Folgen Sie uns
18. August 2021
Redaktion

Stellungnahme: Medizinische Fachgesellschaften warnen vor Online-Versorgung mit orthopädischen Einlagen

Die deutschen Fachgesellschaften aus Orthopädie und Unfallchirurgie sowie der Zentralverband Orthopädieschuhtechnik (ZVOS) haben sich in einer gemeinsamen Stellungnahme gegen die von der Barmer und der Techniker-Krankenkasse geplante Online-Einlagen-Versorgung ausgesprochen. Dieser Versorgungsweg berge gesundheitliche Gefahren und widerspreche in mehreren Punkten den Vorgaben des Hilfsmittelverzeichnisses.



Foto: Craftsoles

Die Barmer hatte als erste gesetzliche Krankenversicherung einen Vertrag zur Online-Einlagenversorgung mit dem Anbieter Craftsoles/Meevo Healthcare geschlossen, die Techniker Krankenkassen eine Vertragsabsicht bekannt gegeben. In beiden Verträgen ist kein (Präsenz-)Kontakt zwischen Leistungserbringer und Patient vorgesehen: Die Vermessung bzw. den Fußabdruck soll der Versicherte selbst vornehmen (bei Craftsoles mit einem zweidimensionalen Fußabruck auf Kohlepapier), die Abgabe der Einlage darf per Post erfolgen.

Die orthopädischen Fachgesellschaften sprechen sich dezidiert gegen eine solche Online-Versorgung mit Einlagen aus und warnen vor den gesundheitlichen Folgen. Sie weisen darauf hin, dass die Abdruckgewinnung durch den Patienten selbst sowie die Anpassung der zugesandten Einlagen durch den Patienten ohne Fachkontrolle hoch fehleranfällig sei. Es drohe die Gefahr einer Fehlversorgung oder gar einer sekundären gesundheitlichen Schädigung.

Ein Fußabdruck mittels Blaupause könne lediglich Informationen zur Fehlstellung liefern. Das therapeutische Ziel (z.B. Rückfußaufrichtung, Druckumverteilung) könne daraus nicht abgeleitet werden, da relevante Informationen (z.B. Flexibilität der Fußstellung) fehlen. Zudem würden wichtige Zusatzinformationen, wie Umrisszeichnungen oder Markierungen des inneren und äußeren Fußballens, fehlen.

Eine derartige Vorgehensweise widerspreche den Forderungen des Hilfsmittelverzeichnisses (Fortschreibung der Produktgruppe 08 “Einlagen” des Hilfsmittelverzeichnisses nach § 139 SGB V vom 24.10.2016, Kap VII) sowie der Hilfsmittelrichtlinie des G-BA (§ 8 und § 9) nach individueller Anpassung und Kontrolle der Einlagen. Die Fachgesellschaften benennen zahlreiche Vorgaben bezüglich Herstellung, Maßnehmen und Abgabe von orthopädischen Einlagen, die in der Online-Einlagenversorgung nicht erfüllt sind. Etwa, dass Einlagen gebrauchsfähig und passend abzugeben sind, die Einpassung der Einlage in den Schuh des Versicherten, die individuelle Versorgung und Anpassung des Hilfsmittels, die Berücksichtigung von Statik und Dynamik in der Versorgung, Anprobe der Einlagen an den Füßen und in den Schuhen des Versicherten  durch den Leistungserbringer mit sofortiger Korrekturmöglichkeit während der Anprobe durch fachlich qualifiziertes Personal, die Einweisung in den Gebrauch durch den Leistungserbringer etc.

Prinzipiell, so die Experten, stünden bei der Einlagenversorgung mehrere Modellverfahren zur Verfügung. „Bei allen Verfahren ist die Beobachtung bzw. das ,Handanlegen‘ des Orthopädiehandwerkers oder erfahrenen Arztes zwingend erforderlich (…) zur Garantie einer fehlerfreien Abnahme und/oder bereits bei der Abnahme erforderlichen, korrigierenden Abnahmetechnik. Ein Fehler im Maßnehmen überträgt sich unweigerlich auf das orthopädische Hilfsmittel und kann medizinischen Schaden anrichten“, warnen die Fachgesellschaften.

Zudem sei zur sachgerechten Hilfsmittelversorgung die genaue Anamnese und Untersuchung des Patienten durch den verordnenden Arzt und auch den Techniker notwendig. Auf Basis dieser Informationen erfolge die Festlegung des zu korrigierenden funktionellen Defizites, die Auswahl des geeigneten Maß- und Modellverfahrens, die handwerkliche Herstellung sowie die Abgabe und Kontrolle des Hilfsmittels. „Nur so lassen sich die therapeutischen Möglichkeiten von Einlagen ausschöpfen und Gesundheitsschäden vermeiden“, heißt es in der Stellungnahme.

Welche gesundheitlichen Gefahren durch unzureichendes Maßnehmen und die fehlende Untersuchung des Fußes drohen, zeigen die orthopädischen Fachgesellschaften anhand zahlreicher Krankheitsbilder auf. Auf der Basis dieser Analyse kommen sie zu dem Schluss:

„Die individuelle und fachlich versierte Betreuung durch Arzt und Orthopädie(schuh)techniker ist bei der Versorgung mit Hilfsmitteln zwingend erforderlich. Dies gilt auch und insbesondere bei der Versorgung von Fußproblemen mit Einlagen. Online-Einlagen ohne die individuelle Druckabnahme, Herstellung, Anpassung und Abnahme durch den Arzt und Orthopädie(schuh)techniker sind in dieser Hinsicht nicht geeignet und gefährden den Behandlungserfolg und den Patienten.“

Unterzeichnet haben die Stellungnahme folgende Verbände:
• die Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC)
• der Beratungsausschuss der DGOOC
• die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU)
• der Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU)
• die Deutschen Gesellschaft für Interprofessionellen Hilfsmittelversorgung (DGIHV)
• der Zentralverband Orthopädieschuhtechnik (ZVOS).

Zur Stellungnahme der Fachgesellschaften (PDF) gelangen Sie hier:

Siehe auch unsere News “Barmer schließt Vertrag mit Online-Einlagenanbieter Craftsoles”

 

Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
Schuhsohle
Zurück
Speichern
Nach oben