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8. März 2017
Annette Switala
HHVG im Bundestag verabschiedet

Ausschreibung individueller Hilfsmittel ist nicht zweckmäßig

Mit den Stimmen von Union und SPD und bei Enthaltung der Linken und Bündnis 90/Die Grünen hat der Bundestag am 16. Februar 2017 in zweiter und dritter Lesung das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) beschlossen. Nach mehrfachen Änderungen des Gesetzentwurfs im Vorfeld wurde festgehalten, dass die Ausschreibung individuell gefertigter Hilfsmittel mit hohem Dienstleistungsanteil nicht zweckmäßig ist. Zudem wurde klargestellt, dass Krankenkassen keine externen Hilfsmittelberater beauftragen dürfen. 
Würfel
Foto: BRN-Pixel/Adobe Stock

Bei individuell hergestellten Hilfsmitteln mit einem hohen Dienstleis­tungsanteil erfolgte eine Klarstellung entsprechend der „Gemeinsamen Empfehlungen zur Zweckmäßigkeit von Ausschreibungen“ aus dem Jahr 2009. Ausschreibungen für solche Hilfsmittel werden nunmehr generell als nicht zweckmäßig angesehen. Daher werden die Wörter „in der Regel“ im neuen Satz 5 des § 127 Abs. 1 SGB V gestrichen.

„Damit folgt der Gesetzgeber einer maßgeblichen Forderung der Gesundheitshandwerke und des Zentralverbands Orthopädieschuhtechnk“, betont ZVOS-Hauptgeschäftsführer Oliver Dieckmann, der sich in der ersten Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags am 30. November 2016 sowie in schriftlichen Stellungnahmen vehement für das Verbot von Ausschreibungen individuell gefertigter Hilfsmittel ausgesprochen hatte.

Angepasst wurde bei den nachträglichen Änderungen des Gesetzentwurfs auch der Prozentsatz der qualitativen Kriterien, die Krankenkassen künftig bei Ausschreibungen von Hilfsmitteln berücksichtigen müssen. Sie müssen neben dem Preis künftig zu 50 Prozent Qualitätskriterien in ihre Vergabeentscheidung einbeziehen.

Das Gesetz stellt klar, dass externe Hilfsmittelberater nicht von den Krankenkassen beauftragt werden dürfen. „Auch das entspricht einer unserer Forderungen“, so Dieckmann. „Es macht keinen Sinn, eine Doppelstruktur zum Medizinischen Dienst der Krankenkassen aufzubauen.“ Nur der MDK darf ab Inkrafttreten des Gesetzes externe Hilfsmittelberater beauftragen.

Was ändert sich für Leistungs­erbringer und Krankenkassen?

Krankenkassen werden bei Ausschreibungen dazu verpflichtet, den Patienten eine Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen mehrkos­tenfreien Hilfsmitteln anzubieten. Zudem müssen sie auch bei Ausschreibungen eine wohnortnahe Versorgung sicherstellen. Dafür kann die Krankenkasse auch ein  „Mehr-Partner-Modell“ wählen, bei dem mehrere Ausschreibungsgewinner den Zuschlag erhalten.

Die Krankenkassen sollen die Versicherten zudem besser über ihre Rechte bei der Hilfsmittelversorgung beraten. Sie müssen die wesentlichen Inhalte der von ihnen geschlossenen Verträge im Internet zugänglich machen.

Auch Leistungserbringer müssen ihre Patienten künftig genauer beraten. Sie müssen aufzeigen, welche Hilfsmittel und zusätzlichen Leistungen, die von den Krankenkassen als Regelleistung bezahlt werden, für sie geeignet sind. Die Beratungen sind schriftlich zu dokumentieren und vom Versicherten zu unterzeichnen.

Die Leistungserbringer werden künftig verpflichtet, die Höhe der von den Patienten geleisteten Aufzahlungen gegenüber den Krankenkassen anzugeben. Der Patient muss vor der Abgabe des Hilfsmittels über die mit ihm verbundenen Mehrkosten aufgeklärt werden. Der GKV-Spitzenverband veröffentlicht erstmals zum 30. Juni 2018 und danach jährlich einen nach Produktgruppen differenzierten Bericht über die Entwicklung der Mehrkosten. Dabei wird über die Zahl der Mehrkostenvereinbarungen und die durchschnittliche Höhe der Aufzahlungen berichtet. Der Bericht kann auch Gründe, die Versicherte zur Wahl des mit Mehrkosten verbundenen Produkts bewogen hat, enthalten (zum Beispiel qualitative Gründe).

Leistungserbringer werden stärker kontrolliert

Bei der Hilfsmittelversorgung müssen die Krankenkassen die Einhaltung der gesetzlichen und vertraglichen Pflichten der Leistungserbringer kontrollieren.

Dazu sind Stichproben vorgesehen. Die Leistungserbringer müssen den Krankenkassen auf Verlangen die erforderlichen Informationen und Auskünfte erteilen und die von den Versicherten unterzeichneten Bestätigungen über die Durchführung der Beratung vorlegen. Wenn es für die Prüfungen erforderlich ist und der Versicherte schriftlich eingewilligt hat, können die Krankenkassen von den Leis­tungserbringern auch die personenbezogene Dokumentation über den Verlauf der Versorgung einzelner Versicherter anfordern. Die Leistungserbringer sind dann zur Datenübermittlung verpflichtet.

Die Krankenkassen müssen auch sicherstellen, dass Verstöße der Leis­tungserbringer gegen ihre vertraglichen und gesetzlichen Pflichten angemessen geahndet werden.

Der GKV-Spitzenverband gibt bis zum 30. Juni 2017 Rahmenempfehlungen zur Sicherung der Qualität im Hilfsmittelbereich ab, in denen auch Regelungen zum Umfang der Stichprobenprüfungen, zu möglichen weiteren Überwachungsinstrumenten und darüber getroffen werden, wann Auffälligkeiten anzunehmen sind.

Aktualisierung des Hilfsmittelverzeichnisses

Der GKV-Spitzenverband wird verpflichtet, bis zum 31. Dezember 2018 das Hilfsmittelverzeichnis grundlegend zu aktu­alisieren. Sämtliche Produktgruppen, die seit 30. Juni 2015 nicht mehr fortgeschrieben worden sind, muss er einer sys­tematischen Prüfung unterziehen und in erforderlichem Umfang fortschreiben. Jährlich zum 1. März muss der GKV-Spitzenverband dem Gesundheitsausschuss des Bundestags einen Bericht über die erfolgten, begonnenen und noch nicht abgeschlossenen Fortschreibungen vorlegen.

Vor einer Weiterentwicklung und Änderungen der Systematik und der Anforderungen ist den maßgeblichen Spitzenorganisationen der betroffenen Hersteller und Leistungserbringer auf Bundesebene  Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der GKV-Spitzenverband kann auch Stellungnahmen von medizinischen Fachgesellschaften sowie Sachverständigen aus Wissenschaft und Technik einholen.

Zudem muss der GKV-Spitzenverband bis zum 31. Dezember 2017 eine Verfahrensordnung beschließen, mit der die Aktualität des Verzeichnisses auch künftig gewährleis­tet wird. Darin wird auch Näheres zum Verfahren zur Aufnahme von Hilfsmitteln in das Hilfsmittelverzeichnis sowie zu den Fristen für die regelmäßige Fortschreibung bekannt gegeben. Den maßgeblichen Spitzenorganisationen der betroffenen Hersteller und Leistungserbringer auf Bundesebene ist vor Beschlussfassung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Verfahrensordnung muss vom Bundesministe­rium für Gesundheit genehmigt werden.

„Damit und dadurch, dass Absatz 11 inhaltlich nicht geändert wurde, ist eine zentrale Forderung des Zentralverbands Orthopädieschuhtechnik, nämlich die Einführung eines echten Mitspracherechtes bei der Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses, zum Beispiel bei den Produktgruppen 08 und 31, über eine Änderung des § 139 SGB V leider nicht erfüllt worden“, so Dieckmann. „Es gilt nunmehr, in Zukunft weiterhin für eine Stärkung der Rechte der Leistungserbringer im Allgemeinen und der Orthopädieschuhtechnik im Besonderen gegenüber der Politik und der Selbstverwaltung einzutreten.“

Produkte können im Hilfsmittelverzeichnis auf bestimmte Indikationen begrenzt werden, für die der Hersteller Nachweise erbracht hat. Hersteller müssen dem GKV-Spitzenverband Änderungen an ihren Produkten mitteilen.

Produkte können auch aus dem Hilfsmittelverzeichnis gestrichen werden, wenn der Hersteller der Aufforderung des GKV-Spitzenverbands nicht nachkommt, bestimmte Unterlagen für die Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses zur Verfügung zu stellen.

Das Gesundheitsministerium kann per Rechtsverordnung Gebühren für die Aufnahme von Produkten ins Hilfsmittelverzeichnis festlegen.

Präqualifizierung

Präqualifizierungsstellen werden künftig von der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS) überwacht. Die Präqualifizierungsstellen müssen sich alle fünf Jahre einem Akkreditierungsverfahren und regelmäßigen Überwachungsaudits unterziehen.

Modellvorhaben für Heilmittel­erbringer

Um die Therapieberufe (Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Podologie) attraktiver zu machen, können die Krankenkassen und Verbände der Heilmittel­erbringer in den Jahren 2017 bis 2019 eine höhere Vergütung beschließen. Heilmittelerbringer sollen künftig außerdem über sogenannte Blankoverordnungen die Auswahl, Dauer und Abfolge der Therapie bestimmen dürfen. Die Verordnung des Heilmittels geschieht weiterhin durch den Arzt. Nach Auswertung von Modellprojekten, die es in allen Bundesländern geben soll, soll dann entschieden werden, ob dies in die Regelversorgung übernommen wird.

Das Gesetz wird vermutlich am 10. März 2017 im Bundesrat beraten und verabschiedet. Nach Verkündung durch den Bundespräsidenten tritt das Gesetz in Kraft.

Artikel aus Orthopädieschuhtechnik 03/2017

 

Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
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