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26. Januar 2017
Redaktion

Methoden zur Bewertung der Wirksamkeit orthopädischer Maßeinlagen – eine systematische Literaturanalyse

Zusammenfassung:


Hintergrund: Aufgrund mangelnder Evidenz für die Wirksamkeit orthopädischer Einlagen, wird zur Sicherung deren Kosten­übernahme durch die Krankenkassen in Zukunft die Durchführung metho-disch verbesserter klinischer Studien notwendig werden.


Dieser Review befasst sich mit der Bewertung methodischer Ansätze zur Prüfung der Wirksamkeit orthopädischer Einlagen. Ziel ist die Identifikation geeigneter Untersuchungstechniken für die Generierung einer Evidenz mittels standardisierter Protokolle.

Methoden: In den frei zugänglichen Datenbanken „PubMed“ und  „Cochrane ­Library“ wurde in einer systematischen ­Literaturrecherche mit den Suchstrateg­ien „insoles“, „foot AND orthoses“ und „foot AND orthotics“ nach relevanten ­Publi­ka­tionen für den Nachweis der Wirksamkeit von Einlagen gesucht. Aus Studien, welche die Aufnahmekriterien erfüllten, wurden die verwendeten Untersuchungsmethoden quantitativ gelistet und mit Hilfe beschreibender Sekundärliteratur qualitativ analysiert. Weitere, nicht in den eingeschlossenen Studien verwendete Verfahren, wurden in Expertenbefragungen identi­fiziert und ebenfalls bezüglich ihrer Eignung zur Generierung von Evidenz für die Wirksamkeit von Einlagen bewertet.

Ergebnisse: Die Untersuchungsmethoden aus 212 Studien wurden analysiert. Dabei wurden 49 verschiedene Scores und Skalen in 114 Studien sowie neun Gruppen apparativer Methoden in 108 Studien verwendet. In 30 weiteren Studien wurden verschiedene klinische Untersuchungsparameter angewandt. In 11 Studien erfolgten Prüfungen zur physischen Aktivität.

Schlussfolgerung: Für bestimmte Fragestellungen scheint das aktuelle Repertoire an Methoden nicht ausreichend, sodass bisher nicht in Studien eingesetzte Techniken eingebunden bzw. (beziehungsweise) neue Techniken entwickelt werden sollten. Des Weiteren bedürfen insbesondere apparative Methoden und damit gemessene Parameter einer eingehenderen Evaluation. Skalen und Scores sind als alleiniges Werkzeug wenig geeignet, jedoch als Ergänzung zu apparativen Methoden sehr wertvoll.{pborder}

Die aus gesundheitsökonomischen Gründen immer stärker geforderte Evidenz der Wirksamkeit medizinischer Maßnahmen zur Rechtfertigung deren Finanzierung durch die Kostenträger, könnte die zukünftige Kostenübernahme auch für orthopädische Einlagen gefährden. Da die Evidenz zur Wirksamkeit orthopädischer Einlagen aktuell auf geringem Niveau liegt, besteht großer Bedarf an klinischer Forschung auf diesem Gebiet. Der Einsatz von Untersuchungstechniken in Studien zur Wirksamkeit von Einlagen ist vielfältig. Standardisierte Protokolle, angepasst an die zu untersuchenden Pathologien, sind dabei notwendig. In dieser Arbeit werden geeignete Untersuchungstechniken für diese Zwecke systematisch recherchiert und bewertet.

Methodik und Material

Die Auswahl der Studien aus den Datenbanken „PubMed“ und der „Cochrane ­Library“ erfolgte äquivalent zum Vorgehen wie im Artikel „Aktuelle Studienlage zur Einlagenversorgung“ in dieser Zeitschrift beschrieben. Von den 309 Studien, welche die Aufnahmekriterien aus insgesamt 3702 Studien erfüllten, wurden die Bewertungsverfahren aus 212 Studien untersucht, da die übrigen Publikationen ­Literaturübersichten (Reviews) darstellten, oder keine ausreichende Beschreibung der verwendeten Untersuchungsmethoden aufzeigten. Zu diesem Zweck wurden die gefundenen Bewertungsmethoden in Kategorien eingeteilt und deren wissenschaftliche Qualität mit Hilfe der angegebenen Sekundärliteratur geprüft.

Ergebnisse Scores und Skalen

In 114 Studien wurden 49 verschiedene Scores und Skalen verwendet, was die am häufigsten verwendete Methodengruppe darstellt. Es handelt sich hierbei um eine sehr einfache und kostengünstige Möglichkeit, um eine Intervention zu bewerten. In insgesamt 60 Studien wurde eine Visuelle Analogskala (VAS) bzw. eine Numerische Ratingskala (NRS) zur Erfassung von Schmerzen angewandt. Ferraz et al. zeigten 1990, dass die Reliabilität der NRS besser ist und diese somit gegenüber der VAS zu bevorzugen ist [6].

Zur Bewertung der Lebensqualität wurde in sechs Studien der SF-36 (Short Form 36 Gesundheitsfragebogen) herangezogen. Dessen Handhabung und Validierung sind gut beschrieben [21, 37], jedoch handelt es sich um einen sehr unspezifischen Score.

Mehrfach verwendete, krankheitsspezifische Scores sind zum Beispiel der Western Ontario and McMaster Universities Arthritis Index (WOMAC), der in 14 Studien benutzt wurde, oder der Le­quesne algofunctional index (8 Studien). Beide Skalen eignen sich für die Verwendung bei Knie oder Hüftgelenksarthrose, wobei Stucki et al. 1998 in einem direkten Vergleich Vorteile des WOMAC herausarbeiteten [2, 18, 33, 34].

Bei den spezifischen Fuß-Scores sind vor allem der Foot Function Index (FFI, 17 Studien) sowie das Foot Health Status Questionnaire (FHSQ, 6 Studien) zu nennen. Hier wird der FFI zur Bewertung sowohl bei unspezifischen Fuß- und Sprunggelenksbeschwerden, als auch bei rheumatoider Arthritis empfohlen und als reliabel bewertet [1, 28, 32]. Zur Bewertung bei Patienten mit Diabetes ­assoziierten Fußbeschwerden und Plantarfasziitis ist der FHSQ dem FFI überlegen und daher zur Verwendung empfohlen [3, 15, 16].

Selten verwendete und wenig evaluierte Scores und Skalen wurden nicht in diese Übersichtsarbeit aufgenommen.

Apparative Methoden

Insgesamt wurden neun verschiedene apparative Methodengruppen in 108 Studien zur Bewertung der Wirksamkeit von orthopädischen Einlagen angewandt.

Konventionelle Röntgenuntersuchungen wurden in 23 Studien eingesetzt. Dabei wurde der Einfluss von orthopä­dischen Einlagen auf verschiedene Krankheitsbilder mittels verschiedener Parameter untersucht. Der Effekt auf das Krankheitsbild der medialen Gonarthrose wurde über den femorotibialen Winkel und den Grad der Arthrose nach Kellgren und Lawrence bestimmt, wobei diese in direktem Zusammenhang stehen [11, 22]. Bei Patienten mit Hallux valgus wurde der Hallux-valgus-Winkel und der Intermetatarsalwinkel I/II gemessen [27, 35]. Änderungen im talocalcanealen Winkel wurden bei Kindern mit Senkfuß gemessen [4, 13, 31]. In Korrelation zum Druck an der Fersenkontakfläche des Fußes bei Patienten mit Apophysitis calcanei wurde die sogenannte heel pad thickness (der Abstand von der Spitze des Calcaneus zur äußeren Hautfläche) bestimmt [26].

In weiteren vier Studien wurden 3D-CT in-vivo Scans durchgeführt. Zu diesem Zweck wurden die Füße des Patienten mit Hilfe einer maschinellen Druckvorrichtung („loading device“) einer annähernd natürlichen Druckbelastung ausgesetzt. Allerdings können mit Hilfe dieses Versuchsaufbaus nur in begrenztem Maße die wirkenden Drücke und Kräfte des natürlichen Stands imitiert werden. Bei Patienten mit Diabetes mellitus wurde so die Weichteildicke unter gefährdeten Stellen mit und ohne Einlage beurteilt [7, 19, 23]. Bei Patienten mit Senkfuß wurde die Stellung des Längsgewölbes mit und ohne Belastung ver­glichen [12].

Eine noch nicht in Studien zur Evaluation von Einlagen verwendete röntgenologische Technik stellt der Röntgenroboter Multitom Rax der Firma Siemens dar. Dieser bietet die Möglichkeit, Röntgenaufnahmen mit 3D-Rekonstruktionen unter natürlicher Gewichtsbelas­tung anzufertigen.

Die beiden am häufigsten verwendeten apparativen Methodengruppen stellen die Ganganalyse und die Pedobarographie (Fußdruckmessung) dar (69 bzw. 59 Studien), wobei beide Verfahren auch oft in Kombination miteinander verwendet wurden. Bei der Ganganalyse wurden neben verschiedenen kinematischen Parametern wie Ganggeschwindigkeit, Schrittlänge oder Bewegungsablauf auch kinetische Daten, wie Kraftmomente oder Beschleunigungskräfte an Gelenken, zu verschiedenen Zeitpunkten des Gangzyklus erhoben. Zu diesem Zweck wurde die Ganganalyse mit anderen apparativen Methoden, wie beispielsweise einer Elektromyographie oder einem ­Accelerometer kombiniert [10, 36]. Ein Beispiel für einen dynamischen Wert, im Zusammenhang mit der mechanischen Kraft auf das Kniegelenk, ist das externe Knie-Adduktions-Moment (external knee adduction moment, EKAM) [8]. Für diesen, bei Patienten mit medialer Gonarthrose häufig verwendeten Parameter, konnte eine Korrelation mit dem Schweregrad einer Kniegelenksarthrose festgestellt werden [22, 24, 30]. Allerdings wird die Verwendung des EKAM als kritisch betrachtet, da es nur zu bestimmten Zeitpunkten des Gangzyklus in Bezug zur Krafteinwirkung auf die mediale Kontaktfläche des Kniegelenks steht [14, 38]. Mehrfach verwendete Parameter der Fußdruckmessung waren, neben den häufig gemessenen Druckspitzen an gefährdeten Stellen, vorwiegend bei Pa­tienten mit Diabetes mellitus, das Center of Pressure (CoP) und die Ground reaction force (GRF). Dabei stellt das CoP eine Momentaufnahme eines virtuellen Kraftangriffspunktes für das gerade belastete Areal der Fußsohle dar. Veränderungen des CoP lassen somit Rückschlüsse über Fußstellung und Gangbild zu [20].

Mit Hilfe der GRF, welche einen Kraftvektor darstellt, der vom Untergrund auf die Bodenkontaktfläche des Fußes ausgeübt wird (Newtons 3. Gesetz), sind Rückschlüsse auf wirksame Drehmomente und deren Änderungen an z.B. (zum Beispiel) Sprung-, Knie- oder Hüftgelenk durch Einlagen möglich. Unterschieden werden muss bei der Pedobarographie außerdem zwischen Druckmessung mit einer Druckplatte und einer In-Schuh-Druckmessung mit speziellen Messsohlen.

In einer Studie wurden mit Hilfe der Rasterstereographie Haltungsänderungen, welche durch propriozeptive Einlagen an der Wirbelsäule erzielt wurden, gemessen. Dabei wurde das Verfahren als geeignet empfunden, um Haltungsveränderungen zu erfassen [5].

Klinische Methoden

30 Studien bewerteten die Einlagenwirksamkeit unter anderem durch die Erhebung spezifischer, klinischer Untersuchungsparameter (z.B. Fußinspektion bei Diabetespatienten, Anzahl rheumatisch aktiver Gelenke, Messung der Plantarflexion bei Achillodynie). Außerdem wurden in 11 Studien spezielle Tests oder Verfahren eingesetzt, um die physische Aktivität der Probanden zu messen, beispielsweise der 6-minute-walk-test bei Patienten mit rheumatoider Arthritis [25], oder der Star Excursion Balance Test (SEBT) bei chronischer Sprunggelenksinstabilität [29]. Eher unspezifische Fragen, wie Schmerzmittelgebrauch, Fragen nach Handhabbarkeit und Bequemlichkeit der Einlage oder Temperaturmessungen in den Schuhen, wurden in 15 Studien erhoben.

Diskussion

Die Vielzahl an differenzierten Bewertungsmethoden erfordert standardisierte Untersuchungsprotokolle mit Anpassung an die unterschiedlichen Pathologien.

Scores und Skalen sollten ergänzend zu apparativen Methoden verwendet werden, da sie eine subjektive Einschätzung des Patienten liefern. Dabei ist es wichtig, krankheitsspezifische Scores und Skalen zu wählen, um qualitative Aussagen über die Wirkung der Intervention auf das Beschwerdebild zu treffen. Hier gibt es gut untersuchte Scores, wie den WOMAC oder den FHSQ, die wegen ihrer Spezifität für die einzelnen Krankheitsbilder zur Anwendung empfohlen werden können. Selbiges gilt für klinische Tests.

Bei den apparativen Methoden ist es wichtig, Parameter zu finden, welche in eindeutigem Zusammenhang mit den Beschwerden des Patienten stehen. Ein gutes Beispiel ist die Messung des Fußdruckes an gefährdeten Stellen bei Pa­tienten mit Diabetes mellitus, denn eine Druckreduktion steht hier in kausalem Zusammenhang mit der Prävention von Ulcerationen am Fuß [9, 17].

Auch mit Hilfe von Röntgen- oder ­­CT-Aufnahmen lassen sich Effekte durch Einlagen auf den Fuß darstellen, wobei hier die potentiell schädliche Wirkung der Röntgenstrahlen berücksichtigt werden muss. Ebenso ist es bisher noch nicht standardmäßig möglich, CT-Aufnahmen im natürlichen Stand durchzuführen.

Da durch orthopädische Einlagen auch die Körperstatik beeinflusst wird, ist eine Beurteilung entsprechender Änderungen wichtig. Möglichkeiten hierfür liefern beispielsweise die Ganganalyse oder die Rasterstereographie. Das Verfahren der Ganganalyse wurde in einer Übersichtsarbeit von Wren et al. als klinisch nützliche Methode befunden [39]. Allerdings ist auf Grund der Vielzahl von messbaren Parametern ein Beleg für einen kausalen Zusammenhang zu dem jeweiligen Krankheitsbild des Patienten von großer Bedeutung, was in vielen Fällen außer Acht gelassen wurde, oder für gut untersuchte Parameter wie den EKAM nicht eindeutig zu klären ist. Gleiches kann für die Fußdruckmessung gesagt werden, wobei beide Verfahren vor allem in Kombination miteinander großes Potenzial für zukünftige Studien haben.

Die Rasterstereographie, welche bisher nur in einer Studie untersucht wurde, ist ein wertvolles Tool, um den Einfluss von orthopädischen Einlagen auf Haltungsänderungen der Wirbelsäule zu liefern [5].

Zusammenfassend müssen insbesondere die apparativen Methoden und ­deren gemessene Parameter einer eingehenderen Evaluation und Stan­dardi­sierung unterzogen werden. Vor allem die Ganganalyse und Fußdruckmessung, welche als essentielle Werkzeuge zur ­Bewertung von Einlagen bezeichnet werden können, müssen, auf Grund der Fülle an messbaren Werten, an das zu untersuchende Krankheitsbild angepasst werden. Bei Patienten mit Diabetes mellitus, rheumatoider Arthritis oder Plantarfasziitis beispielsweise ist es sinnvoll die Druckreduktion an gefährdeten Stellen zu bewerten. Zu diesem Zweck ist die in-Schuh-Druckmessung am besten geeignet. Wirkende Kräfte an Gelenken können mit einer Druckmessplatte bestimmt werden, was für Krankheitsbilder mit Achsfehlstellungen (z.B. Gonarthrose) nützlich ist. Darüber hinaus erscheint die Erweiterung der Anwendung der verschiedenen apparativen Methoden auf weitere Indikationsfelder, als sinnvoll. Die Rasterstereographie bietet die Möglichkeit, Haltungsänderungen bei korrigierenden oder propriozeptiven Einlagen zu evaluieren. Ebenso ist das bisher verwendete Repertoire an Methoden für spezielle Fragestellungen nicht ausreichend, so dass weitere Techniken und Verfahren eingebunden bzw. entwickelt werden sollten. Beispielhaft kann hier der neu entwickelte Röntgenroboter Multitom Rax der Firma Siemens genannt werden, der die Möglichkeit bietet, 3D-Aufnahmen unter natürlicher Gewichtsbelastung anzufertigen. Somit könnten genaue Aussagen über die Wirkung von Einlagen bei Fußdeformitäten wie Hohlfuß, Senkfuß oder Hallux valgus getroffen werden.

Anschrift für die Verfasser:

Dr. med. Stefan M. Sesselmann, MHBA

Orthopädische Universitätsklinik der

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg;

Rathsberger Str. 57

91054 Erlangen

stefan.sesselmann@fau.de

Abkürzungsverzeichnis:

Abb Abbildung
CoP Center of Pressure
FFI Foot Function Index
FHSQ Foot Health Status Questionnaire
GRF Ground reaction force
NRS Nummerische Ratingskala
SEBT Star Excursion Balance Test
SF-36 Short Form 36 Gesundheitsfragebogen
VAS Visuelle Analogskala
WOMAC Western Ontario and McMaster Universities Arthritis Index

Ausgabe 12 / 2016

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Foto: Andrey Popov/AdobeStock_495062320
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