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28. Februar 2020
Redaktion

Kinderschuhe: Raus aus der Schräglage

Von CHRISTINA BAUMGARTNER

Was macht einen guten Kinderschuh aus? Ist ein Fußbett wirklich notwendig? Diese Fragen beschäftigen Eltern spätestens bei den ersten Schritten ihrer Kinder. Antworten finden sie auf dem Blog „Kidfoot“ von Dr. Kerstin Bosch-Stroot. Sie erklärt, was bei der Auswahl und dem Kauf von Kinderschuhen beachtet werden sollte, welche Fehler häufig gemacht werden und ob Schnürer oder Schuhe mit Klettverschlüssen die bessere Wahl sind.
Foto: Andrey Volokhatiuk/Adobe Stock

Welche Kriterien sollte ein guter Kinderschuh erfüllen?
Grundvoraussetzung ist natürlich, dass der Schuh in Länge und Breite passt. Die Sohle sollte weich und flexibel sein, gerne auch dünn. Wichtig ist auch ein flexibles Obermaterial und dass der Schuh innen wie außen eine flache Sohle hat, also kein Fußbett und auch keine Fersensprengung oder Fersenerhöhung drin ist.

Die Ferse sollte also auf gleicher Höhe mit dem Rest des Fußes stehen. Warum ist das aus biomecha­nischer Sicht sinnvoll und welchen Einfluss hat die Fersensprengung auf den Kinderfuß?
Wenn die Ferse etwas höher steht, befindet sich der Fuß immer in leichter Schräglage. Leider ist das bei fast allen Schuhen der Fall: Die meisten Leisten sind so aufgebaut, dass die Ferse ein paar Millimeter höher steht. Wenn der Fuß schräg steht, bedeutet das, dass man eine schiefe Position einnimmt und mehr Belastung auf den Fußballen kommt. Auch die weiteren Strukturen des Fußes, andere kleine Knochen und Gelenke, stehen unter „Stress“. Die Wadenmuskulatur ist immer leicht kontrahiert, was dazu führen kann, dass diese verkürzt und nicht richtig genutzt bzw. gedehnt wird. Die Sehnen adaptieren diese Verkürzung. Das kann dazu führen, dass die Stoßdämpfung, die bei einem normalen Schritt passiert – wenn man mit der Ferse aufsetzt und in die leichte Abrollung kommt– nicht mehr ausreichend stattfinden kann. Hinzu kommt, dass die Schräglage des Fußes sich in die höheren Segmente fortsetzt – ins Knie, das Becken, den Rücken – bis zum Kopf. Das Knie ist stärker gebeugt und das Becken kippt häufig leicht nach vorne, wodurch der Rücken eine stärkere Lendenlordose einnimmt und die Brustwirbelsäule mehr in die Kyphose geht. Auch die Kopfhaltung gleicht sich an, weil man natürlich das Bestreben hat, sich gerade hinzustellen, sonst würde man ja nach vorne umfallen. Das müssen die höheren Segmente dann ausgleichen. Im Schuh sind das meist nur ein paar Millimeter. Aber bei einem kleinen Körper sind ein paar Millimeter auch schon eine gewisse Höhe, die ein Erwachsener eventuell gar nicht so wahrnimmt, weil er einfach schon längere Hebel hat.{pborder}

Dann wäre ein größeres Angebot an Kinderschuhen ohne Fersensprengung erstrebenswert?
Ja, es wäre mein großer Wunsch, dass die Hersteller einen neuen Leisten mit Nullabsatz machen.

Warum sollte die Sohle weich, flexibel und möglichst dünn sein?
Zum einen sollte die Sohle den Fuß und das Kind so wenig wie möglich behindern. Zum anderen ist es für die Sensomotorik wünschenswert, dass die Unebenheiten des Bodens noch spürbar sind und der Körper merkt, hier ist es kippelig, hier ist eine Kante am Boden, hier sind Steine.

Was sind die häufigsten Fehler beim Kinderschuhkauf?
Das Problem ist oft, dass die Schuhe nicht gut am Fuß sitzen. Dass es ein Volumenproblem gibt und zwar in beide Richtungen – zu eng, aber auch zu weit. Gerade im Winter kann es für Eltern sehr schwierig sein, Schuhe zu finden, die einen ausreichenden Halt bieten, besonders bei gefütterten Stiefeln. Sie haben oft auch Klettverschlüsse und selbst größere Kinder können oft gar nicht so fest daran ziehen, dass die Schuhe wirklich gut sitzen.

Ist ein Schnürschuh dann grundsätzlich besser für Kinder?
Ja, das ist meistens der Fall. Aber in bestimmten Größen (24 bis 32) werden Schnürschuhe nicht so oft angeboten. Das liegt auch daran, dass Eltern nicht danach fragen. Sie kaufen Schuhe mit Klettverschlüssen, weil die Kindergärten Klettverschlüsse bevorzugen und es dort oft nicht so viel Personal gibt, um allen Kindern die Schuhe schnüren zu können. Einige Marken bieten inzwischen auch Modelle mit Boa-Verschluss an, aber selbst hier ist es am Ende für die Kinder oft schwierig, die Kraft für den letzten engen Klick aufzuwenden. Das Optimum bei kleinen Kindern ist, wenn Schnürschuhe gekauft werden und die Eltern den Schuh schnüren. Wenn es keine Schnürung sein soll, dann ein Schuh mit doppeltem Klettverschluss und Umlenkschlaufe.

Ab wann sollte ein Kind frühestens Schuhe tragen?
So spät wie möglich und erst dann, wenn das Kind draußen läuft und einen Schutz vor Nässe, Kälte und spitzen Gegenständen braucht. Zu Hause läuft es am besten barfuß, mit rutschfesten Lederpuschen oder mit Stoppersocken, die vorne aber möglichst weit sein sollten. Meist brauchen die Kinder sehr viel später einen festen Schuh als wir denken. Das ist für die Eltern zunächst oft ein sehr befremdlicher Gedanke.

 

Dr.
Privat
Dr. Kerstin Bosch-Stroot ist promovierte Diplom-Sportlehrerin und beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren beruflich mit Kinderfüßen. Am Universitätsklinikum Münster 
betreute sie die umfangreiche Panelstudie „Kidfoot“, eine von der DFG geförderte Längsschnittstudie, die die Kinderfußentwicklung über neun Jahre beobachtete. Daraus konnten Rückschlüsse gezogen werden, wie ein geeigneter, der gesunden Fußentwicklung förderlicher Kinderschuh aussehen sollte. Seit 2010 arbeitet Dr. Kerstin Bosch-Stroot im Bewegungsanalyselabor des Sozialpädiatrischen Zentrums Westmünsterland in Coesfeld. In das mit Videoanalyse, 3D-Ganganalyse, plantarer Fußdruckmessung und 
Rasterstereographie ausgestattete Ganglabor kommen Kinder und Jugendliche mit 
Bewegungsstörungen. Ihr über die Jahre gesammeltes Wissen gibt sie seit 2017 auch auf ihrem Blog weiter. Interessierte finden dort Wissenswertes zur Entwicklung von Kinderfüßen und zu Kinderschuhen: www.kidfoot.de

Was war der Anlass für den Start Ihres Blogs „Kidfoot“?
Die Geburt meiner Tochter, weil ich einen neuen Blick auf die Dinge bekommen habe. Auch, weil sich die Empfehlungen, die ich früher ohne Kind gegeben habe, dann teilweise doch als schwierig oder als nicht so einfach herausgestellt haben. Noch dazu ist das ja ein Lebensabschnitt, in dem man etwas fremdbestimmter ist und nicht so viel Zeit hat, etwas nachzuschlagen. Da kam mir dann die Idee, mein Wissen in kurze Texte zu bündeln, damit sich Eltern informieren können, wenn sie mal ein kleines Zeitfenster haben. Auch beruflich stellte ich mir damals oft die Frage: Sind die Informationen, die ich mündlich an die Eltern weitergegeben habe, auf dem Weg bereits vergessen oder nach Hause mitgenommen worden? Der Blog bietet den Eltern die Möglichkeit, zu Hause nochmals nachzulesen.

Welche Rückmeldung haben Sie bisher auf den Blog erhalten?
Es kommen über Instagram schon mal skeptische Fragen von Eltern zu Inhaltlichem, aber die Rückmeldungen auf diesen Blog und dass es ihn als Informationsmöglichkeit gibt, sind durchweg positiv.

Wo sehen Sie bei der Beratung in Kinderschuhfach­geschäften noch Verbesserungspotenzial?
Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Schuhgeschäfte, die sehr gewissenhaft beraten und andere, wo die Beratung schwach ist und es wirklich Ausbaupotenzial gibt. In manchen Schuhgeschäften hatte ich das Gefühl, dass teilweise noch recht veraltetes Wissen weitergegeben wird. Hier würde ich mir wünschen, dass ein regelmäßiger Austausch und Fortbildungen – auch unabhängig von den Herstellern – stattfinden. Man muss aber dazu sagen, dass die Schuhe, die man in einem „normalen“ Kinderschuhgeschäft bekommt, häufig auch Mängel haben, wenn man diese ganz starr nach den Kriterien für einen guten Kinderschuh beurteilt. Zum Beispiel, dass immer noch einige Schuhe eine kleine Erhöhung an der Längswölbung haben. Seitens der Verkäufer wurde mir gegenüber schon kommuniziert, dass dies für das Kind ganz wichtig sei. Das stimmt jedoch nicht, da eine Erhöhung an der Innenseite des Schuhs den Fuß daran hindert, eine aktive Aufrichtung durchzuführen. Langfristig schadet das der gesunden Fußentwicklung.

Was würden Sie sich diesbezüglich für die Zukunft wünschen?
Es gibt ja mittlerweile recht viele, die Barfußschuhe herstellen, was vor zehn Jahren noch einen „ökohaften“ Touch hatte. Inzwischen steigt die Nachfrage danach. Das finde ich sehr positiv, allerdings sind diese Schuhe aufgrund des meist hohen Preises nicht für alle Eltern erschwinglich. Und es wollen ja auch aus optischen Gründen nicht alle Eltern einen Barfußschuh haben. Deshalb wäre es natürlich super, wenn sich große Konzerne öffnen würden und nur ein paar Kriterien übernehmen, zum Beispiel, dass bei Kinderschuhen grundsätzlich keine Fersensprengung mehr zu finden ist. Ziel meines Blogs ist es, Informationen an die Eltern zu bringen. Denn wenn die Eltern im Schuhgeschäft nach einem flachen Schuh fragen und das immer wieder passiert, dann kommt diese Rückmeldung über den Händler auch an den Hersteller oder der Händler hält Ausschau nach Herstellern, die solche Schuhe anbieten.

 

Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
Schuhsohle
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