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25. Januar 2017
Redaktion

Kein Entlastungsschuh ohne Gangtraining

Martina Hennicke ist keine, die es sich leicht macht. „Ich liebe Versorgungen, die besonders kniffelig sind“, sagt sie. Hilfsmittel für die Schwerorthopädie, die Gefäßchirurgie, die Diabetes- und Rheumaversorgung macht sie besonders gern.


Sie tüftelt gern, baut häufig Zweischalenorthesen und freut sich, wenn sie durch neue Materialien leichtere und angenehmere Versorgungen für ihre Patienten machen kann.

Bei konfektionierten Hilfsmitteln ist es ihr wichtig, dass der Patient die nötigen Informationen bekommt, um richtig damit umzugehen. „Bei Entlastungsschuhen ist das besonders wichtig“, betont die Orthopädieschuhmacher-Meisterin aus Karlsruhe, die zusammen mit OSM Michael Maier ihre gemeinsamen Betriebe unter dem Namen MHOrthopädie in Karlsruhe führt. Denn Entlastungsschuhe fordern ein anderes Gehen als herkömmliche Schuhe, der Patient darf über den Teil des Fußes, der durch den Schuh entlastet werden soll, nicht abrol­len. „Nur sehr wenige Pa­tienten kommen mit dem Entlastungsschuh sofort zurecht“, erzählt Hennicke, „ich gebe grundsätzlich jedem eine Einführung.“{pborder}

Oft ist sie dazu in der Akutklinik des Städtischen Klinikums Karlsruhe, um die Patienten dort direkt zu versorgen. Es sind sowohl Patienten aus der Gefäß­chirurgie als auch aus der Diabetologie, deren Behandlung sie mit den Ärzten bespricht. Dr. Johannes Huber bietet am Klinikum auch eine ambulante Sprechstunde für Patienten mit diabetischen Fußulzera an, zu der Martina Hennicke ebenfalls hinzugerufen wird, wenn es um die Schuhversorgung geht.

Der Patient, der heute einen Vorfußentlastungsschuh bekommt, hat mehrere abheilende Wunden im Zehen- und Ballenbereich. Er ist noch relativ jung und zeigte sich bislang in Gesprächen motiviert, so dass Dr. Johannes Huber die Versorgung mit einem Vorfußentlas­tungsschuh für vorteilhaft hält.

„Man muss die Patienten dazu erst einmal kennen lernen, muss ihr Umfeld, ihre Aktivitäten und ihre Bereitschaft zur Mitarbeit abschätzen können“, so Dr. Huber. „Meine Erfahrung ist, dass ältere und gangun­sichere Menschen nicht so gut mit ­einem Entlastungsschuh zurechtkommen, da greife ich dann lieber zu Verbandsschuhen. Aber wenn jemand gut damit laufen kann, dann bietet der Entlastungsschuh meiner Ansicht nach die bessere Entlas­tung.“

Vor der Verordnung zeigt Dr. Huber den Patienten meist die verschiedenen Versorgungsmöglichkeiten und erklärt ihnen den Unterschied zwischen einem Entlastungsschuh und einem Verbandsschuh. „Ich frage sie, welche Versorgung sie sich besser vorstellen können“, sagt der Diabetologe.

Der heute zu versorgende Patient ist öfter draußen unterwegs, so dass der Entlastungsschuh, der mit einer Kappe zum geschlossenen Schuh umfunktioniert werden kann, eine gute Lösung bietet. „Allerdings hat man mit diesem Schuh nicht so viel Lust zu laufen“, meint er, „man fühlt sich schon ein biss­chen gebremst.“ Das ist natürlich im Sinne der Entlastung des Fußes, erfordert aber vom Patienten Einsicht in die Notwendigkeit dieses Hilfsmittels.

„Wir müssen sehr viel reden und erklären, wenn es um solche Versorgungen geht“, sagt Dr. Johannes Huber. Das gilt auch für Martina Hennicke, die für jeden Patienten, der in der Klinik oder der ­ambulanten Sprechstunde einen Entlas­tungsschuh verschrieben bekommt, vorbei kommt. 

Bei der Einführung in das Hilfsmittel geht es ihr zunächst darum, dem Patienten und gegebenenfalls den Angehörigen zu zeigen, wie der Entlastungsschuh so angezogen wird, dass er richtig sitzt. Im Sitzen sollte der Patient darauf achten, dass die Ferse ganz hinten im Schuh liegt. Wenn er dann aufsteht, ist es meist nötig, die Klettverschlüsse noch einmal zu justieren.

Beim Vorfußentlastungsschuh ist es nun entscheidend, dass der Patient nur bis zum Mittelfuß abrollt und keinesfalls den Vorfuß belastet. Das will von vornherein erklärt sein, da viele Patienten es sonst automatisch falsch machen.

Und schließlich geht es darum, den Gebrauch der Gehstöcke zu erklären, so dass der Patient auch damit zur Entlas­tung des Vorfußes beiträgt. Beide Stöcke werden aufgesetzt und stark mit den Armen belastet, wenn der Entlastungsschuh aufgesetzt und belastet wird.

Bei dem jungen Patienten dauert es nicht lange, bis er begreift, wie er zu gehen hat. Wesentlich kürzer jedenfalls dauert es als die Anfahrt, die Martina Hennicke zur Klinik zu bewältigen hat. Profitabel ist das nicht, gehört aber zum Lieferumfang, da der Leistungserbringer verpflichtet ist, den Patienten in den Gebrauch und die Funktion des Hilfsmittels einzuweisen.

Bei Patienten, die sich schwerer tun, greift sie häufig dazu, ein Quietschtier, das als Welpenspielzeug erhältlich ist, unter dem ausgesparten Teil der Sohle zu befestigen. Bei jedem „Fehltritt“ macht es sich lautstark bemerkbar und bringt zudem Humor in die Versorgungssituation.

Neben einem Modell von Rathgeber arbeitet sie besonders gern mit einem Entlastungsschuh von Fior und Gentz, der für sie den „Rolls Royce“ der Entlas­tungsschuhe darstellt. Als Alternative kommen Therapieschuhe der Linie „Silver Line“ in Frage, wenn der Patient keinen Vorfußentlastungsschuh akzeptiert. „Er hat, anders als die meisten Entlastungsschuhe, das nötige Volumen, ist stabiler als viele andere Entlastungsschuhe und hat eine Sohle aus EVA, die man sehr gut bearbeiten kann“, so Hennicke. Manch andere Entlastungsschuhe haben aus ihrer Sicht zu instabile Schäfte, die dem Fuß nicht genug Halt geben, oder Sohlen aus PU, die schlecht bearbeitet werden können.

Bei Verbandsschuhen einiger Marken bemängelt sie, dass das Volumen häufig nur durch den Schaft geschaffen wird, die Sohlen jedoch zu schmal ausfallen, so dass Patienten mitunter mit der Fußsohle auf den Rändern laufen.

Viele der von ihr bevorzugten Modelle hat sie in verschiedenen Größen auf Lager, um schneller liefern zu können. „Wenn man den herkömmlichen Weg mit Kostenvoranschlag über die Krankenkassen geht, dann dauert die Genehmigung so lange, dass meine ganze Wundbehandlung in dieser Zeit für die Katz ist“, sagt Dr. Johannes Huber. „Das ist absolut schädlich für die Wundheilung und die Entlastung des Diabetischen Fußes.“ Martina Hennicke kann nur deshalb innerhalb weniger Tage liefern, weil sie in Vorleistung tritt.

„Ich weiß aber, dass die Ärzte hier hinter mir stehen und meine Versorgung vor der Krankenkasse rechtfertigen, wenn es Probleme gibt“, sagt sie. Nur in seltenen Fällen ist es nötig, konnte aber in der langjährigen Zusammenarbeit ­bislang meist zufriedenstellend gelöst werden.

 

Ausgabe 11 / 2016

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Foto: Andrey Popov/AdobeStock_495062320
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