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27. Januar 2021
Redaktion

Fortschreibung PG 08: Eurocom sieht individuelle Versorgungssituation des Patienten und Stand der Technik nur halbherzig berücksichtigt

Sensomotorische Einlagen sind in der aktuellen Fortschreibung der PG 08 „Einlagen“ vom 21. Dezember 2020 nicht mehr explizit aus dem Hilfsmittelverzeichnis ausgeschlossen. Die Eurocom und der „Arbeitskreis Sensomotorische Einlagen“, dem neben der Eurocom auch der Zentralverband Orthopädieschuhtechnik (ZVOS) und der Bundesinnungsverband Orthopädietechnik (BIV-OT) angehören, begrüßen dies. Die individuelle Versorgungssituation des Patienten und den Stand der Technik sehen sie in der Fortschreibung der PG 08 jedoch nicht ausreichend berücksichtigt.

Oda Hagemeier, Geschäftsführerin der Eurocom, begrüßt die Streichung des Negativpassus aus der vorhergehenden Fortschreibung vom 24. Oktober 2016. Dies sei ein wichtiger Schritt, um der individuellen Versorgungssituation gerechter zu werden: „Die Änderung war überfällig, allein schon, um die gesetzlich geschützte Rechtsposition der Versicherten zu wahren. Patienten, ohnehin schon durch ihr Leiden beeinträchtigt, brachte die vormals explizite Nichtberücksichtigung sensomotorischer Einlagen in die zusätzlich belastende Lage, ihren Leistungsanspruch auf die im individuellen Fall erforderliche Versorgung schlimmstenfalls einklagen zu müssen. Denn mancher Ablehnungsbescheid berief sich fälschlicherweise auf das Hilfsmittelverzeichnis, das jedoch keine Positivliste ist.“

Positiv bewertet die Herstellervereinigung außerdem, dass Qualitätsanforderungen in der fortgeschriebenen PG 08 teils offener formuliert werden und damit dem aktuellen Stand der Technik besser Rechnung tragen.

Allerdings finde dieses Prinzip nicht durchgehend Anwendung. „Schwächen zeigt die Fortschreibung auch darin, dass sie konsentiertes Erfahrungswissen und Argumente aus einer lange etablierten Versorgungspraxis unberücksichtigt lässt“, so die Eurocom. Andernfalls hätten aus Sicht des Verbandes diese Änderungsvorschläge umgesetzt werden müssen: die Differenzierung der Indikationen für Bettungs-, Weichpolsterbettungs- und Schaleneinlagen sowie für Einlagen im Sonderbau und die Eröffnung einer eigenen Produktart „Sensomotorische Einlagen“.

„Dass diese Argumente nicht einmal aufgegriffen und zumindest zum Zeitpunkt der Veröffentlichung begründet abgelehnt worden sind, zeigt exemplarisch, dass das Stellungnahme- und Anhörungsverfahren zur Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses verbesserungsbedürftig ist“, sagt Hagemeier.

Sensomotorische Einlagen
Der Stein des Anstoßes liegt in der letzten Fortschreibung der Produktgruppe 08 „Einlagen“ vom 24. Oktober 2016. Dort hieß es in der Definition: „Sensomotorische bzw. propriozeptive Einlagen sind im Hilfsmittelverzeichnis nicht berücksichtigt, da die hierfür erforderlichen Nachweise zum medizinischen Nutzen derartiger Produkte nicht vorliegen und darüber hinaus bei keiner Indikation die Behandlung mit sensomotorischen bzw. propriozeptiven Einlagen als dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechend angesehen werden kann.“

Aus Sicht der Eurocom habe der GKV-Spitzenverband mit diesem Negativpassus nicht nur seine Kompetenz überstiegen, sondern auch die Erfahrungswerte einer jahrzehntelangen Verordnungs-, Versorgungs- und Vergütungspraxis ignoriert, in der sensomotorische Einlagen längst Gegenstand von Rahmenverträgen der Kostenträger waren.

Die Versorgungspraxis zeige, dass sensomotorische Einlagen helfen, Fuß- und Beinfehlstellungen zu beheben, Gangbildstörungen zu korrigieren sowie Muskelkoordination, Feinmotorik und Wahrnehmung zu verbessern. Auch habe sich gezeigt, dass sie Schmerzen lindern sowie Mobilität und Teilhabe des Patienten fördern, ohne ihm die Belastung einer jahrelangen krankengymnastischen Behandlung, etwa bei Zustand nach Schlaganfall, zuzumuten. Die Indikationsliste sei lang. Das zugrundeliegende sensomotorisch-perzeptive Wirkprinzip, das aus Medizin und Physiotherapie stammt, sei in § 37 der Heilmittel-Richtlinie beschrieben und anerkannt. Die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie erstellte medizinische S2k-Leitlinie „Kindlicher Knick-Senk-Fuß“ (AWMF-Registernummer 033/020) empfehle, die Behandlung mit sensomotorischen Einlagen zu bevorzugen.

Arbeitskreis Sensomotorische Einlagen sieht sich in seinem gemeinsamen Einsatz bestätigt
Oda Hagemeier erklärt: „Aus guten Gründen also war es uns ein wichtiges Anliegen, dass der Passus entfernt wird. Zudem hätten mit der Eröffnung einer eigenständigen Produktuntergruppe Standards für die fachliche Qualifikation und für Ausführungskriterien gesetzt und damit ein Rahmen festgelegt werden können, innerhalb dessen die Versorgung mit sensomotorischen Einlagen erfolgen soll.“ Der Arbeitskreis Sensomotorische Einlagen, in dem neben Eurocom auch der Zentralverband für Orthopädieschuhtechnik (ZVOS) und der Bundesinnungsverband für Orthopädietechnik (BIV-OT) mitwirken, sei lange vor der erneuten Fortschreibung mit entsprechenden Vorschlägen an den GKV-Spitzenverband herangetreten. „Dass nun zumindest der Negativpassus gestrichen worden ist, bestätigt unseren interprofessionellen Einsatz“, so Oda Hagemeier.

Qualitätsanforderungen an Produktarten offener und state of the art formulieren
Nicht konsequent in der PG 08 umgesetzt sieht Oda Hagemeier die Forderung des Arbeitskreises, den aktuellen Stand der Technik in den Produktarten und ihren Anforderungen abzubilden. Zwar trage die aktuelle Fortschreibung dem Umstand Rechnung, dass sich Materialien und Fertigungsmethoden der Einlagenherstellung stetig weiterentwickeln. Etwa, indem sie bezogen auf das einzusetzende Deck- und Bezugsmaterial offener formuliere und auf Eigenschaften abziele, statt ein bestimmtes Material vorzuschreiben. Eine offenere Formulierung finde sich ebenfalls bei der Kantenabpolsterung von Kunststoffeinlagen, die nicht mehr zwangsläufig aus Leder, sondern auch aus vergleichbaren Materialien bestehen kann, um das Schuhwerk ausreichend zu schützen.

„Dass zeitgemäße Lösungen nicht auch konsequent bei den Fertigungsmethoden berücksichtigt werden, ist nicht nachvollziehbar“, kritisiert die Eurocom jedoch und nennt exemplarisch Weichpolsterbettungseinlagen, deren Wirkung an ausschließlich eine Fertigungsmethode, nämlich die der Sandwichbauweise, gebunden wird. „Darüber hinaus jedoch existieren neue Fertigungsmethoden, die das Ziel der Druckentlastung durch ihre belastungsmindernden Strukturen (Polyurethan/3D-Druck) genauso erreichen können. Und auch für den Formabdruck für Sonderanfertigungen gilt, dass er nicht ausschließlich individuell modelliert sein muss, sondern auch auf Basis eines 3D-Scans erfolgen kann“, so die Eurocom.

 

 

Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
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