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5. April 2018
Redaktion

Frauen in der OST (1): Von den 
Erfahrungen mit der Selbstständigkeit

Von Christina Baumgartner: Lange Zeit war die Orthopädieschuhtechnik eine Männerdomäne. Wie steht es heute um die Selbstständigkeit von Frauen in dem Gesundheitshandwerk? Welche Erfahrungen haben sie gemacht? Wir haben uns beim Treffen der Fachfrauen des Orthopädie- und Schuhmacherinnenhandwerks Anfang Februar in Langen umgehört.


Für Ruth Häbry stand bereits während ihrer Ausbildung fest, dass sie nicht dauerhaft im Angestelltenverhältnis, sondern im eigenen Betrieb tätig sein möchte. 2002 schaffte sie den Sprung in die Selbst­ständigkeit und kümmert sich seitdem um die fußspezifischen Wünsche und Probleme ihrer Kunden im Frankfurter Stadtteil Seckbach. Dass eine Gründung für Frauen heute einfacher ist als noch vor 25 Jahren glaubt sie nicht: „Selbstständigkeit ist ein hartes Brot und für Frauen ein härteres als für Männer“.

„Der gesellschaftliche Kontext muss sich ändern“, sagt Häbry, die Unterstützung durch Männer fehle oft. Denn während Männer in ihren Betrieben häufig durch die Ehefrauen unterstützt werden, sei das bei selbstständigen Frauen häufig nicht der Fall. Auch das Verständnis der Partner hinsichtlich der Verschiebung von Prioritäten sei nicht immer gegeben.

Frauen gründen anders

„Frauen brauchen andere Sicherheiten, um zu gründen“, meint Häbry, Männer seien oft doch deutlich überzeugter vom eigenen Handeln und risikofreudiger, beispielsweise in finanzieller Hinsicht. Diese Einschätzung bestätigt auch die Studie des ifh Göttingen „Frauen im Handwerk – Status Quo und Herausforderungen“ aus dem Jahr 2015, für die eine Sonderauswertung der Handwerksrollen von sechs niedersächsischen Handwerkskammern durchgeführt wurde. Beim Vergleich der Frauenanteile zwischen Auszubildenden und Meisterinnen sowie Inhaberinnen werde deutlich, dass zwar heute im Gegensatz zu früher relativ viele Frauen eine Meisterprüfung ablegen, diese sich aber dann oft nicht selbstständig machen, heißt es dort. „Hierfür mögen verschiedene Gründe maßgeblich sein. Sicher sind viele Frauen risikoaverser und scheuen häufig die Verantwortung, die mit dem Schritt in die Selbstständigkeit verbunden ist. Auch verzichten 
einige auf die Selbstständigkeit, da sich viele Frauen stärker in der Verantwortung gegenüber Familie 
sehen“, wird in der Studie vermutet.{pborder}

Ruth Häbry (r., beim Fachfrauentreffen  Anfang Februar in der B-O-S-S in Langen) ist seit 2002 im eigenen Betrieb in Frankfurt-Seckbach tätig Ursel Bernett ist eine der Initiatorinnen der Fachfrauentreffen und seit vielen Jahren selbstständig
Ruth Häbry (r., beim Fachfrauentreffen
Anfang Februar in der B-O-S-S in
Langen) ist seit 2002 im eigenen Betrieb
in Frankfurt-Seckbach tätig
Ursel Bernett ist eine der Initiatorinnen
der Fachfrauentreffen und seit vielen Jahren
selbstständig

Als Ruth Häbry 1988 ihre Ausbildung absolvierte, seien zwar 25 Prozent der Berufsschüler Frauen gewesen. „Die sind aber fast alle raus aus dem Beruf“, erzählt die Inhaberin, sie wisse nur von einer einzigen, die heute noch als Meisterin arbeitet. Nicht nur Arbeitszeiten von bis zu 60 Stunden pro Woche machten die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für selbstständige Frauen schwierig. In einem kleinen Ein-Frau-Betrieb wie dem von Ruth Häbry gibt es auch bei Krankheit oder Urlaub keine Vertretung. „Und bei Ferien oder Krankheit der 
Kinder wird auch heute oft noch davon ausgegangen, dass die Frau und nicht der Mann zu Hause bleibt“, bemerkt die OSM. Eine Selbstständigkeit sei mit diesem Anspruch schwer zu vereinbaren.

„Wir haben uns über die Jahre durchgebissen“

Auch Christine Schöpf hat bereits einige Erfahrung als Selbstständige gesammelt. 1992 eröffnete die Schuhdesignerin gemeinsam mit einer befreundeten Schuhmacherin ihre Maßschuhmacherei „Meier & Schöpf“ im Berliner Stadtteil Kreuzberg. „Das hatte sich damals einfach angeboten“, erzählt Schöpf, die nach ihrer Zeit am Londoner Cordwainers College nach Berlin zurückkehrte und auf der Suche nach 
einer beruflichen Perspektive war. Als dann das Angebot von Marlen Meier kam, sagte sie 
kurzerhand zu. Seitdem fertigen die beiden Frauen dort in Handarbeit ganz individuelle Schuhe für ihre Kunden oder führen Reparaturen durch. „Es wurde schnell klar, dass das 
eine mühsame Art des Geldverdienens ist“, sagt Schöpf, „doch wir haben uns über die Jahre durchgebissen“.

Dass eine Gründung für Frauen schwieriger ist als für Männer, glaubt Schöpf hingegen nicht. Ganz im Gegenteil, sie habe oft den Eindruck gehabt, dass selbstständige Frauen von Männern weniger als Konkurrenz wahrgenommen werden. Die Berlinerin schätzt an der gemeinsamen Selbstständigkeit besonders eine gewisse Freiheit in der Zeitgestaltung, gibt aber auch die Vielfalt der zu treffenden Entscheidungen – von der Eigenverantwortlichkeit bei der Preisgestaltung oder dem Marketing bis hin zur Präsentation der Webseite – zu bedenken.

Gut angekommen

Ursel Bernett hatte zunächst als Apothekenhelferin gearbeitet, bevor sie beschloss, neue Wege zu gehen und eine Ausbildung als Orthopädieschuhmacherin begann. „Ich wollte unbedingt etwas Handwerkliches machen und in die Selbstständigkeit“, erzählt die gebürtige 
Oldenburgerin. 1978 war sie in der Region dann allerdings die einzige Frau, die diesen Beruf erlernte. Nicht immer ganz einfach war deshalb der Umgang mit 
Kollegen und Kunden. Da sei immer das Gefühl gewesen, dass sie sich als Frau deutlich mehr beweisen müsse, erzählt Ursel Bernett. Im Jahr darauf habe dann allerdings bereits eine zweite weibliche Auszubildende mit in der Berufsschulklasse in Wilhelmshaven ge­sessen.

1985 zog es die Orthopädieschuhmacherin schließlich nach Bayern, wo sie zunächst als Gesellin arbeitete und drei Jahre später die Schuhmachermeisterprüfung in München ablegte. „Dort waren es dann schon
drei Frauen im Vorbereitungskurs“, erinnert sich Bernett. Für die Orthopädie habe ihr damals der Mut gefehlt. 1989 konnte sie in Manching ihre eigene Schuhwerkstatt eröffnen. Dass eine Frau als Schuhmacherin selbstständig tätig war, stieß auch dort immer wieder auf Erstaunen: „Die Kunden dachten oft, der Betriebsinhaber kommt noch hinzu“, erzählt Ursel Bernett, auch Kommentare wie „so ein dreckiger Beruf für 
eine Frau“ seien zu hören gewesen. 2003 folgte dann der Umzug nach Nordrhein-Westfalen zu einer Kollegin, um mit dieser gemeinsam deren Familienbetrieb weiterzuführen. Dafür verkaufte sie ihre selbst gegründete Schuhmacherei: „Kein so leichter Schritt“, erzählt Bernett, „und eigentlich sollte dies die letzte Station sein“.

Doch nach zehn Jahren, in denen sie auch die Ortho­pädieschuhmacher-Meisterprüfung ablegte, kam es dann ganz anders und die OSM kehrte nach einer „unsanften“ Trennung wieder in ihre Heimat zurück. Auch dort ließ sie die Selbstständigkeit nicht los: „Ich fragte mich, ob ich es noch einmal wagen soll“, erzählt sie, nachdem ihr in Wardenburg, einer kleinen Gemeinde im niedersächsischen Landkreis Oldenburg ein 
Gebäude angeboten wurde, das für eine erneute Betriebsgründung in Frage kam. Seit September 2014 
arbeitet sie dort im eigenen Betrieb, unterstützt von 
einer Teilzeitkraft und ist endlich angekommen: „Ich bin dort sehr gut angenommen worden“.

Ausgabe 04 / 2018

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Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
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