Schätze das, was du hast, und lass deine Mode nicht zum Einwegartikel werden. Diese Nachhaltigkeit lebt Hagen Matuszak auch selber und besitzt nur wenige Paar Schuhe: „Schuhe sollten kein Wegwerfprodukt sein, denn schließlich haben sie die Träger durch ihr Leben begleitet. An ihnen hängen Erinnerungen und Emotionen.“ Mit der Sneaker-Reparatur hat der 25-jährige Orthopädieschuhmacher eine Marktlücke entdeckt: Sneaker sind teuer – deswegen ist es sinnvoll, sie zu reparieren statt wegzuwerfen. „Wir müssen aufhören, mit Schuhen so viel Müll zu machen“, sagt Matuszak.
Allein in Deutschland landen jährlich über 380 Millionen Paar Schuhe im Hausmüll.
Eigener Sneaker im Online-Shop
Seine Ambitionen gehen jetzt in die zweite Runde: Mit „First Fair“ bietet der junge Unternehmer einen nachhaltig und fair hergestellten Sneaker an, bei der Produktion in Portugal werden Arbeitsschutzstandards eingehalten und ein fairer Lohn gezahlt. Im Verkaufspreis sind eine Reparatur und die Entsorgung eingeschlossen. „Vorerst werden 3000 Paar ausschließlich online angeboten“, erzählt Matuszak. „Bis jetzt gibt es eine Variante in Weiß und eine in Off-white, in Leder oder vegan. Wir planen, alle vorbestellten Sneaker Mitte bis Ende April 2022 ausliefern zu können.“ Mit dem eigenen Sneaker will der Berliner für mehr Nachhaltigkeit, Fairness und Transparenz in der Sneaker-Industrie sorgen. Deshalb zeigt er auch auf der Website
www.firstfairsneaker.com, wer was an einem Paar First Fair verdient:
- 50,00 Euro Produktionskosten in Portugal
- 3,00 Euro Verpackungsmaterial
- 30,00 Euro Reparaturkosten
- 5,00 Euro Transportkosten
- 10,00 Euro Werbung
- 30,00 Euro Mehrwertsteuer
- 32,00 Euro Marge
Made in Germany geplant
Eine geeignete Produktionsstätte zu finden, war gar nicht so einfach. Hagen Matuszak war über die Recherche nach „Made-in-Germany-Produktionsmöglichkeiten“ auf die Footwear Innovation Lab GmbH in Pirmasens gestoßen, aber leider musste die Zusammenarbeit vorzeitig beendet werden. „Wir werden jetzt 3000 Paar in Portugal produzieren, da es niemanden in Deutschland gibt, der unsere Sneaker produzieren kann. Sobald wir 3000 Bestellungen eingesammelt haben, werden wir in Berlin eine eigene „Made-in-Germany-Sneaker-Produktion“ eröffnen“.
Einfaches Prozedere
Bis zu 500 Paar Schuhe reparieren Matuszak und sein Team bei „Sneaker Rescue“ jeden Monat. Seine Werkstatt in Neukölln gibt es schon seit Anfang 2019 und seit Januar 2021 den Pick-Up-Shop am Prenzlauer Berg. Persönlich vorbeigebracht oder eingesandt: von überall her kommen reparaturbedürftige Sneaker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Viele Kunden schicken ihre geliebten Turnschuhe, weil sie nicht noch mehr Müll produzieren wollen. Das Prozedere bis zum reparierten Sneaker ist einfach und läuft in drei Schritten:
Der Kunde stellt eine Anfrage per Kontaktformular oder Whatsapp und schickt ein Foto seines Sneakers mit. Dann erhält er ein Reparaturangebot. Wenn er damit einverstanden ist, sendet er den Sneaker in das „Labor“ von Sneaker Rescue und erhält ihn repariert und geputzt zurück – ohne Rücksendekosten.
Beim Blick auf die Fotos entscheiden Hagen Matuszak und sein Team, ob eine Reparatur sinnvoll ist und was sie kosten wird. Aktuell dauert es aufgrund der starken Nachfrage zirka 10 bis 14 Tage, bis die Lieblingsstücke wieder in ihrer Heimat sind. Im Schnitt kostet eine Reparatur 40 bis 50 Euro, eine kleine Grundreinigung und Imprägnierung samt Rückversand inklusive.
Sneakermarkt überteuert
Matuszaks Kunden stammen aus jeder Altersgruppe und jedem Einkommenssegment und schicken alle denkbaren Modelle, die einfachen für 150 Euro ebenso wie Nike Air Jordans im Wert von 3000 Euro. Der gelernte Orthopädieschuhmacher beklagt, dass gerade Sneaker häufig mangelhaft verarbeitet sind und einfach schnell kaputtgehen. „Die Qualität rechtfertigt die hohen Preise für neue Sneaker jedenfalls nicht“, meint der junge Berliner. Er sieht seine Generation in der Pflicht, ein Bewusstsein für überlegten Konsum zu schaffen. „Unser Ziel ist eine originalgetreue Reparatur, auf Wunsch können wir natürlich individuelle Anpassungen umsetzen.“ Aber an nachhaltige Materialien für die Wiederherstellung zu kommen, ist harte Recherche: „Wir suchen täglich neue Materialien und Lieferanten, um für immer mehr Sneaker Reparaturmaterial anbieten zu können, was gar nicht so leicht ist. Bei Soleswaps werden ausgediente „Spender“ für Ersatzteile verwendet, bei anderen Reparaturen greifen wir auf Alternativmaterial zurück.“ Funktioniert die Reparatur auch bei aufwändigen Sohlen? „Die Reparatur funktioniert bei den meisten Sneaker Modellen, es gibt natürlich auch Sohlentypen, die wir noch nicht reparieren können“, so Matuszak. Das Auseinanderbauen der meist verklebten Modelle ist zudem sehr aufwändig. Und ab welchem Punkt geht eine Schuhreparatur gar nicht mehr? „Das kann ich pauschal leider nicht sagen, wenn die Socken von unten sichtbar sind, wird es langsam kritisch“, schmunzelt der umtriebige Sneaker-Doktor.
Eine Wissenschaft für sich
Vom Zeh durchstoßenen Netzstoff reparieren, durchgewetztes Innen- oder Fersenfutter erneuern, gerissene Stoffe flicken oder patchen, brüchige Sohlen durch neue von einem „Spenderpaar“ austauschen, hässliche Verfärbungen beseitigen, Obermaterial neu einfärben: es gibt viel zu tun für das Team. Und die Behandlung des Sneakers ist eine Wissenschaft für sich: „Jeder Sneaker ist irgendwie anders, es werden ständig neue Materialien verwendet. Schließlich haben die großen Schuhproduktionsfirmen kein Interesse daran, dass ihre Schuhe repariert werden.“ Matuszaks Ziel ist es, dass ein Schuh mit jeder Reparatur nachhaltiger wird, optisch aber originalgetreu bleibt. Deshalb achtet er darauf, dass alle Stoffe nachhaltig produziert wurden. Sein Ziel: Jeden Schuh so ausbessern zu können, dass man gar nichts mehr sieht. „Ich will irgendwann einen Sneaker so oft repariert haben, dass jedes Teil daran nachhaltig ist, obwohl er aussieht wie so ein unfair produzierter Markenschuh.“
Modernes Marketing
„Sneaker Rescue“ ist ein modernes Kleinunternehmen, mit eigenem Blog, Merchandise-Plakaten („Scheiße am Sneaker ist nicht cool. Neue Sohlen schon“) und einem gut bespielten Instagram-Account. Hier kann man die neuesten Reparaturergebnisse bewundern.
Matuszak führt per Video vor, wie man seine Turnschuhe effektiv reinigt. Oder er fragt auf Facebook seine Follower, wo in Deutschland die nächsten Pick-Up-Shops eröffnen sollen. Sein „friends and family business“ funktioniert so gut, dass er neue Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sucht – eben „Sneaker-Ingenieure“ mit Nachhaltigkeits-Bewusstsein.
Anschrift der Verfasserin:
Petra Zimmermann
Schleswiger Straße 30
48147 Münster
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