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6. September 2021
Redaktion

Kompressionsversorgung und MDR: Welche Pflichten haben Händler?

OLIVER GRAMALLA1

1 Oliver Gramalla ist Leiter Qualitätsmanagement und Regulatory Affairs bei Medi und einer der Sprecher im Arbeitskreis Regulatory Affairs (ehemals AK MDR) der Eurocom e. V.

 

Nach der neuen EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) haben Orthopädieschuhmacher nicht nur Pflichten als Sonderanfertiger (z. B. von Einlagen oder orthopädischen Maßschuhen), sondern auch als Händler (z.B. in der Kompressionsversorgung). Was müssen Sie als Händler selbst prüfen, und was können Sie getrost dem Hersteller überlassen? Im Folgenden werden die Vorgaben der MDR ­zusammengefasst und im Hinblick auf ihre Umsetzbarkeit kommentiert.
Foto: dmutrojarmolinua/AdobeStock

Seit 26. Mai 2021 ist die Europäische Medizinprodukteverordnung (MDR) in weiten Teilen anzuwenden. Nicht nur für Hersteller, sondern auch für Händler von Medizinprodukten gibt es Neuerungen. Die Hürden sind deutlich angehoben worden. Das gilt auch für altbekannte und erfolgreich in der Breite angewandte Medizinprodukte der niedrigsten Risikoklasse wie Einlagen, medizinische Kompressionsstrümpfe, Orthesen und Bandagen. Dies stellt nun speziell kleine und mittelgroße Händler, die keine eigene Regulatorik- oder gar Rechtsabteilung haben, vor neue Herausforderungen. Es ergibt sich die Frage, wie man im Handel die neuen Pflichten im Tagesgeschäft der Patientenversorgung rechtssicher erfüllen kann. 

Die MDR wird auf der Seite der Europäischen Union kostenlos unter eur-lex.europa.eu bereitgestellt. Diverse Stellen setzen sich mit den Pflichten für Händler von Medizinprodukten auseinander. Im Artikel 2, Ziffer 34 MDR wird definiert, wer zu einem Händler zählt. Stark vereinfacht sind Händler Personen, die dem Anwender ein Produkt zur Verfügung stellen beziehungsweise gegen Entgelt oder unentgeltlich im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit zum Vertrieb, Verbrauch oder zur Verwendung in den Markt abgeben. Die wichtigsten Pflichten des Händlers sind in Artikel 14 „Allgemeine Pflichten der Händler“ aufgelistet. Im Absatz (1) ist die Verantwortung des Händlers innerhalb der Lieferkette beschrieben. Er muss im Rahmen seiner Tätigkeit die MDR- und weitere Anforderungen (z. B. die Medizinprodukte-Abgabeverordnung oder das sogenannte Medizinprodukte Durchführungsgesetz MPDG) mit gebührender Sorgfalt vor der Produkt-Abgabe erfüllen. Diese Sorgfaltspflicht ist keine Neuerung, sondern Praxis in den Sanitätshäusern und Orthopädieschuhtechnik-Betrieben.{pborder}

Prüfpflichten des Händlers

Dennoch wird im zweiten Absatz konkretisiert, welche Prüfpflichten der Händler vor der Bereitstellung auf dem Markt zu erfüllen hat:
CE-Kennzeichen
Jedes Medizinprodukt muss die CE-Kennzeichnung tragen, womit der Hersteller bestätigt, dass die Produkte konform zur europäischen Gesetzgebung hergestellt wurden. Neu in der MDR ist auch, dass ersichtlich sein muss, auf welchen Rechtsrahmen sich dieses CE bezieht. Bisher gibt es das CE-Zeichen auch auf Spielzeug, Maschinen, Elektrogeräten etc. und eben auch auf Medizinprodukten. Mit der MDR müssen sich konforme Medizinprodukte als solche „ausweisen“, indem beispielsweise auf der deutschen Verpackung das Wort „Medizinprodukt“ abgedruckt ist oder durch ein neu geschaffenes Symbol – MD in rechteckigem Kasten – als „Medical Device“ identifiziert werden kann.
EU-Konformitätserklärung
Die Hersteller sind auch verpflichtet, für jede Produktgruppe eine EU-Konformitätserklärung auszustellen. In der aktuellen Phase der MDR gibt es zwar klare Regelungen, was eine EU-Konformitätserklärung enthalten muss, jedoch auch eine Vielzahl an Ausnahmen und Übergangsfristen. Es ist deshalb nicht unbedingt leicht, die Konformitätserklärungen der Hersteller zu prüfen. Doch ist dies überhaupt in jedem Einzelfall gefordert? Muss für jedes der vielen Medizinprodukte im OST-Betrieb eine EU-Konformitätserklärung vorliegen und muss diese immer aktuell gehalten werden? Braucht man gar einen Überwachungsprozess für diese unzähligen Dokumente diverser Hersteller? Aus meiner Sicht nicht, denn die MDR fordert konkret zu prüfen: „… es wurde eine EU-Konformitätserklärung für das Produkt ausgestellt“. Das ist jedoch eine grundlegende Pflicht der Hersteller. Ohne diese Erklärung durfte schon unter der Richtlinie 93/42/EWG kein Medizinprodukt verkauft werden. Reicht es also aus, dass der Händler das Vorhandensein der EU-Konformitätserklärungen vom Hersteller bestätigt bekommt und nur stichprobenartig überprüft? Kommt er damit seiner Prüfpflicht nach, ohne ein aufwändiges System im Hintergrund etablieren zu müssen? Für bestimmte Produkte aus meiner Sicht ja. Es kann durchaus genügen, sich eine Bestätigung vom Hersteller einzuholen, dass dieser die EU-Konformitätserklärung für das gelieferte Medizinprodukt ausgestellt hat. Stichprobenartig sollte in ausgewählten Fällen ein Exemplar angefordert werden, um einen Nachweis der Prüfpflicht zu haben. Im Normalfall geht man hierbei risikobasiert vor. Zur Abschätzung des Risikos kann einbezogen werden: die Risikoklasse des Medizinproduktes, gegebenenfalls der Unternehmenssitz des Herstellers und die bisherigen Erfahrungen mit diesem Hersteller.
Informationen zum Produkt
Die weitere Prüfpflicht befasst sich mit den vom Hersteller bereitgestellten Informationen zum Produkt. Dazu zählt neben der Gebrauchsanweisung (die jedoch bei Produkten der Risikoklasse I entfallen kann, wenn die Handhabung selbsterklärend ist), auch die Kennzeichnung auf Produkt und Verpackung. Hierfür hat der Verband Eurocom eine „Checkliste Wareneingang“ erarbeitet (kostenlos auf www.eurocom-info.de/service/publikationen/ abrufbar). Auf prag­matische Weise können damit Belege für die stichprobenartige Kontrolle im Rahmen eines repräsentativen Probenahmenverfahrens entstehen.
Was tun, wenn der Hersteller seine Pflichten nicht erfüllt hat?
Kommt der Händler nach dieser Prüfung oder im täglichen Umgang mit den Produkten zu der Annahme, dass ein Medizinprodukt nicht der MDR entspricht, „… darf er das betreffende Produkt nicht auf dem Markt bereitstellen …“ (Art. 14, Absatz (2), letzter Abschnitt). Der Händler hat in solchen Fällen eine Informationspflicht. Er muss den Hersteller (bzw. dessen Bevollmächtigten in der EU oder/und den Importeur) über seine Vermutung informieren. Falls von dem Produkt eine schwerwiegende Gefahr ausgeht oder es sich um ein gefälschtes Produkt handelt (vgl. Artikel 2 MDR), informiert der deutsche Händler seine zuständige Bundesoberbehörde, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Im Gefahrenfall hat diese Meldung unverzüglich zu erfolgen.

Pflichten bei der Zusammenarbeit mit Herstellern und Behörden

Lagerung und Transport
Weiterhin hat der Händler die Verantwortung, dass sich der Zustand der Medizinprodukte nicht negativ verändert, solange diese bei ihm gelagert werden. Dazu muss er die Lagerungs- und Transportbedingungen des Herstellers einhalten. Gibt es solche eingeschränkten Bedingungen für die Medizinprodukte, muss der Hersteller das auf der Kennzeichnung oder der Gebrauchsanweisung vermerken. Hierbei sollten die Händler darauf achten, dass ihnen nicht zu enge Vorgaben gestellt werden, denn sie müssen im Streitfall nachweisen, dass die Produkte dauerhaft korrekt gelagert wurden. So ist es zum Beispiel nicht immer nachvollziehbar, wenn Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsangaben vorgegeben werden, die in der Praxis keinen großen Einfluss auf Leistung, Sicherheit und Funktionsfähigkeit der Produkte haben. Um den Aufwand auf ein notwendiges Maß zu reduzieren, kann es helfen, den Hersteller zu kontaktieren und gezielt nachzuhaken.
Korrekturmaßnahmen
Die Pflicht zur Zusammenarbeit mit Herstellern und Behörden schließt neben der Informationspflicht auch die gemeinsame Abarbeitung von Korrekturmaßnahmen mit ein. Hierbei kann es darum gehen, den Aufsichtsbehörden Muster zu überlassen, das Produkt in einen konformen Zustand zu versetzen oder dem Hersteller Daten für Rückrufe bzw. Rücknahmen bereitzustellen. 
Meldung von Vorkommnissen
Erhalten die Händler Beschwerden oder Berichte über mutmaßliche Vorkommnisse zu den bereitgestellten Medizinprodukten, sind diese unverzüglich an den Hersteller (und ggf. seinen Bevollmächtigten und den Importeur) weiterzuleiten. Diese Meldepflicht ist eine wichtige Säule, um Patienten vor schwerwiegenden Schäden zu schützen und diese Meldungen von einfachen Reklamationen oder Retouren abzugrenzen. Dazu dient auch ein fortlaufend geführtes Register, das alle Händler als Überwachungsmaßnahme pflegen müssen. Es enthält Daten zu Beschwerden, nicht konformen Produkten, Rückrufen und Rücknahmen. Auf Ersuchen des Herstellers sind diese Informationen zur Verfügung zu stellen. Solche Informationen, Unterlagen, unentgeltliche Warenmuster und Nachweise über den ordnungsgemäßen Umgang mit den Händlerpflichten müssen auch der zuständigen Behörde vorgelegt werden können.

Wie Sie vermeiden, vom Händler zum Hersteller zu werden

Neben diesen Forderungen, die sich für Händler aus dem Artikel 14 MDR ergeben, kommen noch weitere zum Tragen. Zwei wichtige seien an dieser Stelle genannt. Artikel 16 zählt Fälle auf, aus denen ein Händler zu einem Hersteller wird, der dann die entsprechenden Hersteller-Pflichten nach Artikel 10 zu erfüllen hat. Als Händler sollte man deshalb folgende Tätigkeiten nicht an fertigen Medizinprodukten ausführen:
  • Änderung des Namens (außer es gibt eine Vereinbarung mit dem Hersteller und klare Festlegungen (siehe Artikel 16, Absatz (1), Buchstabe a) MDR).
  • Änderungen der Zweckbestimmung – diese wurde vom Hersteller festgelegt und unter anderem in der klinischen Bewertung, der biologischen Beurteilung und der Risikobetrachtung bewertet. 
  • Änderungen am Produkt, die sich auf die Konformität auswirken könnten – nur der Hersteller hat den tiefen Einblick in den Herstellungsprozess und die Technische Dokumentation und kann die Konformität entsprechend bewerten.  
Das im OST-Betrieb nötige Montieren und Anpassen eines Medizinproduktes für/an einen Patienten ist von dieser Regelung explizit ausgenommen.
Bedingt erlaubte Veränderungen
Eine tiefergehende Klarstellung, was unter Änderungen am Produkt zu verstehen ist, findet sich im zweiten Absatz des Artikel 16. So können beispielsweise weitere Informationen (inkl. Übersetzungen der Gebrauchsanweisung) mitgegeben werden. Es darf weiterhin der Händler Änderungen an der äußeren Verpackung inklusive Packungsgröße vornehmen, falls ein Umpacken für die Vermarktung in Deutschland erforderlich ist. Dieser Umpackprozess ist jedoch an Bedingungen geknüpft, die gewährleisten, dass der Originalzustand des Medizinproduktes nicht beeinträchtigt wird. Falls ein Händler solche erlaubten Änderungen vornimmt, muss er diese Tätigkeit auf dem Produkt, der Verpackung oder durch beizulegende Dokumente ersichtlich machen. Der Händler muss hierzu auch seine Anschrift weitergeben, damit klar ermittelt werden kann, wer welche Tätigkeit durchgeführt hat. Eine Voraussetzung dafür ist auch, dass der Händler ein Qualitätsmanagementsystem etabliert hat, das solche Änderungen beziehungsweise Tätigkeiten am Produkt regelt und sicherstellt, dass der Originalzustand des Produktes erhalten bleibt. Im Abschnitt (4) dieses Artikels wird vorgeschrieben, wann und wie Hersteller und Behörden von diesen erlaubten Änderungen zu informieren sind. Es ist deshalb nicht mehr so leicht möglich, zum Beispiel aus einem Paar medizinischer Kompressionsstrümpfe nur einen Einzelstrumpf abzugeben. Hier ist es ratsam, einen einzeln verpackten Strumpf des Herstellers zu verwenden, wenn man nicht rechtssicher nachweisen kann, dass man alle geforderten Punkte dieses Artikels erfüllt. Im Zweifelsfall sollten keinerlei Änderungen am Produkt vorgenommen werden oder bei Bedarf mit dem Hersteller abgesprochen werden.   

Identifizierung innerhalb der Lieferkette

Was sich in der täglichen Praxis jedes OST-Betriebs widerspiegeln muss, sind die Anforderungen aus Artikel 25 „Identifizierung innerhalb der Lieferkette“. Das Ziel der MDR, die Patienten vor schwerwiegenden Gefahren zu schützen, ist nur in Zusammenarbeit zwischen Lieferanten, Herstellern, Händlern und Gesundheitseinrichtungen umsetzbar. Im genannten Artikel ist definiert, wie Händler mit dem Hersteller zusammenarbeiten müssen, um „… ein angemessenes Niveau der Rückverfolgbarkeit …“ zu erreichen. Für einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren nach Abgabe des Produktes wird gefordert, dass die Wirtschaftsakteure der zuständigen Behörde gegenüber angeben können:  
  • an welche Wirtschaftsakteure die Produkte direkt abgegeben wurden,
  • von welchen Wirtschaftsakteuren sie die Ware bezogen haben und
  • alle Gesundheitseinrichtungen oder Angehörige der Gesundheitsberufe, an die ein Produkt direkt abgegeben wurde.
Liest man die Definition des „Wirtschaftsakteurs“ und der „Gesundheitseinrichtung“ im Artikel 2 MDR, stellt man fest, dass es in der MDR nicht gefordert ist, die Rückverfolgbarkeit bis zum Patienten sicherzustellen. Dies mag aus anderen Gründen wichtig und sinnvoll sein, liegt aber nicht in der MDR begründet. Hiernach müssen nur der direkte Vorgänger und Nachfolger in der Lieferkette der Wirtschaftsakteure bis zur Gesundheitseinrichtung oder den Angehörigen der Gesundheitsberufe angegeben werden, um entsprechende Maßnahmen, wie zum Beispiel Rückrufe, koordinieren zu können. 

Umsetzung mit Augenmaß

Neben diesen konkreten Anforderungen aus den genannten Artikeln und den Unsicherheiten, die die neue Gesetzgebung mit sich bringt, möchte ich persönlich noch einen Halbsatz aus der MDR (Artikel 10, Absatz (9)) zitieren: „… die Einhaltung dieser Verordnung auf die wirksamste Weise sowie einer der Risikoklasse und der Art des Produkts angemessenen Weise gewährleistet.“ Dies lässt für mich die Hoffnung zu, dass auch bei der Umsetzung der Verordnung ein gesunder Menschenverstand und Augenmaß gefragt sind. In der Umsetzung und Anwendung muss die wirksamste und die angemessene Weise eine Rolle spielen, um einerseits einen Nutzen aus der neuen Verordnung zu ziehen und andererseits keine zusätzliche Bürokratie zu erzeugen, die davon abhält, den Patienten zu helfen. Denn das Patientenwohl ist und bleibt das gemeinsame Kernziel der Branche. Dabei kann es ein wichtiger Baustein sein, dass nicht jeder Wirtschaftsakteur für sich allein nach Lösungen für die Umsetzung der MDR sucht, sondern dass man bewusst auf die Verbände zugeht und nach Unterstützung fragt. Die enge Abstimmung ist im Sinne der neuen Gesetzgebung, die auf die Zusammenarbeit innerhalb der gesamten Lieferkette abzielt. Verbände wie die DGIHV, die Eurocom und auch diverse Hersteller bieten zum Beispiel im Internet Hilfestellungen und Informationen an, die bei der Erfüllung der Händlerpflichten unterstützen. In diesem Sinne bin ich zuversichtlich, dass die MDR dabei hilft, Dinge gemeinsam zwischen Industrie und Handel anzugehen und voranzubringen.
Anschrift des Verfassers:
Oliver Gramalla
Medi GmbH & Co. KG
Medicusstr. 1
95448 Bayreuth
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