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23. November 2020
Annette Switala
Fußnetzwerk Niedersachsen

Interdisziplinäre Versorgung des Diabetischen Fußes

Diabetologen, Orthopäden und Fußchirurgen haben 2017 das Fußnetzwerk Niedersachsen gegründet, um in dem Bundesland eine möglichst lückenlose Versorgung von Patienten mit Diabetischem Fußsyndrom anbieten zu können. OSM Kai Strecker, Sanitätshaus O.R.T. GmbH, Göttingen, versorgt einen großen Teil der Patienten an den beteiligten Standorten. Wie steht es um die derzeitige Versorgung des Diabetischen Fußsyndroms und was kann ein ambulant-stationäres, spezialisiertes Netzwerk gegenüber der herkömmlichen Versorgung leisten? Wir haben mit den Experten vor Ort gesprochen.
Dr.
Foto: Fußnetzwerk Niedersachsen
Dr. Hartmut Stinus, Northeim, Prof. Frank Braatz, Göttingen, und Dr. Thomas Werner, Bad Lauterberg (v. l.), sind die Gründer des Fußnetzwerks Niedersachsen.

Als ich Kai Strecker im O.R.T. Sanitätshaus in Göttingen treffe, entschuldigt er sich kurz, dass er noch eine Patientin zu Ende versorgen möchte. Es ist Donnerstag, einer der beiden Tage, an denen Prof. Frank Braatz, Schwerpunktleiter der Technischen Orthopädie und Orthobionik an der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Plastische Chirurgie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und Professor für medizinische Orthobionik an der PFH Göttingen, seine Spezialsprechstunde für Patienten mit Diabetischem Fußsyndrom und für Patienten mit neurologischen oder orthopädischen Erkrankungen durchführt.

„Montags und donnerstags halte ich mich immer im Betrieb bereit, um schnell auf Patienten eingehen zu können, die aus Prof. Braatz’ Sprechstunde an der UMG zu mir kommen. Die möchte ich nach Möglichkeit selbst versorgen“, erzählt Strecker, der den Bereich Orthopädieschuhtechnik in dem Sanitätshaus leitet, das mit acht Filialen zu den größten im Bereich Göttingen und Umgebung zählt.

Die Kommunikationswege zwischen Arzt und Orthopädieschuhmachermeister sind kurz, meist teilt Prof. Braatz ihm telefonisch mit, wie die verordnete Versorgung im Detail aufgebaut sein soll und was in dem individuellen Fall zu beachten ist. „Umgekehrt kann ich ihn anrufen, wenn bei einem Patienten ein akutes Problem auftaucht, bei dem Gefahr im Verzug ist“, erklärt Kai Strecker. Patienten, bei denen die konservative Versorgung mit orthopädischen Schuhen und diabetesadaptierten Fußbettungen nicht mehr ratsam zu sein scheint oder die akute, gefährliche Veränderungen am Fuß entwickeln, kann er zeitnah in der Spezialsprechstunde von Prof. Braatz vorstellen.

Auch an den anderen Tagen ist Strecker darauf eingestellt, flexibel auf Anrufe aus der UMG reagieren zu können. „Oft ruft mich Prof. Braatz aus der stationären Visite an und erklärt mir, was bei einem Patienten gemacht werden muss“, erzählt er. „Oder mir wird morgens mitgeteilt, welche stationären Patienten versorgt werden müssen. Ich fahre dann in die Klinik, um einen Gipsabdruck zu machen.“

Prof. Frank Braatz, der an der UMG auf die konservative und operative Behandlung von angeborenen und erworbenen Fußdeformitäten, insbesondere auf schwere neurologische Erkrankungen sowie auf Patienten mit Diabetischem Fußsyndrom spezialisiert ist, ist nicht der einzige Chirurg, an den sich Kai Strecker im Fußnetzwerk Niedersachsen wenden kann.

Dr. Hartmut Stinus, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit Expertenzertifikat Fußchirurgie (GFFC) ist sowohl ambulant in einer Orthopädischen Gemeinschaftspraxis in Northeim tätig, als auch stationär am Krankenhaus Neu-Mariahilf und an der Universitätsmedizin Göttingen. Da er sich vor seinem Medizinstudium zum Orthopädieschuhmacher ausbilden ließ, ist er auch mit der konservativen Versorgung des Diabetischen Fußes aus erster Hand vertraut. Auch seine Patienten werden teilweise von Kai Strecker versorgt.

Ein weiterer wesentlicher Standort im Fußnetzwerk Niedersachsen ist das Diabeteszentrum Bad Lauterberg, in dem der Leiter des Zentrums, Dr. Thomas Werner, vor fünf Jahren als Diabetologe die Gründung des Netzwerks vorantrieb. Als er 2015 aus Weimar nach Bad Lauterberg kam, etablierte er im Diabeteszentrum Bad Lauterberg eine AG FUSS DDG-zertifizierte Fußstation, strukturierte die Schulung an der Klinik um und initiierte die Gründung eines Medizinischen Versorgungszentrums mit diabetologischem Schwerpunkt. Neu in der Region, suchte er den Kontakt zu anderen Diabetologen, aber auch zu Fachdisziplinen wie der Angiologie und der Fußchirurgie und lernte im Rahmen einer Fortbildung Dr. Stinus und Prof. Braatz kennen, die sich schon viele Jahre kannten.

„Eigentlich war Prof. René Baumgartner der Katalysator für die Gründung unseres Netzwerks“, meint Dr. Hartmut Stinus, hielt Baumgartner doch einen seiner letzten Vorträge auf ebendieser Fortbildung. Und nicht von ungefähr fanden die drei Ärzte zusammen, ist es doch die fußerhaltende Chirurgie, die Baumgartner an der Universitätsklinik Münster aufbaute und lebte und in zahlreichen Fortbildungen weitertrug, der sich die Fachärzte bei der Gründung des Netzwerkes verbunden fühlten.

OSM
Foto: Strecker
OSM Kai Strecker, O.R.T. Sanitätshaus, Göttingen, ist einer der Orthopädieschuhmacher, mit denen das Fußnetzwerk Niedersachsen kooperiert. Zwischen den Standorten der Partner ist er immer „auf Achse.“

Majoramputationszahlen immer noch zu hoch

Es gibt immer noch viel zu viele unnötige Majoramputationen, sind sich die Ärzte in unserem Gespräch einig. „Hohe Amputationen sind einfacher als der Versuch, einen Diabetischen Fuß mit schweren Ulzera oder Infektionen zu retten“, erklärt Prof. Frank Braatz. Das habe vorrangig einen einfachen Grund: Damit die Operation erfolgreich verläuft und die Wunde heilen kann, muss der Fuß gut durchblutet sein – was jedoch bei Patienten mit Diabetischem Fußsyndrom in der Mehrzahl der Fälle nicht der Fall ist. In vielen Lehrbüchern stehe immer noch, dass eine hohe Amputation in gut durchbluteten Bereichen des Beins in vielen Fällen das Mittel der Wahl ist.

„Viele Chirurgen und Unfallchirurgen gehen immer noch nach dieser Regel vor“, so Braatz, es gebe nur wenige, die sich auf die Fußchirurgie des Diabetischen Fußes spezialisiert haben und versiert darin sind, den Fuß zu retten, gegebenenfalls zu rekonstruieren und wieder aufzubauen. Sowohl Braatz als auch Stinus gehören zu ihnen, wobei sie feine, kleine Eingriffe am Fuß ebenso abdecken wie Operationen an Charcot- und schwer infizierten Füßen, die umfangreiche Eingriffe nötig machen.

„Eine ausreichende Durchblutung  des Fußes brauchen auch wir, wenn wir operieren wollen“, betont Dr. Hartmut Stinus, „sonst haben wir als Chirurgen keine Chance, ein gutes OP-Ergebnis zu erzielen.“

„Auch die diabetologische Vorbereitung der Patienten muss stimmen, wenn wir ein gutes Ergebnis erreichen wollen“, ergänzt Prof. Braatz. Und genau darin liegt die Stärke des Netzwerks, sind sich meine Gesprächspartner einig. „Wir bekommen viele Patienten aus dem ­Diabeteszentrum Bad Lauterberg, die von Dr. Werner und seinem Team ­optimal vorbereitet sind“, so Prof. Braatz. „Optimal vorbereitet“ heißt für die Chirurgen, dass die Blutzuckereinstellung der Patienten gut ist, die Nierenwerte und Polyneuropathien abgeklärt sind, aber vor allem auch die Durchblutung der Gefäße angiologisch untersucht und verbessert wurde.

Dr.
Foto: Schindler
Dr. Bernd Schindler und sein Team vom Evangelischen Krankenhaus Göttingen-Weende am Standort Neu-Mariahilf sorgen für die angiologische Expertise.

Gute Angiologen gefragt

„Rund 80 Prozent der Patienten, die wegen eines Diabetischen Fußsyndroms in unserer Klinik in Bad Lauterberg liegen, haben eine relevante Durchblutungsstörung“, berichtet Dr. Werner. Deshalb erhält jeder Fußpatient eine nichtinvasive angiologische Untersuchung. Im Diabeteszentrum Bad Lauterberg arbeitet an zwei Tagen pro Woche ein ehemaliger angiologischer Oberarzt aus dem Krankenhaus Neu-Mariahilf in Göttingen mit.

Dr. Bernd Schindler, Chefarzt der dortigen Angiologie, erklärt, dass es nur wenige niedergelassene Angiologen gibt, und darunter nur wenige, die sich ausreichend mit dem Diabetischen Fuß auskennen. Oft fehle die Erfahrung, um in der Gefäßdarstellung genau zu erkennen, wie sich die Durchblutungssituation in den feinen Gefäßen an Unterschenkel und Fuß verhält. Zum anderen aber seien auch die Behandlungsmethoden in den ambulanten Praxen häufig nicht ausreichend, viele niedergelassene Angiologen würden ausschließlich auf konservative, medikamentöse Therapien setzen.

„Die Gefäßsituation von Diabetespatienten ist eine ganz besondere und viel schwieriger zu behandeln als beispielsweise die von Rauchern“, erklärt Dr. Schindler. Während bei Letzteren meist die größeren Gefäße im Oberschenkel geweitet werden müssen, sind bei Diabetespatienten die drei langstreckigen Unterschenkelgefäße und Fußarterien betroffen. Diese sind so fein und dünn, dass sie mit Kathetern aufgedehnt werden müssen, die teilweise nur 1,5 Millimeter Durchmesser haben. „Das erfordert sehr komplizierte und zeitaufwändige Eingriffe“, so Schindler.

Viele Angiologen seien in der Katheterbehandlung gar nicht geschult, und durch einen Mangel an Ausbildungsstätten in den Kliniken gebe es derzeit wenig Nachwuchs. Das führt dazu, dass in vielen Kliniken gar keine Gefäßdarstellung vor der Operation gemacht wird, Patientendaten der AOK zufolge wurden 2005 bis 2015 in weniger als 38 Prozent der Fälle Revaskularisationsmaßnahmen vor Amputationen der unteren Extremität vorgenommen.

Die Gefäße von Patienten mit Diabetischem Fußsyndrom sind oft so verkalkt, dass eine dauerhafte Verbesserung der Durchblutung in vielen Fällen gar nicht erreicht werden kann, erläutert Dr. Schindler. „Aber wenn wir es schaffen, die Gefäße zu weiten oder bis zur endgültigen Wundheilung offen zu halten, dann haben wir sehr viel gewonnen.“ Um dies zu erreichen, sind manchmal wiederholte Eingriffe erforderlich. Manche Patienten müssen auch immer wieder zur Behandlung kommen, um ihre Gefäße aufdehnen zu lassen, weil neue Wunden aufgetreten sind.  Dies ist beim Diabetischen Fußsyndrom nicht selten.

Für
Foto: Werner
Für einen Bericht in der Zeitschrift „Diabetes-Forum“ (Ausgabe 9/2020) hat Dr. Thomas Werner Kai Strecker in der Werkstatt besucht und ihn zur diabetesadaptierten Fußbettung interviewt.

Diabetologen haben wichtige Steuerungsfunktion

„Es ist ganz entscheidend, dass man als Diabetologe um die Möglichkeiten und Behandlungsmethoden der anderen Fachdisziplinen weiß“, ist Dr. Thomas Werner überzeugt. In die angiologischen Praxen kommen von allein wenige Diabetes-Patienten, eher sind es Menschen, die Schmerzen haben oder bei denen Körperteile abzusterben drohen, die dort hinkommen.

„Diabetespatienten mit schwer heilenden Wunden, die aufgrund ihrer Neuropathie keine Schmerzen empfinden, landen in der Regel beim Diabetologen, in unserem Netzwerk also bei mir“, sagt Dr. Werner, „und dann weiß ich, wo ich sie jeweils hinschicken kann und muss. Ob ich sie bei uns auf der Station behalte, zum Orthopädieschuhmacher schicke oder zu Herrn Prof. Braatz oder Herrn Dr. Stinus überweise. Oft sind die Kollegen bereits während des stationären Aufenthaltes eines Patienten direkt in die Behandlung einbezogen.“

Niedergelassenen Ärzten fehlen oft die Möglichkeiten, hochspezialisierte Kollegen zeitnah zu konsultieren. Und leider behandeln auch Notfallambulanzen in nicht auf Diabetes spezialisierten Krankenhäusern Patienten mit Diabetischem Fußsyndrom und akuten Wunden oft falsch, sind sich die Experten einig.

„Da kann es sein, dass ein Chirurg eine Zehenkuppe abtrennt, weil die Wunde nicht heilt, und dann verheilt das Ganze nicht, weil die Durchblutung des Fußes so schlecht ist“, berichtet Schindler. „Ich kann oft schon am Röntgenbild sehen, ob der Chirurg, bei dem ein neuer Patient vorher war, sich mit Diabetes auskennt oder nicht“, ergänzt  Dr. Werner. „Es gibt Operationsmethoden, die für Diabetespatienten nicht geeignet sind, bei der die Stümpfe wieder aufzugehen drohen und dann schlecht zu versorgen sind. Dabei ist schon bekannt und in der Literatur nachzulesen, welche Methoden für den Diabetischen Fuß gut geeignet sind.“

Dr. Werner und Dr. Hartmut Stinus sind große Verfechter des Entitätenkonzepts, die das Fußnetzwerk Köln um Dr. Gerald Engels und Dr. Dirk Hochlenert entwickelt und in einem Buch und Zeitschriftenartikeln publiziert hat. Die Idee dahinter ist, dass man aus der Lokalität des Ulkus, unterstützt durch klinische Tests, auf seine biomechanische Ursache schließen kann und dann bestimmte konservative und operative Methoden, abgestimmt auf das jeweilige Ulkus, zur Verfügung hat. „Es ist zum Beispiel großartig, wie viele Ulzera an den Zehen man durch minimalinvasive, ambulant durchführbare Eingriffe verhindern kann“, so Stinus. „Für viele Probleme am Diabetischen Fuß brauchen wir keine ,Brutalochirurgie‘, die den gesamten Fuß umstellt oder abnimmt“, ist er überzeugt.

Neben Dr. Stinus versorgen im MVZ Orthopaedicum Northeim die GFFC-zertifizierten Fußchirurgen Miriam Birth und Dr. Jochen Dörner ebenfalls Patienten mit Diabetischem Fußsyndrom. In der eigenen Tagesklinik lassen sich hier die minimalinvasiven fußchirurgischen Verfahren, wie die Durchtrennung der Streck- und/oder Beugesehnen (Release) der Zehen oder die distale minimalinvasive Metatarsale-Osteotomie (DMMO), die beim Diabetischen Fußsyndrom hervorragende Ergebisse zeigen, sehr gut durchführen.

„Die großen rekonstruktiven Eingriffe beim Charcotfuß und leider auch, wenn es unumgänglich ist, Amputationen müssen wir dann in der Klinik durchführen. Hier ist die gute Zusammenarbeit mit der Angiologie und Chefarzt Dr. Schindler äußerst wichtig“, so Dr. Stinus.

Vor allem für größere Eingriffe bieten Prof. Braatz und die Universitätsmedizin Göttingen dem Fußnetzwerk das richtige Umfeld. Charcotfüße, stark deformierte Füße und Füße, die bis hinein in die Knochen infiziert sind – solche schweren diabetischen Notfälle können hier sowohl antibiotisch als auch operativ angemessen behandelt werden. Ziel solcher stationärer Operationen ist nicht, dass die Wunde noch in der Klinik abheilt, erklärt Prof. Braatz. „Unser Ziel ist es, einen belastbaren Fuß, oder wenn es nicht anders geht, einen belastbaren Stumpf zu erreichen, der dann wieder ambulant versorgt werden kann.“  Manche Patienten können direkt wieder in ein ambulantes Setting mit Wundpflege, orthopädietechnischer und orthopädieschuhtechnischer Versorgung entlassen werden, andere Patienten, die länger in stationärer Beobachtung und Behandlung bleiben müssen, werden einige Wochen nach der Operation in das Diabeteszentrum Bad Lauterberg verlegt.

Fußsprechstunde
Foto: Strecker
Fußsprechstunde bei Prof. Frank Braatz (l.) an der Universitätsmedizin Göttingen: OSM Kai Strecker (r.) kommt oft dazu, so dass die Füße der Patienten gemeinsam begutachtet und die Hilfsmittelversorgungen besprochen werden können. Auch bei Dr. Werner in Bad Lauterberg und Dr. Stinus in Northeim ist er oft in Sprechstunden dabei.

Anforderungen an den Orthopädieschuhmacher 

„Die nachfolgende Wundbehandlung und die orthopädie(schuh)technische Versorgung sind genauso wichtig wie die Operation, um ein nachhaltiges Behandlungsergebnis zu erreichen“, sagt Prof. Frank Braatz. „Und da ist es ganz wichtig, dass wir mit Orthopädieschuhmachern zusammenarbeiten, die viel Erfahrung in der Diabetesversorgung haben und auch unsere Ansichten über eine gute Versorgung kennen. Wenn ein OSM nur ein oder zwei solche Füße im Jahr sieht, dann braucht es zu viele Erklärungen unsererseits, um das Hilfsmittel zu bekommen, das der Patient braucht.“

Und das muss immer schnell gehen, berichtet Kai Strecker, schließlich müssen die Hilfsmittel spätestens zum Entlasstermin des Patienten fertig sein. „Das kann man in einem ganz kleinen Betrieb in der Regel nicht abdecken.“ Er selbst investiert derzeit rund 50 Prozent seiner Zeit in die Diabetesversorgung und steht im O.R.T. Sanitätshaus immer als erster Ansprechpartner für die Ärzte bereit, hat aber auch fünf Meister in seinem zehnköpfigen OST-Team, die ihn in der Werkstatt unterstützen.

Auch viele Versorgungen der Technischen Orthopädie für die Patienten werden bei O.R.T. gemacht. Hier erweist es sich als günstig, dass beide Werkstätten im gleichen Raum sind. „Wir stehen auch mal zusammen an der Werkbank und beraten uns, zum Beispiel wenn es um individuelle Orthesen geht“, erklärt Strecker, „und wir fahren auch oft zusammen in die Kliniken“. Die Orthopädieschuhmacher hätten von den Kollegen aus der OT zum Beispiel viel über das Prepeg-Verfahren zur Fertigung leichterer Orthesen gelernt, während die Orthopädietechniker vom Formverständnis der OST profitieren.

Für seine Zusammenarbeit mit den Ärzten habe er viel in Fortbildungen der Gesellschaft für Fuß- und Sprunggelenkchirurgie (GFFC) gelernt, deren Präsident Dr. Hartmut Stinus ist, erzählt Kai Strecker. Dabei habe er nicht nur durch Vorträge Wissen erworben, sondern auch bei Operationen und Präparationskursen dabei sein dürfen. Und Dr. Stinus und Prof. Braatz seien durch die Erklärungen, die sie in der täglichen Arbeit geben, sehr gute Lehrmeister für ihn.

„Ich denke, man sollte sich als OSM mit den Operationsmethoden und den Fachbegriffen in der Orthopädie und Chirurgie auskennen, wenn man bei so schwierigen Versorgungen mitarbeiten und die Ärzte genau verstehen will“, rät er. Sich damit auseinanderzusetzen und im interdisziplinären Team mitzuarbeiten, sei unheimlich spannend und biete immer wieder neue Herausforderungen.

Diabetesversorgung gefährdet, mehr Diabeteszentren nötig 

Trotz der stark ansteigenden Zahlen von Diabeteserkrankungen in der Bevölkerung gibt es viel zu wenige Zentren, die wie das Diabeteszentrum Bad Lauterberg nicht nur die ambulante, sondern vor allem auch die stationäre Versorgung von Diabetespatienten in allen Aspekten – von der Stoffwechseleinstellung über Schulungen und Motivationstrainings bis hin zu Fußversorgung – abbilden.

„Stationäre Diabetologie wird im Vergleich zu anderen Fachdisziplinen sehr schlecht finanziert“, berichtet Dr. Thomas Werner, der auch Vorsitzender des BVKD, eines Verbandes von rund 120 Diabetes-Kliniken, ist. Doch auch an niedergelassenen Diabetologen mangele es immer mehr. Gründe seien die fehlenden stationären Möglichkeiten, sich fortzubilden, aber auch der Abbau von Lehrstühlen an den Hochschulen.

Meine Gesprächspartner geben zu bedenken, dass das DRG-System falsche Anreize für die stationäre Behandlung des Diabetischen Fußes setzt. Eine Amputation werde erheblich besser finanziert als die wochen- und monatelange Bemühung, einen Diabetischen Fuß zu retten.

„Dazu kommt, dass die Patienten nach einer Amputation relativ schnell in eine Reha entlassen werden können, während die langen Liegezeiten der nicht-amputierten Patienten nicht vergütet werden. „Das System setzt hier die falschen Anreize“, so Dr. Thomas Werner, „und alle wissen es.“ Der Rückgang in der Ausbildung von Angiologen und Diabetologen trage ebenfalls dazu bei, diese Entwicklung zu befördern.

Aus- und Fortbildung stärkt die Versorgung

Am Diabeteszentrum in Bad Lauterberg werden nach wie vor Diabetologen ausgebildet, die durch das Fußnetzwerk auch in der konservativen und operativen Behandlung des Diabetischen Fußes geschult werden. Diese Ärzte lassen sich danach meist in und außerhalb der Region in eigenen Praxen nieder und werden oft selbst wieder zu Zuweisern an das Fußnetzwerk, wenn Patienten eine stationäre Behandlung ihres Fußes oder eine grundlegende Verbesserung ihrer Stoffwechseleinstellung benötigen.

Außerdem wächst das Fußnetzwerk Niedersachsen durch Fortbildungen, die Dr. Werner, Prof. Braatz, Dr. Stinus und Dr. Schindler in ihren Kliniken für Haus- und Fachärzte, Orthopädieschuhmacher und Podologen zum Diabetischen Fußsyndrom durchführen. Fest geplant sind auch interdisziplinäre Schulungen in den Regionen, aus denen die Patienten kommen; durch die Corona-Pandemie werden sie in diesem Jahr jedoch nicht mehr stattfinden können. Interessenten können die Ärzte für eigene Veranstaltungen ansprechen.

Wichtig sind für die Protagonisten des Fußnetzwerks Niedersachsen die Vernetzung und Mitgliedschaft in Fachverbänden. Über die AG FUSS DDG ist Dr. Thomas Werner mit anderen zertifizierten Fußbehandlungseinrichtungen und den in der AG FUSS organisierten, interdisziplinär arbeitenden Leistungserbringern verbunden. Über die GFFC und die Initiative’93 Technische Orthopädie, der es um die Stärkung technisch-orthopädischen Wissens in der Orthopädie und Unfallchirurgie geht, wirken die Ärzte an Fortbildungen mit oder nehmen daran teil. Auch für weitere Orthopädieschuhmacher ist das Fußnetzwerk offen.

Viele Patienten, die stationär in Bad Lauterberg und Göttingen behandelt werden, kommen aus entfernten Regionen, beispielsweise Thüringen, Sachsen, Nord- und Süddeutschland. Hier nimmt Dr. Werner Kontakt zu den Diabetologen vor Ort auf, um die konservative Nachbehandlung der Patienten nach dem stationären Aufenthalt sicherzustellen. Zusammen mit OSM Kai Strecker führt er auch „Schuhsprechstunden“ durch, in denen die Schuhversorgungen der Patienten begutachtet und gegebenenfalls Hinweise für die Verbesserung der Hilfsmittel an den Leistungserbringer vor Ort gegeben werden.

Die Behandlung des Diabetischen Fußsyndroms kann nur interdisziplinär und mit spezialisierten Partnern gelingen, sind sich Prof. Braatz, Dr. Werner, Dr. Schindler, Dr. Stinus und Kai Strecker einig. „Und je mehr Fußnetzwerke entstehen oder sich ausbreiten, desto besser werden die Behandlungsergebnisse für die Patienten sein – und desto weniger Füße werden amputiert werden müssen.“

Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
Schuhsohle
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