Folgen Sie uns
10. Juli 2017
Redaktion

Prehistoric Human Tracks - Fußfährten als Datenträger der Evolution

Eine internationale Konferenz sichtete prähistorische Fußspuren auf fünf Kontinenten. Für drei Tage trafen sich im Neanderthal Museum Mettmann Archäologen, Ethnologen und Spurenleser und berichteten über ihre Forschungsprojekte. VON NIKE BREYER

Was
Fotos: Becker/Specht

Dieses Vorgehen sei „absolutely“ viel zu romantisch, platzte es am Abend des ersten Konferenz-Tages aus Matthew Bennett heraus, Professor an der Bourne­mouth Universität England. Was dem gerade in Echtzeit zu besichtigenden Spurenlese-Expriment dringend fehle, so Bennett, sei mehr Struktur, mehr Daten und nicht zuletzt ein Kriterienkatalog zur Verifikation respektive Falsifikation der erfolgten Zuschreibungen. Ohne diese Basis seien die Kommentare der drei Buschleute aus Namibia wenig mehr als Assoziationen mit geringer wissenschaftlicher Aussagekraft.

Die drei Jäger vom Stamm der San hatten sich wenige Minuten zuvor zu den Spuren von freiwilligen Probanden, die barfuß durch ein präpariertes Sandbecken gelaufen waren, ausgetauscht und Fragen aus dem Publikum beantwortet. Zwar konnten die Konferenz-Veranstalter Tilman Lenssen-Erz vom Institut für Ur- und Frühgeschichte, Forschungsstelle Afrika, an der Universität Köln und Andreas Pastoors, Privatdozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Neanderthal Museum Mettmann, das Unbehagen Professor Bennetts entkräften, indem sie unterstrichen, es habe sich um eine eher spielerische Demonstration gehandelt. Ziel sei es, das Anderssein eines „Experienced-based Reading of Human Tracks“ wie es indigene Jägerkulturen bis heute praktizieren, im Vergleich zur modernen wissenschaft­lichen Herangehensweise anschaulich zu machen.

Das nahm dem Einwurf die Schärfe, machte aber dennoch einen etwas anstrengenden Spagat der Konferenz sichtbar.

Tracking in Caves

So zeichneten sich auch weiterhin zwei unterschiedliche Forschungsschwerpunkte ab. Während die Archäologen unter den Referenten die prähistorischen Fährten mit modernen Methoden zum Sprechen bringen wollen, um auf diese Weise Licht in eine unendlich ferne Vergangenheit zu werfen, galt das Interesse der Anthropologen und Ethnologen weniger den Fußspuren als Fenster zum Evolutionsgeschehen als der Kulturtechnik des Lesens dieser Spuren und den dazu eingeladenen indigenen Akteuren.

Beide Forschungsansätze sind plausibel und leisten wertvolle Arbeit, verfolgen aber letztlich unterschiedliche Erkenntnisinteressen, die sich nicht umstandslos verschränken lassen. So erscheint es mindestens problematisch, die Zeit­distanz zu vernachlässigen und indigen umstandslos mit archaisch zu analogisieren, wie dies beim Forschungsprojekt „Tracking in Caves“ (www.tracking-in-caves.org) geschieht, das den Rahmen zu dieser Konferenz bildete.

Dazu wurden die drei San-Jäger, die auch an der Konferenz teilnahmen, in die Entzifferung von Fußspuren eiszeitlicher Europäer einbezogen, die sich mit einem Alter von zirka 29000  bis 15000 Jahren in Körperbau und Kommunikation von den afrikanischen San-Jägern  unterscheiden und auch semantisch abweichende Spurenmuster erzeugt haben dürften, worauf Prof. Bennett mit seiner Kritik angespielt hatte. Die Wahrnehmung der Thematik „Prehistoric human tracks“ war seitens der Organisatoren und Mitwirkenden offensichtlich uneinheitlich. Das schmälerte den Gewinn dieser spannenden Konferenz nicht, machte aber eine gewisse Navigation durch das Vortragsangebot erforderlich, um die für die OST-Leser interessanten Beiträge ausfindig zu machen. Die Kunst des Spurenlesens, „eine Fähigkeit, die der Mensch während seiner gesamten Evolution auf hohem Niveau beherrschen musste“, wie Lenssen-Erz betonte, hat eben bis heute Vorteile.{pborder}

Im Neanderthal

Der erste Konferenztag im Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Köln war im doppelten Sinne dem Aufwärmen gewidmet. Dazu versammelten sich die Konferenzteilnehmer nach der Begrüßung um eine Feuerstelle, an der die San in ihrer Muttersprache von Jagderlebnissen und dem Erlernen der Kunst des Spurenlesens erzählten, von der Anthropologin Megan Biesele und anderen Tracking-Experten unter den Referenten im Dialog ermuntert. Der Nachmittag war dann für den bereits angesprochenen Spurenlese-Workshop reserviert. Mit daran anschließenden temperamentvollen Diskussionen endete der erste Konferenztag.

Der Übergang vom erlebnisorientierten zum klassisch-akademischen Teil der Konferenz am Folgetag wurde auch durch den Umzug in den Konferenzraum des Neanderthal Museums in Mettmann sichtbar gemacht. Nach einer Begrüßung durch Museumsdirektor Gerd-Christian Weniger und – als Schirmherr der Veranstaltung – auch durch Herman Parzinger, Direktor der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Berlin, übernahm der Archäologe Erik Trinkaus von der Washington University St. Louis den fulminanten Einstieg. Trinkaus wurde durch seine Forschungen zum Neandertaler, sowie durch Grabungen auf dem Balkan und in China bekannt und ist mit seinen Veröffentlichungen seit langem eine feste Größe in der wissenschaftlichen Community. Unter anderem erregte er mit seiner vermeintlich steilen These von der Verpaarung des Neandertalers mit Homo sapiens Aufsehen, war jedoch lediglich seiner Zeit voraus, nachdem mit der Genomentschüsselung durch Swante Pääbo vom Max Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig dieser Genfluss inzwischen Faktenrang erhielt.

Dünnere Knochen durch Fußbekleidung

Trinkaus‘ Vortrag im Neanderthal Museum war einem weiteren Schwerpunkt seiner Arbeit gewidmet. Unter dem Titel „Digital Perspectives on Pleistocene Pedal Patterns and Protection“ ließ er die Evolu­tion der Fußanatomie anhand sieben relevanter Entwicklungsstufen, vom Australopithecus (Erzeuger der Laetoli-Spuren) bis zum rezenten Menschen, Revue passieren, um die Veränderungen zu deuten.

Neben der Umformung der Phalangen von einer leicht kurvigen zur geraden Form, die den Wechsel von der Kletter-Anpassung zur effizienten Kraftübertragung im Bodenkontakt bewirken, und der schrittweisen Ausbildung einer modernen tarsometatarsalen Fußarchitektur (adduzierter Großzeh, Fußgewölbe) beschrieb Trinkaus auch eine ab der Altsteinzeit (Upper Paleolithicum, 40000-10000 Jahre) zu beobachtende Verschlankung des Knochenschafts von Hallux und Kleinzehen-Phalangen. Diese führte  er auf verminderte Bodenreaktionskräfte (impact) zurück, die – so die spannende These – durch den Gebrauch von Fußbekleidung deutbar sei.

Zwar ist die bislang älteste Bastsandale aus Nordamerika knapp 10000 Jahre und der bislang älteste, armenische „Pampootie“, ein archaischer Mokassin, gerade mal 5500 Jahre alt. Doch folgt man Trinkaus, könnte Fußbekleidung schon vor zirka 30000 Jahren, eventuell sogar früher getragen worden sein – auch wenn die auf der Konferenz vorgestellten Fußfährten, die aus der letzten Kaltzeit stammen, von nackten Füßen stammen.

Hallux valgus ante Portas

Rätselhaft blieb seine Darstellung einer Formveränderung, die Trinkaus als „Hallucal distal Phalanx Orientation“ und „Hallux valgus“ bezeichnet. Während sie beim Australopithecus-Fuß (3,6 Millionen Jahre alt) wie beim Dinaledi-Fuß (archaisch, unsichere Datierung) bis ins Frühe Pleistozän (2,5 bis 1,8 Millionen Jahre) fehle, zeige sie sich ab dem Mittleren Pleistozän (780000 – 126000 Jahre) und später teilweise deutlich. Anhand einer Powerpoint-Folie präsentierte er dazu in chronologischer Reihung Hallux- Phalangen mit zunehmend asymmetrischer Architektur.

„Hallucal Distal Orientation“ beschreibt nach diesem Verständnis die evolutionäre Veränderung eines Knochens (wobei unklar bleibt als Anpassung woran) und keine erworbene Deformation der Vorfußarchitektur nach gängigem Verständnis. Inwieweit Trinkaus aus diesem Befund, der das Großzehengrundgelenk völlig ausblendet, eine evolutionär ausgebildete Prädisposition für den Hallux valgus ableitet, blieb im Vortrag offen.

Gleiche Daten, andere Schlüsse

Im Anschluss an Trinkaus gab der streitbare Matthew Bennett von der Bourne­mouth University einen Einblick in die Arbeit seines universitären Forschungslabors. Mit modernstem Hightech-Instrumentarium wurden hier in den letzten Jahrzehnten große Datenmengen zu prähistorischen Fußspuren zusammengetragen. Eine analytische Software „whole foot analysis“ (www.digTrace.co.uk) ­ermöglichen dabei eine effiziente Daten-auswertung und Vergleichsstudien.

Mit diesem Rüstzeug hat Bennetts Labor auch die berühmten Fußfährten von Laetoli in Tansania (3,6 Millionen Jahre/Australopithecus) und Illeret in Kenia (1,5 Millionen Jahre/Homo erectus) aufgezeichnet und mit den biomechanischen Daten von modernen Läufern verglichen. Mit dem Ergebnis, dass die wesentlichen Fußfunktionen seit 3,6 Millionen Jahren relativ unverändert geblieben seien. Hier haben Fußform und Fußfunktion offenbar früh zu einem stabilen Gleichgewicht gefunden, womit weiterer Selektionsdruck fehlte, wie Matthew vermutet.

Als Folgeredner von Bennett präsentierte auch Robin Huw Crompton von der Universität Liverpool seine Untersu­chungen der Fußspuren von Laetoli „Site G-1“ und Illeret, die er „pedobarographisch-parametrisch“ (Crompton) kartiert und ebenfalls mit Spuren moderner Füße verglichen hat – und kam zu einem anderen Schluss. Sein etwas blumig formuliertes Resümee konnte man jedenfalls dahingehend verstehen, dass jeder Fußabdruck in wechselnden Sedimenten einzigartig sei und Strukturvergleiche nur bedingt ermöglichten.

Indigene Kulturtechnik

Die weiteren Vorträge des Tages waren ethnologischen Annäherungen an das Spurenlesen bei zeitgenössischen indigenen Kulturen gewidmet. Pamela Wong von der Universität Toronto Kanada berichtete über ein Forschungsprojekt zu kanadischen Inuit-Jägern. Dabei basiert die Spurenlesestrategie der Inuit auf einem breiten visuellen und sprachlichen Vokabular an Spurenmustern, für welches der wortkarge scheue Inuit-Jäger George Aklah eine akustische Demonstration in seiner Muttersprache gab. Man musste spontan an einen Werbespot für das Automodell „Audi Quattro“ denken, der diese Fähigkeit vor zwanzig Jahren einmal mit Witz und Respekt für seine Zwecke zu nutzen wusste. Die US-amerikanische Anthropologin Megan Biesele stellte anschließend ein Langzeit-Projekt in Namibia vor, in dem eine Übersetzungssoftware entwickelt wurde. Sie unterstrich die immense Bedeutung gelingender Kommunikation für eine transkulturelle Zusammenarbeit. Tilman Lenssen-Erz portraitierte das „Tracking in Caves“-Projekt, und nach dem Lunch war der Nachmittag der Sichtung zeitgenössischer indigener Jagd- und Spurenlesetechniken gewidmet, mit Voträgen von Leah Umbagai, einer australischen Trackingexpertin, Tuck-Po Lye von der Universität Sains Malaysia und Louis Liebenberg, dem südafrikanischen Erfinder des Projekts CyberTracking zur Weitergabe der Kunst des Spurenlesens bei den San.

Als letzter Vortrag und in Überleitung zum Morgen des letzen Tages führte Nick Ashton vom Britischen Museum London mit seinem Bericht über eine Million Jahre alte Spuren des archaischen Homo antecessor an der englischen Küste von Happisburgh wieder zurück in die graue Vorzeit.

Zweiter Teil folgt

Im zweiten Teil des Konferenzberichts geht es um Einzelfallstudien, morphometrische und biomechanische Evaluation von Fußspuren durch Forschungsprojekte am Muséum national d’histoire naturelle  Paris und der University of Arizona Tuscan USA.

Anschrift der Verfasserin:
Nike Breyer
Leopold-Lucas-Straße 73
35037 Marburg

Ausgabe 07 / 2017

Artikel als PDF herunterladen

Herunterladen

Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
Schuhsohle
Zurück
Speichern
Nach oben