Fachaustausch bei den Invictus Games
„Der Fokus in der Hilfsmittelversorgung muss auf den einzelnen Menschen ausgerichtet werden, nicht auf einzelne Produkte“, sagte Albin Mayer, Vizepräsident des BIV-OT, in der abschließenden Podiumsdiskussion unter der Überschrift „Teilhabe erleben – wie viel Technik braucht der Mensch?“.„Nur so kann Teilhabe im Alltag, Sport und Beruf ermöglicht werden.“ Auch Prof. Dr. Dirk Stengel, MSc (Epi), Leiter Forschung im Ressort Medizin der BG Kliniken, betonte: „Unsere Versicherten stehen nicht nur im Mittelpunkt, sondern sind Co-Therapeuten.“ Oberstarzt Dr. Andreas Lison, Leiter des Zentrums für Sportmedizin der Bundeswehr, erklärte, dass schon jetzt jeder Patient, der zu ihnen ins Zentrum kommt, Mitglied ihres Team Respect werde. „Wir sind als Zentrum eine Peer-Group. Das ist unser Vorteil. Wir werden unsern Teambegriff zukünftig erweitern und die Angehörigen stärker miteinbinden.“ Auch sie müssten mit den Herausforderungen komplexer Hilfsmittelversorgungen im Alltag umgehen können und müssen daher an den Entscheidungsprozessen teilhaben und psychologisch und sozial unterstützt werden.
Wie orthopädietechnische Hilfsmittelversorgung durch ein interdisziplinäres Team mit dem Patienten – als Maß aller Dinge – für Teilhabe sorgen kann, zeigten drei Patient-Provider-Pairs im Rahmen des gemeinsamen Programms.
„Ich will leben und laufen“
Ein Sprint zurück ins Leben mit Unterschenkel-Prothesen gelang David Behre. Der 37-jährige ehemalige Leichtathlet wurde 2015 Weltmeister und 2016 Paralympics-Sieger. Seine Erfahrungen teilt er unter anderem als Buchautor und Motivationstrainer. In Düsseldorf trat er gemeinsam auf mit Dr. med. Christian Schmitz, Chefarzt am BG Klinikum Duisburg, der Behre seit vielen Jahren begleitet. David Behre wurden bei einem Unfall im Jahr 2007 beide Füße abgerissen.
Am Tag nach seiner OP begriff David Behre, dass es ein Wunder ist, dass er nach dem Unfall noch lebt. „Ich will leben und laufen“, sagte er seinen Eltern bei ihrem ersten Besuch im Krankenhaus und meinte es auch so. Sein damaliges Ziel: Bei den Paralympics 2012 in London gegen Oskar Pistorius anzutreten. Doch am Anfang hatte er Angst, mit den Prothesen zu stehen oder zu laufen. Viele Etappen lagen zwischen seinem Ziel und der Umsetzung. Eine der emotionalsten Etappen sei der erste Spaziergang mit seinen Hunden nach dem Unfall gewesen. Die intrinsische Motivation, die extrinsische durch Peers, Inspiration durch Vorbilder und Vertrauen in das betreuende Team seien die wichtigste Erfolgsfaktoren für eine Rehabilitation. „Ohne den Menschen funktioniert auch die teuerste Prothese nicht. Unser Endziel ist die soziale und berufliche Teilhabe. Bei David Behre sehen wir das in Perfektion“, kommentierte Dr. Christian Schmitz.
Augenhöhe schafft Selbstwertgefühl
Querschnittgelähmt zur Para-Kanu-Weltspitze – diesen Weg beschritt Katharina Bauernschmidt, die im Alter von 21 Jahren durch Komplikationen bei einer OP eine Querschnittlähmung erlitt. Die 33-Jährige konnte sich bereits für die Paralympics 2024 einen Quotenplatz für die Startklasse Vaa VL2 für Team Deutschland sichern. Folgen muss nun noch eine finale Qualifikation im Frühjahr 2024. Begleitet wird sie in Düsseldorf von Maike Schrader, Gesamtleitung Therapie des BG Klinikums Duisburg. Katharina Bauernschmidt ging 2012 als Fußgängerin zur OP und kam ein Jahr später im Rollstuhl wieder raus. In Düsseldorf lief sie mit ihrem Exoskelett zum Stehtisch in der Team Respect Area. Auf Augenhöhe führte sie das Gespräch in Düsseldorf mit Maike Schrader.
„Auf Augenhöhe wieder mit Freunden und Familien spazieren zu gehen, oder für ein Feierabendbierchen am Tresen zu stehen, wieder Fußgängerin zu sein, all das stärkt mein Selbstwertgefühl ungemein“, erklärte Bauernschmidt. Ganz nebenbei sorgt das Exoskelett dafür, dass sie in ihrer Wohnung im dritten Stock ohne Aufzug wohnen bleiben kann. „Technik macht viel möglich, aber ohne die Energie und Resilienz von Katharina wäre das alles nicht möglich“, sagte Maike Schrader abschließend.
Teilhabe bedeutet auch, neue Wege zu gehen
Britta Meinecke-Allekotte erlitt 2017 einen Unfall bei ihrer Tätigkeit als OP-Schwester. Seit 2019 kann sie sich ihren größten Wunsch, ihren Beruf wieder auszuüben, erfüllen: Sie arbeitet als OP-Schwester am BG Klinikum Duisburg. Eine High-Tech-Prothese mit viel „Fingerspitzengefühl“ zusammen mit dem starken Willen der Patientin machte das möglich.
„Teilhabe bedeutet auch, neue Wege zu gehen“, erklärte Meinecke-Allekotte. Um ihrem großen Ziel näher zu kommen, stellte ihr ihr behandelnder Arzt, Prof. Dr. med. Heinz Herbert Homann, Chefarzt der Klinik für Handchirurgie, Plastische Chirurgie und Zentrum für Schwerbrandverletzte, eine besonders heikle Aufgabe. Sie sollte lernen, einen sterilen Handschuh über die Prothese ziehen zu können, als erste Etappe auf dem weiten Weg zurück in den OP. Die erste Prothese, die sie vor der Rehabilitation ausgewählt hatte, brachte nicht die geforderte Leistung. Die zweite Prothesenhand war hochkomplex. „Ich konnte auf keine Erfahrungswerte zurückgreifen, musste jeden Griff selber erarbeiten“, sagte Meinecke-Allekotte. Zusätzlich zu den üblichen Rehabilitationsmaßnahmen absolvierte sie eine berufliche Rehabilitation von sieben Monaten. Den einen oder anderen Umweg hätte sie sich sparen können, wenn sie früher professionelle Peers getroffen und umfassende Gebrauchstraining erhalten hätte, betonte sie in Düsseldorf. Deshalb engagiere sie sich aus seit Jahren als Peer und Gebrauchstrainerin für Armprothesen.