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8. Februar 2017
Redaktion

Der höfische Schuh in Barock und Rokoko

Das Museum Kornwestheim zeigt Schmuckstücke aus der Sammlung des Schuhmuseums Weißenfels Von Nike Breyer


Ein jeder trachtet nach Freiheit – und raubt sie sich selber. Unser Herrgott hat den Fuß frei erschaffen – doch viele vermögen wegen der außerordentlich langen Fußspitzen nicht zu gehen“, läs­terte ein zeitgenössischer Kritiker über die spätmittelalterlichen Schnabelschuhe des 15. Jahrhunderts –

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Foto: Breyer

wie uns Gundula Wolter in ihrer amüsanten Studie über die mittelalterliche Modekritik von 1150 bis 1620 wissen lässt. Doch als die langen „Snebel“ an der Schuhspitze schon wenige Jahrzehnte später als unattraktiv empfunden wurden und eckigen, geräumigen Schuhformen Platz machten, kamen ihre  Träger darum keineswegs „zur Vernunft“. Vielmehr bahnte sich der nächste modische Exzess an, und Kleiderordnungen sahen sich genötigt, nunmehr einer übertriebenen Breite der neuen Schuhe Grenzen zu setzen. Diese erstmals genuin bürgerliche Mode der „Kuhmaulschuhe“ stellte die Kaufleute, Handwerker und Gewerbetreibenden auf ein solides Fundament – die neuen Schuhe waren doppelsohlig und rahmengenäht gearbeitet – und brachte zugleich ihr neues Selbstbewusstsein zum Ausdruck. Doch diese Mode konnte ihren ­Charme nicht allzu lange behaupten.

Stöckelschuhe als Skulptur

Schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts machten sich erneut adelige Ordnungs- und Führungsansprüche geltend, und unter dem Einfluss des spanischen Hofes wurde auch die Kleidung wieder zeremonieller und eleganter, die Schuhe wieder schlanker und „vornehmer“. Den markantesten Wandel brachte schließlich die Jahrhundertwende, als um 1600 der Absatz, zunächst ein rein adeliges Statussymbol, Einzug in die Schuhmode hielt. Dieser kleine Fersenhöcker, dessen Entstehung heute auf den Einfluss türkischer Reiterstiefel und experimenteller Flicktechniken örtlicher Schuster zurückgeführt wird, veränderte nicht nur die Statik des Fußes, sondern auch die Körperhaltung und den Habitus. Über 200 Jahre hinweg formte der Absatz eine einzigartig extravagante Fußbekleidung, die im 18. Jahrhundert zum Sinnbild für eine kaum mehr zu überbietende Verfeinerung des Lebens wurde. Ein letztes Mal wurde hier die Anatomie des Körpers ohne Bedenken und Rücksicht auf Verluste zur eleganten Skulptur geformt. Diese sollte nicht als Körper „funktionieren“, sondern sie diente im Zeremoniell des Fürstenhofs der perfekten Repräsentation.

Städtepartnerschaft Kornwestheim und Weißenfels

Auf eine Ausstellung, die diese Schuh­skulpturen des 17. und 18. Jahrhunderts in den Mittelpunkt rückt, musste man erstaunlicherweise lange warten. Denn zum einen werden hier luxuriöse Materialien verarbeitet und zur Schau gestellt, die alle Aufmerksamkeit wert sind. Zum anderen verlangte die damals neue ­Architektonik der Stöckelschuhe den Schuhmachern handwerkliche Lösungen ab, die zu hochinteressanten Bodenbauexperimenten führte, die in der Schuhmode bis heute ihre Spuren hinterlassen haben. Das wollten auch die Verantwortlichen der Museen in den Partnerschuhstädten Kornwestheim und Weißenfels ermöglichen. Mit der Ausstellung „Noblesse & Raffinement. Der höfische Schuh im Barock und Rokoko“ haben sie eine einmalige Präsentation von Schuhen dieser Zeit „auf die Füße gestellt“.{pborder}

Tanzszene von Kupferstecher Chodowiecki

Dr. Irmgard Sedler brachte ihre umfangreiche Expertise als Textil-, Kostüm- und Kulturhistorikerin in die Kooperation ein und nutzte die attraktiven Räumlichkeiten der von ihr geleiteten Museumsgalerie in Kornwestheim. Das Museum im Kleihues Bau zieht mit seinem geostrategisch günstigen Standort traditionell ein weit über die Region hinausreichendes Besucherpublikum an. Angela Sengewald als Sammlungsleiterin des Schuhmuseums Weißenfels konnte auf reiche Archivbestände zurückgreifen und stellte mit knapp 50 Modellen aus dem 17. und 18. Jahrhundert die Exponate für die Ausstellung zu Verfügung. Wenige ausgesuchte bildliche Darstellungen ergänzen nun die Präsentation. So zeigt ein Porträt von Johann Martin Stock aus dem Jahr 1799 eine „Patrizierin mit Kind“, die mit zeitgemäß hellgrau gepuderter Frisur und einem schimmernden Kleid aus blauem Seidentaft kaum von einer Adeligen der Zeit zu unterscheiden ist (das Bild ist eine Leihgabe des Siebenbürgischen Museums Gundelsheim). Eine mit großer Wahrscheinlichkeit höfische Tanzszene hat dagegen der renommierte Kupfer­stecher Daniel Chodowiecki für die Nachwelt festgehalten. Die mit „La Danse“ überschriebene Szene zeigt die hochstilisierte Tanzkultur des Rokoko und illus­triert handschriftliche lateinische Aufzeichnungen in einem schmalen Band, der aus dem Schuhmuseum Nordwürttemberg in Kornwestheim entliehen und in der Ausstellung unter einer Glasscheibe zu bewundern ist.

Zeitloser Sex-Appeal

Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt erkennbar auf der enormen Vielfalt der kostbaren Materialien. Daneben lassen die wechselnden Silhouetten und Proportionen raffinierte Schuhmachertechniken erkennen, die vom Rahmennähen mit Umbug-Paspel-Rahmen bis zu kombinierten Verfahren aus Rahmen- und Wendetechnik reichen. Die frühesten Modelle stammen aus dem späten 17. Jahrhundert. Dabei zeigen die Männerschuhe dieser Zeit kompakte, hochgeschlossene Schäfte, deren Quartiere mit einer Schleife oder Schnalle verschlossen werden. Eckige Schuhspitzen und ein stabiler, gerader Blockabsatz lassen noch Einflüsse aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges erkennen. Die ältesten Damenschuhe der gleichen Zeit zeigen lange, schnabelförmige Schuhspitzen und einen spindelförmigen Stöckelabsatz, der aus runden, übereinander gelegten Lederscheiben aufgebaut ist. Die aberwitzigs­ten Absatzkonstruktionen stammen aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, sie ignorierten offenkundig noch entschlossen die Gesetze der Statik und verlangten den Schuhträgerinnen und -trägern akrobatische Fähigkeiten ab. Im Rokoko verlieren die Schuhe dann an Höhe. Damenschuhe wurden durch einen stark verkürzten Vorfuß noch zierlicher und sollten die Illusion eines begehrten, „niedlichen“ Füßchens erzeugen, was beispielsweise Gemälde von Watteau vielfältig in Szene setzten. Jetzt ist auch die große Zeit des Damenpantoffels gekommen. Sein Sex-Appeal ist fast zeitlos und inspiriert bis heute die Schuhkultur. Der zeitliche Überblick klingt aus mit schlicht dekorierten, flachen Slippermodellen, die schon den Übergang ins postfeudale 19. Jahrhundert anmoderieren und ansatzweise Aspekte wie „Tragbarkeit“ erkennen lassen.

Die Ausstellung ist eine wahre Fundgrube für alle, die sich für Mode, Design und Schuhe interessieren und sie lässt auf weitere Erforschung und Thematisierung dieser weithin noch unausgeloteten schuhgeschichtlichen Epoche hoffen.

Ausstellungsinformationen:

„Noblesse & Raffinement. Der höfische Schuh im Barock und Rokoko“

Ausstellung noch bis 8. März 2017

Museen der Stadt Kornwestheim/ Museum im Kleihues Bau

Stuttgarter Straße 93

70806 Kornwestheim

Telefon: 07154/2027401

Öffnungszeiten: Freitag bis Sonntag,

11 bis 18 Uhr

Anschrift der Verfasserin:

Nike Breyer

Leopold-Lucas-Straße 73

35037 Marburg

Ausgabe 02/2017

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Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
Schuhsohle
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