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29. Juni 2023
Redaktion
Neues Bewegungslabor

Orthopädieschuhtechnik und Spitzensport unter einem Dach

WOLFGANG BEST


Der Sport spielte für OSM Matthias Hartmann in seinem Beruf schon immer eine wichtige Rolle. In diesem Jahr eröffnete er in Partnerschaft mit Puma ein neues Bewegungslabor, das eine umfassende Analyse aller sportrelevanten Parameter ermöglicht. Das Ziel: Spitzensportler noch besser machen und die Erfahrungen daraus für Jedermann zu nutzen.


Foto: Hartmann

Die Luft ist dünn im Hochleistungssport. Hier entscheiden oft Kleinigkeiten darüber, ob der Sportler bei den großen Wettkämpfen auf dem Podest ganz oben steht oder vielleicht noch nicht einmal das Finale erreicht. Längst schon sind deshalb die Sportler, ihre Trainer, aber auch ihre Ausrüster dazu übergegangen, auch den scheinbar kleinen Dingen, welche die Leistung beeinflussen können, größere Beachtung zu schenken. Dazu gehören in vielen Fällen die Schuhe der Athleten, aber zum Beispiel auch Feinheiten oder Unsauberkeiten in der Bewegungsausführung, die im entscheidenden Wettkampf über Sieg oder Niederlage entscheiden können.

Die Bandbreite der Analysen, Trainingsverfeinerungen oder Ausrüstungsänderungen ist groß und meist auf unterschiedliche Einrichtungen und Dienstleister verteilt. Der Sportausrüster Puma ging einen neuen Weg und konzentrierte alle Aktivitäten für seine Athleten in einem Labor. Dass dies in Kooperation mit einem Orthopädieschuhtechnik-Betrieb geschieht, erscheint nur auf den ersten Blick ungewöhnlich. Denn diese Kooperation hat eine längere Vorgeschichte.

Leidenschaft Sportversorgung

„Der Sport war der Hauptgrund, warum ich den Beruf lernen wollte,“ sagt OSM Matthias Hartmann, der in Partnerschaft mit Puma das „Nitro Lab“ in seinem Betrieb im mittelhessischen Dillenburg realisiert hat. Schon vor 30 Jahren versorgte Hartmann den ersten Profifußballer, kurz nachdem er sich nach der Meisterprüfung selbständig gemacht hatte. Eher Zufall war es, dass es mit Antony Yeboah, damals bei Eintracht Frankfurt und einer der besten Stürmer der Bundesliga, auch ein Puma-Athlet war, der von den Künsten des Orthopädieschuhmachers profitierte.

2 Die Vielfalt der Einlagentypen mit ihren unterschiedlichen Einsatzgebieten ist übersichtlich und informativ an einer Wand dargestellt.

Dem Leistungssport blieb Matthias Hartmann immer verbunden, auch wenn er heute vielen in der Branche vielleicht eher als Entwickler und Hersteller von Einlagen für Sicherheitsschuhe bekannt ist. In Kooperation mit Prof. Dr. Manfred Betz entwickelte er schon in den neunziger Jahren Versorgungskonzepte für ganz unterschiedliche Sportarten, mit einem Schwerpunkt auf der Leichtathletik. Das von Dr. Betz gegründete Institut für Gesundheitsförderung und -forschung (IGFF) versammelt Experten aus unterschiedlichen Bereichen mit dem Ziel, wissenschaftliche Erkenntnisse im Bereich der Präventiv- und Sportmedizin in die alltägliche Praxis umzusetzen. Die Erkenntnisse und Erfahrungen aus dieser Zusammenarbeit flossen bei Matthias Hartmann in zahlreiche Einlagen-Neuentwicklungen ein. Inzwischen sind es 26 unterschiedliche Einlagentypen, die sich in Form und Materialkombinationen je nach den Anforderungen der Sportart bzw. der Anwendung unterscheiden, sei es Fußball, Laufen, Wandern oder Tennis.

 3 Zu den Topathleten, die sich in Dillenburg analysieren ließen, gehörte auch Marcel Jacobs (Mitte), 100 Meter-Olympiasieger von Tokio, hier bei seinem Besuch mit Matthias Hartmann (li.) und Philipp Gonschorek (re.).  4 Die Maßräume bieten ausreichend Platz für Untersuchungen und Gespräche mit den Athleten.

Die Kontakte in den Spitzensport baute Matthias Hartmann über die Jahre immer weiter aus. Waren es 1996 bei den Olympischen Spielen in Atlanta noch zwei Athleten, die auf die Expertise des Dillenburger OSM vertrauten, wurden bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio schon 26 Athleten von Hartmann und seinem Team betreut. Einige von ihnen gewannen zwei Gold-, zwei Silber- und drei Bronzemedaillen. Die meisten dieser Athleten wurden von Puma ausgerüstet. Diese Kooperation hatte sich über viele Jahre entwickelt. Immer mehr Vertragsathleten des Herzogenauracher Herstellers wurden von Hartmann biomechanisch untersucht und schuhtechnisch versorgt.

{pborder}Partnerschaft in der Analyse von Top-Athleten

Das Angebot von Puma, gemeinsam und partnerschaftlich ein Labor aufzubauen, in dem die Athleten auf allen Ebenen analysiert und versorgt werden können, kam also nicht aus heiterem Himmel. Gleichwohl bedeutete es einen großen Schritt für den Betrieb, denn es war klar, dass dies in den bestehenden Räumlichkeiten nicht umsetzbar war.

Hier half Matthias Hartmann, der das Unternehmen heute mit seinem Sohn Daniel führt, der Zufall, denn nur wenige hundert Meter weiter konnte er ein großes Areal mit einer Halle erwerben, die ausreichend Raum für das neue Labor und auch den bestehenden Orthopädieschuhtechnik-Betrieb bot. „Am Anfang war es nur eine Halle mit vier Außenwänden“, berichtet Matthias Hartmann. Das erwies sich aber auch als Vorteil, weil man praktisch alles neu nach den eigenen Vorstellungen gestalten konnte. Nur in einem Punkt genügte die Halle nicht den neuen Anforderungen: Rechts neben dem Eingang wurde sie um einen 30 Meter langen Gang erweitert. Damit verfügt das große Analyselabor über eine Laufstrecke von 60 Metern und erlaubt es den Athleten bis zum Analysefeld im Sprint auf die volle Geschwindigkeit zu beschleunigen.

Neben der Bahn wurde auf Wunsch von Matthias Hartmann auch ein Kunstrasen verlegt, damit zum Beispiel auch Fußballer unter realistischen Bedingungen vermessen werden können. Videoaufnahmen der Bewegung sind selbstverständlich. Die dreidimensionale Erfassung der Bewegungen erfolgt über Inertialsensoren, die zum Beispiel am Fuß, Sprunggelenk, Oberschenkel und Hüfte angebracht werden können. Schienen mit Sensoren entlang der Laufstrecke sorgen dafür, dass die Bewegung der Sensoren zueinander im Raum exakt erfasst wird. In den Boden der Laufstrecke sind zudem zwei Kraftmessplattformen eingelassen, deren Abstand verändert werden kann, so dass auch Weitspringer oder Hürdenläufer, wie Olympiasieger Karsten Warholm, gut vermessen werden können. Die Kraftmessplatten können auch in die Kunstrasenfläche eingelassen werden, um dort Kraftmessungen vorzunehmen.

Das große Labor mit der 60-Meter-Laufstrecke ist nur eines von drei Laboren, die für die Analyse der Sportler zur Verfügung stehen. Neben dem großen Labor gibt es noch zwei weitere Labore für die Bewegungs- und Haltungsanalyse, die unter anderem mit einem 4D-Rückenscan und einem Laufband ausgestattet sind. Darin können auch Atem-Spirometrie und Laktatmessungen durchgeführt werden. Damit kann Hartmann die Athleten in allen für den Sport wichtigen Parametern untersuchen.

Die Athleten kommen dabei aus der ganzen Welt, meist, wenn sie sich ohnehin in Deutschland oder Europa zu Wettkämpfen oder zum Training aufhalten. Neben dem Labor in Dillenburg unterhält Puma nur noch ein Labor in Boston, in dem die Athleten professionell betreut werden.

Prävention und Leistungssteigerung

Die Fragestellungen bei den Athleten sind unterschiedlich, die Zielsetzungen ähneln sich jedoch. Die Analysen sollen im Vorfeld mögliche Ursachen für Überlastungen und damit Verletzungen zeigen oder Aufschluss darüber geben, wie weit der Heilungs- und Rehabilitationsprozess bei einem Athleten ist. Und sie sollen natürlich auch jenes Quäntchen an Optimierung ermöglichen, das am Ende auf das Siegertreppchen führt, sei es durch eine Verbesserung der Bewegungsausführung oder eine Optimierung der Schuhversorgung.

5 Laufband zur Videoanalyse, aber auch zur Messung des Sauerstoffverbrauchs.

Bei letzterem haben Matthias und Daniel Hartmann und ihre Mitarbeiter den Vorteil, dass sie Änderungen an Schuh oder Einlage direkt umsetzen und anschließend die Auswirkung der Veränderung gleich im Labor überprüfen können. Sehr hilfreich ist auch, dass in den Laboren alle Analysetechniken miteinander synchronisiert sind. Die Ergebnisse stehen unmittelbar nach der Analyse zur Verfügung und werden im Labor auf einem großen Bildschirm angezeigt. So können sie direkt mit dem Athleten und/oder dem Trainer besprochen und Veränderungen vorgenommen werden. Nicht immer ist der Trainer oder der betreuende Arzt oder Physiotherapeut bei der Analyse dabei. Dann schickt Philipp Gonschorek, fachlicher Leiter des Labors, ausführliche Berichte, aus denen Hinweise zur Bewegungsausführung oder zur Belastungssteuerung gezogen werden können.

Für Puma selbst ist das Nitro Lab mehr als nur ein Ort, an dem die Vertragsathleten professionell auf höchstem Niveau betreut werden. Das Labor und auch ein Maßraum sind gestalterisch zum Teil auf Puma abgestellt. „Wenn die Athleten bei uns sind, wird das von Puma auch gerne für Fotoshootings, Interviews oder Videos mit den Athleten genutzt“, berichtet Matthias Hartmann.

Klassische Orthopädieschuhtechnik wird nicht vernachlässigt

„Trotz der Kooperation mit Puma sind wir natürlich offen für andere Athleten“, betont Hartmann. Und die Leistungen der Labore stünden selbstverständlich Jedermann zur Verfügung. Vor allem aber seien die Labore Teil eines ganz normalen Orthopädieschuhtechnik-Betriebes, der weiterhin alle Leistungen der Orthopädieschuhtechnik anbiete, von Einlagen, über Orthesen und Kompressionsversorgung und dem orthopädischen Maßschuh bis zur Podologie.

Matthias Hartmann nutzte die Neugestaltung und den jetzt vorhandenen Platz auch für den Orthopädieschuhtechnik-Betrieb aus. Alle Maßräume sind mit einem 3D-Fußsscanner ausgestattet und großzügig dimensioniert, so dass auch die vorgeschriebene Gehstrecke zur Gangbeurteilung in den Makabinen vorhanden ist.

Ähnlich wie im Sport steht auch hier die strukturierte Patientenversorgung im Vordergrund. So wurde zum Beispiel in Kooperation mit der Kinderklinik Siegen ein Versorgungskonzept für Kinderfüße entwickelt und für Patienten mit Kniearthrose wurde ein Konzept entwickelt, das nicht nur die Hilfsmittelversorgung umfasst, sondern sie auch auf die Therapie des Arztes abstimmt.

6 Messstation für Sicherheitsschuhe mit einer Auswahl an Sicherheitsschuhen. Ein zweites großes Standbein von Matthias Hartmanns Unternehmen.

„Das Verhältnis zu den Ärzten hat sich gewandelt“, sagt Matthias Hartmann. Die Zusammenarbeit sei partnerschaftlicher geworden. „Man ist enger zusammengerückt“. Die Ärzte seien heute froh über Partner, die ihre Patienten gut versorgen und sie dauerhaft von ihren Beschwerden befreien können.

Die Ausstrahlung des Sportbereiches in Bezug auf die Analysekompetenz hat auch das Verhalten der Kunden verändert, berichtet Matthias Hartmann. Statt mit einer Verordnung zu kommen, würden sich viele heute schon vorab an seinen Betrieb wenden, um die möglichen Ursachen ihrer Beschwerden abklären zu lassen. Auch Ärzte würden immer wieder Patienten zur Bewegungsanalyse für die Abklärung von Beschwerden schicken. Und trotz der klaren Ausstrahlung für den Sport kämen auch andere Kundengruppen in das neue Geschäft, wo sie nicht nur eine große Auswahl an Sport-/Wander- und Sicherheitsschuhen finden, sondern auch alle angebotenen Dienstleistungen wie die Profis genießen dürfen.

30 Jahre liegen zwischen der ersten Versorgung im Profisport und der aktuellen Partnerschaft mit Puma. Für Matthias und Daniel Hartmann ist die Versorgung von Sportlern aber noch nicht der Endpunkt, denn mit den neuen technischen Möglichkeiten lässt sich ja auch Forschung betreiben. Aktuell werden in seinem Labor Messungen für die Entwicklung neuer Fußballschuhe durchgeführt.

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Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
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