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8. Februar 2021
Redaktion

Operative Behandlung des Lipödems: Fragen an Dr. Heck

ULRIKE KOSSESSA


Was sagt die Wissenschaft zu den Behandlungserfolgen der ­Liposuktion (Fettabsaugung) beim Lipödem? Und wird diese ­Operationsmethode von den Kostenträgern erstattet? Dr. Falk-Christian Heck im Interview.
Foto: LipoClinic
Welche Ergebnisse zeigen Langzeitstudien zur Liposuktion beim Lipödem?
Die Liposuktion im Rahmen einer Lip­ödem-Operation stellt aus unserer Sicht die einzig nachhaltige Behandlung des Lipödems dar. Bei konsequenter,  kompetenter Durchführung der Operation sind durchweg hervorragende Ergebnisse bei sehr geringen Komplikationen zu erwarten. Das WAL-Verfahren (wasserstrahlassistierte Liposuktion) findet bereits seit 2006 Anwendung, wird permanent optimiert und hat sich als überzeugende Methode bewährt. Das über mehr als 15 Jahre entwickelte, 2017 veröffentlichte standardisierte Behandlungsverfahren der LipoClinic Dr. Heck zur Therapie des Lip­ödems, das sogenannte Heck-Protokoll,  zeigte in den Ergebnissen noch kein Rezidiv, also ein Wiederauftreten des Lip­ödems nach vollständiger operativer Behandlung. {pborder}Insbesondere nicht bei einer anschließenden Schwangerschaft mit ihrer hohen Hormonaktivität. Abhängig von der Dauer der Lipödem-Erkrankung verbessern sich durch die Operation die beklagten Beschwerden wie Schmerz, Schwellung, Hämatombildung und die Notwendigkeit für das weitere Tragen von Kompressionsbestrumpfung sehr unterschiedlich. Unsere eigene Studie, die 2020 international veröffentlicht wurde, zeigte folgende Ergebnisse: Allem voran war im Mittel 22 Monate nach der OP die Schmerzsymptomatik im Schnitt um 78 % reduziert. Schwellungen waren um 79 % rückläufig, der Juckreiz um 81 %, die Hämatomneigung um 67%. Beweglichkeit und Lebensqualität der Patientinnen waren durch die standardisierte Operation um je 89 % gesteigert. 73 % waren nicht mehr auf das Tragen von Kompressionskleidung angewiesen, 61 % brauchten keine manuelle Lymphdrainage mehr. Aktuell existieren acht aussagekräftige Studien – allesamt aus dem deutschsprachigen Raum – zum Langzeiteffekt der Liposuktion bei Lipödem. Alle Studien zeigen auf, dass die hochvolumige Liposuktion eine hocheffektive Maßnahme zur Behandlung des Lipödems darstellt. Der längste Nachuntersuchungszeitraum beträgt aktuell 12 Jahre. In dieser 2020 erschienenen Arbeit wurde gezeigt, dass auch nach diesem Zeitraum die sehr guten kurzfristig beobachteten Verbesserungen immer noch in gleicher Form nachweisbar sind. Den Grund hierfür sehen wir in der „radikalen“, allumfassenden Entfernung des erkrankten Fettgewebes, was landläufig in dieser Konsequenz so noch nicht praktiziert wurde und wird. In den alten, aber immer noch gelesenen Lehrbüchern der Plastischen Chirurgie wird noch vor der radikalen großflächigen Absaugung mit dem Verweis auf Komplikationsmöglichkeiten gewarnt. Diese Lehrmeinung spiegelt jedoch nicht mehr den aktuellen Stand der Wissenschaft wider. Die Operationsmethoden sind wesentlich schonender und moderner geworden. Trotzdem halten sich viele Chirurgen noch an die alten Lehrmethoden mit der Folge, dass das Lipödem häufig unvollständig operiert wird. Unsere Standardisierung der vollständigen Liposuktion des erkrankten Fettgewebes ist bislang einzigartig und garantiert reproduzierbare Qualität der Ergebnisse auf hohem Niveau. 
Ist zu erwarten, dass Krankenkassen diese Operation langfristig finanzieren werden? 
Wir setzen uns aktiv dafür ein. Um die Kostenübernahme für eine neue Operationsmethode durch die gesetzlichen Krankenkassen zu erreichen, sind Voraussetzungen zu erfüllen, die wir in der LipoClinic geschaffen haben: eine durch Studien in der Qualität abgesicherte Standardisierung der Operationstechnik, eine wirtschaftliche Bewertung der erbrachten ärztlichen Leistung, die Lehre dieser Methode und Schulung von Ärztinnen und Ärzten in der operativen Technik. Zudem bewerben wir diese Methode breit unter den betroffenen Frauen. Wir stehen in engem Kontakt zu politischen Entscheidern in Berlin, die sich ebenfalls dem Ziel verschrieben haben, diese Operation zu einer Regelleistung der Krankenkassen zu machen. Seit dem 1. Januar 2020 und vorerst bis 31. Dezember 2024 befristet ist bei einem Lipödem im Stadium III die Liposuktion unter bestimmten Voraussetzungen Kassenleistung. Die medizinische Notwendigkeit muss gegeben sein und eine konservative Therapie muss der Liposuktion vorausgehen. Das ist ein wichtiger Anfang. Aber es ist sinnvoll, das progrediente Lipödem in einem frühen Stadium zu operieren. Körper und Seele leiden. Allein die jährliche Versorgung mit Kompressionsstrümpfen kostet die Kassen große Summen. Da zeigt sich eine Operation als sinnvolle, nachhaltige und Lebensqualität schenkende Alternative. Allerdings sollten diese OPs nur von qualifizierten und geprüften Spezialisten durchgeführt werden.
 
In welchem Stadium sollte ein Lipödem aus Ihrer Sicht operiert werden?
Möglichst früh. Dann sind die körperlichen und seelischen Auswirkungen noch gering und die Erfolgsaussichten besonders groß. Unsere erfahrenen Chirurgen sind in der Lage, selbst in einem frühen und weitestgehend symptomlosen Zustand bereits die Anlagen für ein Lipödem, das im weiteren Verlauf einen operationsbedürftigen Befund entwickeln wird, zu erkennen. Beispielsweise kann die Veränderung hin zu einem „Säulenbein“ mit einem Fettmuff an den Sprunggelenken ein äußerlicher Hinweis auf ein Lipödem sein. 
Welche Kontraindikationen gibt es für eine Operation? Welche Komplikationen können auftreten? 
Die Komplikationsrate ist mit 0,9 % gering. Dazu zählen fast ausschließlich Belastungen des Kreislaufsystems bei hohen Volumina der Fettabsaugung. Hinzu kommen in seltenen Fällen ein moderater Blutverlust oder oberflächliche Infektionen des Operationsgebietes. Auch Thrombosen sind in einzelnen Fällen aufgetreten. Die rund zweistündigen Operationen erfordern einen guten allgemeinen Gesundheitszustand des Patienten. Schwere Herz-Kreislauferkrankungen, die Einnahme von Blutverdünnern, aber auch sehr starkes Übergewicht limitieren die OP. 
Ist nach der Fettabsaugung eine operative Weiterbehandlung der Haut nötig?
Bei jährlich etwa 3000 Operationen beobachten wir regelmäßig die unglaubliche Straffungskompetenz der Haut, die nur in wenigen Fällen Straffungsoperationen nötig macht. Unser 13-köpfiges Ärzte-Team macht es möglich, dass wir diese Straffungen in der LipoClinic durchführen können.   
Jede zehnte Frau in Europa ist von einem Lipödem betroffen. Wie kann die Aufklärung für eine frühzeitige Therapie intensiviert werden?
In Deutschland kennen mittlerweile viele Fachärzte das Lipödem. Unsere Aktivitäten in der Öffentlichkeitsarbeit und die Allverfügbarkeit von Wissen im Internet haben dazu geführt, dass schon Teenager frühzeitig erste körperliche Veränderungen hinterfragen und so doch relativ schnell zu einer Diagnose kommen. Außerhalb Deutschlands – das Lip­ödem kennt keine Grenzen – herrscht jedoch, ähnlich wie vor 20 Jahren in Deutschland, noch eine sehr schlechte Wissenslage bei den betroffenen Frauen. Viele werden erst nach Jahrzehnten über ihre Erkrankung aufgeklärt. Tatsächlich muss vom Lipödem die häufig mit einhergehende Adipositas abgegrenzt und durch begleitende Therapien behandelt werden. Hier spielen Ernährung und körperliche Aktivität eine große Rolle. 
Wie kann es sein, dass das Lipödem bis Anfang der 2000er-Jahre eine unbekannte Krankheit war? 
Steinfiguren aus dem alten Ägypten stellen bereits Frauen mit der typischen Figur eines Lipödems dar. Doch es ist richtig, dass das Krankheitsbild lange nicht beachtet wurde. Für mich ist das ein gesellschaftliches Spiegelbild; auch heute müssen Frauen immer noch um ihre Wertschätzung kämpfen. Ich bin überzeugt: Wäre das Lipödem eine Erkrankung, die gleichermaßen Männer und Frauen betrifft, so hätten wir sicherlich schon anerkannte und etablierte Behandlungsmethoden, die auch von der GKV bezahlt würden. 
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Foto: Andrey Popov/AdobeStock_495062320
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