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26. Januar 2017
Redaktion

Parlamentarischer Abend: Bessere Prävention bei Diabetes nötig

Diabetes als große gesellschaftliche Herausforderung ist längst auch in der Politik angekommen. Dort sucht man einerseits nach Konzepten, wie sich das Entstehen der Krankheit vermeiden lässt, aber auch nach Lösungen, wie man die Lebensqualität der bereits Erkrankten verbessern und Folgeerkrankungen vermeiden kann.


Dr.
Foto: Dr. Roy Kühne

Unter diesem Gesichtspunkt war es nur folgerichtig, dass der Zentralverband Orthopädieschuhtechnik (ZVOS) bereits zum zweiten Mal den diabetischen Fuß in den Mittelpunkt seines Parlamentarischen Abends stellte.

Wie in den Vorjahren war die Parlamentarische Staats­sekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, Annette Widmann-Mauz, Gastgeberin in den Räumen der Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin. ZVOS-Präsident Werner Dierolf zeigte sich in seiner Begrüßung  erfreut, dass die Einladung des Zentralverbandes auch dieses Mal wieder auf positive Resonanz gestoßen war. Neben einigen Bundestagsabgeordneten waren auch Vertreter aus befreundeten Verbänden und der Krankenkassen gekommen, um sich über dieses wichtige Thema zu informieren. Der Abend wurde unterstützt durch die AG Diabetischer Fuß und die AG Diabetes & Sport der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), die Aktion „Amputationen verhindern“ und diabetes.DE“.{pborder}

 

Prävention durch mehr Bewegung

Mobilität und Bewegung als Voraussetzung für den Erhalt der Gesundheit standen im Mittelpunkt der Vorträge und ­Rede­beiträge an diesem Abend.

„Wir sind mobil, aber wir bewegen uns nicht,“ sagte Martina Stamm-Fibich. Die Bundestagsabgeordnete, die auch Mitglied im Gesundheitsausschuss ist, berichtete in ihrem Grußwort zur Veranstaltung, dass nur 27 Prozent der Kinder die Kriterien der WHO erfüllen, die täglich 60 Minuten Aktivitäten empfiehlt, bei denen man auch einmal ins Schwitzen kommen sollte. Bei den Erwachsenen sieht es nicht besser aus. Nur 20 Prozent schaffen die empfohlenen zweieinhalb Stunden körperliche Aktivität pro Woche.

„Der Typ-II-Diabetes kommt nicht über Nacht“, betonte Dr. Roy Kühne, Mitglied des Gesundheitsausschusses und als Physiotherapeut immer noch selbst praktisch aktiv. Er berichtete von einem Kind, das bei ihm wegen Übergewicht zum Bewegungstraining war. Weil der Junge so gut mitgemacht hatte, wurde er anschließend von seiner Mutter zur Belohnung ins Fastfood-Restaurant ausgeführt. Es gebe viele Fälle, in denen die Patienten Dinge tun, welche die Therapie unterlaufen, so Kühne. Durch mangelnde Compliance verpuffe vieles einfach wirkungslos. Kühne kritisierte, dass die Deutschen zwar jederzeit bereit sind, für kleine Reparaturen an ihrem Auto einige hundert Euro auszugeben, bei Ausgaben für die Gesundheit aber sparen. „Diese Einstellung müssen wir ändern“.

„Apelle alleine reichen nicht“, erklärte Martina Stamm-Fibich. Die sprächen in der Regel nur die bereits Aktiven an. Die Angebote müssten die Menschen dort abholen, wo sie sind, und immer individuell angepasst sein, damit sie auch dauerhaft genutzt werden. Hier sieht sie auch die Aufgabe der Politik. „Wir

müssen ein Bewusstsein für Bewegung schaffen“, forderte sie. Damit sollte man am besten schon im Kindergarten beginnen. Die Bewegungsförderung müsse in allen Gesundheitsbereichen verankert werden. Auch und gerade Diabetiker sollten sich bewegen, denn so könnten Folgeschäden vermieden werden, so Stamm-Fibich.

„Die Leute sind nicht zu blöde, sie spüren einfach nichts“, erklärte Dr. Rüdiger Klare, Chefarzt und Leiter des Diabeteszentrums Hegau-Bodensee, warum den Diabetespatienten die Compliance so schwer fällt. Noch immer würden eine Million Diabetiker im Verlauf ihrer Erkrankung ein diabetisches Fußsyndrom entwickeln. 30 000 Mal im Jahr müsse an diesen Füßen amputiert werden. Doch es gebe auch positive Nachrichten. Die Amputationszahlen seien rückläufig. Das liegt nach seiner Überzeugung vor allem an der guten und strukturierten Fußbehandlung, wie sie die AG Fuss entwickelt habe. Zu deren Qualitätskriterien gehöre auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit einem Orthopädieschuhmacher.

Auch Dr. Klare sprach sich sehr dafür aus, Diabetespatienten in Bewegung zu bringen. Das könne durch unstrukturierte Aktivitäten wie Spazierengehen oder Treppensteigen geschehen oder durch Sport- und Rehaprogramme. „Man muss die richtigen Angebote machen“, erklärte Klare mit Blick auf die häufig bemängelte Compliance.

Selbst Patienten mit Neuropathie sollen sich bewegen, erklärte Klare. Balancetraining oder Walkingkurse seien hier geeignete Angebote. Wenn man die Patienten richtig anleite und auf die passende Schuhversorgung achte, dann gebe es auch beim Reha-Training keine Komplikationen. Auch hier sei wieder das interdisziplinäre Team gefordert, die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen.

Zu erklären, warum die Schuhversorgung so wichtig ist, war die Aufgabe von OSM Thomas Stief vom Verein zur Förderung des Forschungs- und Bildungsmanagements in der Orthopädieschuhtechnik. „Der Diabetiker kann seine Belastung nicht steuern“, erläuterte Stief. Wo andere immer wieder durch Gewichtsver­lagerung den Fuß zwischendurch ent­lasten oder bei Schmerzen eine Schonhaltung einnehmen, bleibe der Diabetiker einfach stehen, weil er durch seine Neuropathie nichts mehr spüre. Wie sich das auf die Druckverhältnisse unter dem Fuß und auf die Entstehung von Ulzerationen auswirkt, erklärte Stief anschaulich über eine Erläuterung der biomechanischen Prinzipien und anhand der Druckverteilungsmessung. Hierbei konnte er auch für Nicht-Experten anschaulich zeigen, wie die Orthopädieschuhmacher zu hohen Druck unter einzelnen Fußregionen durch die diabetesadaptierte Fußbettung und schuh­technische Maßnahmen an den gefährdeten Stellen reduzieren können.

 

Keine Ausschreibungen bei individuellen Hilfsmitteln

Wie bei den vorigen Parlamentarischen Abenden gab es auch in diesem Jahr wieder reichlich Gelegenheit, mit den Parlamentariern und Vertretern aus der Gesundheitspolitik ins Gespräch zu kommen. Neben dem Vorstand ließen sich Vertreter aus allen Mitgliedsinnungen die Gelegenheit nicht entgehen, die Anliegen der Orthopädieschuhtechnik im direkten Kontakt mit den Politikern zu vertreten.

Nicht nur der Diabetes stand dabei im Mittelpunkt. Bei seiner Ansprache bezog Dr. Roy Kühne auch zu aktuellen Fragen der Hilfsmittelversorgung Stellung, unter anderem auch zu Ausschreibungen und zur interdisziplinären Zusammen­arbeit. Bezüglich der aktuellen Diskus­sion um Ausschreibungen bei Hilfsmitteln zeigte sich Kühne nicht als genereller Gegner dieser Art der Auftragsvergabe. Ob eine Ausschreibung sinnvoll sei, hänge von den Kriterien ab, die in der Ausschreibung definiert werden. Seiner Ansicht nach müssten aber Qualitäts­kriterien die Ausschreibung bestimmen und nicht nur der Preis.

Deutlich sprach er sich jedoch gegen Ausschreibungen bei individuell gefertigten Hilfsmitteln aus. Seiner Ansicht nach müsse man in § 127 SGB V die Formulierung ändern, dass für Hilfsmittel, die individuell angefertigt werden, Ausschreibungen in der Regel nicht zweckmäßig sind. Die richtige Formulierung sei: „Ausschreibungen sind bei individuellen Versorgungen nicht zweckmäßig“.

„Ich bin für das Sparen, aber nicht am falschen Platz“, betonte Kühne und erläuterte dies am Beispiel der Einlagenversorgung. „Einlagen sind nachzumessen und nachzujustieren“, erklärte er. Wenn man Qualität in der Arbeit am Patienten wolle, dann müsse man auch direkt am Patienten arbeiten. Im Schnitt arbeiten Leistungserbringer 22 Minuten am Patienten für eine Hilfsmittelversorgung, erklärte Kühne. Das könne man nicht aus der Ferne per Bildschirmkommunikation erledigen. „Wir brauchen Sie in der Fläche, wir brauchen Sie vor Ort, wir brauchen das Handwerk und dessen Nachwuchs“, versicherte er den anwesenden Orthopädieschuhmachern. „ Deshalb formulierte er sehr deutlich: „Wir können individuelle Leistungen nicht ausschreiben“.

 „Man kann nicht viel mehr operieren“, sagte er in Bezug auf die in Deutschland teils sehr hohen Operationszahlen. Doch im Bereich Heil- und Hilfsmittel gebe es noch viel Potenzial, die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass alle an der Therapie Beteiligten miteinander kommunizieren und sich in ihren Maßnahmen abstimmen. Leider behindere die derzeitige Gesetzeslage dies eher, als dass sie es fördere.

 

Ausgabe 12 / 2016

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Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
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