Mit Hilfe der Druckverteilungsmessung können Belastungen an den betreffenden Körperregionen ermittelt und die Daten zur CAD-Konstruktion und CNC-Fertigung individueller Einlagen und Sitzschalen genutzt werden. Dies bietet ein großes Potenzial für die Reduzierung von Beschwerden und die Verbesserung der Leistungsfähigkeit, wie Vergleichsmessungen mit und ohne die jeweiligen Hilfsmittel zeigen.
Neben den häufig betriebenen Sportarten wie Fußball, Laufen oder Radfahren erfreut sich der Rudersport in Deutschland einer großen Beliebtheit. Im Sportentwicklungsbericht 2015/16 liefert das Bundesinstitut für Sportwissenschaften aktuelle Zahlen, die dieses belegen. Demnach gibt es in Deutschland 481 Rudervereine, in denen über 80 000 Mitglieder aktiv sind (Breuer, 2017). Dabei erstreckt sich die Zielsetzung des Sporttreibens von eher freizeitlich orientierten Aktivitäten, wie sie sich beispielsweise im sogenannten Wanderrudern niederschlagen, über ambitionierte Amateur-Ruderer bis hin zu Spitzenathleten, die an nationalen und internationalen Meisterschaften teilnehmen. In allen Fällen ist der Rudersport sehr ausdauerorientiert und mit relativ hohen Trainingsumfängen verbunden. Das bedeutet, dass die Sportler über einen relativ langen Zeitraum in ihrem Boot sitzen, was sowohl beim Wanderrudern als auch für das Training von Top-Athleten zutrifft. Diese hohen Umfänge können dazu führen, dass es an den Kontaktstellen, an denen der Ruderer mit seinem Boot Verbindung hat, zu Überlastungserscheinungen kommt. Die drei Kontaktstellen beim Rudern sind der sogenannte Rollsitz, das sogenannte Stemmbrett, auf dem die Schuhe teilweise fest montiert sind, und schließlich die Rudergriffe. Nicht selten klagen Ruderer über Sitzbeschwerden, Druckstellen an den Füßen, sowohl plantar als auch dorsal, sowie über Blasenbildungen an den Handflächen. Des Weiteren können ungünstige, nicht-ergonomische Ausführungen der Komponenten Sitz, Stemmbrett/Schuhe und Griffe das Leistungsniveau einschränken, was insbesondere für Ruderer im Leistungsbereich von Interesse ist. Ungünstige Bedingungen an den Kontaktstellen können indirekt zur Verlangsamung oder zum Abbruch der Ruderleistung führen, da auftretende Beschwerden eine Fortführung auf konstantem Niveau verhindern. Durch eine schlechte Kraftübertragung in der Zug- und Druckphase am Stemmbrett kann es aber auch zu einer direkten Beeinträchtigung kommen, weil der Kontakt zwischen Fuß/Schuh und Stemmbrett nicht optimal aufeinander abgestimmt ist. Es gibt kaum individuelle Lösungen bei den genannten Komponenten eines Ruderbootes. Alle Ruderer nutzen im Wesentlichen die gleichen Griffe, ähnliche Sitze und teilweise sogar die gleichen Schuhe, die in den seltensten Fällen mit Einlagen ausgestattet sind. Erstaunlicherweise trifft dieses nicht nur für den Freizeit-Ruderer, sondern ebenfalls für Leistungssportler zu. Da somit ein sehr großes Potenzial sowohl für die Reduzierung von Beschwerden als auch für die Verbesserung der Leistungsfähigkeit vorhanden ist, ist es das Ziel des vorliegenden Artikels, die Analyse- und Umsetzungsmöglichkeiten für individuelle Anpassungen in Ruderbooten zu präsentieren. Zu diesem Zweck werden im Folgenden die Messmethoden zur Ermittlung der Bedingungen am Sitz und im Schuh, die Methoden der Konstruktion und Fertigung von individuellen Einlagen und Sitzen sowie der Vergleich der Bedingungen mit und ohne Hilfsmittel vorgestellt.{pborder}
Grundsätzlich ist das Messen der Druckverteilung an allen drei genannten Kontaktstellen im Ruderboot möglich, wobei der verwendete Drucksensor überall identisch ist. Lediglich der Aufbau der Sensorik mit der Anzahl und der Anordnung der Einzelsensoren unterscheidet sich. Da die Möglichkeiten der Modifikation an der Kontaktstelle Griff relativ gering sind, soll im Folgenden eine Konzentration auf die Analyse des Sitzes sowie der Schuhe am Stemmbrett stattfinden. Abbildung 1 zeigt die Instrumentierung eines Bootes mit den Sensorfolien in den Schuhen und auf dem Sitz am Beispiel eines Einer-Skiffs. In allen anderen Bootsklassen ist die Anordnung identisch. Die Druckverteilung unter den Füßen wird mit Hilfe des mobile Druckmesssystems GP MobilData von GeBioM erfasst (Natrup u.a., 2009). Je nach Schuhgröße messen bis zu 64 Sensoren pro Fuß die plantare Druckverteilung. Die 1,6mm dünnen Messfolien sind flexibel und werden flach in den Schuh gelegt. Die Daten werden von zwei WLAN-Sendern, die an den Unterschenkeln der Ruderer befestigt oder einfach in das Boot gelegt werden, zum Laptop gesendet. Diese kabellose Funkübertragung ermöglicht es, dynamische und realistische Messungen während des Trainings im Boot (z.B. auf einem mitfahrenden Fahrrad, Abb. 2) sowie indoor auf einem Ergometer (Abb. 3) aufzuzeichnen. Die Messwerte werden hierbei mit einer Messfrequenz von 200 Hz in Echtzeit an den Messrechner übertragen, wo sie zur späteren Weiterverarbeitung gespeichert werden. Somit wird die Druckverteilung unter den Füßen mit dem herkömmlichen Messsystem, wie es häufig für orthopädische Anwendungen zur Belastungsanalyse beim Stehen, Gehen oder Laufen genutzt wird, erfasst. Ähnlich verhält es sich bei der Druckverteilung auf dem Rudersitz. Alle Kennwerte sind identisch, lediglich die Sensorfolie ist eine andere. Sie besteht aus 128 Drucksensoren, hat das Layout eines Rudersitzes und erfasst die Druckverteilung zwischen Sitz und Gesäß des Ruderers. Sowohl am Sitz als auch in den Schuhen können aus den gemessenen Druckwerten die jeweiligen Kraft-Zeit-Verläufe berechnet werden. Dabei dienen die Druckwerte im Wesentlichen zur Beurteilung der Belastungssituation und bilden die Grundlage für die Anfertigung der individuellen Hilfsmittel (Einlagen und Maßsitz). Die Kraft-Zeit-Verläufe hingegen sind für die Analyse des Leistungsvermögens wichtig. Insbesondere die Kraftübertragung von den Füßen auf das Stemmbrett hat einen direkten Einfluss auf die Bootsgeschwindigkeit. Die Ergebnisse für die Druckverteilungen und die Kraftverläufe werden unten genauer diskutiert, wenn der Vergleich der beiden Bedingungen mit und ohne individuelle Anpassung in Bezug auf Belastung und Leistung präsentiert wird.
CAD-Konstruktion und CNC-Fertigung
Für die CAD-Konstruktion von individuellen Einlagen dient die Messung der Druckverteilung unter den Füßen als Grundlage. Dabei findet die Messung auf Standardeinlagen ohne spezielle Elemente auf der Brandsohle, wie sie sich in normalen Ruderschuhen befinden, statt. Außerdem werden die Dimensionen der Füße (Länge und Breite) eines jeden Ruderers mit einem 2D-Scanner bestimmt. Die Konstruktion der individuellen Einlagen wird mit der CAD-Software GP OptiCAD von GeBioM durchgeführt. Zuerst wird eine Standardeinlage aus einer Bibliothek ausgewählt. Diese wird in Länge und Breite auf die Maße des Fußes, für den die Einlage konstruiert werden soll, angepasst. Das auf diese Einlage projizierte Druckbild hilft bei der Positionierung von verschiedenen Elementen. Dieses sind eine Fersenschale, ein Längsgewölbe, eine Pelotte, ein Zehensteg sowie mögliche Vertiefungen an besonders belasteten Positionen (z.B. Großzehe). Dabei werden die jeweiligen Positionen, Dimensionen und Höhenangaben entsprechend der Druckverteilung und der Druckwerte angepasst.

In Abbildung 4 ist eine solche Konstruktion mit GP OptiCAD dargestellt. Dort ist beispielsweise zu erkennen, dass der Druck an der Ferse sehr gering ist, was für die Kraftübertragung auf das Stemmbrett ungünstig ist. Besser wäre es, den Druck über die gesamte Fußfläche gleichmäßig wirken zu lassen. Dennoch ist dieses Phänomen bei vielen Ruderern zu beobachten. Daher werden die Einlagen in Abhängigkeit des gemessenen Drucks an der Ferse angehoben. Die fertige CAD-Datei wird anschließend an eine CNC-Fräse geschickt, in der sich ein Schaumblock befindet. Die Härte dieses Rohmaterials ist variabel und wird nach den gemessenen Druckwerten sowie nach den speziellen Wünschen des Athleten ausgewählt. Nach dem etwa 10-minütigen Fräsvorgang für ein Paar Einlagen werden diese schließlich von Hand feingeschliffen und mit einem Deckmaterial bezogen, womit der CAD-CNC-Fertigungsprozess abgeschlossen ist. Bei der Produktion von individuellen Rudersitzen gibt es einige Besonderheiten, aber der grundsätzliche Prozess des Messens, Konstruierens und Fertigens ist identisch. Zur Ausgangsmessung wird ein Adapter auf den eigentlichen Sitz gelegt. Dieser besitzt eine definierte Härte und eine ebene Oberfläche, so dass objektive Werte für die Druckverteilung im Sitzen gegeben sind. Andernfalls würden unterschiedliche Rudersitze, die bereits Verformungen wie etwa Aussparungen an den Sitzknochen aufweisen, das Messergebnis verfälschen. Wie oben bei der Einlagenkonstruktion beschrieben, werden auf dem Sitz ebenfalls verschiedene Elemente (Vertiefungen, Erhöhungen) in das Rohmaterial geformt, um den Sitz optimal an die anatomischen Gegebenheiten seines künftigen Besitzers anzupassen. Für die Platzierung des fertigen Sitzes im Boot wird die Form des vorhandenen Sitzes eingescannt, eine entsprechende Negativ-Form im CAD unter den konstruierten Sitz positioniert und schließlich die Unterseite entsprechend ausgefräst. Somit kann der individuelle Sitz sehr einfach auf den vorhandenen Sitz im Boot gelegt werden. Die Praxis hat gezeigt, dass keine weiteren Maßnahmen zur Befestigung nötig sind. Ein derart konstruierter und gefertigter Maßsitz ist in Abbildung 5 zu sehen. Er hat ein Gewicht von zirka 125g und ist zwischen 0,4 und 1,5 cm dünn.
Um den Effekt der angefertigten individuellen Einlagen und Sitze beim Rudern zu eruieren, wurden Vergleichsmessungen mit und ohne die jeweiligen Hilfsmittel durchgeführt. Für diesen Vergleich standen fünf weibliche und elf männliche Probanden, die der Kategorie Leistungssportler zuzuordnen sind, zur Verfügung. Alle Messungen wurden in der realen Situation, also in den Booten auf dem Wasser durchgeführt (Abb. 2). Dabei waren alle sportlichen Bootsklassen vom Einer bis zum Achter vertreten. Im Folgenden werden die Effekte sowohl beispielhaft an Einzelmessungen erklärt, als auch über den Mittelwert der Gesamtgruppe diskutiert.
Einlagen
Für die Analyse der Belastungssituation wird die Reduzierung des Maximaldrucks herangezogen. Diese beträgt bei der Nutzung der individuellen Einlagen im Vergleich zu den Standardeinlagen im Mittelwert über die gesamte Gruppe etwa 10 Prozent (Abb. 6). Diese Reduzierung ist relativ gering, da die Streuung zwischen den einzelnen Sportlern relativ groß ausfällt. So gibt es Ruderer mit Druckreduzierungen von etwa 50 Prozent (Proband 11), aber auch andere, bei denen der maximale Druck auf der individuellen Einlage höher ist als ohne (z.B. Proband 2). Des Weiteren ist die Kontaktstelle Fuß/Stemmbrett unter dem Aspekt der Leistungssteigerung interessant. In Abbildung 7 sind die Kraft-Zeit-Verläufe von zwei Ruderzyklen eines Athleten mit und
ohne individuelle Einlagen dargestellt. Dabei repräsentiert die rote Kurve das Rudern mit Standardeinlagen und die blaue mit individuellen Einlagen. Es ist gut zu erkennen, dass die blauen Kraftkurven ein deutlich höheres Kraftmaximum aufweisen (ca. 30%), wodurch auch der Kraftstoß (Fläche unter der Kurve) deutlich erhöht ist. Außerdem ist der Kraftanstieg zu Beginn der Druckphase mit individuellen Einlagen deutlich steiler, was für eine höhere Explosivität spricht. Leider können diese positiven Effekte nicht für alle 16 Athleten festgestellt werden, so dass insgesamt keine signifikante Leistungssteigerung zu beobachten ist. Möglicherweise muss für den Einsatz und die Fertigung von individuellen Einlagen immer eine Abwägung zwischen einer gewünschten Reduzierung der Belastung und einer möglichen Leistungssteigerung stattfinden. Dieses muss stets ein sehr individueller Entscheidungsprozess sein.
Sitze
Im Gegensatz zu der Abwägung nach Belastung und Leistung am Fuß-Stemmbrett-Kontakt sind hohe Druckwerte am Sitz in jedem Fall ungünstig, da sie sowohl das Wohlbefinden als auch die Leistungsfähigkeit negativ beeinflussen. In Abbildung 8 ist ein Vergleich der Druckverteilungen auf einem Standardsitz (oben) und einem individuell angepassten Sitz (unten) zu sehen. Standardrudersitze verfügen üblicherweise über zwei Aussparungen für die relativ harten Sitzknochen. Diese Aussparungen sind oben in Abbildung 8 an den geringen Druckwerten links und rechts in der Mitte zu erkennen. Da die Aussparungen allerdings in den seltensten Fällen zu der Anatomie des Ruderers passen, kommt es insbesondere an den Kanten der Aussparung sehr häufig zu erhöhten Druckwerten. So ist es auch in der Abbildung 8 vor allem an der rechten Seite mit maximalen Druckwerten von 14,6 und 16,6 N/cm² zu sehen. Auf dem Druckbild darunter ist zu erkennen, dass der maximale Druck auf dem individuellen Sitz mit einem Wert von 7,1 N/cm² mehr als halbiert werden konnte. In Abbildung 9 sind die maximalen Druckwerte im Vergleich für alle 16 Probanden sowie deren Mittelwert zusammengefasst. Es ist bemerkenswert, dass für alle Probanden eine Reduzierung durch den individuellen Sitz realisiert werden konnte, wobei der Vergleich signifikant ausfällt und im Mittel 51 Prozent beträgt. Somit kann der maximale Druck auf den individuell angepassten Sitzen der 16 hier vermessenen Sportler um etwa die Hälfte reduziert werden.
Egal ob der Mensch läuft, springt, an Geräten oder Bällen drückt, zieht, stößt oder auf wie auch immer gearteten Sportgeräten oder -maschinen sitzt, im Sport sind die Kontaktstellen des Athleten mit seiner Umgebung von besonderer Bedeutung. Meistens entscheidet sich an dieser Stelle zum einen, wie stark der Körper oder Teile von ihm belastet werden, und zum anderen, wie gut und mit welcher sportlichen Leistung die Bewegung ausgeführt wird. Daher ist die Instrumentierung dieser Kontaktstellen mit Sensoren ein probates Mittel, die jeweiligen Ausprägungen von Belastung und Leistung zu analysieren und mit entsprechenden Maßnahmen wie Hilfsmitteln, Geräteanpassungen oder Trainingsmaßnahmen zu optimieren. In diesem Sinne sollte der vorliegende Artikel zeigen, wie diese Analysen und Fertigungsschritte zu individuell angepassten Einlagen und Sitzen im Rudersport durchgeführt werden können. Diese Anwendung kann möglicherweise auch für Orthopädieschuhtechnik-Betriebe interessant sein. Schließlich stehen die hier verwendeten Messtechniken, zumindest für die Druckmessung an den Füßen, aber auch die genutzten Software-Produkte zur CAD-Konstruktion und CNC-Fertigung teilweise zur Verfügung. Somit können möglicherweise neue Dienstleistungen, beispielsweise für Rudersportler vor allem aus dem Freizeit- und Amateur-Bereich, angeboten und weitere, interessante Zielgruppen gewonnen werden. GeBioM selbst ist mit seiner Marke bioµchanics insbesondere im Leistungssport aktiv. So entstammen die hier präsentierten Ergebnisse unter anderem aus einer Kooperation mit dem KNRB (Koninklijke Nederlandse Roeibond), dem niederländischen Ruder-National-Team. Für das gesamte Team der Damen und Herren hat bioµchanics Einlagen sowie für einen Großteil des Teams, insbesondere dem sehr ambitionierten Herren-Achter, individuelle Rudersitze konstruiert, gefertigt und in den Booten getestet. Ob sich diese Kooperation positiv auf den Medaillenspiegel des niederländischen Teams bei den Olympischen Spielen in Tokio auswirken kann, wird sich aufgrund der Verschiebung der Spiele frühestens im kommenden Jahr zeigen.
Anschrift für die Verfasser:
Dr. Jörg Natrup
bioµchanics – tech2win
Gesellschaft für Biomechanik
Münster mbH – GeBioM
Wilhelm-Schickard-Straße 12
48149 Münster
Literatur
Siehe PDF.
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