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26. Februar 2021
Redaktion
Smarte Schuhe

Intelligente dielektrische Elastomere und deren Anwendung als Sensoren in der Schuhtechnik

Sensoren für die Messung von Drücken und Biegemomenten wurden im Schuh bislang nur im Sohlenbereich verbaut, etwa in Form von Druckmesssohlen. Doch auch der Schaft kann ungünstigen Druck auf den Fuß ausüben. Im Rahmen eines Forschungsprojektes entwickeln das PFI und das ZeMA Sensoren auf Basis dielektrischer Elastomere für den Einsatz im Schaftbereich.

PETER SCHULTHEIS1 | MARTIN WAGNER1 | ANDREAS MEYER2 | STEFAN SEELECKE2

Prüf- und Fortschungsinstitut Pirmasens e.V. (PFI).   

Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (ZeMA)

 
Fotos: PFI

Die Welt wird smart. Automaten mit künstlicher Intelligenz verfolgen über Kameras den Weg von Menschen in der Menge. Maschinen lernen unsere Sprache zu verstehen und mit uns zu sprechen. Auch Materialien werden smart: Smarte Textilien in industriell hergestellten Produkten sind auf dem Vormarsch, denken wir an sich selbst überwachende Brückenarmierungen, Tep­pi­che mit ­Personenerkennung oder Bekleidung mit elektrischer Funktionalität im Textil. Es gibt smarte metallische Drähte, die Bewegungen mit hohen Kräften erzeugen, wenn ein Stück davon von einem Strom durchflossen wird, die sich aufheizen, wenn man sie streckt und sich abkühlen, wenn man sie entspannt. Und es gibt Kunststoffe mit smarten Eigenschaften. Zu diesen smarten Kunststoffen zählen dielektrische Elastomere. Diese verhalten sich wie Kondensatoren und können beim Anlegen von Spannungen Bewegungen erzeugen, so dass sich aus Folien superflache Lautsprecher bauen lassen. Oder sie ändern bei Verformung ihre elektrischen Eigenschaften, so dass sich hieraus flächige Druck- und Biegesensoren herstellen lassen.

Auch Schuhe werden smart

Auch Schuhe erhalten zunehmend elektronische Funktionen, mit denen das Tragen angenehmer, sicherer und besser passend werden kann. Während des Laufens stellt der Schuh die Verbindung zwischen unserem Fuß und unserer Umwelt bzw. dem Untergrund her. Die Aufgaben des Schuhs umfassen Schutzfunktionen, Passform, Komfort, Funktionalität und modische Aspekte. Sensortechnologien, die im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung entwickelt werden, können auch in Schuhen zum Überwachen und Unterstützen der genannten Aufgaben dienen. Zum Beispiel kann eine mit Messtechnik ausgestattete Einlegesohle die plantare Druckverteilung während des Gehens messen. Für Schäfte wurden bislang noch keine Sensortechnologien entwickelt oder eingesetzt, mit denen die Wirkung des Schafts auf den Fuß während des Gehens untersucht werden kann. Die Interaktion zwischen Schaft und Fuß kann aktuell nur über die bleibenden Verformungen des Schaftes erahnt werden, welche sich erst nach einiger Tragezeit ergeben. Das Projekt „Intelligente Dielektrische Elastomere und deren Anwendung in der Schuhtechnik“ (IDEAS2) hat sich zum Ziel gesetzt, die Interaktion zwischen Fuß und Schuh während des Gehens in Echtzeit messbar zu machen. Der Nutzen solcher Sensoren bzw. eines solches Sensorsystems besteht sowohl in einem tiefergehenden Verständnis der Laufmechanik als auch im Gewinn weiterführender Erkenntnisse für die Diabetesversorgung, Rehabilitation, Orthopädie- und Orthopädieschuhtechnik sowie für die Textil- und Schuhtechnik im Allgemeinen. Darüber hinaus wird ein Basiswissen für die Entwicklung neuer Produkte, Verfahren und Dienstleistungen geschaffen. Zum Erreichen dieses Ziels beschäftigen sich das Prüf- und Forschungsinstitut Pirmasens (PFI) und das Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (ZeMA) gemeinsam mit der Entwicklung einer entsprechenden Sensorik und der Applikation im Schuh. Hierbei werden drei Aufgabenschwerpunkte besonders untersucht: Die eigentlichen Sensoren, die Elektronik und die Inte­gration und Anwendung im Schuh.
2. Eine äußere Kraft komprimiert die Elastomer-Schicht und führt somit zu einer Annährung und flächenmäßigen Ausdehnung der Elektroden (r.) gegenüber der kräftefreien Ansicht (l.). 
Die aus der äußeren Kraft resultierende Geometrieänderung bewirkt eine messbare Kapazitätsänderung, welche als Messsignal dient. Grafik: ZeMA

Sensoren

Aus dem Physikunterricht in der Schule sind vielleicht noch die elektrischen Kondensatoren bekannt. Ein einfaches Beispiel ist der Plattenkondensator. Die elektrische Kapazität des Plattenkondensators ergibt sich aus der Größe der Platten-Elektroden (je größer die Fläche, desto größer die Kapazität), dem Abstand der Platten-Elektroden (je kleiner der Abstand, desto größer die Kapazität) und dem Material (Dielektrikum), das sich zwischen den Platten befindet. Dielektrische Polymere sind Kunststoffe, die die gleichen Eigenschaften wie Kondensatoren aufweisen, wenn man diese mit Elektrodenflächen versieht. Dann erhält man Sensorelemente, die ihre elektrischen Eigenschaften mit ihrer Geometrie ändern. Die Sensoren bestehen aus einer dünnen, hoch flexiblen Elastomerfolie, welche als Dielektrikum dient und mit einer Kohlenstoffschicht beidseitig im Siebdruckprozess bedruckt wird. Wenn man sich diese als sehr kleine Plattenkondensatoren vorstellt, erkennt man, dass sich die elektrische Kapazität mit dem Abstand der Folien (Druck) oder der Größe der Folienfläche (Zug) ändert.  Zum Einsatz kommen hochflexible Dielektrische-Elastomer-Sensoren (DES), die es ermöglichen sollen, den komplexen Lastfall beim Gehen zu erfassen und darzustellen. DES stellen kapazitive Sensoren dar, die aufgrund ihres weichen Elastomer-Charakters jegliche Formänderung messtechnisch erfassen können und auch unter hohen Lasten reproduzierbar ein System vermessen. Dabei lässt sich die Sensorgeometrie und -form nahezu beliebig den Anforderungen anpassen, was ein breites Einsatzspektrum ermöglicht. Die Elektrodenstruktur wird im Siebdruckprozess auf einen Elastomer-Film aufgetragen. Der daraus entstehende DES reagiert sensibel auf eine Verformung des Dielektrikums und somit auf eine Annäherung der Elektrodenschichten. Ein solcher Lastfall ist beispielhaft in Abb. 2 dargestellt. Wird der Sensor gedehnt oder kommt es zur Deformation durch eine Druck- oder Scherbelastung, resultiert die Geometrieänderung in einer kapazitiven Messgrößenänderung. Solche Sensoren können sowohl als Einzelsensoren als auch als Multisensorsysteme realisiert werden und erlauben aufgrund ihrer hohen Flexibilität der Belastungsformen, der Elektrodengeometrie und der Sensorform neue Erkenntnisse in Systemen, die bisher keine Informationen liefern, und stellen damit die Basis für intelligente Schuhsysteme dar. Nachfolgend verdeutlicht dies eine zentrische Druckbelastung auf eine Sensormatrix mit 16 Sensorpunkten (4 x 4), die gegen einen deformierbaren Untergrund ausgelängt wird (Abb. 3).
3. Multisensorsystem in Form einer Sensormatrix mit kohlenstoffbasierten Elektrodenschichten (links schwarz), welches sich oberhalb einer Textilschicht (links gelb) befindet. Die resultierende Sensorsignal-Änderung kann zur Belastungsidentifikation herangezogen werden (rechts). Fotos: ZeMA
Die gewonnenen Informationen können direkte Rückschlüsse auf die Lastverteilung liefern und damit die Erstellung von Belastungstopographien erlauben. Die Eignung solcher DES wird im Projekt sowohl als Multisensorkonzept als auch mit Einzelsensoren in Sohle und Schaft im Schuh untersucht. Die zusätzlichen Informationen können dann unter anderem zur Ganguntersuchung herangezogen werden und dadurch Rückschlüsse sowohl auf die Belastungsverteilung im Innenraum des Schuhs als auch auf äußere Belastungen erlauben.

Integrierbarkeit in den Schuh

Zunächst interessierte in dem Projekt die Frage, wie sich die folienhaften Sensoren in den Schuh einbauen lassen und ob die mechanischen Belastungen bei Herstellung und Nutzung der Schuhe Probleme erwarten lassen. In ersten Versuchen mit Laborprüflingen wurde daher ein Sensordummy – also ein Sensorelement, das die gleichen mechanischen Eigenschaften aufweist, jedoch noch ohne elektrische Funktion ist – auf gängige Schuhmaterialien aufkaschiert und anschließend wurden die für diese Anwendung relevanten Schuhmaterial-Prüfungen durchgeführt. Durch die Auswertung der Prüfungen konnte die Integrationsmöglichkeit in den Schuh nachgewiesen und die Eigenschaftsänderungen bei der späteren Positionierung beachtet werden. In einem weiteren Schritt wurde ein Sensor der ersten Generation in einen handelsüblichen Schuh mit möglichst wenigen Materialübergängen in der Biegezone integriert und es wurden anwendungsnahe Messungen durchgeführt. Für die ersten Messungen wurde noch eine externe Elektronik verwendet. Anhand der externen Elektronik konnten die Anforderungen an eine in den Schuh integrierbare Elektronik ermittelt und mit dem Schuh erste einfache Prüfungen der Funktionalität des Sensorelements durchgeführt werden. Im ersten Versuch wurde mit einem anderen Schuh auf den Messschuh gedrückt, um die Sensitivität gegenüber Druck nachzuweisen. Der Druck wurde kontinuierlich erhöht und wieder verringert. Dieser externe Einfluss konnte messtechnisch erfasst und visualisiert werden (Abb. 4).
4. Druckbelastung (Belastung oben, Messsignal unten). Foto: PFI
5. Biegebelastung (Belastung oben, Messsignal unten). Foto: PFI
Im zweiten Versuch wurde der Gang simuliert, um die Biegung in der Biegezone zu ermitteln. Auch hier konnte der Gang messtechnisch erfasst werden (Abb. 5). Bei beiden gezeigten Versuchen beschreibt der jeweilige Graph die Kapazitätsänderung über der Zeit. Im aktuellen Status wird nur die Signaländerung betrachtet, die spätere Kalibrierung auf absolute Werte erfolgt mit der eigenen, in den Schuh integrierten Elektronik. Stellt man sich nun eine Vielzahl an integrierten Sensoren im Schuh vor, so lassen die bisherigen Daten und die Kombination aus Einzelsensoren und Multisensorsystemen das Potenzial künftiger Auswertealgorithmen erahnen, sei es zur Werkerunterstützung, im Arbeitsschutzbereich in Sicherheitsschuhen oder zur umfänglichen Ganganalyse in Orthopädie- sowie Freizeit- und Sportschuhen. Zur umfänglichen Vermessung im Schuh interessieren zwei Typen von Belastungen. Der eine kann durch Druckkräfte, bzw. Drücke charakterisiert werden. Druck ist Kraft pro Fläche und wird in Newton pro Quadratmeter – auch Pascal (Pa) genannt – ausgedrückt, oder, da Pa eine recht kleine Einheit ist, in bar (1 bar = 10 N/cm2, das entspricht einer Gewichtskraft von ca. 1kg pro Quadratzentimeter). Flächenhaft erfasst werden Drücke beispielsweise durch die bekannten Druckmessfolien im Sohlenbereich der Schuhe. Hierüber können auch hohe punktförmige Belastungen (Hotspots) im Schuh erkannt werden. Der zweite Typ von Belastungen basiert auf Biegungen, bei denen auch Zug- und Scherkräfte entstehen. Da die Kräfte innerhalb der Biege- und Belastungszonen nicht gleich groß sind, betrachtet man die jeweiligen Kräfte in kleinen Flächenbereichen. Bezieht man die Kräfte auf die Flächen, so nennt man das Spannungen (Zug-, Druck-, Schub-, Biegespannungen), die ebenfalls mit Pa als Einheit angegeben werden können. Aus dem Projekt sollen für die beiden geschilderten Typen von Belastungen zwei Sensorklassen entstehen. Eine soll primär auf Druck reagieren und eine weitere auf Biegung. Dies kann durch entsprechende Geometrien und Oberflächenstrukturen erreicht werden. Die aktuelle Herausforderung liegt in der optimalen Sensorgestaltung.
Sensoren mit sehr kleinen Kapazitäten

Elektronik

Die Elektronik stellt das Bindeglied zwischen den Sensoren im Schuh und der Anwendung dar. Die Elektronik muss die Kapazitätsänderungen erfassen, die durch die physikalische Einwirkung der interessierenden Größen (wie Drücke, Biegungen, Zug- und Scher-Spannungen) entstehen, und sie in verstärkte, interpretierbare elektrische Signale umwandeln. Diese Signale müssen aufbereitet und in digitaler Form zur Weiterverarbeitung per Software zur Verfügung gestellt werden. Die Weiterverarbeitung kann dabei lokal in der Elektronik selbst und/oder entfernt, zum Beispiel in einem PC, erfolgen. Damit die Messwerte zur entfernten Einheit gelangen und um Flexibilität beim Gehen zu erhalten, sollen die Daten per Funkschnittstelle übertragen werden. Es gibt hierzu eine lokale Sendeeinheit in der Elektronik am Schuh und eine entfernte Empfangsstation, zum Beispiel PC oder Smartphone. Zum gezielten Auslesen des analogen Sensorsignals und Umwandeln in einen digitalen Wert wurde eine Platine mit einem zentralen Mikrocontroller und entsprechender Firmware entwickelt. Der Mikrocontroller steuert einen Multiplexer und erfasst das über einen speziellen integrierten Schaltkreis umgewandelte Signal in für den Mikrocontroller lesbare Werte. Der Multiplexer ist eine Komponente, die nacheinander einzelne Signale auf den Mikrocontroller durchschaltet, so dass die Sensorelemente zeitlich nacheinander zyklisch abgefragt werden. Über Funk werden die Daten in einzelnen Datenpaketen (Frames genannt) übertragen. Der Frame beinhaltet einen Zeitstempel und alle Sensorwerte. Für die Übertragung wird zusätzlich eine Prüfsumme berechnet, welche im Empfänger überprüft werden kann um festzustellen, ob die Daten ohne Verluste übermittelt wurden. Im Weiteren befindet sich auf der Platine eine inertiale Messeinheit (IMU), mit der die Bewegung des Schuhs bzw. dessen Verlauf ermittelt und übertragen werden kann. Primär soll die IMU aber zu Energie­effizienz des Gesamtsystems beitragen. Sobald sich der Schuh bewegt, werden die Sensorsignale erfasst und an die Empfangsstation übermittelt. Sobald sich der Schuh nicht mehr bewegt, soll die Sensorelektronik und das Funkmodul in einen Schlafmodus versetzt werden, so dass der Energieverbrauch typisch um den Faktor 50 verringert wird. Die elektronischen Komponenten und deren Verknüpfung sind in Abb. 6 übersichtlich dargestellt.
6. Bestandteile der Elektronik. Grafik: PFI
7. Position der Platine in der Schuhsohle. Grafik: PFIIn den ersten Tests hat das gewählte Funkmodul mit dem entsprechenden Übertragungsprotokoll eine Übertragungsreichweite von 60 m, theoretisch sind im Freien 1200 m möglich. Bei einer Reichweite von < 60 m konnten 16 Sensorsignale mit einer Frequenz von 120 Hz übertragen werden. Grundsätzlich muss bei batteriebetriebenen Geräten immer eine Abwägung zwischen Leistung und Batterienutzungsdauer getroffen werden. Die Abmessungen der Platine betragen 35 x 45 x 5 mm im vergossenen Zustand mit einem voraussichtlichen Gewicht von 35 g. Die Platine kann im Fersenbereich integriert werden, eine entsprechende Dicke der Schuhsohle vorausgesetzt. In Abb. 7 ist die geplante Position der Platine in der Schuhsohle dargestellt. Damit die Elektronik ausgetauscht werden kann, werden miniaturisierte Steckverbinder verwendet. Sollte der Schuh das Ende seiner Nutzung erreicht haben, kann die Elektronik vollständig entfernt werden, so dass der Schuh ordnungsgemäß entsorgt bzw. recycelt werden kann. Die im Projekt durchgeführte Entwicklung ist als Referenzanwendung zu verstehen, auf deren Grundlage interessierten Firmen das Konzept und die Umsetzungsmöglichkeiten für diese Technologie aufgezeigt werden sollen.
Anschrift für die Verfasser:
Dipl.-Ing. Peter Schultheis
Prüf- und Forschungsinstitut Pirmasens e.V. 
Marie-Curie-Straße 19
66953 Pirmasens
Das IGF-Vorhaben 20421 N wird über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.
Foto: Andrey Popov/AdobeStock_495062320
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