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2. August 2016
Redaktion

Fehlhaltungen und Deformitäten des kindlichen Fußes

Von Ludwig Schwering



Zusammenfassung
Nach der Geburt zeigen sich bei vielen Säuglingen Fußdeformitäten. Nicht das Ausmaß der Deformierung sondern die Redressierbarkeit spiegelt die Schwere der Erkrankung wieder und ist entscheidend für den Therapieerfolg. Bei frühzeitigem Beginn lassen sich die meisten Fehlhaltungen zügig durch rein konservative ­Behandlung zur Ausheilung bringen. Anlagebedingte, strukturelle Deformierungen bedürfen einer wohl abgestimmten operativen und konservativen Behandlung. Dieser Beitrag gibt einen exemplarischen Überblick über ausgewählte Kinderfußerkrankungen zur Veranschaulichung abgestimmter Behandlungskonzepte.


Von der Befruchtung der Eizelle bis zur Geburt macht der Mensch eine sagenhafte Entwicklung durch. Durch die Bildung von drei verschiedenen Keimblättern entstehen Körperstrukturen, die durch Falten, Drehen, Sprießen und Absterben (Apoptose) zu dem komplexen und perfekten Organismus heranreifen, der seit jeher den Betrachter bei der Geburt fasziniert. Störungen dieser komplexen Entwicklung in den ersten drei Schwangerschaftsmonate führen meist zum Absterben des Organismus, während schädigende Faktoren (ionisierende Strahlen, Medikament usw.) in den späteren Schwangerschaftsmonaten zu strukturellen Fehlbildungen führen können. Dagegen führen mechanische Einflüsse meist zu Fehlhaltungen, die einer konservativen Therapie gut zugänglich sind.

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Fehlhaltungen

Der Hackenfuß
Der Hackenfuß (Abb. 1), so er denn nicht neurologisch bedingt ist, kann sich direkt nach der Geburt durch ein Anliegen des Fußrückens an das vordere Schienbein zeigen. Dabei ist das Fußlängsgewölbe meist aufgehoben bis konvex, die Ferse steht in Verlängerung des Schienbeins tief. In manchen Fällen ist diese Fehlhaltung auch mit einer Verbiegung des Schienbeins nach hinten und innen (posteromediale Bowing der Tibia) verbunden. Diese Deformität des Schienbeins geht mit einer milden Beinlängendifferenz von einigen Millimetern bis zu einigen Zentimetern einher und weist
eine sehr hohe Spontankorrektur in den ersten Lebensmonaten auf (Abb. 2).
Der Hackenfuß selbst ist ebenfalls sehr gutartig und lässt sich bei zügigem Therapiebeginn in den ersten Lebenstagen durch sanfte manuelle Redression und Anlage einer gepolsterten 2/3-Softcastschiene, die auf dem Fußrücken und der Unterschenkelvorderseite angelegt wird, in wenigen Wochen komplett korrigieren (Abb. 3). Es kann allerdings erforderlich sein, dass die angestrebte moderate Überkorrektur zu einer leichten Spitzfußstellung erst über drei bis vier unterschiedliche Schienchen erreicht werden kann. Dabei kann eine Nachkorrektur und Anfertigung einer neuen Schiene durchaus schon nach einer Woche notwendig sein.
In der Langzeitbetrachtung kann das kindliche Fußskelett nach Hackenfußkorrektur bisweilen Unterstützung durch eine handwerklich gefertigte, langs­oh­lige Sustentakulumstützeinlage be­nö­ti­gen. Im Allgemeinen lässt sich der nicht neurologisch bedingte Hackenfuß fol­gen­los zur Ausheilung bringen.

Der Sichelfuß
Der Sichelfuß ist eine Fehlhaltung des kindlichen Fußes, bei der eine Fehlhaltung während der Schwangerschaft diskutiert wird. Dadurch geraten die beiden Vorfüße in eine Anspreizposition. Diese ebenfalls sehr gutartige Fehlhaltung kann mit dem Klumpfuß verwechselt werden und umgekehrt. Da der Sichelfuß aber eher eine Knickfußferse aufweist und Sprung- und Fersenbein in der normalen bis leicht vergrößerten Aufspreizung zueinander stehen, also keine Hohl­fußkomponente und Innendrehung des Vorfußes vorliegt, sollte die Unterscheidung gut möglich sein.
Auch hier ist die frühzeitige Therapie der Schlüssel zum Erfolg. Operationsbedürftige Befunde ergeben sich eigentlich nur, wenn eine früheste Schienenbehandlung verschlafen wird. Dann können knöcherne Umstellungsoperationen im Bereich der Mittelfußknochen oder des mittleren Keilbeins notwendig werden, achsengerechte Verhältnisse wieder herzustellen.
Der Schlüssel für eine erfolgreiche Sichelfußbehandlung liegt in dem frühen Behandlungsbeginn und in der An­fer­tigung von kleinen Redressionsunterschenkelschienchen, die als Zweidrittelschienchen von der Unter­schenkelrück-
­seite kommend den Fuß nach dem Prinzip der Dreipunktfixation fassen und redressieren (Abb. 4). Zu diesem Zweck wird im Bereich des Würfelbeins der äußere und fußsohlenwärtige Anteil der Schiene etwas ausgespart. So kann mit einem elastischen Klettzügel die Fuß­wurzel nach medial bewegt werden, während der erste Mittelfußknochen und die Ferse von der Innenseite her ihr Widerlager finden. Auch hier müssen die Schienchen in den ersten Lebenswochen dem Wachstum und der verbesserten Stellung des Fußes zügig angepasst werden, damit diese Fehlhaltung folgenlos ausheilt.

Deformitäten
Bei den Deformitäten des Fußes handelt es sich um strukturelle Abweichungen von der Norm, die durch eine reine konservative Behandlung allein nicht zur Ausheilung gebracht werden können.

Verwachsene Zehen (Syndaktylien)
Bei den Verwachsenen Zehen (Abb. 5) hat der natürliche Trennungsprozess im ­Bereich der Fußknospe während der ­Embryonalentwicklung nicht oder nur unvollständig stattgefunden. Daraus können sowohl Verwachsungen der Haut zweier oder mehrerer Zehen, bei der die Durchblutung im Verwachsungsbereich noch separat erhalten sein kann,  resultieren, als auch knöcherne Verwachsungen, bei denen die Gefäßversorgung im Verwachsungsbereich nur einmal oder gar nicht angelegt ist. Der Apertfuß (Abb. 6) stellt eine Extremvariante dieses Krankheitsbildes dar und ist mit Verwachsungen an den Händen sowie bisweilen auch des Gesichtsschädels und der Wirbelsäule verbunden.
Generell besteht aus biomechanischer Sicht kaum eine Indikation für eine Therapie von Syndaktylien. Dennoch entscheiden sich die meisten Eltern wegen des Wunsches nach Normalität für eine Trennungsoperation, die wegen der Größenverhältnisse gut etwa ein Jahr vor der Einschulung durchgeführt werden kann.
Liegt im Verwachsungsbereich für jeden Zeh eine separate Gefäßversorgung vor, sind die Erfolgsaussichten gut: Mit plastischen Hautverschiebungen, die auch die Bildung einer Kommissur beachten sollten, werden regelmäßig kosmetisch und funktionell gute Ergebnisse erzielt. Liegt im Verwachsungbereich jedoch nur eine oder keine Gefäßversorgung vor, kann ein gutes Ergebnis meist nur über einen Zwischenschritt sicher erreicht werden. Falls eine knöcherne Verwachsung besteht, wird diese zu­nächst aufgetrennt und jeder Zeh mit ­einem Draht in Längsrichtung fixiert. Ein Distraktor zwischen den Drähten lässt dann den Abstand zwischen den getrennten Zehen anwachsen und bildet so Haut und Unterhautgewebe für die ­plastische Deckung im Zwischenzeh­bereich.

Zu viele Zehen (Polidaktylien)
Liegen zu viele Zehen (Abb. 7) vor, sind auch meist die Mittelfußknochen überzählig. Genau wie bei der Syndaktylie stellt das meist biomechanisch keine Therapieindikation dar und es macht keinen Sinn, die Eltern frühzeitig zu einer Operation zu drängen. Wegen der Verbreiterung des Fußes und der Erfahrungen, die die Eltern im Umgang mit anderen Mitmenschen wegen der Überzähligkeit der Zehen und Mittelfußknochen haben, entscheiden sich die meisten vor der Einschulung für eine Operation. Dabei muss der Operateur festlegen, welcher Strahl (Zeh mit Mittelfußknochen) entfernt werden soll. In einigen Fällen kann es erforderlich sein, auch einen kleinen Keil aus der Fußwurzel zu entfernen, falls die zusätzliche Anlage bis in diesen Bereich hereinreicht. Im Allgemeinen ist dies der kleinere Zeh oder Mittelfuß im Vergleich zu den benachbarten Strukturen (Abb. 8).

Zu wenige Zehen
(Fehlanlage des Wadenbeines oder des Schienbeines, Spaltfuß)
Bei Skelettanomalien wie bei der mangelhaften Anlage oder des kompletten Fehlens des Wadenbeins (Fibuladysplasie oder -aplasie) oder Schienbeins (Tibiadysplasie oder –aplasie) werden regelmäßig Anlagedefekte des Fußes beobachtet (Abb. 9). Dabei kann die mangelhafte Anlage des Wadenbeins als Entwicklungshemmung des äußeren Anteils der embryonalen „Beinknospe“ und die mangelhafte Anlage des Schienbeins als Entwicklungshemmung des inneren (medialen) Anteils betrachtet werden. Es handelt sich hier um schwere Fehlbildungen, die die gesamte Statik des Beins beeinträchtigen. Diese Krankheitsbilder und deren Behandlung werden in folgenden Ausgaben detailliert dargestellt.
Der Spaltfuß (Abb. 10) ist ebenfalls eine Hemmungsfehlbildung, bei der zentrale Anteile des Fußskelettes fehlen. Da die Führung und Stabilisation der Großzehe und Kleinzehe fehlen, kommt es bei dieser seltenen Deformität zu Achsabweichung in Richtung auf die Mitte des Fußes. Die Behandlung erfolgt überwiegend konservativ schuhtechnisch durch handwerklich gefertigte Einlagen, die die fehlenden Elemente des Fußes ­ausfüllen und dem Fuß gegebenenfalls auch in Kombination mit orthopädischem Schuhwerk Stabilität geben.

Verwachsung der Fußwurzelknochen (Coalitiones)
Verwachsungen der Fußwurzelknochen zeigen sich in einer gestörten Beweglichkeit des kindlichen Fußes. Eine genetische Störung der embryonalen Entwicklung der Keimblätter in der achten  Embryonalwoche wird als Ursache vermutet. Dabei kommen auf etwa 10000 Geburten vier Kinder mit solchen Verwachsungen. Die tatsächliche Anzahl dürfte wesentlich höher liegen, da nicht alle diese Verwachsungen aufgedeckt werden. Die häufigsten sind die zwischen Fersenbein und Kahnbein (Abb. 11) und zwischen Fersenbein und Sprungbein (Abb. 12). Aber auch andere Verwachsungen sind möglich.
Die „Brückenbildung“ kann bindegewebig, knorpelig oder knöchern vorliegen. Wenn Brückenbildungen zwischen der inneren und äußeren Fußsäule vorhanden sind, kommt es regelmäßig zu Achsabweichungen und Bewegungseinschränkungen.
Die beiden häufigsten Verwachsungen führen zu einer Aufhebung der Beweglichkeit im unteren Sprunggelenk und zu einer Knickfußposition, die sich im Zehenspitzenstand nicht aufrichtet.
Naturgemäß ist die Einwärtsdrehung und Auswärtsdrehung deutlich eingeschränkt. Röntgenbilder sind bei dem noch nicht vollständig verknöcherten Fußskelett nicht immer richtungsweisend, so dass bei vorliegendem Verdacht eine Schnittbildgebung (Kernspin oder Computertomogram) zur Diagnose und Therapieplanung notwendig ist.
Liegt eine Brückenbildung vom äußeren Anteil des Kahnbeins zum vorderen Anteil des Fersenbeins vor, bewirkt diese „Klammer“ um den Sprungbeinkopf eine gestörte Achsentwicklung mit Abspreizung (Abduktion) des Vorfußes und der Fußwurzel. Der Sprungbeinkopf wird an der Innenseite zunehmen prominent und die Kinder beklagen sich beim Laufen auf unebenen Grund wegen der schlechten Anpassungsfähigkeit des Fußes an unebenes Gelände.
Die Trennung dieser Knochen ist eine erfolgversprechende Operation, sofern sie so früh durchgeführt wird, dass noch reichlich Entwicklungspotenzial besteht, damit sich ein bewegliches unteres Sprunggelenk entwickeln kann. Idealerweise wird diese Operation vor der Einschulung durchgeführt. Ist jedoch die Verknöcherung des kindlichen Fußskelettes weitgehend abgeschlossen führt diese Trennungsoperation meist zu mehr Beschwerden, da sich das untere Sprunggelenk bis zur Trennung nie wirklich bewegen konnte. In diesen Fällen ist dann meist eine Versteifungsoperation vor und unter dem Sprungbein erforderlich (Triplearthrodese).
Eine Brückenbildung zwischen Sprung- und Fersenbein findet meist am Sustentaculum tali statt und sie behindert ebenfalls die Beweglichkeit im unteren Sprunggelenk. Eine frühzeitige Trennungsoperation sollte nur von einem sehr erfahrenen Kinderorthopäden rechtzeitig durchgeführt werden, wenn nicht mehr als 30 Prozent der Gelenkfläche unter dem Sprungbein betroffen ist, da aus der Operation sonst kein funktionierendes, bewegliches Sprunggelenk resultiert. Auch in diesem Fall kann eine Versteifungsoperation im späteren Alter bei Beschwerden notwendig werden, wenn Einlagen zur Unterstützung des Fußgewölbes und Schuhzurichtungen wie Sohlenversteifungen und Abrollhilfen nicht zu befriedigenden Ergebnissen führen.

Der Klumpfuß
Der Klumpfuß ist eine altbekannte Fußdeformität, die schon von Hippokrates vor fast 2500 Jahren exakt beschrieben wurde. Es besteht eine Kombination von Spitzfuß, O-Position des Rückfußes (Rückfußvarus), Anspreizstellung und Innendrehung des Vorfußes (Vorfußadductus und -supinatus) sowie einer Hohlfußkomponente (Cavus) (Abb. 13). Die Häufigkeit wird mit 1:1000 angegeben und stellt eine der häufigsten Fußdeformitäten dar. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen und es besteht eine Verbindung zur Hüftdysplasie, sodass bei einem diagnostizierten Klumpfuß auch immer sehr sorgfältig nach den Hüften geschaut werden muss, um eine Dysplasie nicht zu übersehen. Neben den echten, angeborenen Klumpfüßen, denen eine strukturelle Bindegewebserkrankung zu Grunde liegt, sind die leichteren Formen meist Fehlhaltungen, die am Ende der Schwangerschaft entstehen.
Bei den echten, angeborenen Klump­füßen liegt ein krankhaftes Bindegewebe vor, welches weniger elastische Fasern aufweist und quasi eine Wachstumsbremse vorwiegend an der Innenseite des unteren Sprunggelenkes und im ­Ansatzbereich der hinteren Schienbeinsehne darstellt. Überwiegend der hintere Schienenbeimuskel und die Wadenmuskeln sind kontrakt und führen so zu der typischen Gestalt des Klumpfußes. Da der hintere Schienbeinmuskel an der Innenseite des Kahnbeins ansetzt, wird diese schon während des embryonalen Wachstums an der Innenseite des Sprungbeinkopfes in Richtung Innenknöchel gezogen. Da das Kahnbein mit der Fußwurzel fest verbunden ist, folgt die Fußwurzel mit dem Vorfuß dieser Bewegung. Gleichzeitig zieht die kontrakte Wadenmuskulatur (typische schmale Klumpfußwade) das hintere Fersenbein nach kopfwärts, sodass die Spitzfußposition resultiert. Da beide Bewegungen zusammen stattfinden, kann dies als eine Bewegung des Fußes unter dem Sprungbein angesehen werden. Die retrograd wirkende Kraft des Kahnbeins auf das Sprungbein führt dazu, dass der Sprungbeinkopf nach außen (lateral) gedrängt wird, sodass es zu einer Parallelisierung der Achsen von Sprung- und Fersenbein kommt. Wegen der fehlenden elastischen Bindegewebsfasern im Kapselbereich kommt es in diesen Positionen zu mehr oder weniger kontrakten Deformitäten. Zusätzlich werden auch knöcherne Fehlbildungen als Ursache des Klumpfußes diskutiert, die aber im Wesentlichen Folge der durch die Weichteile hervorgerufenen gestörten Entwicklungsmöglichkeit sein dürften.
Die Behandlung des Klumpfußes hat sich in den letzten zwanzig Jahren dramatisch verändert. Bis in die späten neunziger Jahre wurde noch die Redression nach Imhäuser gelehrt, die Ausdruck einer nicht verstandenen Biomechanik des Klumpfußes war. Daraus resultierten überwiegend unvollständig korrigierte Klumpfüße, die dann im Alter von zirka einem halben Jahr noch umfangreich operiert werden mussten. Neben dem sogenannten dorsomedialen Release, welches eine Z-fömige Achillessehnenverlängerung, die Verlängerung der hinteren Schienbeinsehne mit Entflechtung (Auftrennung) ihres Ansatzbereiches und Aufschneiden der Kapselstrukturen des hinteren oberen und unteren Sprunggelenkes und des Kahnbeinsprungbeingelenkes beinhaltete, wurden auch noch umfangreichere Maßnahmen durch­geführt, die auch den äußeren Kapsel­bereich des unteren Sprunggelenkes und des Fersenbeinwürfelbeingelenkes adressieren und bisweilen auch die ­Beugesehnen des Fußes verlängerten. All diese Maßnahmen hinterließen natürlich große Narben und führten nicht immer zu kompletten Korrekturen und freier Beweglichkeit des kindlichen Fußes.
Deswegen waren bisweilen Folgeeingriffe, wie Sehnentransfers, Knochendurchtrennungen mit und ohne Versteifungen ebenso wie umfangreiche Schuh- und Schienenversorgungen notwendig.
Mit Ponseti kam die Wende. Der amerikanische Kinderorthopäde mit italienischen Wurzeln hatte eine andere Repositionsmethode propagiert, die sich an der Entwicklung des kindlichen Fußes zum Klumpfuß und seiner Biomechanik orientiert. Wurden bei der Imhäuser­methode die Fußwurzelgelenke und das untere Sprunggelenk in eine Position gebracht, in der sich die Gelenke gegenseitig blockierten, ging Ponseti einen anderen Weg.
Er versuchte erst gar nicht den frus­tranen Weg, das Kahnbein über den Sprungbeinkopf zu bewegen, was die kontrakten Strukturen auch nicht zulassen, sondern führte das Kahnbein unter Belassung der Spitzfußposition unter dem Sprungbeinkopf nach außen. Dabei folgen die Fußwurzel und der Vorfuß dem Kahnbein und die einzelnen Komponenten des Klumpfußes lösen sich durch mehrere wöchentlich durchgeführte Gipsredres­sionsbehandlungen nach und nach auf.
Lediglich die verkürzte Wadenmuskulatur und die Spitzfußkomponente kann so nicht in allen Fällen korrigiert werden. Deswegen gehört die Durchtrennung der Achillessehne durch eine winzige Stich­inzision (Abb. 14) in lokaler Betäubung und eine anschließende Gipsbehandlung zu dem Behandlungskonzept nach Ponseti. Wegen der kontrakten Strukturen im Ansatzbereich der hinteren Schienbeinsehne ging Ponseti noch einen Schritt weiter und brachte den Fuß in ­eine Abspreizposition (Abduktion) von bis zu 70 Grad. Diese Abspreizung wird nach Abschluss der Gipsbehandlung im vierten Lebensmonat durch eine sogenannte Denis-Browne-Schiene ersetzt (Abb. 15). Diese besteht aus einer einstellbaren Fußfassung hinsichtlich Fußhebung und -abspreizung und einer Schiene, die beide Fußfassungen verbindet. Diese wird für zirca drei weitere
Monate ganztägig getragen und dann für weitere drei Jahre nur nachts.
Der korrigierte Klumpfuß nach der Ponseti-Methode erscheint im Alter zwischen drei und fünf Jahren meist etwas flach und abgespreizt. Wegen der bestehenden kontrakten Bindegewegsfasern ist diese „Überkorrektur“ aber erforderlich, damit langfristig ein gutes funktionelles Ergebnis resultiert (Abb. 16).
    
Der echte angeborene Schaukelfuß
Der Schaukelfuß, auch Talus verticalis, persischer Schlappenfuß, Tintenlöscherfuß oder angeborener Plattfuß genannt, ist nahezu die umgekehrte Deformität im Vergleich zu Klumpfuß. Er fällt schon direkt nach der Geburt durch sein konvexes Fußgewölbe auf (Abb. 17), welches sich der manuellen Redression weitgehend entzieht.
Durch eine Mangelanlage im Bereich des Pfannenbandes und bisweilen eine unvollständige Anlage im Bereich des Sustentaculum tali kann durch den Muskelzug des vorderen Schienbeinmuskels und die Wadenmuskulatur der Vorfuß und das Fersenbein kopfwärts gezogen werden, sodass sich der Kopf des Sprungbeins zwischen Kahnbein und Fersenbein drängt. Dabei verändert sich die Achse des Sprungbeins dergestalt, dass sie sich zur Verlängerung der Schienbeinlängsachse ausrichtet (Abb. 17). Das Kahnbein, welches im Bereich des Sprungbeinnackens positioniert ist, klemmt so das Sprungbein ein und eine Reposition ist dann per Definitionen nicht möglich.
Die gutartige Variante, der reponierbare Schaukelfuß wird in der Fachwelt Talus obliquus genannt und ist sehr wohl einer Redressionsbehandlung zugänglich. Dieses kann durch eine Röntgenaufnahme in maximaler Spitzfußhaltung dargestellt werden (Abb. 18). Während der echte angeborene Schaukelfuß das Sprungbein nicht freigibt, schiebt sich das Kahnbein des reponierbaren Schaukelfußes wieder vor den Sprungbeinkopf.
Wird der echte Schaukelfuß jedoch nach der Geburt nicht mit einer Gipsredression behandelt, bildet sich das Vollbild mit Kontrakturen (Verspannungen) nahezu aller Muskeln aus. Der hintere Schienbeinmuskel wird ebenso wie der kurze Wadenbeinmuskel zu einem Fußheber und beide Sehnen können in ihrem Verlauf vor die Sprunggelenksgabel geraten. Auch die Groß- und Langzehenstrecker können kokontrakt werden und verursachen zusammen mit der vermehrten Anspannung der Zehenbeuger schwerste Krallenzehendeformitäten. Diese Kokontrakturen können durch eine Gipsredressionsbehandlung nach der Geburt gut kontrolliert werden.
Die operative Behandlung ist in allen Fällen des echten und in den meisten Fällen des reponierbaren Schaukelfußes notwendig. Beim reponierbaren Schaukelfuß muss meistens nur das Sprungbeinkahnbeingelenk operiert werden. Dabei wird dieses Gelenk reponiert und gegebenenfalls das Pfannenband gerafft und die Achillessehne verlängert. Die Reposition wird mit einem Kirschnerdraht, der zur Längsachse des Sprungbeins durch das Kahnbein am Vorfußrücken ausgeleitet wird, und einem Oberschenkelgips gehalten. Nach sechs Wochen Gipsbehandlung kann auf Unterschenkelnachtschienchen übergegangen werden. Je nach Befund können handwerklich gefertigte Einlagen und Stabil­-
schuhe mit Abrollsohle notwendig werden. Meistens lässt sich die gutartige Variante jedoch mit Konfektionsschuhwerk versorgen.
Die operative Versorgung des echten Schaukelfußes ist umfangreicher, da alle kontrakten und kokontrakten Strukturen angegangen werden müssen. Das bedeutet, dass das Sprungbein auf der hinteren, inneren und vorderen – manchmal auch auf der äußeren – Seite des oberen und unteren Sprunggelenkes gelöst werden muss, um es aus seiner Zwangslage befreien und reponieren zu können. Das stellt jedoch auch immer das Risiko der Durchblutungsstörung dar, da das Sprungbein sowieso schon nur spärlich im Bereich des Sprungbeinnackens und im Bereich der Höhle zwischen Sprungbein und Fersenbein durchblutet wird. Daher muss vom Operateur sehr vorsichtig vorgegangen werden.
Vor der erfolgreichen Reposition muss noch die Achillessehne verlängert werden. Nach der Reposition des Sprungbeinkopfes erfolgt wieder die Fixation mit einem Kirschnerdraht durch das Kahnbein. Dann kann das Pfannenband gerafft werden  und die vorübergehend abgelösten Ansätze der beiden Schienbeinsehnen werden zur Verstärkung unter das Pfannenband genäht.
Die Nachbehandlung ist ähnlich wie beim reponierbaren Schaukelfuß. Da diese Variante aber auch häufig mit neurologischen Erkrankungen wie der infantilen Cerebralparese (kindliche Form der Spastik) oder der Spina bifida (angeborener offener Rücken mit Lähmungen) oder der Arthrogryposis multiplex congenita (generalisierte angeborene Gelenksteifheitserkrankung) einhergeht, richtet sich die Art der notwendigen orthopädietechnischen Versorgung nach dem individuellen Verlauf. Meist sind jedoch
Unterschenkelorthesen als Schienenschellen- oder -hülsenapparate in Walkledertechnik und Hessingschuh erfor­derlich, damit sich die passiven Haltestrukturen nach und nach stabilisieren können. Schrittweise kann die
Orthetik dann mit zunehmender Reife vorsichtig reduziert werden.

Anmerkung
Die hier dargestellten kindlichen Fußdeformitäten stellen eine kleine Auswahl dar, da in der Maiausgabe der „Ortho­pädieschuhtechnik“ bereits ein aus­führlicher Bericht über den Plattfuß gedruckt wurde. Artikel über den Spitzfuß, den Hohlfuß, Fersenerkrankungen, den Gigantis­mus des Fußes und kindliche ­Zehendeformitäten sollen folgen.

Anschrift des Verfassers
Dr. Ludwig Schwering
Ärztlicher Leiter der Technischen Orthopädie
Mathias-Spital Rheine
Frankenburgstraße 3
48143 Rheine

Abbildungen: Schwering

Ausgabe 6/2016

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Foto: Andrey Popov/AdobeStock_495062320
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