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25. Februar 2022
Redaktion

Digitaler Prozess und analoge Produktion kombiniert

WOLFGANG BEST

 

Wer über digitale Produktion spricht, meint meist das Fräsen oder Drucken von Hilfsmitteln auf der Basis von CAD-Daten. Die Mander-Malms GmbH fügt der Digitalisierung eine neue Variante hinzu: Ein komplett digitalisierter Gestaltungs- und Bestellprozess wird mit einer Herstellung kombiniert, bei der handwerkliche und industrielle Verfahren verknüpft werden.

 

Foto: Mander Malms

Wir wollten vor allem kleineren und mittleren Betrieben ein Angebot machen, mit dem sie einfach und schnell individuelle Einlagen fertigen können“, beschreibt Christina Mander die Leitlinie für die Weiterentwicklung der Einlagenfertigung der Mander-Malms GmbH in Gudensberg-Obervorschütz in der Nähe von Kassel. „Viele Betriebe haben Probleme, qualifizierte Mitarbeiter für die Werkstatt zu finden, welche die Versorgungen handwerklich individuell und hochwertig umsetzen können.“ Oft sei der Meister noch stark in die immer umfangreicher werdende Verwaltung und in die Arbeit in der Werkstatt eingebunden, statt sich intensiv den Problemen seiner Patienten widmen zu können. Doch genau hier, in der individuellen Versorgung, sieht die Orthopädieschuhmacher-Meisterin die Zukunftschancen für ihr Handwerk.

 
Geprägt wurde sie hier sicher von ihrem Vater ­Willi Mander, der seit vielen Jahren nicht müde wird, auf die Bedeutung einer guten Anamnese und einer umfassenden Fußuntersuchung hinzuweisen: „Wir müssen den Fuß in die Hand nehmen und ihn untersuchen, damit wir wissen, wie wir dem Patienten am besten helfen können“. In der Orthopädieschuhtechnik Mander wird dies seit Jahrzehnten mit Erfolg gelebt. Und dieses Prinzip liegt auch der Einlagenfertigung zugrunde, welche die Mander-Malms GmbH im vergangenen Jahr nochmals wesentlich weiterentwickelt und in die digitale Welt übertragen hat.
 

Die Einlagen können direkt am Rechner ohne Computerkenntnisse, getrennt nach rechts und links, online konfiguriert werden. Foto: Mander MalmsDigital konfigurieren ohne Computerkenntnisse

Mit einem eigens entwickelten Konfigurator können nun entweder Einlagen für Sicherheitsschuhe (MANDERWORK) oder Einlagen für Konfektionsschuhe (MANDERDAILY) direkt am Bildschirm gestaltet werden. Dabei ist das System so ausgelegt, dass die Einlage Schritt für Schritt aufgebaut wird und der Kunde immer sofort sieht, wie sich seine Auswahl auf die Einlage auswirkt. Computer- oder CAD-Kenntnisse sind hierfür nicht erforderlich. „Wir wollten den Bestellprozess für die Kunden möglichst einfach und intuitiv gestalten“, erklärt Clara Erner, zuständig für die technische Seite der Herstellung und gemeinsam mit Christina Mander und Alexander Helwig Geschäftsführerin der Mander-Malms GmbH.
 
Alles, was man wissen muss, ist, wie die Einlage später aussehen soll. Auf der Basis der ärztlichen Diagnose und der Fußuntersuchung wählt der Kunde zunächst den passenden Leisten aus, über den die Einlage gearbeitet werden soll. Hier stehen Leisten für verschiedene Ausprägungen des Knick-Senkfußes, für den Hohlfuß oder den varisierten Fuß zur Auswahl.
 
Anschließend wird die Einlage Schritt für Schritt individualisiert. Ob mit Pelotte, ohne Pelotte oder Stufenentlastung, mit Tieferlegung einzelner oder mehrerer Mittelfußköpfchen, Polsterungen in den unterschiedlichen Fußregionen oder Versteifungen: Nach jedem Schritt zeigt der Konfigurator sofort, wie die spätere Einlage aussehen wird. Somit hat der Handwerker immer die Kontrolle über das Produkt, bis er zum Schluss den Bezug für die Einlage auswählt.
 
{pborder}Die Einlagen können dabei links und rechts völlig unterschiedlich gestaltet werden. Und natürlich kann man auch die Einlagen ohne Bezug bestellen, so dass individuelle Nacharbeiten nach der Passformprobe ausgeführt werden können. Zum Abschluss der Bestellung kann der Kunde noch im Hinweisfeld seine Kommission oder interne Bemerkungen eintragen, um die Zuordnung nach Lieferung im eigenen Unternehmen zu vereinfachen.
 
Ist die Einlage fertig konfiguriert, landet sie als digitale Bestellung direkt im Produktionszentrum in Obervorschütz, wo sie zentral abgespeichert und mit allen nötigen Informationen für die Mitarbeiter in der Produktion versehen wird. Die Mitarbeiter erhalten über einen Papierausdruck alle Informationen zur Leistenform, Schuhgröße und den Einbauteilen. Damit können sie alle Einzelteile für die Produktion kommissionieren, so wie es in vielen Orthopädieschuhtechnik-Werkstätten praktiziert wird.
 
OSM Willi Mander schuf die Basis für die handwerklich-industrielle Einlagenproduktion, die von Alexander Helwig, Christina Mander und Clara Erner (v.l.) in die digitale Welt übertragen wurde. Foto: Mander Malms
 

Handwerk und industrielle Herstellung verbunden

Die Herstellung selbst weicht allerdings von den klassischen Handwerkstechniken ab. Hier wird Technologie eingesetzt, wie man sie eher aus der Schuhindustrie kennt. Wo die Industrie an großen Drehtellern an den einzelnen Stationen ihre eingeleisteten Schuhe einspannt, um die Laufsohlen anzugießen, wird bei Mander-Malms der Einlagenleisten eingespannt.
 
Entwickelt wurde die Nutzung dieser Technik schon vor etwa 10 Jahren, als Willi Mander mit seinem Betrieb vor dem eingangs geschilderten Dilemma stand: Es wurde immer schwerer, den Aufwand für die individuelle Produktion in der Werkstatt umzusetzen.
 
Zwar gehörte Mander vor fast 30 Jahren zu den ersten, die eine Einlagenfräse einsetzten. Doch richtig warm wurde er mit dieser Herstellungstechnik nie. Was ihm beim Fräsen fehlte, war die Möglichkeit, mit unterschiedlichen Materialkombinationen, von der Versteifung bis zur Weichpolsterung, ganz individuell auf die Bedürfnisse der Patienten eingehen zu können. 
 
Am Ende kam er deshalb immer wieder auf den klassischen  Einlagenbau zurück, bei dem die Einlage über einen Einlagenleisten tiefgezogen wird. Mit diesem System arbeitete er viele Jahre erfolgreich in seinem Betrieb. Trotz der Lage in der hessischen Provinz wuchs der Kundenstamm im Betrieb, der heute von seinen beiden Töchtern Ina und Christina Mander, beide Orthopädieschuhmacher-Meisterinnen, geführt wird, kontinuierlich.
 
Die Individualität des Handwerks mit industrieller Herstellung zu kombinieren war das Ziel, als er damit begann, Einlagen mit Polyurethan (PU) über einen passenden Leisten zu schäumen.
 
Der Leisten wird dazu in eine Form eingespannt und alle Funktionselemente, wie Polster und Versteifungen, werden genau nach den individuellen Vorgaben auf dem Leisten positioniert. In der Produktion wird der PU-Schaum in die Form gegossen, der alle Elemente fest miteinander verbindet.
 
Mander wollte keinen weiteren Einlagenrohling, der durch die Bearbeitung an den Fuß angepasst wird. Der Rohling sollte schon nach der Produktion dem Fuß und seiner Fehlstellung gerecht werden. Die Entscheidung für die Produktionstechnik mit PU fiel dabei bewusst, wegen der besonderen Eigenschaften des Materials. „PU ist vor allem bei geringeren Materialstärken stabiler als EVA“, sagt Willi Mander. Die Rückstellfähigkeit und Haltbarkeit sei gegenüber den klassischen Materialien zudem besser. Und statt aufwändigem Beschleifen sei nach der Herstellung nur noch einfaches Beschneiden und Schleifen am Rand nötig.
 

Herstellungstechnik hat sich bewährt

Seit 2009 ist das PU-System im Einsatz und hat sich bei der Orthopädieschuhtechnik Mander, aber auch bei der Einlagenherstellung für externe Kunden bewährt. Diese bestellten in der Vergangenheit PU-Einlagen überwiegend für die individuelle Herstellung der baumustergeprüften Einlagen für Sicherheitsschuhe der Manderwork-Linie „softAstatic“. Dabei konnten die Kunden aus einer ganzen Reihe von Einlagenleisten auswählen, die Mander mit seiner langjährigen Berufserfahrung für die Behandlung verschiedener Fußpathologien entwickelte. Die PU-Fertigung erlaubt außerdem die Herstellung von eigens entwickelten Polstern für die Einlagenfertigung.
 
Mit der Umstellung auf das digitale Bestellwesen stellten sich auch neue Anforderungen an den Leistenpark. Aus dem vorhandenen Leistensortiment wurden einheitliche, logische Parameter abgeleitet, so dass Konstruktionsvorgaben definiert werden konnten. So musste zum Beispiel der Ansatzpunkt und die Ausprägung der Längswölbungsstützen oder die Lage der Pelotten beziehungsweise der Stufenentlastungen geometrisch genau beschrieben werden. Für die Konstruktionsvorgaben war Clara Erner, die einen Masterabschluss in Maschinenbau besitzt, zuständig. Dass innerhalb dieser Vorgaben auch die orthopädischen Eigenschaften der Leisten umgesetzt wurden, war die Aufgabe von Christina Mander, die alle Leisten nach den Konstruktionsvorgaben neu entwickelte. Auf dieser Basis konnten die Produktionsleisten gradiert und gefräst werden. Damit steht nun ein umfangreicher Leistenpark zur Verfügung, der die unterschiedlichen Krankheitsbilder in allen Größen abdeckt. 
 
Bei der Entwicklung des digitalen Bestellablaufs wurden auch die Anforderungen der EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) berücksichtigt. Jeder Produktionsauftrag ist mit einem Barcode gekennzeichnet, dem alle für die Produktion verwendeten Materialien und Elemente zugeordnet werden, so dass auch später noch alle eingesetzten Komponenten genau jedem einzelnen Auftrag zugeordnet werden können. „Dadurch ist auch eine wichtige Anforderung der MDR mit erledigt, nämlich die Chargenrückverfolgbarkeit, ohne dass der Kunde dadurch zusätzlichen Aufwand hat“, erklärt Alexander Helwig, der in der Geschäftsführung für die betriebswirtschaftliche Seite zuständig ist. Alle mit dem Fuß in Kontakt stehenden Materialien haben entsprechend der MDR eine Unbedenklichkeitsbescheinigung und sind zertifiziert und zugelassen.
 
Die neue Produktionshalle für die Einlagen wurde in Manders Heimatort Obervorschütz erstellt. Foto: Mander Malms
 

Nachhaltige Produktion

Jeder Produktionsauftrag ist auch gleich mit einem Artikeletikett versehen. Neben der Chargennummer enthält das Etikett auch alle wesentlichen Informationen zum Auftrag sowie einen QR-Code, mit dem der Kunde jederzeit wieder die abgespeicherten Einlagenkonfiguration aufrufen kann. „Wenn die Einlage passt, kann sie der Kunde jederzeit genau so reproduzieren und zwar ohne Aufwand“, erklärt Christina Mander. Ebenso könne aber auch ein einmal gefertigter Auftrag jederzeit aufgerufen und verändert werden.
 
Sind alle Artikel einer Bestellung fertig produziert erfolgt eine automatische Rückmeldung mittels Barcode an DHL und  Ausdruck des Versandlabels. Gleichzeitig wird der Kunde informiert, dass seine Ware auf dem Weg ist. Versendet werden die Einlagen in einem Folienbeutel, dessen Material auf der Basis von Kartoffelabfällen hergestellt wird. Dies ist ein Teil des Nachhaltigkeitskonzeptes, dem man sich bei Mander-Malms neben der individuellen Versorgung verpflichtet hat.
 
„Wir wollen dazu beitragen, unsere Produkte so nachhaltig wie möglich zu produzieren“, erklärt Clara Erner, die nach ihrem Maschinenbaustudium ihren Masterabschluss im Fach regenerative Energien und Energieeffizienz erwarb. Die Energie für die neu gebaute Produktionshalle wird über das firmeneigene Blockheizkraftwerk und eine Photovoltaik-Anlage generiert. In der Fertigung wurde auf  wasserbasierte Trennmittel und Klebstoffe umgestellt – zum Schutz der Mitarbeiter und der Umwelt. 
Neben der Nutzung umweltfreundlicher Verpackungen wird ständig an der Optimierung der Abfallbilanz gearbeitet.
 
So, wie eine individuell im Auftrag gefräste Einlage mehr kostet als ein Einlagenrohling, liegt auch der Preis für den von Mander-Malms produzierten individuellen Rohling höher. Alexander Helwig weist deshalb Interessenten immer darauf hin, dass man bei der Einlagenherstellung nicht nur auf den Einkaufspreis schauen dürfe. „Entscheidend ist die Gesamtkalkulation“, betont Helwig. Und dabei sei die Zeitersparnis ein wesentlicher Faktor. Die habe der Orthopädieschuhmacher in der Werkstatt, aber auch in der Verwaltung, weil in der Produktion schon die wesentlichen Anforderungen der Medizinprodukteverordnung hinsichtlich Unbedenklichkeit des Materials und der Rückverfolgung erledigt würden. „Zudem gibt es bei uns keine Investitionskosten und es ist keine Einarbeitung in die Technik wie bei der CAD-Konstruktion nötig“, ergänzt Helwig.
 

Künftig auch Produktion im Tiefziehverfahren

Mit der Einführung des digitalen Bestellsystems ist die Entwicklung noch nicht abgeschlossen. Das Tiefziehen der Einlagen wurde in der Mander Orthopädieschuhtechnik nie ganz aufgegeben, denn manche Versorgungen, so Christina Mander, seien besser mit dieser Technik zu lösen. Die Tiefziehgeräte werden bereits im Bereich der Arbeitssicherheitseinlagen für die „softAstatic“ EVA Einlage verwendet. Noch in diesem Jahr ist geplant, die Produktpalette um die Fertigung tiefgezogener Einlagen für die Mander-Daily-Linie zu erweitern. Auch in diesem Bereich wurden in den vergangenen Jahren an neuen Lösungen für die Fertigung getüftelt, welche die Nacharbeit an den Einlagen reduzieren sollen. Mit der Tiefziehtechnik wird es dann zum Beispiel auch möglich sein, über die individuellen Leisten der Kunden diabetesadaptierte Fußbettungen zu fertigen.
 
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Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
Schuhsohle
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