19. Oktober 2020
Phasengerechte Unterstützung für das Sprunggelenk
CHRISTINA BAUMGARTNER | WOLFGANG BEST
Vor rund zehn Jahren kam die erste Sprunggelenkorthese auf den Markt, die dem Heilungsverlauf entsprechend abgerüstet werden kann. Inzwischen ist eine deutlich größere Anzahl dieser Orthesen erhältlich. Nach und nach wird – in der Regel angepasst an drei Phasen – die Stabilisierung durch die Orthese reduziert und mehr Mobilisation ermöglicht.
Foto: Adobe Stock/Lars Zahner
Vor etwa 35 Jahren begann die Erfolgsgeschichte der funktionellen Therapie. Dem Druck verletzter Sportler folgend, wurden funktionelle Therapiekonzepte entwickelt, die sich über die Jahre in kontrollierten wissenschaftlichen Untersuchungen zumindest als ebenbürtig oder auch als überlegen erwiesen gegenüber der herkömmlichen Immobilisation. Noch bis zum Ende der 1980er-Jahre wurden fast alle diagnostizierten Kapselbandverletzungen am lateralen oberen Sprunggelenk operiert und anschließend mit Gipsimmobilisation nachbehandelt. {pborder}Die klinischen Studien konnten zeigen, dass funktionelle Behandlungen nicht nur weniger Atrophieeffekte zur Folge haben, sondern dass sie zumindest ebenbürtige Stabilitätsergebnisse im Vergleich zur Immobilisation liefern. Und sie verkürzten die Rehabilitation erheblich. Bis sich diese Behandlungskonzepte allerdings großflächig durchsetzten, dauerte es Jahre. Heute ist die konservative, frühfunktionelle Versorgung der Standard bei vielen Sprunggelenkverletzungen. Die Immobilisationsbehandlung bei Sehnen und Kapsel-/Bandverletzungen, sei es im Sport oder im Alltag, gilt heute als kontraindiziert und als Kunstfehler (Lohrer et al.). Schon ganz zu Beginn der frühfunktionellen Therapie war das Orthopädieschuhmacher-Handwerk in die Entwicklung äußerer Stabilisierungshilfen eingebunden. Heute werden zahlreiche Sprunggelenkorthesen im Hilfsmittelverzeichnis gelistet und spielen eine wichtige Rolle in der frühfunktionellen Therapie von Verletzungen am Sprunggelenk. Die meisten dieser Sprunggelenkorthesen zielen auf eine Einschränkung der Inversion nach der Verletzung ab, während sie eine Plantarflexion erlauben. In den letzten zehn Jahren hat sich jedoch ein neuer Typ Orthesen entwickelt, der in seiner Stabilisierungswirkung an den Heilungsverlauf angepasst werden kann. Je fortgeschrittener die Heilung ist und je mehr der Patient das Gelenk wieder selbst stabilisieren kann, wird die Stabilisierung durch die Orthese reduziert. Den Startschuss für dieses Orthesenkonzept gab die „Malleo Tri Step“ von Otto Bock. Inzwischen sind 12 Orthesen dieses Typs im Hilfsmittelverzeichnis gelistet. Der Therapieverlauf für den Einsatz der Orthese wird in der Regel in drei Phasen eingeteilt. In der ersten Phase stehen die Ruhigstellung und eine hohe Stabilität sowie die Reduktion der Schmerzen und der Schwellung im Vordergrund. Phase 2 steht für die beginnende Mobilisation und eine mittlere Stabilität der Orthese. In Phase 3 steht die Mobilisation und eine leichte Unterstützung im Vordergrund. Diese drei Phasen finden ihre Entsprechung in der Beschreibung des Heilungsverlaufes in der Fachliteratur (R. Best et al.). Danach durchlaufen verletzte Weichteilstrukturen beziehungsweise verletzte Bandstrukturen in der Regel verschiedene Phasen der Heilung. Direkt nach der Verletzung kommt es zu einer entzündlichen Phase, die einen bis fünf Tage dauert. Eine Einblutung ins Gewebe, begleitet von einer posttraumatischen Ausschüttung von Entzündungsmediatoren und dem damit verbundenen entzündlichen Exsudat, führt zu den typischen Symptomen Schmerz und Schwellung. In der sogenannten reparativen oder proliferativen Phase folgt ein Abklingen der Schwellung und der Primärsymptome in etwa 5 –28 Tagen. Diese ist durch Angiogenese (Wachstum von Blutgefäßen), proliferierende Fibroblasten (Zellwachstum) und Kollagenproduktion gekennzeichnet. Deshalb wird hier von einer Primärheilung gesprochen. Abschließend kommt es zur Umbau- beziehungsweise zur remodellierenden Phase, die ca. 28 bis 42 Tage dauert. In der Anpassung an eine erste mechanische Belastung nach dem Prinzip „Form follows function“ kommt es zu einer „Reifung“ und Ausrichtung der Kollagenfibrillen und Zellen. Das Band gewinnt an Stabilität. Für einen idealen Rehabilitationsverlauf, so die Autoren, müsse man die Therapie an die einzelnen Heilungsphasen anpassen. Gerade in den ersten beiden Phasen müssten die heilenden Bandstrukturen vor übermäßiger Belastung geschützt werden, auch um eine überschießende Produktion des Kollagens Typ III und die Bildung eines elongierten Bandes zu verhindern. Ein gewisses zunehmendes Maß an Belastung sei in der remodellierenden Phase III erforderlich, um die primär verheilte Bandstruktur entsprechend „auszuhärten“. Die einzelnen Phasen seien dabei in ihrer Dauer individuell leicht unterschiedlich und selten chronologisch verlaufend, sondern sich überlappend. Eine nahezu komplette Festigkeit der Bandstruktur wird nach etwa 16 – 50 Wochen erwartet. Da bei diesen Orthesen oft mit Zügeln gearbeitet wird, welche die Stabilität regulieren, ist das richtige Anlegen der Orthese sehr wichtig für einen sicheren und erfolgreichen Einsatz. Nur richtig angelegt können sie auch wirken. Hier sind die qualifizierten Partner aus dem Orthopädiehandwerk gefragt, die Patienten entsprechend zu schulen und Ansprechpartner bei Problemen zu sein. In Folgenden werden einige der auf dem Markt befindlichen Produkte vorgestellt.


Die therapiebegleitende, schlanke Sprunggelenkorthese „MalleoLoc L3“ kann in drei Stufen abgerüstet werden. Die Orthese stabilisiert das Gelenk einseitig mit einer anatomisch geformten L-Schale, die außen am Unterschenkel anliegt. Sie verläuft vor dem Außenknöchel und reicht bis über den Talus. Eine Kompressionsbandage aus einem sehr dehnbaren, atmungsaktiven Gestrick sorgt bei jeder Bewegung für eine Wechseldruckmassage, so Bauerfeind. Sie soll darüber hinaus das Abklingen von Schwellungen fördern. Am oberen und unteren Rand ist das Material weicher und elastischer gehalten. Ein Reißverschluss an der Bandage erleichtert das Anziehen, gibt der Hersteller an. Durch eine Achterschlinge mit Klettverschluss wird die „MalleoLoc L3“ nach Bedarf stabil an Fuß und Unterschenkel befestigt. Die Orthese hält den Fuß in der Neutralstellung und soll das Sprunggelenk vor wiederholtem Umknicken schützen. Mit zunehmendem Heilungsfortschritt können dann schrittweise erst die Schale und anschließend die Gurte weggelassen werden. Das Anlegen der Orthese und der Gurte wird in Videos auf der Bauerfeind-Website demonstriert.

Die modulare Sprunggelenk-Soft-Orthese „MalleoXpress“ ist komplett zu öffnen und mit einem Boa-Verschluss-System ausgestattet, welches eine Stabilisierung des Sprunggelenks durch eine stufenlose Einstellung ermöglicht. Die abrüstbaren, bilateralen Schalenmodule sind auf der Innenseite mit weichem Memoryschaum gepolstert. Die Reduzierung des Talusvorschubs erfolgt bei der „MalleoXpress“ durch die Zügelführung, so der Hersteller. Für zusätzliche Stabilisierung in der Akutphase sorgt ein Sohlenmodul, das je nach Therapieverlauf ebenfalls abrüstbar ist. Die Orthese ist in Schwarz/Bordeaux erhältlich und laut Bort problemlos im Sport- und Straßenschuh tragbar.
DJO

Ebenfalls mit einem Boa-Verschluss für eine individuelle Passform- und Druckregulierung ausgestattet ist die „Aircast Airpro“ von DJO. Das Drei-Phasen-Modell ermöglicht die optimale Versorgung in jeder Therapiephase, so der Hersteller. Die 8er-Gurtung biete zusätzliche Stabilität und Sicherheit für das Sprunggelenk in Phase eins und zwei. Herausnehmbare, starre Schalenelemente schränken die Pro- und Supination in Phase eins ein. Thermoplastisch verformbare flexible Stabilisatoren sorgen für Passform und Tragekomfort in Phase zwei und drei, gibt DJO an. Der diagonal verlaufende Zuggurt soll die verletzten Bandstrukturen entlasten und den Talusvorschub reduzieren.

Die abrüstbare Sprunggelenkorthese „Cellacare Tarsotec Expert“ macht durch ihren modularen Aufbau eine indikations- und phasengerechte Unterstützung des Sprunggelenks in allen Heilungsphasen möglich, von der Ruhigstellung über die Re-Mobilisation bis zur Mobilisation, gibt die Lohmann & Rauscher GmbH & Co. KG an. Der patentierte abnehmbare Vorfußgurt schränkt bei einer Bandruptur den Talusvorschub ein. Herausnehmbare Verstärkungsschalen begrenzen die Pronation und Supination. Zirkuläre Gurte und ein Fersenband fixieren die Orthese am Bein, die nach Anleitung vom Patienten selbst anzulegen ist. Die Sprunggelenkorthese ist mit einem leicht komprimierenden Strickteil ausgestattet. Sie ist in unterschiedlichen Ausführungen für rechts und links – in den Farben Schwarz/Anthrazit/Orange – erhältlich. Auf der Website des Herstellers wird in einem Video das richtige Anlegen der „Cellacare Tarsotec Expert“ gezeigt.

„Levamed stabili-tri“ ist eine modulare Sprunggelenkorthese zur stufenweisen Mobilisierung. Sie besteht aus einem kompressiven Gestrick mit Stabilisierungselement und einem Gurtsystem. In Phase eins liegt das medial verlaufende, thermoplastisch verformbare Stabilisierungselement innenseitig am Knöchel an und vermeidet Druck auf die verletzte Außenseite des Fußes, so Medi. Das Gestrick mit fester Zunge und Gurtband gibt Stabilität und soll den Heilungsprozess der Bänder unterstützen. In Phase zwei wird dem Sprunggelenk durch die Entnahme des Stabilisierungselements erste leichte Bewegungsfreiheit gewährt. In der dritten Phase wird dann auch die 8er-Gurtung entfernt. Durch die Schnürung mit sogenannten Klickösen „klickt“ der Schnürsenkel laut Hersteller einfach in die Ösen ein, die Zunge mit weiter Öffnung soll ein möglichst komfortables An- und Ablegen der Orthese ermöglichen. Erhältlich ist auch ein Poster mit Übungen, die nach Absprache mit dem Arzt zu Hause durchgeführt werden können. Je nach Heilungsphase sind die Übungen mit oder ohne Gurtband möglich.

Otto Bock HealthCare

Auch der Aufbau der mit Klettverschlüssen und einem autoadaptiven Kunststoffinlet ausgestatteten Multifunktionsorthese „Malleo TriStep“ erlaubt eine Anpassung an drei Heilungsphasen. In der akuten Entzündungsphase stellt die Orthese den Fuß ruhig und wird vollständig aufgerüstet mit Stabilisierungsgurt und Fußschale getragen. In der Phase der Gewebeneubildung kann tagsüber auf das Tragen der Fußschale verzichtet werden, nachts sollte diese als Lagerungsschiene weiterhin angelegt werden, empfiehlt der Hersteller. Ab etwa dem 29. Tag und damit der Phase der Gewebereifung, könne die Orthese je nach Befund vollständig abgerüstet ohne Stabilisierungsgurt und Fußschale getragen werden – eventuell sogar darüber hinaus zur Prävention erneuter Bandverletzungen im Sprunggelenk. Die „Malleo TriStep“ wurde von Otto Bock gemeinsam mit Orthopäden, Sportmedizinern, Biomechanikern, Therapeuten und Orthopädietechnikern entwickelt. Zusätzlich gibt es das Bewegungsprogramm „Malleo Move“. Die Übungen sind abgestimmt auf die drei Heilungsphasen und können laut Hersteller in Absprache mit dem behandelnden Arzt zu Hause durchgeführt werden.

Zur phasengerechten Unterstützung akuter Sprunggelenksverletzungen ist auch die „VarioSan Talus“ von Ruthner einsetzbar. Klettverschlüsse und eine Schnürung machen die Orthese bedienungsfreundlich, so der Hersteller. Eine Anpassung der Stabilität in den Phasen eins bis drei ist möglich. Ausgeliefert wird die „VarioSan Talus“ laut Ruthner immer mit eingesetzten Stäben, geeignet für akute Verletzungen. Im Lieferumfang befinden sich zudem zwei lange, anatomisch vorgeformte Stäbe, die eingesetzt werden können, um noch mehr Stabilität zu erreichen. Der Austausch der Plastikstäbe soll nach Anweisung oder Vorgabe des behandelnden Arztes erfolgen.
Spektramed

Die beidseitig verwendbare Sprunggelenkorthese „MalleoFix aktiv“ von Spektramed stabilisiert in der Akutphase mit Hilfe von individuell anpassbaren Aluminiumprofilen sowie einem Supinations- und Pronationsgurt. In Phase zwei, der Mobilisierung, werden die Aluminiumprofile durch Spiralfedern ersetzt. In der anschließenden Bewegungsphase dient die Orthese dann als Stabilisierungsbandage, auch der Pronations- und Supinationsgurt werden jetzt nicht mehr benötigt. Die „MalleoFix aktiv“ besteht aus dem elastischen Material „C6TEX“. Die eingewobene, wabenförmige Carbonfaserstruktur soll die Stabilität und die Leistungsfähigkeit erhöhen und wirkt laut Hersteller antibakteriell, klimaregulierend und antistatisch. Die Orthese kann durch ihren schlanken Aufbau in fast jedem Schuh getragen werden, gibt Spektramed an.

Die abrüstbare Sprunggelenkorthese „Malleodyn S3“ ist in der ersten Heilungsphase gemäß der PECH-Regel (Pause, Eis, Compression, Hochlagern) einsetzbar. Mit Hilfe einer seitlich stabilisierenden Schiene, 8er-Zügel sowie einem beiliegenden Kühlpad wird das Sprunggelenk in der Akutphase entlastet und stabilisiert. Anatomisch geformte Schienen stabilisieren inklusive der zusätzlich versteifenden, seitlichen Schiene in Pro- und Supinationsrichtung. Der unter dem Mittelfuß positionierte 8er-Zügel soll den Talusvorschub und die Plantarflexion einschränken. In einem ersten Abrüstungsschritt kann dann die Seitenschiene entfernt werden. Nach der Abrüstung des 8er-Zügels lässt die Orthese eine maximale Mobilisierung entsprechend dem Therapieverlauf zu, gibt Sporlastic an. Durch die flexible innenschuhartige Konstruktion und die einfache Handhabung könne die Orthese nach den drei Abrüstungs-Schritten zur Sekundär-Prävention eingesetzt werden. Die Orthese ist über den gesamten Behandlungsverlauf hinweg mit zwei „Klicks“ (Bein- und Fußverschluss) anlegbar. Per QR-Code in der Produktverpackung erhalten die Patienten Zugang zu Therapieübungen.
Tigges

Die in drei Stufen abrüstbare Tigges „MalleoSet“ Sprunggelenkorthese bewirkt die notwendige Immobilisierung des Sprunggelenks durch eingelassene Verstärkungen sowie einen Stabilisierungsgurt. Vor allem Talusvorschubbewegungen, die zu chronischen Problematiken führen können, werden von der Orthese weitestgehend limitiert, gibt der Hersteller an. Ein beiliegendes Ice-Pack, welches für das Gefrierfach geeignet ist, sorgt für die Kühlung des betroffenen Gewebes in der frühen posttraumatischen Phase. Zudem ermöglicht die Konstruktionsweise ein komplettes Aufklappen der Orthese, wodurch Schmerzen und die Gefahr von Rezidiven während des Anlegeprozesses reduziert werden sollen. Zur Anpassung an den Therapieverlauf können die Verstärkungen sowie der Stabilisierungsgurt phasenadaptiert abgerüstet werden. Dadurch könne der Heilungsprozess längst möglich begleitet werden.

Kontrollierte Bewegungsfreiheit bei Sprunggelenksverletzungen ermöglicht die Orthese „Malleo Dynastab Vario“ von Thuasne, die sich ebenfalls an die unterschiedlichen Heilungsphasen anpassen lässt. Durch die weite Einstiegsöffnung auf der Rückseite ist laut Hersteller ein möglichst schmerzfreies Anlegen möglich. Das moderne Zwei-Zugsystem sorge für ein schnelles Öffnen und Schließen und der 8er-Gurt stabilisiert neben dem U-förmigen Kunststoffelement zusätzlich das Gelenk, solange dies notwendig ist.
Literatur:
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