Weltweit hochwertige Hilfsmittelversorgung mit Hilfe einheitlicher Ausbildungsstandards
Im September 2018 verabschiedete die International Society for Prosthetics and Orthotics (ISPO) neue Standards für Ausbildungsangebote im Bereich der Technischen Orthopädie.
Alle Bildungsträger, die ihre Ausbildungsprogramme seit September 2018 bei der ISPO re- oder neu akkreditieren wollen, müssen einen Nachweis erbringen, dass sie die in den Standards geforderten Ausbildungsziele, materielle sowie personelle Ressourcen und die nötige Infrastruktur zur Verfügung stellen können, um die Fähigkeiten, Kompetenzen und Fertigkeiten aller an der orthetischen und prothetischen Versorgung beteiligten Berufsgruppen auf einem gleichermaßen qualitativ hochwertigen Niveau zu gewährleisten. Hintergrund: Die Ausbildungspfade für Ärzte, Wissenschaftler und Handwerker im Bereich der Technischen Orthopädie sind weltweit stark verschieden angelegt. Die ISPO will nach eigener Aussage mit den neu gesetzten Ausbildungsstandards für die ISPO-Akkreditierung von Ausbildungsprogrammen langfristig dazu beitragen, dass alle Menschen auf der Welt, die auf orthopädietechnische Hilfsmittel angewiesen sind, die gleiche hochwertige Versorgung erwarten können. Denn derzeit hat nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nur jeder zehnte Patient, der eine Hilfsmittelversorgung benötigt, Zugang zu einer Versorgung, die zudem sehr unterschiedlich ausfällt. Die neuen Standards wurden in Zusammenarbeit mit der WHO und in Übereinstimmung mit den Berufsanforderungen der beteiligten Gesundheitsberufe, in Abstimmung mit Institutionen wie dem Internationalen Roten Kreuz, der United States Agency for International Development (USAID) und dem Exceed Institute of Safety, Management & Technology (EISMAT) sowie der gemeinnützigen Organisation Handicap International zwischen 2010 und 2018 erarbeitet. Sie basieren auf den 2017 von der WHO und der USAID neu formulierten 60 Standards für die Versorgung von Patienten mit Prothesen und Orthesen (siehe Broschüre der beiden Institutionen „Standards for Prosthetics and Orthotics“). Die 15 neuen Standards, die in der Broschüre „ISPO Education Standards for Prosthetic/Orthotic Occupations“ detailliert erläutert werden, lösen die seit 1991 gültigen Category-I-, -II- und -III-ISPO-Ausbildungsstandards ab. Sobald die individuelle Laufzeit einer bestehenden Akkreditierung bei der ISPO endet, müssen sich die Ausbildungsanbieter mit ihren Programmen um eine neue Akkreditierung bemühen, bei der dann die neuen Standards berücksichtigt werden, wobei die ISPO-Akkreditierung ein freiwilliger Prozess ist, wie die ISPO betont. Er könne aber, so die Organisation, der Qualitätssicherung und Vergleichbarkeit von internationalen Ausbildungsprogrammen dienen und zudem als Benchmark für Politiker und Entscheider bei der Ausbildungsgestaltung auf nationaler Ebene genutzt werden.
Erstmals: On- und Offline-Akkreditierungsprozess
Die ebenfalls im September 2018 in Kraft getretenen neuen Akkreditierungswege erleichtern den Antragstellern den Akkreditierungsvorgang. So können sie einen Teil des Antrags online abschicken. Hierzu gehört das Erstellen einer „Selbstdarstellung des entsprechenden Bildungsträgers“ und das Hochladen von Evidenznachweisen und Dokumentationen, was durch ein von der ISPO vorgegebenes Format geschieht. Ein Besuch vor Ort ist nach wie vor Bestandteil des Akkreditierungsvorganges. Idealerweise erfolgt der Vor-Ort-Termin durch die ISPO-Experten, wenn das zu prüfende Bildungsprogramm gerade eine Abschlussprüfung durchführt, da dies den Evaluierenden der ISPO erlaubt, sich auch einen Eindruck vom Wissensstand sowie den Fähigkeiten und Fertigkeiten der Absolventen zu verschaffen. Der gesamte Vorgang wird mit dem ISPO-Headquarter in Brüssel im Vorfeld abgestimmt, um entsprechende Termine festzulegen. Wie sich Ausbildungsanbieter im Detail on- oder offline akkreditieren können, erfahren sie im ausführlichen ISPO-Handbuch „ISPO Education Standards Handbook: Process and Procedures for Accreditation“. Wer sich für eine ISPO-zertifizierte Ausbildung interessiert, sollte die neuen Kriterien kennen.
NEU: Drei Berufsqualifikationen
Die ISPO stuft die Berufe im Bereich der Technischen Orthopädie in drei Qualifikationskategorien ein: „Prosthetists/Orthotists“, „Associate Prosthetists/Orthotists“ und „Prosthetic/Orthotic Technicians“. Unter „Prosthetic/Orthotic Technicians“ versteht die ISPO Berufe, die für die Herstellung von Prothesen und Orthesen zuständig sind und über die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen. Sie sind nicht für die Anpassung der Prothesen und Orthesen am Patienten verantwortlich, sondern gehören im außerklinischen Bereich ohne direkten Patientenkontakt zum Versorgungsteam der auf Hilfsmittel angewiesenen Patienten. „Prosthetic/Orthotic Technicians“ arbeiten unter der Leitung der „Prosthetists/Orthotists“. Gleiches gilt für die „Associate Prosthetists/Orthotists“. Sie gehören zum klinischen Teil des Versorgungsteams. Ihre Aufgabe ist es, den klinischen Behandlungsplan für die Versorgung mit Hilfsmitteln aufzustellen. Dafür verfügen sie zusätzlich zu den Kompetenzen und Fähigkeiten der „Prosthetic/Orthotic Technicians“ über vertieftes Wissen zu evidenzbasierten Verfahren auf dem Gebiet der Prothetik und Orthetik und der klinischen Bewertung. Die höchste Kategoriestufe nehmen die „Prosthetists/Orthotists“ ein, die über einen höheren Bildungsgrad verfügen als die Kollegen. Sie sind für die medizinisch anspruchsvolle Versorgung am Patienten in der Klinik unter Einbindung wissenschaftlicher Erkenntnisse zuständig. Da sie die beiden anderen Berufsgruppen anleiten, müssen sie zusätzlich zu den fachlichen Qualifikationen Führungs- und Schulungskompetenzen aufweisen. Allerdings empfiehlt die ISPO zwei verschiedene Stufen der Supervision von „Prosthetic/Orthotic Technicians“ und „Associate Prosthetists/Orthotists“ durch die „Prosthetists/Orthotists“: selbstständig und direkt. Erfahrene Kollegen sollten innerhalb ihrer Kernkompetenzen „selbstständig“ ihrer Arbeit nachgehen. „Prosthetists/Orthotists“ übernehmen hier eher eine Rolle als Mentor, der für Fragen zur Verfügung steht. Verfügen die „Prosthetic/Orthotic Technicians“ und „Associate Prosthetists/Orthotists“ nicht über ausreichende Berufserfahrung, übernehmen die „Prosthetists/Orthotists“ die „direkte“ Aufsicht über deren Arbeit. Achtung: In Deutschland arbeitet der Orthopädie-Techniker nicht unter Anleitung, sondern in Abstimmung mit den Mitgliedern des Versorgungssystems in der Klinik, und er passt die Hilfsmittel am Patienten sowohl in der Klinik als auch außerklinisch an. Der Orthopädie- Techniker weist auch nach der WHO-Definition die Berufsqualifikationen eines „Prosthetist“ auf, der „von den nationalen Behörden autorisiert ist, Prothesen zu planen, zu erstellen und anzupassen“, sowie die des „Orthotist“, der „von den nationalen Behörden autorisiert ist, Orthesen zu planen, zu erstellen und anzupassen“. Eine von der ISPO zertifizierte Weiterbildung ist für in Deutschland ausgebildete Orthopädie-Techniker von Vorteil, wenn sie in Ländern tätig werden wollen, in denen die ISPO-Zertifizierung von den staatlichen Stellen anerkannt und der Gesellen- oder Meisterbrief jedoch nicht anerkannt wird. Das ist von Land zu Land sehr unterschiedlich.