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30. Januar 2023
Redaktion
Gefahrstoffe

(Keine) Angst vor Isocyanaten?

Produkte mit Diisocyanaten dürfen ab dem 24. August 2023 nur noch nach Abschluss einer zertifizierten Schulung verwendet werden. Was müssen Orthopädieschuhmacher jetzt tun?
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Foto: Canaan/Adobe Stock

Der Umgang mit Gefahrstoffen zählt zweifellos zu den täglichen Aufgaben in OST- und OT-Werkstätten. Die damit – wie schon der Name sagt – verbundenen Gefahren im Arbeitsalltag zu minimieren oder ganz zu vermeiden, ist teilweise eine Frage der richtigen Werkstattausstattung (Lagerschränke, Absaugung, etc.), aber auch der fundierten Ausbildung in der sicheren Verwendung dieser Stoffe. Dies ist nun an sich nichts Neues – allerdings kommt nun aus Brüssel ein sehr spezifischer Eingriff in die Verwendung einer bestimmten Stoffklasse hinzu: Im Rahmen der REACH-Verordnung wird die Verwendung von Diisocyanaten eingeschränkt. Auf den entsprechenden Produkten ist schon seit Anfang 2022 folgender Hinweis zu finden: „Enthält Diisocyanate – darf ab dem 24.08.2023 nur noch mit zertifizierter Schulung verwendet werden.“ Was bedeutet das nun konkret für die OST und OT?

 

Welche Produkte sind betroffen?

Die Beschränkung zielt nicht auf Diisocyanate allgemein, sondern auf die Monomere. Diese sind besonders reaktiv und damit auch tendenziell gefährlicher als bereits polymerisierte Bestandteile der eingesetzten Produkte. Gemische mit einem Monomeranteil unter 0,1% sind nicht betroffen und müssen auch nicht entsprechend gekennzeichnet werden.

Im Bereich der Vernetzer für Klebstoffe gibt es bereits einige monomerarme Alternativprodukte, die somit nicht unter die Regulierung fallen. Allerdings enthalten die aktuell für die Vernetzung von Lösemittelklebstoffen erhältlichen Produkte noch so viel Monomer, dass sie der Beschränkung unterliegen. Hier geht die Entwicklung aber weiter: Wenn Rohstoffe mit gleich guten Eigenschaften verfügbar sind, steht einer Umstellung nichts im Wege, was die Hersteller dann auch entsprechend kommunizieren würden.

PUR-Verfestiger (Primer) enthalten ebenfalls Diisocyanate, allerdings liegt die Monomerkonzentration dort heute schon unter 0,1%. Etwas anders sieht es bei der Isocyanat-Komponente von Weich- und Hartschäumen (Leistenschäume) aus – hier ist eine hohe Reaktivität und damit schnelle Vernetzung gefragt, was einen hohen Monomeranteil bedingt. Es dürfte schwierig sein, dies anders zu lösen. 2K-PU-Klebstoffe (Kartuschenkleber) enthalten ebenfalls Diisocyanate mit hohem Monomeranteil – auch hier hängt die Verarbeitungszeit von der Reaktivität ab, wodurch eine Reduktion der Monomere schwierig sein dürfte.

Was ist nun erforderlich?

Mit einer entsprechenden Schulung der Mitarbeiter können auch Produkte mit hohem Monomeranteil problemlos weiterhin eingesetzt werden. Hierfür ist der jeweilige Arbeitgeber verantwortlich – dieser muss ab August 2023 auf Verlangen einer zuständigen Behörde nachweisen, dass seine Mitarbeiter ordnungsgemäß geschult sind. Der Arbeitgeber muss die Schulung dokumentieren, und ungeschulte Mitarbeiter dürfen mit den betroffenen Produkten nicht mehr arbeiten. Der Lieferant hat die Verpflichtung, auf den Schulungsbedarf hinzuweisen, muss aber nicht überprüfen, ob der Verarbeiter dem auch folgt.

Wer muss geschult werden?

Nach Auskunft der Verbände der Isocyanathersteller (ISOPA/ALIPA) müssen nur die Mitarbeiter geschult werden, die direkt mit Diisocyanaten umgehen, d. h. die sie tatsächlich verarbeiten (Vernetzer in Klebstoff einmischen und das Gemisch auftragen, Formen ausschäumen, etc.). Wer mit den Produkten nicht selbst in Berührung kommt, braucht nicht geschult zu werden – also z. B. der Lagermitarbeiter beim Großhändler oder der Lkw-Fahrer der Spedition, der die Ware zum Kunden transportiert. Allerdings ist es sicherlich empfehlenswert, dass auch Vorgesetzte und Inhaber, die nicht mehr selbst in der Werkstatt stehen, zumindest eine Grundlagenschulung mitmachen – eine Vertiefung der Kenntnisse auf diesem Gebiet ist bestimmt nicht von Nachteil, gerade wenn es um die Notwendigkeit technischer oder organisatorischer Schutzmaßnahmen geht.

Wie kann die Schulung erfolgen?

Hierzu ist glücklicherweise im Laufe der letzten Jahre eine Branchenlösung erarbeitet worden: ISOPA und ALIPA haben unter www.safeusediisocyanates.eu eine Schulungsplattform zum „Selbstlernen“ eingerichtet, die die Möglichkeit bietet, die erforderlichen Schulungen zu sehr geringen Kosten und mit vertretbarem Zeitaufwand durchzuführen. Es werden verschiedene Module angeboten, die sich an die vielen möglichen Anwender dieser Produkte richten. Pro Modul und Teilnehmer wird ein Kostenbeitrag von 5 Euro erhoben. Die Module werden jeweils mit einem Test abgeschlossen. Das dann ausgestellte Zertifikat ist fünf Jahre gültig, und der Teilnehmer erfüllt damit die durch REACH geforderten Voraussetzungen. Das Training kann auch in Gruppen absolviert werden, allerdings muss jeder Teilnehmer angemeldet werden und auch jeder den abschließenden Test bestehen. Es ist auch möglich, für Schulungen Dritter eine Trainingslizenz zu erhalten – es gibt aktuell schon Dienstleister, die solche Schulungen anbieten.

Welche Module sind notwendig?

Das Portal enthält eine Suchfunktion, um die jeweils notwendigen Module für die fragliche Anwendung zu ermitteln. Für einen OST/OT-Betrieb geht es in den oben beschriebenen Anwendungen um die Herstellung von Gemischen, Reinigung von Arbeitsgeräten und Umgang mit Abfällen. Dazu wählt man auf dem Schulungsportal die Option „Selbstlernen“ aus. Nun bucht man ein „Web Based Training“ und selektiert unter den Anwendungsbereichen die Option „Herstellung von Gemischen, die Diisocyanat enthalten“, dann erscheint „Handhabung offener Gemische, Reinigung und Abfall (015)“ als Option. Diese Schulung enthält auch die Grundlagenschulung und dauert etwa 90 Minuten. Das Modul schließt mit einem Test ab, im Anschluss erhält man ein Zertifikat zum Download und/oder Ausdruck.

Fazit

Ob diese EU-Regulierung nun notwendig sein mag oder nicht, ist eine andere Frage – immerhin lassen sich die Anforderungen mit vertretbarem Aufwand erfüllen. Die E-Learning-Variante ist eine kostengünstige, aber absolut ausreichende Möglichkeit dazu. Natürlich ist es ebenso möglich, die erforderliche Mitarbeiterschulung einem dafür zertifizierten Dienstleister zu übertragen, das bleibt jedem Betrieb selbst überlassen. Aber es ist in jedem Fall empfehlenswert, das Thema rechtzeitig anzugehen – am 24.08.2023 endet die Frist dazu, und ab dann sind Kontrollen jederzeit möglich.

RAINER BUCHHOLZ | TOM MEWES

Anschriften der Verfasser:
Dr. Rainer M. Buchholz
RENIA-Gesellschaft mbH
Ostmerheimer Str. 516
51109 Köln

Tom Mewes
BEIL Kunststoffproduktions- und Handelsgesellschaft mbH
Lehmkuhlenweg 25
31224 Peine

 

 

Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
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