Methoden beschrieben, wie zum Beispiel, Sauerstoff in das Areal zu bringen, um den Abbau der Entzündung zu beschleunigen. Auch die Querflexion der Faszie, diverse Dehnübungen aber auch Gerätebehandlungen von Stoßwelle bis Lasertherapie werden beschrieben.
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4a, b. Eine laterale Pelotte im Fersenbereich sorgt mit der medialen Pelotte unter dem Sustentaculum
tali für die nötige Stabilität im Rückfuß. Die Plantarfaszie wird ausgespart und bleibt unbelastet
Für die Einlagenversorgung kann dies bei akuten Schmerzen bedeuten, dass man den Fuß zunächst nur bettet und entlastet.
Die sensomotorische Einlage kann und sollte im weiteren Verlauf ein wichtiger Teil der Therapie sein, weil sie nicht nur schmerzhafte, entzündete Areale durch entsprechende Bettung entlasten kann. Sie kann auch die Ursachen der Entzündung bekämpfen, indem sie neue Voraussetzungen für die Bewegung schafft.
Fuß aufrichten und Bewegung ermöglichen
Wenn man den Fuß isoliert betrachtet, zeigt sich häufig als Hauptursache für eine Plantarfasziitis der Absenkungsprozess des Fußes. Die einfache Darstellung (Abb. 1) zeigt die Überdehnung der Plantarfaszie beim Absenken des Fußes. Doch wer nur den Fuß isoliert betrachtet, übersieht, dass bei den meisten Patienten die dorsale Faszienkette zu kurz ist. Patienten mit diesem Beschwerdebild haben meistens auch Rückenprobleme aufgrund dieser Verkürzung.
In der nächsten einfachen Darstellung (Abb. 2) erkennt man den Fuß von plantar und wie sich die Stellung der Gelenke zueinander durch das Absinken des Fußes verändert. Die daraus resultierende mediale Überdehnung des Fußes führt zu einer Entzündung in diesem Bereich. In der Therapie gilt es, den Fuß wieder aufzurichten und so die Spannung aus der Plantarfaszie zu nehmen.
Die muskulären Anforderungen, um ein Aufrichten des Fußgewölbes zu sichern, sind dabei isoliert auf den Unterschenkel betrachtet wie folgt:
Der M. tibialis posterior arbeitet nicht genug zwischen Stand- und Abstoßphase. Der M. triceps surae arbeitet zu viel und zieht den Os calcaneus über die Achillessehne hinten hoch. Da der mediale Anteil des Längsspannungsbogens des Fußes höher ist als der laterale Anteil, kommt es zu einem medialen Absenken und Einknicken des Fußes und zu einer Überdehnung der Plantarfaszie.
Daraus ergibt sich die Anforderung für die sensomotorische Einlage. Die exzentrische Aufgabe des M. tibialis posterior soll gefördert werden. Unter dem Sustentaculum tali und dem kurzen Anteil des Talus wird die höchste Stelle der medialen Pelotte gesetzt (Abb. 3). Die plantaren Faszien bleiben dabei unbelastet und der Gegenhalt auf der lateralen Seite sichert den Rückfuß auf der Einlage (Abb. 4 a,b).
Aus Sicht der klassischen Orthopädieschuhtechnik handelt es sich hier zunächst um die mechanische Aufrichtung des Fersenbeins. Und genau so soll die Pelotte auch wirken. Wichtig, aus sensomotorischer Sicht, ist, was wir durch diese Aufrichtung bewirken. Durch die Aufrichtung des Fußes verlängern wir die dorsale Kette und verkürzen die Wegstrecke des M. tibialis posterior. Der unmittelbare Effekt ist, dass wir auch Ansatz und Ursprung der Plantarfaszie zueinander bringen und sie dadurch entlasten.
Durch die Verkürzung der Wegstrecke wird der M. tibialis posterior aber auch zu mehr Aktivität angeregt. Der Muskeltonus wird dadurch erhöht und der Muskel arbeitet aktiv an der Aufrichtung des Fußes mit. Durch die Verlängerung der Wegstrecke an der dorsalen Kette (Wadenmuskulatur) erreichen wir eine Verringerung des Muskeltonus und dadurch eine Entspannung und eine Verringerung des Zugs auf die Plantarfaszie.
Durch eine klassische orthopädieschuhtechnische Maßnahme haben wir also eine neue Voraussetzung geschaffen, damit das sensomotorische System die Bewegung neu und physiologischer organisieren kann. Ob das auch funktioniert, hängt ganz entscheidend davon ab, wie wir die mediale Pelotte ausgearbeitet und platziert haben. Wenn wir die Längswölbung des Fußes vollflächig unterbauen, legen wir das Talonavikulargelenk lahm und verhindern so die Bewegung.
5. Die retrokapitale Pelotte im Vorfuß wird stufig ausgearbeitet, um eine Verlängerung der dorsalen Muskelkette herzustellen
Dies ist nur bei akuten Schmerzzuständen sinnvoll, wenn der Fuß zunächst möglichst ruhig gestellt werden soll, um schmerzhafte Bewegungen zu vermeiden. Sobald aber Bewegung wieder möglich ist, müssen wir die Bewegung im Talonavikulargelenk durch unsere Einlage ermöglichen und fördern. Nur so ist das sensomotorische System in der Lage, eine Bewegung zu organisieren, die für ein muskuläres Gleichgewicht sorgt und den Fuß dadurch dauerhaft entlastet.
Die retrokapitale Pelotte im Vorfuß wird stufig ausgearbeitet, um eine Verlängerung der dorsalen Muskelkette herzustellen (Abb. 5). Wir setzen damit die dorsale myofasziale Kette unter eine Vorspannung und erreichen so eine Verringerung des Tonusbefehls und damit eine Entspannung.
Das sensomotorische System regelt die muskuläre Bewegung in unserem Körper. Jegliche Veränderung dieser Bewegung, die zwischen Fuß und Boden hergestellt wird, muss durch das zentrale Nervensystem korrigiert werden (aktio=reaktio). Das Ziel der sensomotorischen Einlage ist, diese Bewegung physiologischer zu gestalten und eigene Bewegungsmuster, so weit wie möglich, zu erhalten. Durch Verlängern und Verkürzen der jeweiligen myofaszialen Areale bekommt das sensomotorische System eine neue Anforderung für die Bewegung.
Bei jeglicher Einlagenversorgung sollte man sich bewusst sein, dass es im Grunde keine Einlagen gibt, die nicht sensomotorisch wirken. Jede Veränderung unter dem Fuß stellt dem sensomotorischen System neue Anforderungen, auch eine Einlage, die nach klassischen orthopädischen Prinzipien aufgebaut ist. Die Frage ist, welche Reaktion man mit der Einlage hervorruft.
Eine statische Einlage, die den Fuß nur stützt und Bewegung einschränkt, kann nicht zu besseren Bewegungswiederholungen führen, da nicht alle Bewegungen zur Verfügung gestellt beziehungsweise von der Einlage verhindert werden. Der Unterschied ist oft nicht groß (Abb. 6). Drei Millimeter weniger unter dem Os navikulare und schon geben wir den Mechanorezeptoren die Chance, dem neuronalen System eine Muskelaktivität abzuverlangen und die Bewegung zu verändern. Deshalb ist es auch so wichtig, den Fuß vor der Einlagenversorgung zu untersuchen und zu testen, wie er auf die Einlage reagieren wird. Wenn das neue Bewegungsergebnis dann eine bessere Bewegung ergibt als die vorherige, kann es zu einem reduzierten Stress für die Plantarfaszie führen. So kann auch die Ursache der Entzündung beseitigt werden.
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6a, b. Der Unterschied ist – optisch – nicht groß zwischen einer Fersenunterstützung, die Bewegungen der Fußwurzel zulässt (a) und einer Längswölbungsstütze, die den Fuß komplett unterbaut und damit Bewegung einschränkt oder verhindert (b, rote Fläche)
Die sensomotorischen Einlagen haben sich aus der konservativen Einlagenversorgung heraus entwickelt. Wenn eine Einlage sensomotorisch wirkt, bedeutet dies nicht, dass sie nicht auch der klassischen Prinzipen wie Stützen, Halten, Führen bedient. Im Gegensatz zur rein stützenden Einlage entzieht die sensomotorische Einlage dem sensomotorischen System nicht die Aufgabe, die Bewegung aktiv selbst zu organisieren. Sie regt das sensomotorische System dazu an, Bewegungen neu zu entdecken und zu automatisieren.
Anschrift des Verfassers:
OSM Lothar Jahrling
Schiffenberger Weg 59
35394 Gießen
Ausgabe 06 / 2018
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