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31. Oktober 2022
Redaktion

Aus der Schuh-Perspektive

CHRISTINA BAUMGARTNER


Wie verändert sich ein Schuh durch seinen Träger? Was „erlebt“ er an dessen Füßen und wie ist es eigentlich, wenn man die Welt einmal aus der Perspektive eines Schuhes betrachtet? Der Schweizer Christian Härdi und neun weitere Autoren – darunter viele Orthopädieschuhmacher – haben genau das getan. Entstanden sind 22 Schuhgeschichten, die den Leser zum Schmunzeln bringen, verblüffen, aber auch zum Nachdenken anregen.

Foto: Stefan Teufer

Da ist der stolze, einst in Texas produzierte Cowboystiefel, um den es nach einem aufregenden Leben auf den „Bühnenbrettern der Provinz“ ruhig geworden ist; der Schlittschuh, dessen Trägerin die olympischen Träume ihrer ehrgeizigen Mutter erfüllen soll, der elegante Businessschuh eines CEOs und früheren Investmentbankers, der Bergschuh, der in seinen alpinen Erinnerungen schwelgt, der polarblaue Hochzeitsschuh. Sie alle sind Protagonisten in 22 Schuhgeschichten, die über vier Jahre hinweg im Magazin des Schweizer Verbandes „Fuss und Schuh“ veröffentlicht wurden und nun in einem Band erhältlich sind.

„Dann denkt man automatisch durch den Schuh“

„Wenn wir getragene Schuhe bei uns in der Werkstatt haben, überlege ich immer, wer hat diesen Schuh getragen, wie ist die Verbindung des Schuhes zum Menschen?“, sagt Christian Härdi. Er ist Geschäftsführer der Härdi Orthotech AG in Schöftland in der Schweiz und einer der Autoren der 22 Schuhgeschichten. „Wir bieten auch Schuhreparaturen an und natürlich reparieren wir alle Maßschuhe, die wir selbst hergestellt haben. Wenn man mit Schuhen arbeitet, viel Leidenschaft, Zeit und Mühe hineinsteckt und den Schuh zur Reparatur zurückbekommt – Falten, Eigenheiten, Abdrücke entdeckt – dann macht man sich schon Vorstellungen vom Träger. Dann denkt man automatisch durch den Schuh“, erläutert Härdi und gibt zu bedenken: „Ein Schuh formt sich an, wird zu einem sehr persönlichen Gegenstand und spiegelt den Menschen, der ihn trägt, sehr gut“. Dadurch sei er auf die Idee gekommen, aus der Perspektive getragener Schuhe zu schreiben.

Ein gemeinsames Projekt

Einmal damit begonnen, entstand daraus recht schnell ein Kollektivprojekt. „Nach und nach kamen auch immer mehr Geschichten von anderen Autoren hinzu“, erzählt Härdi. Teils seien diese von selbst auf ihn zugekommen, teils habe er auch gezielt nachgefragt. Die meisten der insgesamt zehn Autoren sind Orthopädieschuhmacher, eine Geschichte wurde sogar von einem Kunden geschrieben. „Das Verbandsmagazin lag bei uns im Wartebereich aus und er hat mir dann im Nachhinein einen selbstgeschriebenen Text mit dem Titel Tricouni zugeschickt, den wir auch abgedruckt haben“, so Härdi. Auch Romeo Musio, Geschäftsleiter des Schweizer Verbandes, hat mehrere Geschichten verfasst. „Ich habe mich sehr gefreut, dass das Projekt eine solche Eigendynamik angenommen hat“, sagt Christian Härdi. Ein paar Grundregeln gab es natürlich, erklärt der Orthopädieschuhmacher-Meister. Sie lauteten: Idealerweise schreibt ein Schuhmacher – aus der Schuh-Perspektive – und möglichst sollte auch etwas Fachwissen einfließen.

Posieren auf dem Gletscher: Für das Bild aus der Schuhgeschichte „Polarblau“. Foto: Stefan Teufer

Fotografieren auf dem Gletscher

War ein Text fertig, kam Härdis Mitarbeiter, Schuhmachermeister Stefan Teufer, ins Spiel. Seine Aufgabe: Die Suche nach dem passenden Fotomotiv. „Er hat den Text gelesen, sich inspirieren lassen und dann ging er auf die Suche nach dem passenden Schuh“, erklärt Härdi. Denn die Fotomotive für die fiktiven Geschichten mussten erst gefunden werden. Und das war gar nicht immer einfach, zumal es sich größtenteils um getragene ­Exemplare handelte. Für die Cowboystiefel aus Christian Härdis erster Geschichte „Go, Johnny, go!“ fuhr Stefan Teufer beispielsweise zu einem Westernshop ins Berner Oberland, wo er die Schuhe abholte und sie anschließend in einer Bar in Szene setzte und fotografierte. „Besonders aufwendig war es, das Foto für Polarblau zu schießen“, erinnert sich Härdi. Für das Bild habe der Fotograf die Braut im Brautkleid mit in die eiskalte Gletschergrotte auf den Berg Titlis genommen. Bei späteren Geschichten hätten die Autoren dann mehr „Rücksicht“ auf den Fotografen genommen, erzählt Härdi. Dann wurde über Modelle geschrieben, die einfacher zu organisieren waren.

Eine der Schuhgeschichten, die über vier Jahre hinweg im Magazin des Schweizer Verbandes „Fuss und Schuh“ veröffentlicht und jetzt in einem Band zusammengefasst wurden.

Orthopädieschuhmacher-Meister Christian Härdi hatte die Idee, Geschichten aus der Schuh-Perspektive zu schreiben. Nach und nach kamen immer mehr Texte von anderen Autoren hinzu. Foto: Sue BärGeschrieben von Handwerkern

Für Christian Härdi war das Ganze auch ein Herzensprojekt: „Das Besondere an diesen Texten ist doch: Fast alle wurden von Handwerkern aus deren Erfahrungsschatz geschrieben.“ Die meisten hätten einen aktuellen Hintergrund – zum Beispiel die Corona-Krise – oder einen saisonalen Bezug. „Wir haben auch immer versucht, Geschichten, die wir im Winter oder Sommer veröffentlicht haben, jeweils mit zur Saison passenden Schuhen zu verknüpfen“, sagt Härdi.
Er betont, dass die Schuhgeschichten ein interessantes Kundengeschenk seien – da der Umschlag anpassbar ist, kann auf Wunsch für jeden Betrieb eine individualisierte Version erstellt werden. Christian Härdis Kunden jedenfalls können sich schon zu Weihnachten über Erzählungen aus der Schuh-Perspektive freuen: Dann nämlich wird er die Schuhgeschichten in seinem Betrieb verschenken.

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Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
Schuhsohle
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