Zeha-Sportschuhe: „Wir waren sportgerechter“
Karl Häßner, Enkel des Firmengründers von Zeha, war von 1950 an Mitbesitzer der Schuhfabrik Carl Häßner Hohenleuben, bis der Betrieb 1972 verstaatlicht wurde. Im Jahr 2009 traf Nike Breyer den Anfang 2017 verstorbenen Karl Häßner am Gründungsort Weida in Thüringen und hatte Gelegenheit, mit ihm über Wettbewerb, Markenbewusstsein und Handlungsspielräume für Privatunternehmer in der DDR zu sprechen. Von Nike Breyer
Im Jahr 1950 trat der 1925 geborene Karl Häßner in die väterliche Schuhfabrik Carl Häßner Hohenleuben ein und leitete diese zusammen mit seinem Vater und zwei Schwagern die nächsten zwanzig Jahre. Die Fabrik wurde 1897 durch Häßners Großvater Karl Hermann Eduard Hässner (1862 – 1935) als kleine Fertigung für Hausschuhe gegründet und war kontinuierlich gewachsen.
Um 1900 beschäftigte man schon zehn Mann und arbeitete mit Transmissionsriemen. Durch eine Fotografie von 1925, auf der rund sechzig Personen zu sehen sind, ist auch der Markenname „Zeha“ (abgeleitet von den Initialen von Carl Häßner) seit dieser Zeit belegt. Nach der Zwangsenteignung 1972 blieb Karl Häßner noch ein Jahr im nunmehr volkseigenen Betrieb Spezialsportschuhe Hohenleuben, bevor er einen neuen Einsatzbereich als Leiter der „Erzeugnisgruppe Sportschuhe“ fand. Hier arbeitete er bis zur Wiedervereinigung, die eine Riesenenttäuschung brachte: Die beantragte Rückerstattung des Betriebes und der Warenzeichenrechte wurde von der Treuhand verweigert.
Den Zuschlag bekamen stattdessen die VEB-Genossen, die die neue Zeha-Schuhfabrik GmbH zügig herunterwirtschafteten. Bei Übernahme sämtlicher GmbH-Schulden von 5 Mio. DM hätte Häßner das Unternehmen nun „haben“ können, was für ihn natürlich unmöglich war. Der Betrieb wurde geschlossen, ein Investor soll die Liegenschaft unlängst gekauft haben. Seit 2003 werden unter dem Namen „Zeha“ erneut Schuhe produziert, allerdings ganz ohne Beteiligung der Gründerfamilie. Zwei Berliner Jungunternehmer haben sich verschiedene Patente und die Markenrechte gesichert und stellen seither in Kleinserien Sportschuhe im DDR-Retro-Look her.
Herr Häßner, als Sie 1950 in die väterliche Fabrik einstiegen, war diese ein Privatbetrieb. Welchen Spielraum hatten Sie im Sozialismus?
Karl Häßner: Einmal kam die VVB, die Vereinigung Volkseigener Betriebe, die es dann gab und wollte da etwas lenkend eingreifen. Aber unter Berücksichtigung der politischen Situation konnten wir im Prinzip weitestgehend frei entscheiden.
Sie haben dann von Arbeitsschuhen bald auf Sportschuhe umgestellt …
Mein Vater war erster Vorsitzender vom 1. FC Thüringen Weida, damals ein sehr bekannter Fußballclub. Einer meiner Schwager und ich selbst waren begeisterte Fußballspieler. Da wir alle keine passenden Schuhe hatten, fingen wir um 1950 an, welche herzustellen. Aus den wenigen wurden mehr, bis wir sie auch auf der Submission vorgestellt haben. Das war die Branchenmesse für den Bedarf im Inland DDR, im Unterschied zur Leipziger Messe, die für das Ausland gedacht war.
Welches Geschäft interessierte sich zuerst für Ihre Zeha-Fußballschuhe?
Das lief alles über den Großhandel Deutsche Handelszentrale. Dazu kamen ein paar sogenannte Sonderbedarfsträger, der „Konsum“, eine Zeit lang auch noch Warenhäuser, die einkaufen durften. Einzelgeschäfte durften das nicht. Trotzdem sprach sich schnell herum, wenn einer attraktive Ware hatte. Dann stürzte sich alles auf diesen Betrieb. Andere hatten manchmal am Ende nichts verkauft. Auch das gab’s in der DDR. Die bekamen dann später … was weiß ich, einen Zwangsauftrag.
Stellten um 1950 auch andere DDR-Betriebe Fußballschuhe her?
Die Firma Mücklich in Dresden beispielsweise. Auch Vorwärts in Weißenfels hat um 1957, 1958 eine Zeit lang Fußballschuhe produziert. 1957 kam dann die Schraubstollenproblematik auf und auch der neue Nockenschuh. Damit lagen wir übrigens zeitlich vor Adidas und Puma. Unsere Besonderheit war die Vielzahl der Formen, vielleicht 20 bis 25. Wir hatten etwa auch Winkel. Das war ideal für trockenes, hartes Untergrundgelände.{pborder}
Solche Entwicklungen wurden staatlich gesteuert?
Absolut nicht. Jetzt muss ich mich mal loben: Ich war ja nicht nur Chef und Junior, ich hab bei uns auch sämtliche Entwicklungen gemacht. Das dauerte nicht lange, da war ich beim deutschen Turn- und Sportbund und habe die Kontakte zu den Leitenden geknüpft. Alle brauchten irgendwelche besonderen Schuhe. Daraus ergab sich, dass wir am Ende eine Vielzahl von Modellen machten. 1956 hat uns die VVB dann von heute auf morgen auch noch die Spikes übertragen und es hieß, jetzt machst du die 23000 Paare im Jahr noch mit. Dafür mussten wir anderes streichen. So ergab sich die totale Spezialisierung – mit den drei Säulen Fußballschuhe, Leichtathletik komplett und der ganze Bereich Trainingsschuhe.
Gab es so etwas wie Wettbewerb? Oder war es unsolidarisch, so zu denken?
Das gab es durchaus. Ein Beispiel: Ilmia, damals unser direkter Konkurrent in Stadtilm, hat einmal im Stillen auf einer Submission unsere Koffer aufgemacht und jeden unserer Schuhe fotografiert. Ilmia hatte vielleicht eine etwas bessere handwerkliche Qualität. Aber wir waren sportgerechter. Da hatten wir immer die Nase vorn. Andererseits war es aber so, dass zwischen den Betrieben, in der Mehrzahl würde ich sagen, ein harmonisches Verhältnis der Zusammenarbeit herrschte. Das widerspricht sich jetzt ein bisschen, war aber so, da der Bedarf nie abgedeckt werden konnte und es in der DDR keine Verkaufsprobleme gab.
Waren Markennamen damals durchgängiges Prinzip?
Würde ich sagen. Das war vielleicht auch ein bisschen beeinflusst durch mich, als Leiter der Erzeugnisgruppe. Wenn man etwas hatte, was schön war, musste man nicht alles aufzählen, sondern sagte nur Ilmia, Zeha, und das genügte.
Gab es auch Werbung?
Die war in der DDR kurze Zeit mal erlaubt, im Prinzip aber verpönt und dann auch gesetzlich wieder verboten. Mit Ausnahme für die Betriebe, die exportierten, so wie wir. Wir waren auch der einzige Exportbetrieb in dem Bereich, glaube ich, zumindest anfänglich. Ich war 1953 und 1954 ja in der Bundesrepublik, in Kleve bei der Firma Bause Kinderschuhe. Dorthin bin ich damals durchgebrannt, als im Zuge des 17. Juni unser Betrieb liquidiert werden sollte. Ich kam dann aber aus verschiedenen Gründen nach einem Jahr wieder zurück. Damit begann trotz erheblicher Probleme eine gute Zeit. Wir haben die Produktion erhöht, es ging ständig nach oben. Beispielsweise wurden wir Olympia-Ausrüster. Ich habe auch den Export organisiert und aufgebaut.
Wohin haben Sie exportiert?
Im Prinzip nur nach Westen, in rund sechzig sogenannte kapitalistische Länder. Das war ja das Interessante für den Staat, dass er da Devisen bekam. Davon haben wir aber nichts gesehen. Denn das lief komplett über den staatlichen Industrie-Außenhandel DIA, die das umgerechnet haben. Wir bekamen den DDR-Wert, der bei jedem Betrieb unterschiedlich war. Wir lagen sehr gut, indem wir mit unserem Produkt ungefähr 85 Prozent des Westwertes erlösten. Einmal haben wir auch die russische Fußballnationalmannschaft, die dann Europameister wurde, direkt im Betrieb ausgerüstet. Auch die Bulgaren bekamen einmal Schuhe für eine Olympiade. Damit hatte ich die Chance, dass ich viel unterwegs sein konnte. Ich war zwei oder drei Mal in der Bundesrepublik mit dem Auto und in Belgien, Holland, England und Dänemark mit dem Flugzeug.
Hat man auch für die Inlandmessen Produktinformationen herausgegeben?
Das war jedem überlassen, wie er seinen Messestand gestaltet, solange er nicht gegen die Idee des Sozialismus verstieß. Ich habe mal ein paar Jahre die Firma Bause aus Kleve mit vertreten, aus Dankbarkeit. Das musste ich dann aber auf Druck von oben einstellen.
Haben Sie in Ihrem „Exil-Jahr“ bei Bause in die Produktion reingeschaut?
Ja, komplett! Ich war der Assistent vom Betriebsleiter. Das war eine gute Zeit. Es gab viele Aufträge, viel Arbeit. Ich musste auch REFA machen, diese Zeitaufnahmen. Das war für mich sehr lehrreich.
Ihre Schuhe hatten eine richtige Logo-Optik. Wurde die Bedeutung des Looks in der DDR damals wahrgenommen?
In der Frühzeit um 1952, 1953 herum versuchten viele, ein bestimmtes Aussehen zu haben. Vorbild waren sicher Adidas und Puma, auch bei uns. Aber wir hatten schon ein solches Markenzeichen, wenn auch nicht eingetragen.
Mit vier Streifen?
Das war der Vorläufer. Als wir 1954 diese Schuhe das erste Mal auf der Messe Leipzig ausgestellt hatten, kam ein Herr Krause von Adidas, reichte mir die Visitenkarte und sagte, bis heute Abend sind bitte diese Schuhe entfernt oder Sie bekommen die allergrößten Schwierigkeiten. Daraus ergab sich dann ein Disput und Schriftwechsel, an dessen Ende wir uns geeinigt und zugleich „Zeha“ warenzeichenrechtlich haben schützen lassen. Ohne Kommission und ähnliches habe ich die Stellung der Streifen dann so erdacht, wie sie hinterher geblieben sind. Warum, weiß ich auch nicht mehr. Das hat mir gefallen. Als Adidas Zeichnungen schickte, die mir durch ihren Modelleur drei oder vier Vorschläge gemacht hatten, habe ich geantwortet, dass ich das schon alleine gemacht habe. Damit war unser Krieg ausgestanden. Wir haben vorher auch einmal vereinbart, dass wir zusammenarbeiten wollen. Ist aber damals nie passiert.
Ausgabe 10 / 2017
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