Folgen Sie uns
2. August 2016
Redaktion

Sensomotorische Einlagenversorgung vor dem vierten Lebensjahr. Ein Fallbeispiel.

Sensomotorische Einlagenversorgung ist in der Regel erst bei Patienten im Alter von dreieinhalb bis vier Jahren sinnvoll, da erst dann die propriozeptive Wahrnehmung genügend ausgereift ist.
In begründeten Ausnahmefällen beginne ich mit der Versorgung schon bei knapp dreijährigen ­Kindern, wie im vorliegenden Fall einer Patientin mit Prader-Willi-Syndrom.
Von Frank Starke


Der ideale Behandlungsbeginn für die sensomotorische Einlagenversorgung von Kindern liegt aus meiner Sicht zwischen dem vierten und achten Lebensjahr. Mit zunehmendem Alter sinkt in ­vielen Fällen erfahrungsgemäß der ­Therapieerfolg; Ausnahmen bestätigen allerdings auch hier die Regel.
Der Behandlungszeitraum erstreckt sich, je nach Diagnose und Schweregrad der Fehlstellungen, in der Regel über sechs bis acht Behandlungen, also drei bis vier Jahre, in besonders schwerwiegenden Fällen auch deutlich länger. Ziel ist meist, dass nach abgeschlossener Behandlung keine Einlagen mehr benötigt werden – dies sollte ein Jahr nach Abschluss der Behandlung nachkontrolliert werden.
In Ausnahmefällen versorgen wir jedoch auch Kinder mit knapp drei Jahren. Dies ist der Fall bei genetisch bedingten Krankheiten, bei denen vorhersehbar ist, dass sich die Muskulatur des Fußes nicht gesund entwickeln wird. Gute Ergebnisse erzielen wir auch bei Kindern, die an Krebs erkrankt sind und mit einer Chemotherapie behandelt werden. Da sich die Chemotherapie häufig negativ auf den Muskel­aufbau und damit auf den Aufbau des Fußes auswirkt, versuchen wir hier, eine gesunde Fußntwicklung durch die gezielte Setzung sensomotorischer Reize zu fördern.
Eine frühe Versorgung führten wir bei einer knapp dreijährigen Patientin mit Prader-Willi-Syndrom durch. Das Prader-Willi-Syndrom ist eine genetische Grunderkrankung, bei der ein beschädigtes Chromosom Fehlfunktionen des Zwischenhirns verursacht. Die Folge sind körperliche, stoffwechselbezogene und kognitive Einschränkungen. Unter anderem kommt es zu einer dauerhafen starken Muskelhypotonie, welche einen schweren Knick-Plattfuß nach sich zieht.

{pborder}
Die Erstvorstellung der Patientin in unserem Betrieb erfolgte kurz vor dem dritten Geburtstag. Sie konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht selbstständig gehen. In einem anderen Betrieb war sie zuvor mit Unterschenkelorthesen vorversorgt worden, die jedoch keine Akzeptanz fanden.
Bei der Erstversorgung mit sensomo­torischen Einlagen legten wir das Hauptaugenmerk auf die mediale Rückfußpelotte. Diese dient in der sensomotorischen Einlagenversorung der Ausrichtung und Steuerung des Sprung­gelenks über die Stimulierung der seitlichen Wadenmuskulatur. Man geht davon aus, dass der muskuläre Steigbügel (m. tibialis anterior und m. peroneus longus) stimuliert wird und dadurch die Muskelreaktionszeit und das Verletzungsrisiko im Sprunggelenk reduziert werden.
Mit der Mittelfußpelotte beabsichtigten wir, eine physiologische Schrittabwicklung über eine Stimulierung der aufsteigenden Muskelkette zu fördern. Zusätzlich setzten wir einen Zehensteg, mit dem wir beabsichtigten, die Stellungsinformation und die räumliche Koordination der Patientin zu verbessern. Wir wollten damit eine Spannungsregulierung in der tiefen Wadenmuskulatur und eine günstige Wirkung auf den gesamten Haltungs- und Bewegungsapparat erzielen.
Bereits nach der ersten Einlagenversorgung waren deutliche Erfolge zu bemerken: Die Patientin begann erstmals, selbstständig zu gehen.
Bei hervorragender Mitarbeit der Eltern und sehr guter Compliance des Kindes wurde die Versorgung mit sensomotorischen Einlagen im halbjährigen Rhythmus weitergeführt.  Bei jedem Behandlungsintervall steigerten wir die Stärke der Pelotten und Druckpunkte auf der sensomotorischen Einlage. Im Behandlungsverlauf konnte der starke Knickfuß fast vollständig korrigiert werden. Der plantare 2D-Scan zeigt nach zehn Behandlungen die erfolgreiche Aufrichtung des Fußgewölbes der inzwischen achtjährigen Patientin und die Aufhebung der Fehlstellung (Abb. 8).
Da beim Prader-Willi-Syndrom eine dauerhafte Muskelhypotonie besteht und die Muskulatur ständige sensorische Impulse benötigt, wird die Patientin bis zum Ende der Wachstumsphase mit sensomotorischen Einlagen versorgt werden müssen. Danach ist voraussichtlich eine weitere Versorgung mit Einlagen nötig – wir bevorzugen nach der Wachstumsphase jedoch den Einsatz statischer Einlagen.z

Anschrift des Verfassers
Frank Starke
Starke-Schuhe
Döhlener Strasse 11
01705 Freital

Abbildungen: Starke

Ausgabe 6/2016

Vollständiger Artikel als PDF herunterladen:

Herunterladen

Foto: Andrey Popov/AdobeStock_495062320
Zurück
Speichern
Nach oben