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9. Juli 2021
Redaktion

Orthopädieschuhtechnik – Quo vadis?

WOLFGANG BEST

 

Bürokratie, Präqualifizierung, MDR, Probleme mit den Krankenkassen und der Genehmigung von Hilfsmittelversorgungen: Es gibt vieles, was den Orthopädieschuhmachern das Leben schwermacht. 
Foto: LI Bayern

Was müsste sich ändern, damit die Orthopädieschuhmacher sich wieder auf ihre Arbeit konzentrieren können und Mut haben, sich selbstständig zu machen. Das war Thema beim Round-Table-Gespräches anlässlich des Digitalkongresses Technische Orthopädie der Landesinnung Bayern am 23. April. Wir sind an einem Wendepunkt“, erklärte Gerold Elkemann, Geschäftsführer der Landesinnung Bayern gleich zu Beginn seines Impulsreferates.Überbordende Bürokratie und überzogene Anforderungen durch die Präqualifizierung sowie immer schwieriger werdende Verhandlungen mit den Krankenkassen würden das Orthopädieschuhmacherhandwerk unter Druck setzen. Die Zahl der Betriebe sinke, weil viele Betriebe deshalb aufgeben und sich kaum jemand noch traut, einen Betrieb zu übernehmen oder zu gründen. „Wer soll die Versorgung der Patienten übernehmen, wenn es in manchen Regionen keine Betriebe mehr gibt?“, fragte er. Die hohen Anforderungen an die Betriebe werden beim GKV-Spitzenverband offenbar durchaus wahrgenommen. „Wir empfinden es auch so, dass teilweise Regelungen in der Praxis schwer umzusetzen sind“, sagte Carla Meyerhoff-Grienberger, Referatsleiterin Hilfsmittel beim GKV-Spitzenverband. Allerdings würden auch die Krankenkassen unter der Bürokratie leiden. Seit 2007 habe es 14 Veränderungen im Vertragsparagraphen des SGB V gegeben. Auch die Gesetzliche Krankenversicherung habe oft Mühe, die immer wieder neuen Vorschriften in die Praxis umzusetzen. Und nicht für alle Regelungen könne man die Krankenkassen verantwortlich machen. So sei der GKV-Spitzenverband, wie die Leistungserbringer, der Ansicht, dass eine Nachprüfung bei der Präqualifzierung alle fünf Jahre ausreiche. Die derzeitige Gesetzeslage lasse das aber nicht zu. Hier müsse man in der nächsten Legislaturperiode einen neuen Anlauf nehmen, um dies zu ändern. Bezüglich der anderen Regelungen sei der GKV-Spitzenverband durchaus zu praxisorientierten Kompromissen bereit, auch wenn manche Behindertenverbände noch weitergehende Regelungen fordern würden. Die Präqualifizierung sei eigentlich eine gute Idee, meinte Magnus Fischer, Landesinnungsmeister Bayern. Doch viele Anforderungen seien viel zu detailliert. So ergebe sich die Werkstattausstattung von alleine durch die Art wie produziert wird. Er bemängelte, dass hier die Betriebe nicht ausreichend gefragt werden. Fischer hat auch nicht grundsätzlich etwas gegen mehrere Kassenverträge. Das ausufernde Vertragswesen sei aber ein Riesenproblem in den Betrieben.  Jede Kasse mache ihren eigenen Rahmenvertrag. „Warum kann man nicht einen Rahmenvertrag festlegen, der für alle Kassen gleich ist?“, fragte er. Carla Meyerhoff-Grienberger räumte ein, dass die Rahmenempfehlungen,  die zunächst zwischen Leistungserbringern und GKV-Spitzenverband verhandelt wurden und letztlich im Schiedsverfahren entstanden, nicht befriedigend seien. Doch, „mit wem sollen wir diese Rahmenverträge abschließen?“, fragte sie. Es gebe in der Orthopädieschuhtechnik ja keinen einheitlichen Verband. Magnus Fischer schlug vor, die Interessenvertreter zusammenzubringen und ein Verhandlungsgremium zu bilden. Das sei sicher nicht einfach, aber es werde schwieriger, je länger man warte. Carla Meyerhoff-Grienberger nahm auch zu den immer wieder geäußerten Vorwürfen Stellung, die Vorschläge der Leistungserbringer würden bei der Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses nicht berücksichtigt. Es sei dem GKV-Spitzenverband schon wichtig, dass alle Stimmen gehört werden. Warum manches nicht aufgenommen wurde, habe man ja bei der letzten Fortschreibung der Produktgruppe 31, Schuhe, ausführlich begründet. Bezüglich der Aufnahme neuer Produkte betonte Sie, dass das Hilfsmittelverzeichnis den Nachweis eines medizinischen Nutzens fordere. An diese Vorgaben müssten sie sich halten. Wenn der GKV-Spitzenverband Produkte aufnehme, fielen diese in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung. Das sei nicht trivial, wenn der Wirkungsnachweis nicht ausreichend erbracht wurde, weil der Vorstand im Zweifel dafür in die Haftung genommen werden könne. 

 
Begutachtungen und Genehmigungen
Zweiter Schwerpunkt des Round-Table-Gespräches waren die Probleme in der ­Genehmigungspraxis der Hilfsmittelversorgung. Dr. Ulrich Hafkemeyer, Chefarzt Pädiatrische Neuroorthopädie und Technische Orthopädie der Christopherus-Kliniken in Coesfeld, benannte in seinem Impulsreferat drei Problemfelder. Zum einen fehlten häufig die Kompetenzen bei den Ärzten für eine fachgerechte Verordnung bei komplexeren Problemen. Hafkemeyer kritisierte aber auch die Begutachtungspraxis. Häufig werde nur nach Aktenlage entschieden was Komplexität vieler Versorgungen nicht gerecht werde. Zum dritten forderte Hafkemeyer, auch die Kompetenzen im Handwerk auszubauen, sonst werde man den häufig sehr individuellen Versorgungskonzepten nicht gerecht. Vor allem den zweiten Punkt, dass der MDK nicht adäquat und nur nach Aktenlage entscheide, wollte Dr. Marion Mack-Westerhaus, Leiterin des Fachbereichs Hilfsmittel und Medizinprodukte beim MDK-Bayern, so nicht stehen lassen. Sie könne natürlich nicht für alle Medizinischen Dienste in Deutschland sprechen, doch beim MDK in Bayern würden Handwerker, Orthopäden und Chirurgen die Hilfsmittelversorgungen begutachten – auch vor Ort. Die meisten Begutachtungen würden aber in der Tat nach Aktenlage erfolgen, was aber bei 30 000 Anfragen im Jahr auch nicht anders möglich sei. Deshalb seien sie darauf angewiesen, dass die Versorgung möglichst gut beschrieben ist. „Je besser ein Fall dokumentiert ist, desto einfacher ist die Versorgung nach Aktenlage“, so Mack-Westerhaus. Dann gebe es auch keinen Grund, eine Verordnung in Frage zu stellen. In seiner Region in Nordrhein-Westfalen macht Dr. Ulrich Hafkemeyer jedoch häufig die Erfahrung, dass Begutachtungen vor Ort abgelehnt werden und auch eine ausführliche Verordnung mit genauer Beschreibung des Hilfsmittels oft nicht ausreiche. „Ich habe keine Probleme damit, wenn man meine Verordnungen fachlich hinterfragt“, betonte Hafkemeyer. Aber er habe oft große Zweifel, ob der Einzelfall auch kompetent beurteilt wurde. Manchmal habe man auch den Eindruck, dass auf Zeit gespielt wird. Hinzu komme, dass viele seiner Patienten aus Familien kommen, in denen die Briefe der Kassen gar nicht interpretiert werden können. Er sei also nicht nur Arzt sondern „Kümmerer“, der sich dafür einsetzt, dass seine Patienten auch das nötige Hilfsmittel erhalten. Zur nötigen Evidenz bei Hilfsmitteln hatte schon Carla Meyerhoff-Grienberger in Bezug auf die Aufnahme ins Hilfsmittelverzeichnis Stellung bezogen. In der Begutachtungspraxis stellen sich dieselben Fragen, berichtete Marion Mack-Westerhaus am Beispiel der sensomotorischen Einlagen. „Wir stehen vor einem Dilemma“, bekannte sie. „Wir dürfen die Versorgung nicht so einfach befürworten, wenn die Evidenz nicht eindeutig belegt ist.“ Dennoch würden diese Fälle geprüft und wenn im konkreten Einzelfall nachvollziehbar dargelegt sei, warum eine solche Versorgung nötig  ist, seien solche Versorgungen auch schon befürwortet worden. Allerdings, betonte Marion Mack-Westerhaus, würde der MDK nur Empfehlungen aussprechen. Letztlich entscheide die Kasse über die Genehmigung. Für Ulrich Hafkemeyer sind sensomotorische Einlagen aus seiner Praxis nicht mehr wegzudenken. Und er könne deren Wirkung auch anhand der Ergebnisse im Ganglabor nachweisen. Dennoch wollten manche Kassen die Einlagen nicht bezahlen. Was zählt? Der Nachweis am Patienten oder der generelle Wirkungsnachweis durch wissenschaftliche Studien?  Nach Prof. Klaus Peikenkamp, Leiter des Studiengangs Technische Orthopädie an der Hochschule Münster-Steinfurt, muss das kein Gegensatz sein. Es sei auch eine  Frage, wie man zum Beispiel in der Praxis die Daten erhebe und wie man sie auswerte. Bislang seien Daten aus der Versorgungspraxis noch nicht gebündelt und zusammengeführt worden. Doch auch über viele Daten aus praktischen Versorgungen ließe sich ein Wirkungsnachweis erbringen und so die Grundlage für eine Anerkennung einer Versorgung schaffen. 
 
Im Dialog bleiben
Konkrete Lösungen, die sich schnell in die Praxis umsetzen lassen, gab es im Round-Table-Gespräch nicht. Alle Teilnehmer betonten jedoch, dass der regelmäßige Austausch wichtig sei und weiter gepflegt werden sollte. „Wir sind in einem guten Dialog“, erklärte Gerold Elkemann. „Auf beiden Seiten ist der Wille zu produktiven Lösungen vorhanden“. Wie wichtig aber auch schnelle Lösungen für die Orthopädieschuhtechnik sind, eklärte Elkemann anhand der Meldelisten für die Verträge mit den Krankenkassen. Auch hier wolle jede Kasse die Liste in einer anderen Form, was  unglaubliche Ressourcen in den Innungen verschlinge. Hier müsste es doch möglich sein, so Elkemann, sich auf eine  einheitliche Tabelle zu einigen. 
 
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Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
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