Instabilitätsdiagnostik am Sprunggelenk
Grundlagen
Die akute Sprunggelenkinstabilität nach einem Distorsionstrauma mit Bandruptur ist eine der häufigsten Sportverletzungen überhaupt (9). Von diesen Patienten mit akuten Verletzungen erleiden 20–40 Prozent eine erneute Distorsion im ersten Jahr und entwickeln in der Folge eine chronische Sprunggelenkinstabilität (27, 28). Die chronische Sprunggelenkinstabilität umfasst insgesamt eine heterogene Patientengruppe, welche nach einer Erstverletzung („index-sprain“) anhaltende Symptome im Sprunggelenkbereich entwickelt. Die zugrundeliegende Instabilität betrifft in Folge eines Supinationstraumas zumeist den lateralen Gelenkbereich, wobei zu beachten ist, dass die genaue Rolle der medialen Instabilitäten, Rotationsinstabilitäten oder Insuffizienzen der Syndesmosenbänder in der Entstehung der chronischen Instabilität noch relativ ungeklärt ist (1, 18, 30). Durch die chronische Instabilität können außerdem osteochondrale Läsionen der Talusrolle entstehen, welche zusätzlicher Beachtung in der Nachbehandlung bedürfen. Um die genaue Ätiologie der Sprunggelenkinstabilität zu klären und für den einzelnen Patienten die individuell beste Therapie anbieten zu können, ist eine detaillierte Diagnostik notwendig. Insbesondere die Unterteilung der Instabilität in ihre funktionelle und ihre mechanische Komponente ist hierbei entscheidend (14). Dennoch gilt zu berücksichtigen, dass das genaue Zusammenspiel der Ätiologien weiterhin ungeklärt und entsprechend seit Jahren Gegenstand intensiver Forschung ist (10, 22). Die funktionelle Instabilität ist charakterisiert durch sensomotorische Defizite wie eine insuffiziente posturale Stabilität und eine reduzierte neuromechanische Gelenkkontrolle (19). Die mechanische Instabilität beruht auf der Insuffizienz der passiven kapsuloligamentären Strukturen und führt zu einer pathologischen Überbeweglichkeit des Sprunggelenkes (32). Nicht immer führen diese Defizite allerdings auch zu einer Symptomatik, viele Patienten können insbesondere die vorhandene Instabilität durch funktionelles, sensomotorisches Training kompensieren (sogenannte „Coper“). Aus diesem Grunde führt nicht jede Sprunggelenkinstabilität zu einer ärztlichen Konsultation und im Modell von Hiller et al. wurde daher die subjektive Instabilität als ein Faktor für die klinische Erscheinung des Krankheitsbildes hinzugenommen (Abb. 1) (15). Ausgehend von der im Vordergrund stehenden symptomatischen Komponente der Sprunggelenkinstabilität ist auch die Therapie zu planen. Steht die funktionelle Komponente im Vordergrund muss eine funktionsorientierte, zum Beispiel sensomotorische Therapie eingeleitet werden, während im Falle einer relevanten mechanischen Insuffizienz eine mechanische Stabilisierung notwendig ist, zum Beispiel eine Orthesenversorgung oder eine operative Stabilisierung mittels Bandrekonstruktion (22). Zusammengefasst ergibt sich, dass die exakte diagnostische Differenzierung für die Therapie und den Therapieerfolg entscheidend ist.
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Instabilitätsdiagnostik bei akuten Verletzungen
Die ätiologische Orientierung sollte auch in der Auswahl der diagnostischen Instrumente berücksichtigt werden.
Funktionelle Instabilität
Die funktionelle und die subjektive Stabilität werden nach einer relevanten Distorsion in jedem Fall beeinträchtigt sein (28). Insbesondere die posttraumatisch veränderte neuromuskuläre Stabilisierung und der kurzfristige Verlust der adäquaten Gelenkkontrolle sind hier zu erfassen (25). Eine ausgereifte funktionelle Testung im akuten Setting wird primär jedoch lediglich im Leistungssport durchgeführt. Etablierte Tests (s.u.) der posturalen Kontrolle wie der Y-Balance Test im Seitenvergleich oder der Einbeinstand mit geschlossenen Augen liefern Hinweise auf entsprechende Defizite. Durch Schwellung, Schmerzen und ggf. Hämatom sind im Akutsetting die Propriozeption und sekundär die neuromuskuläre Kontrolle in der Regel kurzfristig reduziert (7). Das Rezidivrisiko ist dadurch in den ersten Tagen und Wochen deutlich erhöht und kann mittels der funktionellen Diagnostik besser abgeschätzt werden (27, 28). Eine entsprechende funktionsbezogene Primärbehandlung (Lymphdrainage, manuelle Therapie, Beinachsentraining) ist gemäß aktueller Empfehlungen angezeigt und sinnvoll (19).
Mechanische Instabilität
Weiterhin gilt es auch beim akuten Trauma die mechanische Stabilität zu prüfen. Obwohl gemäß der aktuellen Leitlinien die Therapie der ersten Wahl konservativ ist, kann abhängig von der klinischen Verdachtsdiagnose die weitere Therapieplanung mit Belastungsaufbau oder zusätzlicher Diagnostik suffizient gestellt werden. Für die akute Distorsion hat die klinische Untersuchung eine zunächst ausreichende Sensitivität und Spezifität, diese erhöht sich insbesondere nach Abklingen der Akutsymptomatik nach 5–7 Tagen (4). Die klassische, klinische Untersuchung beinhaltet Talusvorschub und Taluskippung, medialer Stress-Test, Squeeze-Test und External Rotational Stress Test (2, 34). Generalisierte Hyperlaxität gilt es in der Interpretation der Untersuchung ebenfalls zu berücksichtigen. In den Händen eines erfahrenen Untersuchers kann mittels klinischer Testung, insbesondere nach Abklingen der unmittelbaren Schmerzsymptomatik, eine valide Diagnose gestellt werden (4). Die Problematik der Subjektivität und mangelnden Reproduzierbarkeit ist insbesondere im wissenschaftlichen Kontext allerdings nicht zu unterschätzen (32).
Selbstverständlich gehören bei einem relevanten Trauma auch Röntgenaufnahmen in zwei Ebenen (ap und seitlich) zur Ausschlussdiagnostik. Die ehemals durchgeführten gehaltenen Röntgenaufnahmen haben ihren Platz bei akuten Verletzungen verloren (5, 26). Weitere Verfahren, welche ihren Fokus auf die mechanische Instabilität legen wie die Stress-Sonographie oder Arthrometer-Testungen bleiben Spezialisten vorbehalten und sind im akuten Setting nicht etabliert (5, 20). Ähnlich wie die gehaltenen Röntgenaufnahmen sollten und können sie im akuten Setting schmerzbedingt auch nicht immer adäquat durchgeführt werden. Eine Bildgebung mittels MRT ist ohne Frage bei schweren Verletzungen (Grad 2 und höher, s.u.) oder im Leistungssport anzustreben. Zwar kann anhand der Bildmorphologie nicht auf die mechanische Funktion des Gewebes rückgeschlossen werden, es müssen aber relevante Begleitpathologien ausgeschlossen werden. Moderne Verfahren wie das 3D-Stress-MRT haben das Potential, hier in den nächsten Jahren die diagnostische Wertigkeit deutlich zu verbessern (31). Auch für den Orthopädie-Schuhtechniker ist im akuten Setting die Unterscheidung zwischen mechanischer und funktioneller Instabilität relevant: beispielswiese ist bei dominanter mechanischer Instabilität die Versorgung mittels Sprunggelenkorthese notwendig und die Versorgung mittels Kompressionsbandage insuffizient. Gegebenenfalls ist auch eine harte Außenranderhöhung für einen gewissen Zeitraum bei mechanischer Instabilität zu erwägen (6). Gleichzeitig ist die Beachtung von akuten Beeinträchtigungen der Propriozeption und deren Therapie mittels sensomotorischer Komponenten notwendig, was wiederum ein Verständnis der funktionellen Defizite erfordert. Zusammengefasst muss die Diagnostik im akuten Setting insbesondere die aktuellen posttraumatischen Defizite erfassen, um diese bis zur Ausheilung der frischen Läsionen durch externe Maßnahmen gezielt unterstützen zu können.
Instabilitätsdiagnostik bei chronischer Instabilität
Zur Diagnosestellung bei Patienten mit chronischer Sprunggelenkinstabilität ist es notwendig, die zugrundeliegenden Ätiologien zu verstehen und ihren jeweiligen Anteil an der individuellen Pathologie zu bewerten und zu messen. Für die Diagnose einer chronischen Sprunggelenkinstabilität liegen seit wenigen Jahren die Kriterien des „International Ankle Consortium“ vor, welche bei der Beurteilung und insbesondere auch im wissenschaftlichen Kontext berücksichtigt werden sollten (11). Diese Expertengruppe fordert für die Diagnose einer chronischen Instabilität eine Vorgeschichte mit lateraler Kapsel-/Bandverletzung, wiederholte Instabilitätsgefühle und „giving-way“ (kurzfristiger Verlust der Gelenkkontrolle ohne wirkliche Verletzung) und/oder rezidivierendes Umknicken und/oder eine subjektive Instabilität (Abb.1). Wie schwer eine chronische Instabilität ausgeprägt ist, lässt sich im deutschen Sprachraum beispielsweise mit dem FAAM-G Fragebogen valide erfassen (21). Als weiterer Aspekt gewinnt beim chronischen Setting die gezielte Erfassung möglicher Begleitpathologien deutlich an Relevanz, um ein langfristig erfolgreiches Therapiekonzept erstellen zu können.
Funktionelle Diagnostik
Anders als beim akut verletzten Patient mit einer Veränderung der Sensomotorik aufgrund der akuten lokalen Gewebsschädigung, besteht beim chronisch funktionell Instabilen definitiv ein persistierendes Defizit der posturalen Kontrolle und, möglicherweise als Folge daraus, eine verlängerte Dauer bis zur Stabilisierung des Körperschwerpunkts bei der Landung nach einem Sprung (time-to-stabilization) (16, 23). Zur Vielzahl an anderen beschriebenen, funktionellen Defiziten zählen eine veränderte Propriozeption, eine Schwäche oder Dysfunktion der Peronealmuskulatur, ein reduzierter geringerer Fuß-Boden-Abstand in der Schwungphase oder auch eine reduzierte Kraft der Inversion (14–16, 23, 27). Die Evidenz zu diesen funktionellen Defiziten ist leider nicht solide, da in vielen Studien die zuletzt entwickelten Selektionskriterien für Patienten mit chronischer Sprunggelenkinstabilität noch nicht angewandt wurden (11). Dennoch gehört zur vollständigen Diagnostik der funktionellen Instabilität des Sprunggelenkes eine Testung der posturalen Kontrolle und Stabilität wie beispielsweise der Star Excursion oder Y-Balance Test (12). Eine weitere Möglichkeit zur quantitativen Erfassung der funktionellen Instabilität bietet die Stabilometrie als Schwankstrecke des Körperschwerpunktes (meist in mm) in einem definierten Zeitraum, mit oder ohne Perturbation. Dies kann auch orientierend mittels Einbeinstand bei geschlossenen Augen erfasst werden, wobei stets objektive Messmethoden zu bevorzugen sind. Weitere Testungen wie Kraftmessungen, Time-to-stance oder der single-legged Heel Rise Test könnten ebenfalls durchgeführt werden (33). Im chronischen Setting und insbesondere beim Orthopädie-Schuhtechniker können eine qualitativ hochwertige Ganganalyse und die Pedobarographie genutzt werden um ein Gesamtbild über die funktionelle Druckverteilung zu erhalten. Mögliche peroneale oder Tibialis posterior Insuffizienzen mit Auswirkung auf die aktive Gelenkkontrolle im Sprunggelenkbereich sind hierbei zu erfassen. Laufbänder mit integrierten Drucksensoren bieten eine gute Kombination der beiden Testverfahren und können darüber hinaus zusätzliche Informationen zur Gangsymmetrie liefern. Wenn relevante funktionelle Defizite objektiviert sind, ist in jedem Fall zunächst die konservative, also funktionelle Therapie zu beginnen (19). Entsprechend muss für die Wahl der weiteren Therapie geklärt werden, ob die funktionellen Defizite bereits gezielt trainiert worden sind, ohne dass die Symptomatik verbessert werden konnte (13, 22). Diesen frustranen konservativen Verläufen (sogenannte „non-coper“) liegt als Ursache möglicherweise eine dominant mechanische Instabilität oder eine Kombination aus funktioneller und mechanischer Instabilität zugrunde, wobei die funktionelle Kompensation der mechanischen Defizite nicht erreicht werden kann (8, 10).
Mechanische Diagnostik
Verfahren, welche objektive Daten zur mechanischen Stabilität des Sprunggelenkes liefern, sind in Literatur und Alltag umstritten (32). Offensichtlich ist, dass eine mechanische Therapie (Orthese, Operation) sinnvollerweise dann eingesetzt werden sollte, wenn mechanische Defizite gesichert sind, weshalb eine adäquate mechanische Diagnostik unumgänglich ist. Die klinische Untersuchung ist hierbei für die Indikation einer nicht-invasiven, mechanischen Therapie (Tape, Orthesenversorgung) zunächst ausreichend. Sie ist der nicht-invasive Goldstandard. Für die Indikationsstellung zur chirurgischen Stabilisierung, beispielsweise mittels Bandrekonstruktion, ist jedoch eine reproduzierbare und objektivierbare Diagnostik notwendig. Die Bildgebung mittels MRT ist bei Behandlung der chronischen Sprunggelenkinstabilität sicherlich unerlässlich, insbesondere um therapiebedürftige Begleitverletzungen wir Peronealsehnen-Läsionen oder osteochondrale Läsionen zu erfassen (3, 17, 29). Dennoch gibt das MRT keine Auskunft über die mechanische Stabilität des Gelenkes. Hierfür wird, wie erwähnt, zwischenzeitlich die arthroskopische Dokumentation der mechanischen Instabilität („dive through sign“) im Rahmen einer operativen Intervention als adäquates Diagnostikum anerkannt (13, 17, 30). Diese erfolgt im Falle einer notwendigen Operation im Rahmen der diagnostischen Sprunggelenkarthroskopie, bei welcher im chronisch Instabilen auch intraartikuläre Pathologien detektiert und therapiert werden können (17, 29). Weitere diagnostische Verfahren wie die digitale Volumentomographie (DVT) können insbesondere zur Diagnose und OP-Planung bei knöchernen Begleitpathologien wie intraossären Zysten oder freien Gelenkkörpern eingesetzt werden. Da die klinische Untersuchung keine objektive oder quantitative Messung der mechanischen Instabilität zulässt, besteht in diesem Bereich trotz intensiver Forschung eine große diagnostische Lücke. Die lange Zeit als Goldstandard gehandelten Röntgen-Stressaufnahmen sind auch beim chronisch instabilen Patient wissenschaftlich umstritten und werden in den Fachgesellschaften kontrovers diskutiert (3, 5, 26, 32). In einer 2018 durchgeführten europaweiten Umfrage unter Sprunggelenk-Experten gaben jedoch immerhin 40 Prozent der Spezialisten an, präoperativ Stress-Röntgenaufnahmen durchzuführen; vor allem mangels alternativer objektiver Methoden (22). Die Dokumentation der mechanischen Instabilität mittels Stress-Ultraschall oder Arthrometer-Testung ist in spezialisierten Zentren mit guter Validität möglich und kann gut zur longitudinalen Verlaufsdokumentation eingesetzt werden (21, 24). Die breite klinische Anwendung ist hierfür zum jetzigen Zeitpunkt wegen der mangelnden Verfügbarkeit der Geräte eingeschränkt. Eine neuartige Methodik befindet sich in der klinischen Testphase. Dabei wird die dreidimensionale Gelenkkongruenz im dynamischen MRT erfasst (31). Die Pilotdaten dieser Arbeitsgruppe deuten an, dass durch diese „3-dimensionale Sprunggelenk-Arthrometrie im MRT (3SAM)“ zukünftig eine quantitative Erfassung der mechanischen Instabilität möglich sein könnte (31). Hierbei wird die Gelenkkongruenz in Neutralstellung mit der individuellen Reduktion der artikulierenden Fläche in Flexion-Supination vermessen was Rückschlüsse auf die dynamische Instabilität zulässt (Abb. 2, 3). Der weitere Validierungsprozess dieser Neuentwicklung in den nächsten Jahren bleibt jedoch abzuwarten. Für den Orthopädie-Schuhtechniker ist es gerade auch beim chronisch Instabilen wichtig, die Kombination der verschiedenen Defizite in der Therapieplanung zu berücksichtigen. Peroneale Insuffizienzen oder einen hohen Rückfußvarus gilt es bei der Einlagenversorgung zu beachten, während beispielsweise osteochondrale Läsionen der medialen oder lateralen Talusschulter für die optimale Belastungsverteilung im Rückfußbereich berücksichtigt werden müssen.
Anschrift für die Verfasser:
Dr. med. Markus Wenning
Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Freiburg,
Medizinische Fakultät,
Albert-Ludwigs Universität Freiburg,
Hugstetter Str. 55, D-79106 Freiburg i.B.
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