Folgen Sie uns
6. November 2017
Redaktion

Manualtherapeutische Behandlung in Verbindung mit einer Schuheinlagenversorgung von Ralf Kanstorf

Zusammenfassung


Funktionelle Beinlängendifferenzen, Block­aden und Fehlstellungen im Beckenring sowie in der Wirbelsäule lassen sich mit verschiedenen manualtherapeutischen Ver­fahren gut und gezielt behandeln. Einige Patienten kommen aber in unterschiedlichen Zeitabständen immer wieder zur Behandlung und sind dann nach manueller Therapie (Einrichten des Beckenringes, Mobilisation der Kreuz-Darmbein-Gelenke) vorerst beschwerdefrei.


ISG,LWS,
Foto: Kanstorf

Bei Patienten, die nach einiger Zeit mit den gleichen Symptomen erneut beziehungsweise häufiger zur Therapie kommen, fallen an den Schuhen deutlich ungleich abgelaufene Schuhsohlen auf. In diesen Fällen ist zu vermuten, dass eher die Symptome als die Ursachen behandelt werden. Spezielle Schuheinlagen können Fußfehlstellungen ausgleichen. Insgesamt 46 Patienten wurden mit speziellen Schuh­einlagen (weder Beinlängenausgleich noch Fersenerhö­hung) versorgt. Danach waren 19 Patienten beschwerdefrei, bei 23 Patienten konnte die Behandlungshäufigkeit reduziert werden. Der unterschiedliche Schuhabrieb war nicht mehr vorhanden.

Viele Patienten werden aufgrund von Rückenproblemen regelmäßig chiro- oder manualtherapeutisch behandelt. Mit einer gezielten Therapie lassen sich in vielen Fällen die Probleme auch lösen oder zumindest die Beschwerden lindern. In unserer Physiotherapiepraxis fiel uns auf, dass bei Patienten mit funktionellen Beinlängendifferenzen, rezidivierenden Blockaden des Iliosakralgelenks (ISG) und/oder der Brustwirbelsäule (BWS), aber auch mit anderen Rückenproblemen, die Schuhe häufig an den Fersen deutlich unterschiedlich abgelaufen waren. Ein besonders interessanter Fall war der nachstehend beschriebene.

Eine 57-jährige Patientin klagte seit langem über rezidivierende und starke Probleme im BWS-Bereich, die mit Atemproblemen und sogar Herzrhythmusstörungen einhergingen. Bei der Untersuchung zeigten sich eine funktionelle Beinlängendifferenz mit Beckenschiefstand und ISG-Blockade rechts sowie Blockaden im BWS-Bereich und eine Fußfehlstellung. Sie war bei verschiedenen Ärzten und Therapeuten mit der Diagnose „rezidivierende BWS-Blockaden und Foramenstenosen“ in Behandlung, doch ihr konnte nur mit kurzzeitiger Linderung geholfen werden.

Auch in unserer Praxis wurde die Patientin manualtherapeutisch behandelt, und zwar nicht nur im BWS-Bereich, sondern auch an den Kreuzbein-Darmbein-Gelenken und dem Beckenring. Für maximal 24 Stunden war die Patientin hinsichtlich der BWS-, aber auch Atem- und Herzprobleme beschwerdefrei. Ihre Herzprobleme lagen offensichtlich an rezidivierenden BWS- und Rippengelenkblo­ckaden, die mit Mobilitätsproblemen des gesamten Brustkorbs und damit verbundenen Atembeschwerden einhergingen. Ihre Fehlstatik versuchten wir mit manualtherapeutischen Maßnahmen und später einer speziellen Schuheinlage (kein Beinlängenausgleich) zu beheben. Drei Wochen nach der Einlagenversorgung war die Patientin fast beschwerdefrei, was bis heute angehalten hat. Diese Beobachtung machten wir zum Gegenstand einer Untersuchung, bei der 46 Patienten nach beziehungsweise während einer manualtherapeutischen Behandlung mit speziellen Schuheinlagen versorgt wurden.{pborder}

In der Vergangenheit wurden Beinlängendifferenzen häufig mit Fersen- oder Schuherhöhungen behandelt, ohne zu differenzieren, ob es sich um eine anatomische oder funktionelle Beinlängendifferenz handelt [1].

Probleme, Ursachen und Folgen im Zusammenhang mit funktionellen Beinlängendifferenzen werden in der Arbeit von Landauer [1] beschrieben. Zusammenhänge zwischen Beckenschiefstand, ISG-Blockaden, ungleichem Gang und unterschiedlicher Knöchelhöhe veranschaulichten Savory u. Kaute [4].

Bei anatomischen Beinlängendifferenzen können Fersenerhöhungen helfen. Wir gehen anhand unserer Beobachtungen aber davon aus, dass funktionelle Beinlängendifferenzen mit Beckenschiefstand und rezidivierenden ISG- und BWS-Blockaden durch Fußfehlstellungen und dadurch ungleiches Abrollen der Füße ausgelöst werden können. Diese Fußfehlstellungen werden nur durch individuell angepasste Einlagen ausgeglichen und der Körper wird in seiner gesamten Statik aufgerichtet.

Gleicht man eine funktionelle Beinlängendifferenz mit einer Fersenerhö­hung aus, so verkleinert (also verbessert) sich zwar der Winkel des Beckenschiefstandes, es vergrößert (also verschlechtert) sich aber der Skoliosewinkel in der Lendenwirbelsäule – dies ergab ein Ganz­körperscanning am Institut für Sport- und Bewegungsmedizin e. V., Hamburg – und die Beschwerden des Patienten nehmen zu.

Zusammenhänge zwischen manueller Therapie am Fuß und Schuheinlagen wurden von Ammer [5] dargestellt.

Patienten und Methoden

Insgesamt wurden 272 Rückenpatienten, die sich auch mit anderen Methoden behandeln ließen beziehungsweise andere Diagnosen oder Symptome hatten, retrospektiv mituntersucht, um Vergleiche ziehen zu können. Dieser Vergleich sollte vor allem zeigen, dass nicht alle Rückenpatienten mit Schuheinlagen versorgt werden müssen. Ferner ist nur bei einem gewissen Anteil der Patienten die Ursache „Fußfehlstellungen“ durch genaue Diagnostik festzustellen.

Um diese speziellen Schuheinlagen herstellen zu können, sind vor allem zwei Dinge wichtig:

1. Es muss eine aussagekräftige Diagnos­tik vorliegen.

2. Nach der Einlagenversorgung sollte

eine Nachsorge erfolgen, die beinhaltet, dass der Patient in der Gewöhnungsphase an die Einlagen mehrfach befragt (Wohlbefinden, Probleme) und untersucht wird (zum Beispiel Druckstellen an den Fußsohlen). Eventuell müssen die Einlagen danach noch geändert und geschliffen werden. Voraussetzung dafür ist die Verwendung von Materialien, die sich nachträglich noch verändern lassen.

Die Firma Nomis (Hersteller für Sportschuhe) hat in Zusammenarbeit mit dem Institut für Biomechanik der Universität Tübingen anhand von Untersuchungen bestätigt, dass eine Druckmessung der Fuß­sohlen und eine individuelle Anpassung von Schuhen oder Einlagen für die Statik im Fuß und Sprunggelenk wichtig sind [3]. Eine Verformung im Bereich der Ferse hat Einfluss auf die gesamte Körperstatik.

Götz-Neumann [2] beschreibt das Gehen als dreidimensionale Bewegung auch im Beckenring. Bei 60 Prozent Stand­beinphase und 40 Prozent Schwungbein­phase wird das Gehen beim Abrollen des Fußes durch Rumpfrotation, Armschwung und kompensatorische Strategien beeinflusst. Es kommt zu einer Beckenabsenkung, anterioren Beckenkippung und transversalen Rotation im Becken. Bei einseitig verstärkter Fußfehlstellung kann es also über Verformung im Fersenbereich, Supinationsstellung des Fußes und Absinken des Außenknöchels zu einer einseitig verstärkten anterioren Beckenkippung kommen. Die Folgen sind eine funktionelle Beinlängendifferenz und eine Fehlstellung des Kreuzbeines mit weiter­laufenden Ausgleichsbewegungen in der gesamten Wirbelsäule. Auch Kondziella [6] sowie Ohlendorf et al.

[7] beschrieben Zusammenhänge von Becken- und LWS-Beschwerden mit der gesamten Körperstatik.

Patienten

Innerhalb von drei Jahren wurden insgesamt 272 Rückenpatienten mit chro­nischen oder rezidivierenden akuten

Rü­ckenproblemen mit verschiedenen Me­tho­den behandelt. Von diesen Patienten litten 55 unter unklaren chronischen Rückenbeschwerden (HWS-, BWS-, LWS-Syndrom); bei ihnen konnten keine mechanischen Probleme des Rückens oder der Körperstatik festgestellt werden. Die Ursachen lagen eher auf anderen Gebieten (psychische Belastungen, Gefäß- und Abfluss­probleme, Leistenbeschwerden, Instabilitäten nach Hormonumstellung bei Schwangerschaft und anderes). Weitere 23 Patienten wiesen Spinalkanalstenosen, Spondylarthrosen oder Wirbelgleiten auf. Diese Probleme sind nicht mit Schuheinlagen zu verbessern.

Von den verbleibenden 194 Patienten litten

– 71 an Bandscheibenvorfällen in der LWS,

– 23 an Bandscheibenvorfällen in der HWS,

– 29 an rezidivierenden ISG-Blockaden,

– 55 an rezidivierenden BWS-Blockaden und

– 16 an Mischformen wie ISG-/BWS-/

LWS-Blockaden mit HWS- oder LWS-Bandscheibenvorfällen.

Von den 194 Patienten hatten 46 deutlich ungleich abgelaufene Schuhsohlen (Abb. 1) und kamen in verschieden großen Zeitabständen öfter zur Behandlung. Sie wurden nach manualtherapeutischer ­Behandlung mit Schuheinlagen versorgt.

Fünf der so versorgten Patienten hatten schon als Kind Schuheinlagen ge­tragen und acht waren früher mit Schuh­einlagen versorgt worden, mit denen sie aber nicht zufrieden gewesen waren beziehungsweise die an den Problemen nichts geändert oder sie sogar verschlimmert hatten.

Von den 46 Patienten litten

– 5 an Bandscheibenvorfällen in der LWS,

– 2 an Bandscheibenvorfällen in der HWS,

– 15 an rezidivierenden ISG-Blockaden,

– 18 an rezidivierenden BWS-Blockaden,

– 6 an Mischformen (ISG-, BWS-, LWS-Blockaden und LWS- oder HWS-Bandscheibenvorfällen).

Untersuchung

Symptome wie BWS- und ISG-Blockaden, Beckenringverwringungen sowie funktionelle Beinlängendifferenzen können auf verschiedene Weise untersucht und behandelt werden. Eine Manualtherapie ist in diesen Fällen die Therapie der Wahl; an dieser Stelle soll aber auf keine Behandlungsform speziell eingegangen, sondern der Zusammenhang zwischen einer Schuheinlagenversorgung und manueller Medizin dargestellt werden.

Blockaden des Iliosakralgelenks werden festgestellt über Vorlauf oder Nachlauf der Spina iliaca posterior superior bei LWS-Flexion, Innenknöchelhöhenvergleich in Rückenlage (Abb. 2) oder Langsitz, Test nach Derbolowski, Provokations- oder Beweglichkeitstest der Kreuzbein-Darmbein-Fuge (Abb. 3), anterior-posteriore Verschiebung des Iliums (Maitland-Konzept), „posterior pelvic provocation test“ sowie Patrick-Zeichen.

Behandlung

Blockaden und Fehlstellungen der Kreuz-Darmbeingelenke können folgenderma­ßen behandelt werden:

– posterior-anteriore Bewegungen oder posterior-anteriores Gleiten auf dem Apex ossis sacri, auf dem Sulcus oder auf dem Ilium,

– Kreuzgriff,

– anterior-posteriore Verschiebung des Iliums in Seitenlage (Maitland-Konzept),

– Beinverkürzung – K1–K4, Beinverlängerung – L1–L2 (Wirbelsäulen- und Beckenbehandlung nach Dorn/Hock),

– Traktion und Mobilisation vom Bein her,

– Thrust-Technik (Osteopathie).

Einlagenversorgung

Bei den Patienten, die mit Einlagen versorgt werden sollten, wurde zunächst eine Fußdruckmessung durchgeführt (Abb. 4).

Die Schuheinlagen werden nach der CAD-CAM-Technik aus einer Mischung aus PE-Schaum und PVC-Polymer-Schaum mit unterschiedlicher Shore-Härte gefertigt. Sie bestehen aus einem Stück und können nachträglich verändert bzw. beschliffen werden (Abb. 5). Ist der Patient zufrieden und fühlt sich damit wohl, werden sie mit einer Abschluss­schicht überzogen.

Ergebnisse

Insgesamt 46 Patienten mit Rücken- und Statikproblemen, bei denen die Schuhsohlen deutlich unterschiedlich abgelaufen waren, wurden manualtherapeutisch behandelt und mit Schuheinlagen aus­gestattet. Bei 19 Patienten war danach keine Behandlung mehr notwendig. Bei 23 Patienten waren die Intervalle zwischen den Praxisbesuchen deutlich vergrößert. Im Laufe des halben Jahres nach der Einlagenversorgung konnte die Anzahl der Behandlungen im Durchschnitt um 50 Prozent reduziert werden. Schmerzen und Bewegungseinschränkungen wurden verringert, das Wohlbefinden war deutlich verbessert. Nach der Ausstattung mit Einlagen liefen 25 Patienten neue Schuhe sehr viel ausgeglichener an den Fersen ab. Kein Erfolg zeigte sich bei vier Patienten, von denen einer an einer Hüftdysplasie litt, die nachträglich diagnostiziert wurde.

Besonders der Kyphosewinkel der Brustwirbelsäule macht den Einfluss von Schuheinlagen auf die gesamte Körperstatik deutlich. Bei einem Patienten mit rezidivierenden ISG-Blockaden und Bandscheibenvorfall in der HWS brachte ein lasergesteuertes Ganzkörperscanning barfuß und mit Schuheinlagen folgende Ergebnisse:

– Die Beckentorsion änderte sich von –1° ohne Einlagen auf +1° mit Einlagen.

– Der LWS-Lordosewinkel änderte sich von 25° ohne Einlagen auf 26° mit Einlagen.

– Der BWS-Kyphosewinkel änderte sich von 43° ohne Einlagen auf 51° mit Einlagen.

Diskussion

Eine Versorgung mit Schuheinlagen wurde in der Vergangenheit vor allem bei Fußfehlstellungen (zum Beispiel Knick-Senk-Fuß, Spreizfuß) verschrieben. Hierzu wurde ein Abdruck der Füße in einer Schaumstoffmasse gefertigt und anhand dieser Diagnostik erfolgte die Herstellung der Einlagen. Auf Statikprobleme des gesamten Körpers wurde kaum eingegangen. Bei Problemen der Gesamtstatik, die durch Fußfehlstellungen hervorgerufen werden, reicht ein Abdruck allein für eine klare Diagnose nicht aus.

Heute gibt es genauere Methoden wie Laufbandanalysen, bei denen der Bewegungsablauf von allen Seiten des Körpers genau und in Zeitlupe in allen Körperregionen begutachtet werden kann. Aber auch das Laserscanning zur Druckvermessung der Fußsohlen kommt zum Einsatz. Hingewiesen sei auf das 2D-Scanning ParoScan® (paromed, Neubeuern). Ungleich abgelaufene Schuhsohlen sind ein Indiz für Fehlbelastungen der Fußsohlen und Fußfehlstel­lungen. Dieses Indiz deckt sich zu 95 Prozent mit dem Ergebnis des Laserscannings, bei dem sich auf der Seite der stärker abgelaufenen Schuhsohle eine verstärkte Druckbelastung der Fußaußenseite zeigt. Somit lassen sich Fußfehlstellungen und Statikprobleme genau diagnostizieren.

Fazit für die Praxis

Die Versorgung mit speziellen Schuheinlagen trägt dazu bei, eine Fußfehlstellung auszugleichen und dadurch auch ein ungleiches Abrollen der Füße zu vermeiden. Im weiteren Statikverlauf des Körpers werden so Beckenringverwringungen, funktionelle Beinlängendifferenzen, Fehl­stellungen und rezidivierende Blockaden verhindert. Die Kombination aus manueller Therapie und Schuheinlagenversorgung kann die Statikprobleme dauerhaft lösen. Dies gilt besonders bei rezidivierenden ISG- und BWS-Blockaden sowie Mischformen aus Blockaden und Bandscheibenvorfällen.

Anschrift des Verfassers:
1.Kanstorf
Eckerkoppel 121, 22159 Hamburg
ralf.kanstorf@web.de

Ausgabe 11 / 2017

Literaturverzeichnis können Sie im PDF einsehen:

Artikel als PDF herunterladen

Herunterladen

Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
Schuhsohle
Zurück
Speichern
Nach oben