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7. November 2023
Redaktion
11. Tag der Technischen Orthopädie

Mehr Orthopädie(schuh)technik und weniger Operationen wagen

Bereits zum 11. Mal lud der Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT) mit seinen Kooperationspartnern Vereinigung Technische Orthopädie (VTO), Initiative '93 Technische Orthopädie sowie mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für interprofessionelle Hilfsmittelversorgung e. V. (DGIHV) Mediziner, Orthopädie(schuh)techniker und Physiotherapeuten zum Tag der Technischen Orthopädie (TTO) im Rahmen des DKOU nach Berlin ein. Am 25. und 26. Oktober 2023 fanden insgesamt vier interdisziplinäre Sessions mit rund 650 Teilnehmern statt.
Kooperationspartner
Foto: Ruth Justen
Kooperationspartner des 11. Tages der Technischen Orthopädie (TTO), der im Rahmen des Deutschen Kongresses für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) in Berlin stattfand (v.l.): Dipl. Ing. Merkur Alimusaj, Vereinigung Technische Orthopädie (VTO), Prof. Dr. med. oec. Bernhard Greitemann, Initiative '93 Technische Orthopädie, Univ.-Prof. Dr. med. habil. Wolfram Mittelmeier, Deutsche Gesellschaft für interprofessionelle Hilfsmittelversorgung (DGIHV), und Matthias Bauche, Vorstandsmitglied BIV-OT.

Erstmals veranstalteten der BIV-OT, die Deutsche Assoziation für Fuß- und Sprunggelenk e. V. (DAF), die Gesellschaft für Fuß- und Sprunggelenkchirurgie e. V. (GFFC) , die VTO und die Initiative’93 eine gemeinsame Session zum TTO. Entsprechend viele Zuhörer zog die Session „Probleme am Fuß“ an. Prof. Dr. med. oec. Bernhard Greitemann, Ärztlicher Direktor der Klinik Münsterland am RehaKlinikum Bad Rothenfelde, hatte den Vorsitz inne. Im ersten Vortrag erläuterte Dr. Hartmut Stinus, Senior Consultant und Oberarzt an der Universitätsmedizin Göttingen Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Plastische Chirurgie, Orthopädische Privatpraxis Bovenden, Untersuchungstechniken am Fuß wie den Coleman Block-Test oder den Silfverskjöld-Test. Zu untersuchen sind nicht nur der Fuß, sondern auch das Schuhwerk und mögliche Einlagen. „Bei der Palpation müssen wir immer darauf achten, ob es sich um eine flexible oder rigide Deformität handelt“, so Dr. Hartmut Stinus. Bei der Therapie sei immer eine konservative Therapie einer Operation vorzuziehen.

Konservativ vor operativ – Möglichkeiten und Chancen – zeigte Prof. Greitemann in seinem Vortrag auf. „Schuh und Einlage müssen eine Einheit bilden und der Fuß muss in den Schuh passen“, diese alte Weisheit gelte auch heute noch, so Prof. Greitemann. „Als Ärzte müssen wir dem Orthopädieschuhtechniker die gewünschte funktionelle Wirkung einer Einlage angeben, das ist die entscheidende Information für eine erfolgreiche Versorgung“, erklärte der Ärztliche Direktor. Im Anschluss an die Einlagenversorgung gehöre es zur Aufgabe des Arztes, diese zu beurteilen. Eventuell sei durch die orthopädieschuhtechnische Arbeit gar keine Operation mehr nötig.

Zum richtigen Zeitpunkt und mit der richtigen Technik sind Operationen bei Erkrankungen am Rückfuß erfolgsversprechend, erläuterte Prof. Dr. Markus Walter, Ärztlicher Direktor des Fachzentrums für Fuß- und Sprunggelenkchirurgie an der Schön Klinik München Harlaching, in seinem Beitrag „Rückfußprobleme – operative Lösung, wann?” Zeitkritisch sind insbesondere die Arthrose am Sprunggelenk mit Achsfehlstellungen und der Pes planovalgus. Hier könne im frühen Stadium der Erkrankung häufig eine Arthrodese vermieden werden. In den fortgeschrittenen Stadien degenerativer Erkrankungen sei dann vor allem das klinische Beschwerdebild für den OP-Zeitpunkt entscheidend.

„Vorfußprobleme – operative Lösung, wann und wie?“ lautete der Vortrag von Prof. Dr. Christina Stukenborg-Colsman, Leitung der Fuß- und Sprunggelenkschirurgie an der Orthopädischen Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) im Diakovere Annastift. „Besteht ein persistierender Schmerz und ein Schuhkonflikt, ist eine Operation aus meiner Sicht sinnvoll“, sagte die Expertin. Dafür stehen mehr als 100 Behandlungstechniken zur Verfügung. „Die Wahl der Operationsmethode und die Durchführung sind entscheidend für ein gutes klinisches Ergebnis“, erklärte die Expertin. „Bei Hallux valgus etwa zeigen Studien, dass 80 bis 95 Prozent der Operationen sehr gute klinische Ergebnisse aufweisen. Es zeigen sich jedoch auch Rezidive und damit Spielraum für Verbesserung, so Prof. Stukenborg-Colsman.

Sinnvoller Ortheseneinsatz? Ja, aber!

Die zweite Session des diesmaligen TTOs zum DKOU drehte sich unter dem Vorsitz von Univ.-Prof. Dr. med. habil. Wolfram Mittelmeier, Klinikdirektor der orthopädischen Klinik und Poliklinik in Rostock, und Prof. Greitemann um das Thema „Orthesen im Sport – brauchen wir sie?“

Technodoping durch Orthesen oder Einlagen – möglich? – dieser Frage ging PD Dr. Casper Grim, Klinikum Osnabrück, im ersten Vortrag der Session nach. Seine klare Antwort: „Ja, das funktioniert. Bei gleicher Intensität können sie mit dem Ein- oder Anbau eines Hilfsmittels oder einer Sohlenmodifikation eine verbesserte Laufökonomie erzielen, also schneller oder länger laufen.“ Im Spitzensport liege etwa die Verbesserung durch neue Schäume in der Zwischensohle und eine Carbonplatte im Schuh eines Sportschuhherstellers für Spitzensportler bei 2,7 bis 4,2 Prozent. „Warum hat die Orthopädieschuhtechnik das nicht erfunden?“, fragte Dr. Grim. „Wir brauchen dennoch einen differenzierten Blick. Haben wir einen Spitzensportler vor uns oder nicht? Erzielen wir einen positiven oder doch eher einen negativen Effekt?“ Denn auch das sei möglich.

Prof. Dr. Christoph Lutter, Sektionsleiter Sportorthopädie an der Orthopädischen Klinik und Poliklinik der Universität Rostock, gab in seinem Beitrag Antworten auf die Frage „Wie sinnvoll sind Orthesen peri-/postoperativ bei Sportverletzung?“ Um solche Fragen im Praxisalltag zu beantworten, müssten Zweckmäßigkeit einer Orthese, die technischen Möglichkeiten sowie das Wirtschaftlichkeitsgebot mitbedacht werden. Und: „Wer ein Hilfsmittel verschreibt, muss es auch kontrollieren“, sagte Dr. Lutter. „Gerade die enge Zusammenarbeit mit Orthopädietechniker und Physiotherapeuten ist über den gesamten Therapiezeitraum wichtig. Orthesen können das OP-Ergebnis unterstützen oder gar verbessern und den Wiedereinstieg in den Sport oder Alltag erleichtern“, lautete das Fazit von Prof. Dr. Lutter.

PD Dr. habil. Milena Pachowsky MHBA, Sektionsleiterin Unfallchirurgie Waldkrankenhaus Erlangen und Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, stellte sich der Frage „Orthesen im Sporteinsatz beim Leistungssport gerechtfertigt?“ Darauf gebe es keine einfache Antwort. „In der Rehabilitation sind Orthesen auf jeden Fall sinnvoll. Bei der Prävention ist das differenzierter zu betrachten. In der Prävention zeigen Studien, dass die Sportart und deren Bewegungsmuster entscheidend für den Erfolg einer Orthesenversorgung sind“, erklärte Dr. Pachowsky.

Prof. Dr. Anja Hirschmüller, Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie und Sportmedizinerin am Altius Swiss Sportmed Center in Rheinfelden, widmete sich dem Thema „Orthesen im Para-Sport?“„Auch im Para-Sport brauchen wir Orthesen für die Rehabiliation, Prävention und in der Steigerung der Leistung“, lautete die Antwort von Prof. Hirschmüller.

Eine weitere Session des TTO am 26. Oktober stellte das Thema „Amputation – und dann?“ in den Fokus.

Special Guests und Nachwuchstreffen

Zum 30. Jahrestag der Gründung der Initiative ’93 Technische Orthopädie reisten auch US-amerikanische Forscher und Praktiker zum Expertenaustausch nach Berlin an. Sie würdigten die interdisziplinäre Arbeit der international anerkannten Institution und gaben zugleich Einblicke in US-amerikanische Versorgungsforschungen und -standards.

Rund 30 junge orthopädietechnische Fachkräfte nutzten zudem die Jugend.Akademie Technische Orthopädie (Jugend.Akademie TO) im Rahmen des TTO für die Gewinnung neuer Erkenntnisse und zum Netzwerken. Neben dem Besuch des interdisziplinären Symposiums „Amputation – und dann?“ standen geführte Rundgänge in Kleingruppen durch die Industrieausstellung auf dem Programm.

 

Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
Schuhsohle
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