Tibialis-posterior-Insuffizienz
Die Insuffizienz der Sehne des M. tibialis posterior ist die häufigste Ursache für eine erworbene Plattfußdeformität bei Erwachsenen. Die Sehne leistet einen wesentlichen Beitrag zur aktiven Stabilisation der medialen Fußlängswölbung. Ist die Sehne insuffizient, hat dies erhebliche Auswirkungen auf die Statik und Dynamik des Fußes. Die Längswölbung geht verloren und der Mittel- und Vorfuß abduzieren. Das erhöht die Kräfte auf das erste Metatarsophalangealgelenk, was zu einem Hallux valgus führen kann. Ein Versagen der Sehne wirkt sich auf die umliegenden Bandstrukturen aus und führt schließlich zu einer knöchernen Beteiligung und Deformität.
Die Ursachen sind nicht vollständig geklärt. Man geht von einem degenerativen Geschehen aus, das unter anderem durch chronische Überanspruchungen und rezidivierende Mikrotraumata ausgelöst werden kann. Entgegen früheren Auffassungen sind davon nicht nur ältere Menschen betroffen. Die Erkrankung findet sich in allen Altersgruppen, mehrheitlich allerdings bei Frauen ab etwa dem 42. Lebensjahr. Die Tibialis-posterior-Insuffizienz kann jedoch auch als Folge eines Traumas auftreten.
Stadieneinteilung
Die Degeneration der Sehne des M. tibialis posterior wird in unterschiedliche Stadien eingeteilt (Johnson&Strom, zit. nach Lohrer). Das erste Stadium ist durch eine entzündliche Reizung und/oder durch beginnende degenerative Veränderungen der Sehne gekennzeichnet.
Im Stadium II kommt es durch weitere Degeneration zur Insuffizienz und Verlängerung der Sehne, ohne Beeinträchtigung der Statik und Funktion der passiven Anteile der Fußwurzel.
Im Stadium III schließlich entwickelt sich durch eine weitere Insuffizienz und Verlängerung der M.-tibialis-posterior-Sehne und der sekundären Weichteilstabilisatoren der medialen Fußwölbung sowie durch funktionelles Übergewicht der antagonistischen Peroneus-brevis-Sehne eine fixierte Valgusstellung des Rückfußes und eine Abduktion im Mittelfuß.
Die Fußchirurgie ist heute versiert in der operativen Versorgung dieses Krankheitsbildes und bietet Lösungen für alle Stadien der Erkrankung an. Eine konservative Therapie, zum Beispiel mit Einlagen, wird in der Regel nur im Frühstadium der Erkrankung empfohlen. Auch in Stadium 1 werden schon chirurgische Maßnahmen, wie zum Beispiel ein Sehnendebridement, erwogen. In den Stadien 2 und 3 kommen sowohl Weichteileingriffe als auch Korrekturosteotomien zum Einsatz.
Aus meiner Sicht kann unser Handwerk einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, extreme Verläufe, die letztlich in fixierten Fehlstellungen enden, die operativ behandelt werden müssen, zu verhindern. In unserer eigenen Versorgungspraxis haben wir über viele Jahre die Erfahrung gemacht, dass wir die Füße unserer Patienten auch in späteren Stadien noch erfolgreich korrigieren und entlasten können. Bei gutem funktionellen Ergebnis und Schmerzfreiheit für die Patienten können wir so in vielen Fällen helfen, eine Verschlechterung der Fehlstellung zu verhindern und eine Operation zu vermeiden.
Genaue Untersuchung wichtig
Wichtig ist jedoch, dass die Erkrankung auch als solche erkannt wird und frühzeitig behandelt wird. In unserer praktischen Arbeit sehen wir viele Knick-Senkfüße, deren Fußstellung der Tibialis-posterior-Insuffizienz sehr ähnlich ist. Es kann also leicht passieren, dass wir diese Erkrankung übersehen oder falsch einschätzen.
Umso wichtiger ist es, dass wir bei der Anamnese im Gespräch mit dem Patienten genau nach seinen Beschwerden fragen. Die finden sich bei der Tibialis-posterior-Insuffizienz häufig am lateralen Rückfuß (Fibulaspitze und Calcanaeus), an der medialen Säule (Talo-Navicular-Gelenk) und am MFK 1 in der Abstoßphase.
Typische Merkmale sind, dass die Abrollbewegung medial über das untere Sprunggelenk in Vorfußabduktions-Stellung erfolgt. Eine Abflachung des medialen Längsgewölbes ist deutlich sichtbar. Während Knicksenkfüße oft beidseitig auftreten, findet sich eine Tibialis-posterior-Insuffizienz in aller Regel nur auf einer Seite. Ein weiterer Hinweis ist eine Schwellung hinter dem Innenknöchel. Die Vorfußabduktion erkennen wir leicht durch das „Too many toes“-Zeichen. Dafür betrachten wir den Fuß unter Belastung von der Ferse aus. Weil der Vorfuß durch das Abflachen des Fußlängsgewölbes nach außen abweicht, verändert sich die Fußlängsachse und man kann fast alle Zehen seitlich des Außenknöchels sehen. Bei Patienten ohne Fußfehlstellung zeigen die Zehen nach vorne. Bei der Analyse des Gangbildes erkennen wir oft auch ein Hinken, das auf eine schmerzbedingte Schonhaltung hinweist.
Zur weiteren Abklärung einer Tibialis-posterior-Insuffizienz können wir den Single-Heel-Rise-Test zur funktionellen Untersuchung des Rückfußes nutzen. Dabei soll der Patient auf einem Bein in den Zehenstand gehen. Wenn das nicht oder nur zum Teil gelingt und dabei die Gelenkachse nach medial abweicht ist dies ein relativ sicheres Zeichen für eine Insuffizienz, wenn ansonsten auch die anderen Untersuchungsergebnisse dafürsprechen. Würde es sich um einen flexiblen Knick-Senk-Fuß, handeln, wäre der Zehenspitzenstand möglich, und das Längsgewölbe würde sich aktiv aufrichten.
Einlage mit Abstützung und Gegenlager
Für eine effektive Abstützung und Korrektur müssen wir sehr individuell und genau arbeiten. Zunächst müssen wir überprüfen, wie flexibel der Fuß ist und ob die Fehlstellung noch korrigierbar ist. Wenn dies möglich ist, müssen wir den Rückfuß in eine maximale Korrekturstellung bringen, um eine Kongruenz der Gelenkflächen wiederherzustellen.
Die Fußform können wir mit dem Scanner, der Trittspur, dem Trittschaum oder einem Gips abnehmen. In jedem Fall ist es wichtig, genau zu arbeiten, um die Fußform und die Korrektur zu erfassen. Nutzt man die Trittspur, sollte darauf auch die Abstützungshöhe vermerkt werden, damit sie korrekt in der Werkstatt umgesetzt werden kann.
Je nach Schweregrad fertigen wir für diese Einlagen einen eigenen Leisten, um Fußform und Korrektur optimal abbilden zu können. Die Herstellung der Einlagen erfolgt im Sandwichverfahren, wobei im Bereich der Korrektur stabiles Versteifungsmaterial eingesetzt wird. Wichtig ist jedoch nicht nur die Abstützung medial, sondern auch ein Gegenlager an der Einlagenschale, um ein Ausweichen nach lateral zu verhindern. Bei unserer Therapie dürfen wir auch nie die Schuhe des Patienten vergessen. Die Einlage kann nur den nötigen Halt bieten, wenn sie auch im Schuh den entsprechenden Halt findet. Einlage und Schuh müssen deshalb eine Einheit bilden.
Bei der Abgabe der Einlagen beobachten wir häufig eine sofortige Schmerzlinderung, da durch die Korrektur der Fehlstellung die Kongruenz der Gelenkflächen wieder hergestellt wird. Teilweise benötigen die Patienten auch keine Eingewöhnungszeit. In der Regel gehen wir aber von einer Eingewöhnungsphase von bis zu drei Wochen aus.