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6. April 2017
Redaktion

Welche Menschen erhalten eine podologische Therapie?

Zusammenfassung


Mitglieder des Deutschen Verbandes für Podologie (ZFD) e. V. erhielten 2015 einen Fragebogen, mit der Bitte, diesen mit den nächsten zehn aufeinander folgenden Patienten auszufüllen. Innerhalb von sechs Wochen gingen 1663 anonymisierte ausgefüllte Fragebögen zurück (926 Männer, mittleres Alter ± SD: 68 ± 11 Jahre; 737 Frauen, 71 ± 12 Jahre).

Ergebnisse: Bei den Männern konnten  62,4 Prozent und bei den Frauen nur 57 Prozent ihre Füße mit ihren eigenen Händen erreichen. Bei den Patienten mit einem Body-Mass-Index (BMI) >35 waren es nur 39,9 Prozent der Männer und 43,9 Prozent der Frauen und im Falle eines HBA1c >9 waren es 50,9 Prozent und 39,3 Prozent.

42,4 Prozent der Männer und 43,6 Prozent der Frauen trugen zum Zeitpunkt der Vorstellung normale Konfektionsschuhe. 21,3 Prozent der Männer trugen orthopädische Maßschuhe, aber nur 14,4 Prozent der Frauen. Bei Patienten, die bereits eine Minor-Amputation erlitten hatten, waren dies 48,8 und 54,5 Prozent.

Männer und Frauen, bei denen bereits eine Minor-Amputation erfolgt war, hatten häufiger akute Fußprobleme (akute Charcot Deformation, Infektionen, Knochenbruch) als Patienten ohne eine solche Amputation (Männer 51,8% vs. 32,7%, Frauen 49,1% gegenüber 31,1%).

Die wichtigste podologische Maßnahme war bei beiden Geschlechtern die Behandlung von Nägeln, gefolgt von einer Reduktion von Kallus, Anwendung von Druck- und Reibungsschutz und die Behandlung von Clavi und Veruccae.

Fazit: Ein großer Anteil der Patienten mit Diabetes mellitus, die zur podologischen Therapie kommen, ist nicht in der Lage, ihre Füße mit ihren eigenen Händen zu erreichen und weist akute Fußprobleme auf. Weitere Studien sind erforderlich, um die normale Fußpflege bei älteren Menschen zu verstehen und so die Bedeutung der podologischen Therapie hinsichtlich der Amputationsvermeidung zu erkennen.

Patienten mit einem Diabetes mellitus  haben eine hohes Risiko, Druckstellen und offene Wunden an den Füßen zu entwickeln, die mit der Gefahr der Amputation einhergehen. Die Gründe dafür sind vielfältig und umfassen die diabetische Polyneuropathie, repetitive Druckbelastungen durch falsches Schuhwerk, eine begleitende periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) und die häufig erst zu späte fachärztliche Behandlung [1, 2]. In den letzten Jahrzehnten wurden große Anstrengungen unternommen, um die Amputationsrate bei Diabetikern zu senken und einige Länder haben vielversprechende Zahlen mit abnehmenden Amputationsraten publiziert [3]. Ursächlich  sind hier vermutlich viele verschiedenen Faktoren wie eine frühzeitige ­Revaskularisation, schonendere chirurgische Verfahren, die Verordnung von therapeutischen Schuhen und die integrierte Fußpflege durch spezialisierte Teams [4].

Die Fußpflege bei Diabetikern sollte die Behandlung von Verhornungen und Druckstellen durch Abtragung und Ent-lastung ebenso umfassen wie die Nagelpflege, die Prävention von Pilzinfektion und die Anleitung der Patienten zum Selbstmanagement [4, 5, 6]. In Deutschland und in der Schweiz wurde hierfür das Berufsbild der Podologen etabliert, das es so in keinem anderen Land gibt.{pborder}

Anhand der Daten aus der DRG-Statistik (DRG = Diagnosis Related Group) und den Bundesberichten der gesetzlichen Krankenkassen konnten wir zeigen, dass es zwischen der zunehmenden Verschreibung von podologischen Therapie (PT) und der Abnahme der Major-Amputationen in Deutschland eine direkte Assoziation gibt [7, 8]. In einer zweiten Analyse haben wir den Einfluss der Anzahl von Ärzten (niedergelassen oder im Krankenhaus tätig, Zusatzbezeichnung Diabetologie), der Anzahl der endovaskulären Eingriffe und der Anzahl der verordneten PT und Antidiabetika auf die Amputationsrate untersucht.

Nur die Anzahl der verordneten podologischen Therapie und der durchgeführten endovaskulären Eingriffe unterhalb des Knies hatten einen unabhängigen und statistisch signifikanten Bezug zum Rückgang der Major-Amputationen [9].

Trotz dieser Ergebnisse gibt es wenige Daten dazu, mit welchem klinischen Bild die Patienten zur podologischen Behandlung kommen und was den Einfluss auf die Amputationsrate erklären könnte. Ist es nur die regelmäßige podologische Therapie oder möglicherweise das frühere Erkennen von medizinisch zu behandelnden Problemen? Mit einer solchen Information kann man ein besseres Verständnis des Nutzens der podologische Therapie für die Vermeidung von Major-Amputation bekommen. Daher führten wir in Podologiepraxen eine Umfrage durch, um spezifische Merkmale der Patienten, die zur podologischen Therapie kommen, beziehungsweise ihrer Füße, zu erfassen.

Patienten und Methoden

Im Juli 2015 versandten wir einen einseitigen Fragebogen an die Mitglieder des Deutschen Verbandes für Podologie (ZFD) e. V. und baten sie, diesen mit den nächs­ten zehn konsekutiven Patienten auszufüllen. Wir fragten nach allgemeinen Daten wie Alter, Gewicht und Größe. Außerdem fragten wir, ob die Patienten ihre Füße erreichen konnten, wer sich um die Nagelpflege kümmert, ob sie ihren letzten HBA1c-Wert wissen und ob sie regelmäßig in die Praxis kommen oder wegen eines akuten Problems. Ein akutes Problem wurde definiert als akute Charcotdeformation, Infektion oder ein gebrochener Knochen.

Wir fragten weiterhin, welche Art von Schuhe die Patienten zum Zeitpunkt der Vorstellung trugen (normale Konfektionsschuhe, normale Konfektionsschuhe + Einlagen, Diabetes-adaptierte Schuhe oder orthopädische Maßschuhe) und was die wichtigste Einzelmaßnahme bei der podologische Therapie bei dieser Vorstellung war (Behandlung von Zehennägeln, Reduktion der Hornhaut, Behandlung von Clavi und/oder Veruccae, Anwendung von Druck- oder Reibungsschutz).

Nach sechs Wochen erhielten wir 1663 ausgefüllte anonymisierten Fragebögen (926 Männer, mittleres Alter ± SD: 68 ± 11 Jahre; 737 Frauen, mittleres Alter 71 ± 12 Jahre) zurück. Die Berechnungen wurden mit Microsoft Excel 2003 und Microsoft Access 2003 ausgeführt.

Ergebnisse

Die eingeschlossenen Männer und Frauen waren etwa in ähnlichem Alter, wiesen einen ähnlichen Body-Mass-Index (BMI) auf und hatten ihren Diabetes etwa gleich lang. 24,6 Prozent der Männer und 28 Prozent der Frauen wussten ihren letzten HBA1c-Wert nicht. Bei denjenigen, die ihre letzten HBA1c-Wert kannten, lag der Mittelwert bei den Männern bei 7,3 ± 2,6 Prozent und bei den Frauen bei 7,2 ± 1,1 Prozent (Tab. 1 und 2).

62,4 Prozent der Männer und 57 Prozent der Frauen konnten ihre Füße mit ihren eigenen Händen erreichen, aber nur 9,4 Prozent beziehungsweise 7,7 Prozent schnitten ihre Fußnägel selber. Obwohl die meisten der Männer und Frauen regelmäßig zur Fußpflege kamen, wiesen 14,4 Prozent der Männer und 9,1 Prozent der Frauen eine Wunde auf. Klinische Anzeichen einer Infektion waren bei 10,4 Prozent der Männer und 6,1 Prozent der Frauen vorhanden.

42,4 Prozent der Männer und 43,6 Prozent der Frauen trugen am Tag der Behandlung normale Konfektionsschuhe. 21,3 Prozent der Männer präsentierten sich mit orthopädischen Maßschuhen, aber nur 14,4 Prozent der Frauen. Die wichtigste podologische Maßnahme war die Nagelpflege, gefolgt von der Hornhautbehandlung und der Anwendung von Druck- und Reibeschutz bei beiden Geschlechtern (Tab. 3 und 4).

Adipositas

Um Unterschiede in Abhängigkeit von der Adipositas herauszuarbeiten, trennten wir Männer und Frauen nach ihrem BMI und verglichen die Gruppe derer mit einem BMI <30 und derer mit einem BMI >35 (mittlerer BMI ± SD bei Männern 26,1 ± 3,6 vs. 40,2 ± 5,6 und bei Frauen 25,1 ± 4,7 vs. 40,0 ± 5,8). Die Ergebnisse zeigen, dass im Vergleich zu Personen mit einem BMI <30 Patienten mit einem BMI >35 weniger häufig in der Lage waren, ihre Füße mit ihren eigenen Händen zu erreichen (Männern 39,9 % vs. 70,6 % und Frauen 43,9 % vs. 61,2 %) (Tab. 1 und 2). Im Vergleich zu Personen mit einem BMI <30 trugen Männer mit einem BMI >35 weniger häufig Konfektionsschuhe + Einlagen (18,6 % vs. 25,5 %). Bei den Frauen war dies genau umgekehrt (36,6 % vs. 26,8). Frauen mit einem BMI >35 benötigten häufiger die Anwendung von Druck- und Reibeschutz als solche mit einem BMI <30 (25,6 % vs. 18,5 %).

Diabetes mellitus

Um Unterschiede in Abhängigkeit von der Güte der Diabetesbehandlung herauszuarbeiten, trennten wir Männer und Frauen in solche mit einem HBA1c-Wert <8 und solche mit einem HBA1c-Wert >9 (Mittelwert ± SD bei Männern 6,8 ± 0,6 vs. 11,4 ± 1,4 und bei Frauen 6,8 ± 0,6 vs. 10,4 ± 1,7). Männer mit einem HBA1c >9 waren weniger häufig in der Lage, ihre Füße zu erreichen (50,9 % vs. 66,7 %) und hatten häufiger akuten Fußprobleme (Männer 49,1 % vs. 33,5 %.) Dabei standen vor allem die klinischen Zeichen einer Infektion im Vordergrund (20,8 % vs. 11,9 %) (Tab. 1 und 2). Auch bei Frauen mit einem HBA1c >9 war der Anteil derer, die in der Lage waren, ihre Füße zu erreichen, geringer (62,6 % vs. 39,3 %). Sie wiesen aber keine Unterschiede in Bezug auf akute Fußprobleme auf. Im Gegensatz zu den Männer benötigten Frauen mit einem HBA1c >9 häufiger die Anwendung von Druck- und Reibungsschutz (25,9 % vs. 21,0 %) (Tab. 3 und 4).

Status Minor-Amputation

Zudem trennten wir Männer und Frauen, die bereits eine Minor-Amputation (22,7 % der Männer und 8,6 % der Frauen) erlitten hatten, von denen, die bisher noch keine Minor-Amputation erlitten hatten. Männer und Frauen mit stattgehabter Minor-Amputation hatten häufiger akute Fußprobleme als Patienten ohne Minor-Amputation (Männer 51,8 % vs. 32,7 %, Frauen 49,1 % vs. 31,1 %) (Tab. 1 und 2). Patienten mit Minor-Amputation trugen weniger häufig normale Konfektionsschuhe (Männer 18,9 % vs. 47,9 %, Frauen 20,01 % vs. 46,3 %) und hatten häufiger Diabetes-adaptierte oder orthopädische Maßschuhe (Männer 48,8 % vs. 14,5 %, Frauen 54,5 % vs. 10,5 %). Minor-amputierte Männer (49,1 %) und Frauen (50,9 %) hatten die höchste Rate der akuten Fußprobleme und bekamen insgesamt eine komplexere podologische Behandlung (Tab. 3 und 4).

Diskussion

In den meisten Ländern gibt es hohe Barrieren für Menschen mit Diabetes mellitus eine professionelle podologische Therapie zu bekommen. Die Gründe dafür sind, dass Patienten die Blutzuckereinstellung für wichtiger halten als die Fußpflege, dass in den verschiedenen ­Gesundheitssystemen wegen begrenzter Ressourcen Widerstände gegen die Kos-tenübernahme bestehen, dass sich das berufliche Rollverständnis stark unterscheidet und man erhebliches Vertrauen auf die Selbstverantwortung der Patienten legt [10]. Die Tatsache, dass in Deutschland und in der Schweiz die podologische Therpaie für Patienten mit Diabetes mellitus von den Ärzten verordnet und von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bezahlt wird, ist ein besonderes Herausstellungsmerkmal dieser Gesundheitssysteme.

Unsere Analyse ist die erste, die versucht den Zustand der Patienten beziehungsweise ihrer Füße zu beschreiben, die von Podologen in Deutschland gesehen werden. Sie beschreibt nicht die medizinischen Probleme dieser Patienten, da Podologen sich um diese Probleme nicht kümmern. Sie zeigt Unterschiede bei den akuten Fußproblemen bei Patienten mit Adipositas, schlechter glykämischer Kontrolle und stattgehabter ­Minor-Amputation und ihrer podologischen Therapie. Diese Patienten haben in der Regel mehr akute Fußprobleme und brauchen eine komplexere PT als Patienten ohne diese Merkmale. Insbesondere Patienten mit stattgehabter Minor-Amputation haben ein hohes Risiko für weitere Amputationen. Obwohl sich diese Patienten häufiger mit orthopädischen Maßschuhen präsentieren als alle Patienten ohne dieses Merkmal, weisen sie die höchste Rate der akuten Fußprobleme wie akute Charcot-Deformation, Infektion oder Knochenbrüchen auf.

Weiterhin zeigt unsere Analyse Unterschiede zwischen den Geschlechtern. So präsentierten sich 21,3 Prozent der Männer mit orthopädischen Maßschu­hen, aber nur 14,4 Prozent der Frauen. Hier stellt sich die Frage, ob Frauen weniger häufig ein Maßschuh angeboten wird oder ob Frauen aus ihrem modischen Verständnis für Schuhe heraus solche Schuhe eher ablehnen.

Trotz einer recht großen Zahl von Publikationen zu Problemen des diabetischen Fußes, gibt es nahezu keine allgemeine Literatur über die normale Fußpflege in der älteren Bevölkerung. So können wir nicht sagen, wie die Patienten, die eine verordnete podologische Therapie erhalten, sich von der normalen Bevölkerung und von Patienten mit Diabetes mellitus, die keine podologische Therapie verordnet bekommen, unterscheiden. So einfach wie das Problem erscheint, so wissen wir nicht, wie groß der Anteil der älteren Menschen in der Bevölkerung ist, der in der Lage ist, seine Füße mit seinen eigenen Händen zu erreichen und wer in der Mehrheit die Nägel der älteren Menschen schneidet. Wir wissen nicht, wie viele ältere Menschen normale Konfektionsschuhe oder Schuhe mit Einlagen oder orthopädische Maßschuhe aus anderen Gründen tragen. Zur Primärprävention von Fußläsionen müssen wir mehr Einblick in die Bedeutung der täglichen Abläufe und Praktiken im Umgang mit den eigenen Füßen haben. Dies erfordert eine systematische Erfassung von Interventionen und Ergebnissen und gut konzipierte randomisierte kontrollierte Studien zu spezifischen Frage­stellungen und die begleitende Analyse der Kosten-Nutzen-Bewertung [5].

Unsere Analyse ist nur beschreibend und weist einige Limitationen auf, die berücksichtigt werden sollten. Wir haben keine Maßnahme wie Schulungen oder Audits durchgeführt, um die Qualität der Daten zu erhöhen beziehungsweise zu kontrollieren. Wenn ein akutes Fuß­problem wie eine akute Charcotdeformation, ein Infektion oder ein gebrochener Knochen dokumentiert wurde, wissen wir nicht, ob es wirklich ein akuter Befund war oder ein bereits für einige Tage oder Wochen bestehender Befund. Wir wissen auch nicht, was mit den betroffenen Patienten passiert ist, ob sie für eine spezifische therapeutische Maßnahme ins Krankenhaus gesandt wurden oder zu einem anderen weiterbehandelnden Arzt. Wir wissen auch nicht, welcher Effekt der podologischen Therapie den größten Anteil an der Verhinderung von Major-Amputationen hat. Ist es wirklich die fast monatlich durchgeführt Fußpflege mit der Behandlung von Nägeln, der Reduktion von ­Kallus, der Behandlung von clavus / verucca und der Anwendung von Druck- und Reibungsschutz? Oder gibt es eine andere allgemeinere Wirkung, wie die Aufklärung der Patienten über das Krankheitsbild des DFS oder die Verbesserung der Patientenadhärenz, mit der Fußpflege einhergeht? [11]

Schlussfolgerung

Trotz all dieser Einschränkungen zeigen unsere Ergebnisse, dass Männer mehr akute Fußprobleme haben als Frauen, wenn sie zur Fußpflege erscheinen, dass eine schlechte Blutzuckereinstellung möglicherweise eine größere Rolle für akute Fußprobleme spielt, als eine Adipositas und dass Füße nach Minor-Amputationen eine komplexere podologische Therapie benötigen als Füße ohne diese.

Die Verbesserung der Fußpflege bei Patienten mit Diabetes mellitus erfordert ein besseres Wissen über die Fußpflege in der allgemeinen älteren Bevölkerung. Eine bessere Einsicht in die Probleme der Fußpflege im Alter ist notwendig, um die Vorteile der PT, wie sie in Deutschland von der gesetzlichen Krankenversicherung angeboten wird, zu verstehen.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Knut Kröger.Klinik für Gefäßmedizin

HELIOS Klinikum Krefeld GmbH, Lutherplatz 40, 47805 Krefeld

E-Mail: knut.kroeger@helios-kliniken.de

Ausgabe 04 / 2017

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Foto: Andrey Popov/AdobeStock_495062320
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