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16. Juli 2016
Redaktion
Diabetes Fußnetz Südwest

Mehr Qualität durch Zertifizierung

In der Zusammenarbeit mit der Orthopädieschuhtechnik ist die AG FUSS Rheinland-Pfalz/Saarland beziehungsweise das Diabetes Fußnetz Südwest besonders engagiert. Als einzige Gruppierung der AG FUSS bietet sie eine Zertifizierung für Orthopädie­schuhmacher an, die die Qualität in der
Versorgung des Diabetischen Fußsyndroms bescheinigt. Am 4. November 2015 waren wir dabei
und haben gefragt: Was bringt der Orthopädieschuhtechnik die Zertifizierung?

Ein später Mittwochnachmittag im Vortragssaal des Klinikums Ludwigshafen: Dr. Ludwig Schwering referiert vor einem Auditorium, das sich gut zur Hälfte aus Orthopädieschuhmachern, zur anderen Hälfte aus Ärzten zusammensetzt. Der Fußchirurg und Ärztliche Leiter der Technischen Orthopädie am Mathias Spital in Rheine zeigt zunächst, was die Fußchirurgie bei kindlichen Fehlbildungen und schweren Deformitäten zu leisten imstande ist, bevor er zum Schwerpunktthema der Fortbildungsveranstaltung kommt: Der Biomechanik des Fußes. Wie entstehen Fußfehlstellungen, wie verändert ein genaueres Verständnis der Biomechanik von Fuß und Unterschenkel die Sicht auf Plattfuß, Senkfuß, Spreizfuß und diverse Zehendeformitäten? Was bedeutet es für die Therapie, wenn man nicht nur das Symptom behandeln, sondern die muskulären Dysbalancen, die Fußfehlstellungen zugrunde liegen, mitbehandeln möchte?

Dr. Ludwig Schwering ist an diesem Nachmittag zur AG FUSS Rheinland Pfalz/Saarland gekommen, um Hintergrundwissen zu vermitteln, das auch für das Verständnis des Diabetischen Fußsyndroms von Nutzen sein kann. „Wir haben dieses Thema ausgewählt, weil ein diabetisches Fußulkus keine einfache Verletzung ist, sondern weil sich dahinter immer auch eine gestörte Biomechanik des Fußes verbirgt!“, erklärt Dr. Sibylle Brunk-Loch, Sprecherin der AG FUSS Rheinland-Pfalz/Saarland. Der Vortrag ist eine von vier Fortbildungen, die die AG FUSS in diesem Bundesland pro Jahr anbietet. „Und wir sind durchaus stolz darauf, dass wir Referenten wie Dr. Ludwig Schwering oder im Vorjahr Dr. Armin Koller aus dem Mathias Spital Rheine, das eines der führenden Zentren in der Versorgung des Diabetischen Fußsyndroms ist, gewinnen konn­ten“, ergänzt Dr. Valeria Hinck, Diabetologin mit dem Schwerpunkt Charcotfuß-Versorgung.

Immer wieder steht der engere Kreis der AG FUSS Rheinland-Pfalz/Saarland vor der Herausforderung, Themen für Fortbildungen zu finden, von denen Ärzte, Orthopädieschuhmacher und Podologen gleichermaßen profitieren. Denn die Teilnahme an mindestens drei Fortbildungen zum Diabetischen Fußsyndrom sind Teil der Anforderungen, die Ärzte und Orthopädieschuhmacher für die Zertifizierung nach den Qualitätsstandards der AG FUSS Rheinland-Pfalz erfüllen müs­sen. „Unsere Mitglieder machen das alles aus eigenem Engagement. Für die Ärzte zahlt es sich zwar auch in einer besseren Honorierung ihrer Leistungen aus, wenn sie zertifiziert sind, aber die ­zusätzliche Qualifikation der Ortho­pä­die­­schuhmacher wird leider von den Krankenkassen bislang nicht honoriert. Da muss schon stimmen, was wir unseren Mitgliedern bieten!“, meint Dr. Hinck.

„Da braucht’s schon Idealismus!“

„Es ist schon ein hoher Aufwand, den die Orthopädieschuhmacher hier für die Zertifizierung auf sich nehmen“, gibt Dr. Hinck offen zu, „wer sich dem stellt, dem ist der diabetische Fuß ein echtes Anliegen.“ Sechs Orthopädieschuhmacher-Meister, ein Orthopädietechniker-Meister und zwei Ärzte sitzen in den Abendstunden nach Dr. Schwerings Vortrag beisammen, um die Zertifizierung der Orthopädieschuhmacher abzuschließen. Auf dem Tisch ein prall gefüllter Aktenordner, in dem sich ausgewählte Dokumentationen aus den eingereichten Unterlagen der ¬Orthopädieschuhmacher befinden. Die Zertifizierungskommission, bestehend aus Dr. Valeria Hinck, Dr. Thomas Kress, OSM Siegfried Kramp, OSM Michael Laux und OMM Frank Leipold, haben von jedem Orthopädieschuhmacher zwei der Falldokumentationen herausgesucht, die nun vorgestellt werden müssen, um die Zertifizierung zu erlangen. „Man weiß vorher nicht, welcher von beiden Fällen dran kommt und muss den Kollegen schlüssig den Fall und die zugehörigen Dokumentationen präsentieren“, erklärt OSM Michael Laux.

Doch für die beteiligten Orthopädieschuhmacher ist das kein Problem, sie alle sind bereits länger dabei und absolvieren eine Folgezertifizierung. Dafür haben sie Dokumentationen von 15 Versorgungen mit diabetesadaptierten Fußbettungen und 15 mit orthopädischen Maßschuhen eingereicht.

Gute Erfahrungen mit dem Schuhverordnungsbogen

Für die Dokumentation sind eine ganze Reihe an Bögen auszufüllen und Bilddokumentationen zu erstellen. Auf einem fallübergreifenden Dokumentationsbogen werden alle eingeschlossenen Patienten anonymisiert mit Diagnose und Versorgungsgrund aufgeführt, gegebenenfalls mit Lokalisation des Ulkus. Außerdem wird hier vermerkt, ob bei der Nachuntersuchung erneute Läsionen festgestellt werden konnten oder Nachbesserungen an der Versorgung nötig waren. Aufgeführt wird anhand von Tragespuren, ob der Patient Schuh, Einlage oder Orthese auch wirklich verwendet hat.

Ein wesentlicher Bestandteil der Einzelfall-Dokumentation ist der Schuhverordnungsbogen, den die AG FUSS Rheinland Pfalz/Saarland entwickelt hat und der auch überregional von der AG FUSS der DDG übernommen wurde. Er bietet auf einem klar strukturierten Formular die Möglichkeit, eine leitliniengerechte Schuhverordnung vorzunehmen, die sich an den Risikoklassen des Diabetischen Fußsyndroms orientiert. Er soll es nicht nur Behandlern erleichtern, eine risikoklassenorientierte Verordnung vorzunehmen. Zusammen mit Rezept und Kostenvoranschlag eingereicht, soll er auch Krankenkassenmitarbeitern die gewählte Verordnung plausibel machen.

„In Rheinland-Pfalz haben wir sehr gute Erfahrungen mit dem Schuhverordnungsbogen gemacht“, sind sich die Orthopädieschuhmacher einig. Bei den dortigen Krankenkassen treffe der Bogen auf große Akzeptanz. „Auch eine MDK-Mitarbeiterin sagte mir, sie sei richtig froh, wenn ein Schuhverordnungsbogen beiliegt“, erzählt Dr. Hinck. „Krankenkassenmitarbeiter sind auch Menschen, sie haben Vorgaben, nach denen sie entscheiden müssen, und auch sie haben einen Chef im Nacken sitzen“, gibt OSM Siegfried Kramp zu bedenken. „Außerdem ist das Diabetische Fußsyndrom so komplex, dass seine Beurteilung ohne eine saubere Dokumentation tatsächlich schwierig ist.“

Seit die AG FUSS in Rheinland-Pfalz aktiv ist, habe sich die Kostenerstattung durch die Krankenkassen erheblich verbessert, sind sich die anwesenden Ärzte und Orthopädieschuhmacher einig. Insbesondere die letzten Jahre habe es kaum Beanstandungen gegeben. „In Baden-Württemberg beachten die Krankenkassen den Schuhverordnungsbogen leider sehr viel weniger“, berichtet ein Orthopädieschuhmacher. Dort habe die AOK ihre ganz eigenen Formulare und Anforderungen. Auch mit Verträgen zur Integrierten Versorgung stehe Baden-Württemberg weit hinten an.
Doch die Kommunikation zwischen Arzt und Orthopädieschuhmacher habe der Schuhverordnungsbogen allemal erleichtert. Der Arzt füllt ihn als erstes aus und übermittelt ihn an den Orthopädie¬schuhmacher, der eigene Angaben ergänzen darf. „Außerdem erhoffen wir uns, dass auch Ärzte, die sich weniger gut mit Einlagen und Schuhversorgungen auskennen, in dem Schuhverordnungsbogen eine Unterstützung sehen“, erklärt Dr. Thomas Kress.

Immer dabei: Kontrolluntersuchung und Bilddokumentation

Zwei Kontrolluntersuchungen führen die Orthopädieschuhmacher durch, zwei und sechs Wochen nach der Versorgung; die Ergebnisse werden auf einem Kontrollbogen der AG FUSS Rheinland-Pfalz dokumentiert. Dieser wird nicht nur bei der Krankenkasse und bei der Zertifizierung eingereicht, sondern auch dem verordnenden Arzt übermittelt.

Für die Zertifizierung ist zudem eine aussagekräftige Bilddokumentation erforderlich: Sie besteht zum einen aus Fotos, die sowohl die Füße als auch das Versorgungsprodukt abbilden. Der Fuß wird auf der diabetesadaptierten Fußbettung, nach Möglichkeit in Belastung, sowie in der Position, die die Deformität am deutlichsten sichtbar macht, fotografiert. Zum anderen ist eine dynamische Druckverteilungsmessung erforderlich. Sie dokumentiert die durch die Versorgung erzielte Druckreduktion im Vergleich zu neutralen Bedingungen.

Spontane Fallvorstellungen

„Stellen Sie uns bitte Ihren achten Fall vor!“, fordert Dr. Valeria Hinck den ersten Orthopädieschuhmacher in der Zertifizierungsrunde auf. Für ihn geht es nun nicht nur darum, die Dokumentationsunterlagen zu zeigen, sondern vor allem auch darum zu erklären, warum er seine Versorgung genau so und nicht anders gemacht hat. „Wir reißen hier niemandem den Kopf ab“, sagt Dr. Valeria Hinck, „aber wir stellen durchaus Rückfragen.“ Ihn hätten die Kollegen aus der Zertifizierungskommission einmal gefragt, warum ein Patient trotz eines nicht verheilten Ulkus mit einem orthopädischen Maßschuh und nicht mit einem Verbandsschuh versorgt worden sei, erzählt ein Orthopädieschuhmacher. „Das war ein klarer Hinweis auf die neuen Empfehlungen zur Risikoklasse VII, die vor einigen Monaten neu festgelegt worden sind.“

Ein Kollege sagt bei der Präsentation seines Falls gleich dazu, dass sein Patient eher unüblich versorgt wurde: Nach einer Vorfuß-OP erhielt er sofort orthopädische Maßschuhe in Form von beidseitigen Arthrodesenstiefeln. „Der Patient hatte in den Vorjahren wiederholt schwere Ulcerationen, und er war in Bezug auf Orthesen therapieresistent“, argumentiert der Orthopädieschuhmacher. „Bei Füßen, die einfach nicht heilen, wage ich in Absprache mit Ärzten auch mal einen Arthrodesenstiefel.“ Wie er mit der Dokumentation belegen kann, erzielte diese Versorgung endlich den gewünschten Erfolg. Die Zertifizierungskommission kann er damit überzeugen. Nur rät Dr. Hinck, beim nächsten Mal bereits in der eingereichten Dokumentation zu erläutern, warum genau diese Versorgung notwendig war.

Im besten Sinne interdisziplinär

Es sind kurze, aber sehr ergiebige Gespräche, die sich aus den Präsentationen entwickeln. Die jahrelange Erfahrung in der Versorgung des Diabetischen Fußsyndroms macht es möglich, dass sich die Kollegen gegenseitig wertvolle Tipps geben können.

„Von diesem Austausch profitieren beide Seiten, sowohl die Orthopädieschuhmacher als auch die Ärzte“, ist Orthopädiemechaniker-Meister Frank Leipold überzeugt. Schließlich wüssten die Gesundheitshandwerker oft genauer über Schuhversorgungen und Fußbettungen Bescheid, und an vielen Fällen tüftelten Ärzte und nichtärztliche Leistungserbringer sowieso am besten gemeinsam. „Wesentlich für uns alle ist, dass wir genaue Einblicke in die Sicht- und Arbeitsweise der anderen Profession bekommen“, fügt Kramp hinzu, „das ist im besten Sinne interdisziplinär“.

Über das in den letzten Jahren Erreichte sind die Beteiligten durchaus stolz: „Wir werden jedes Jahr besser!“, findet ein Orthopädieschuhmacher. Die Dokumentationen würden immer aussagekräftiger, die eigene Arbeit immer strukturierter. „Aus meiner Erfahrung mit ärztlichen Zertifizierungen kann ich sagen: Meine ersten Dokumentationen sind überhaupt nicht mehr mit dem vergleichbar, was ich heute einreiche“, bestätigt Dr. Valeria Hinck. „Man lernt wie von selbst dazu, wenn man einmal anfängt, strukturiert zu dokumentieren“. Heute muss sie nicht mehr mühselig nach Aufzeichnungen und Fotos suchen, die sich für die Einreichung bei der AG FUSS eignen, sämtliche Füße in ihrer Praxis sind nach einheitlichen Kriterien dokumentiert.

Die eigene positive Erfahrung mit einer strukturierten Dokumentation war es auch, die bei einigen Ärzten der AG FUSS zu dem Gedanken führte, in Rheinland-Pfalz auch eine Zertifizierung für Orthopädieschuhmacher anzubieten. Zurzeit gibt es in Rheinland-Pfalz zehn zertifizierte Orthopädieschuhmacher-Meister. „Wir Ärzte wissen, dass unsere Patienten mit Diabetischem Fußsyndrom dort in guten Händen sind!“, sagt Dr. Hinck. „Und es erleichtert uns die Arbeit enorm, dass wir mit diesen Orthopädieschuhmachern auf einer Ebene kommunizieren können. Für die interdisziplinäre Betreuung des diabetischen Fußes ist es ungemein wichtig, dass man nicht bei jeder Verordnung wieder ganz von vorne erklären muss, welche Voraussetzungen die jeweilige Versorgung erfüllen muss!“.

Nicht alle Kollegen, die im Laufe der Zeit dabei waren, haben die Dokumentationen durchgehalten, erzählen die Orthopädieschuhmacher. Doch spürbar ist: Die, die jetzt dabei sind, sehen deutliche Fortschritte durch die Zertifizierung und den interdisziplinären Austausch in der AG FUSS. Die Anwesenden sind sich einig: Ihre Bemühungen bedeuten eine deutliche Verbesserung der Versorgung des Diabetischen Fußsyndroms, die letztendlich dem Patienten zugute kommt.

Foto: Andrey Popov/AdobeStock_495062320
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