Folgen Sie uns
4. September 2024
Redaktion
Gefäßmedizin bei Älteren

Vor Eingriffen auf Gebrechlichkeit der Patienten achten

Gefäßchirurgen stehen häufig vor der Entscheidung, wie sie bei betagten Menschen Durchblutungsstörungen in den Beinen behandeln sollen. Wichtig ist, vor einem operativen Eingriff den Grad der Gebrechlichkeit (Frailty) zu vermitteln, erklärt ein Experte der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin e. V. (DGG).
Gebrechlicher
Foto: Imagepocket/AdobeStock

Durchblutungsstörungen in den Beinen, die aus verkalkten Arterien resultieren, treten im Alter sehr viel häufiger auf. Schon heute leiden mehr als 20 Prozent der über 80-Jährigen an der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit („pAVK“), umgangssprachlich auch Schaufensterkrankheit genannt.

„Wir sehen eine stetig wachsende Zahl an Betroffenen in dieser Altersgruppe“, berichtet Dr. med. Hartmut Görtz, Vorstandsmitglied der DGG. Treten nächtliche Ruheschmerzen, offene Stellen und Wunden auf, kann interventioneller oder operativer Handlungsbedarf bestehen. Doch wie soll man bei dieser Hochrisikogruppe vorgehen, wie findet man die richtige, angemessene Therapie?

Neue Erkenntnisse in der Gefäßchirurgie

„Hier findet derzeit ein Umdenken in der Gefäßmedizin statt“, so Görtz. Der Grund: Studien belegen einstimmig, dass Gebrechlichkeit – das sogenannte Frailty-Syndrom – die Lebenserwartung nach Gefäßeingriffen oder Amputationen signifikant verringert, Sterbe- und Komplikationsraten stark erhöht.

Häufig verschlechtern sich bei Gebrechlichen auch die Aktivitäten des täglichen Lebens („Activities of daily living“, ADLs) durch die Eingriffe. „Sie können danach beispielweise nicht mehr selbstständig trinken oder essen, den Harn kontrollieren, die Toilette benutzen, duschen oder Treppen bewältigen“, führt der DGG-Experte aus. „Dabei spielt die Art des Eingriffs keine Rolle, es macht keinen Unterschied, ob er minimalinvasiv oder offen operativ erfolgt.“

Frailty umfasst Zustände wie Muskelschwund, Mobilitätseinschränkungen, Sturzneigung, Schwindel und kognitive Defizite, des weiteren Mangelernährung, Polypharmazie, Tagesmüdigkeit und Depression.

Therapieziel: Schmerzen lindern, Lebensqualität erhalten

In der Konsequenz bewerten Gefäßchirurgen die Therapieziele bei Hochbetagten neu. „Ziel muss sein, Beschwerden zu lindern, ohne ein unangemessen hohes Risiko einzugehen, dass sich die ADLs verschlechtern“, betont Görtz. „Die Lebensqualität, der Grad der Selbstständigkeit der Älteren, ihr Aktivitätsniveau im Alltag sollen erhalten bleiben.“

Das kann konkret bedeuten, nur eine kleine Gefäßstrecke wieder durchgängig zu machen, um Schmerzen zu lindern, oder rein medikamentös zu behandeln. „Wir müssen uns fragen: Muss ich operieren – und wenn ja: wie ausgedehnt? Nicht alles, was technisch machbar ist, ist in dieser Altersgruppe sinnvoll“, bilanziert Görtz. Die Neubewertung ist auch in die aktualisierten Leitlinien zur Behandlung der pAVK eingeflossen.

Gebrechlichkeit screenen und vorbehandeln

Entscheidend sei, vor jedem Eingriff den Frailty-Grad durch ein geriatrisches Screening zu ermitteln und die Gebrechlichkeit nach Möglichkeit vorab zu behandeln. „Für eine erste Einschätzung gibt es einfache Fragebögen und Tests, die nur wenige Minuten in Anspruch nehmen“, so Görtz.

 

„Gegebenenfalls kann geriatrische Fachkompetenz hinzugezogen werden, zum Beispiel bei Internisten mit entsprechender Zusatzbezeichnung.“ Liegt ein hoher Gebrechlichkeitsgrad vor, sollte bei planbaren Eingriffen die Wartezeit bis zum Eingriff genutzt werden, um den Zustand durch eine sogenannte Prähabilitation zu verbessern – etwa durch körperliches Training, Ernährungsoptimierung und psychologische Unterstützung. „Auch eine Anpassung der Medikamente und eine Delirprophylaxe sind sinnvoll“, ergänzt der DGG-Experte.

Prähabilitation funktioniert auch zu Hause

Sofern keine Klinik mit Prähabilitationsangebot verfügbar ist, könne auch ein Trainingsprogramm etwa mit gefüllten Wasserflaschen als Hanteln oder eine ärztlich geprüfte Prehab-App (DiGA) zu Hause auf den Eingriff vorbereiten. „Ein Mangel an Muskulatur lässt das Risiko für Komplikationen enorm ansteigen“, betont Görtz. „Je mehr die Muskeln vor dem Eingriff trainiert werden, umso besser.“

Gute Organisationsstrukturen gebe es für die Nachsorge, die geriatrische Frührehabilitation nach der Operation. „Sie ist stationär oder auch in Tageskliniken möglich, wobei die Patientinnen und Patienten von zu Hause abgeholt werden“, so Görtz. Die geriatrische Frührehabilitation senke nach Eingriffen die Sterblichkeitsrate, bessere den Allgemeinzustand und reduziere Pflegeheim-Einweisungen.

Zusammenarbeit mit Geriatrie rettet Leben

„Wir benötigen für diese Altersgruppe dringend die Zusammenarbeit mit der Geriatrie“, resümiert Gefäßchirurg Görtz. Als Vorbild diene die Alterstraumatologie: Wenn Unfallchirurgie und Geriatrie hochaltrige Patienten mit Knochenbrüchen von Beginn an gemeinsam behandeln, könne die Sterblichkeit um etwa 25 Prozent gesenkt werden und die Selbstständigkeit sowie Lebensqualität bestmöglich erhalten bleiben oder gar verbessert werden. „Das ist das Ziel auch in der Gefäßchirurgie“, so Görtz.

Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
Schuhsohle
Zurück
Speichern
Nach oben