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14. Juli 2016
Redaktion

Einlagenversorgungen im Wettbewerb

Was passiert, wenn Orthopädieschuhmacher aus verschiedenen Ländern und mit unterschiedlichem ­Fokus dieselben Patienten versorgen? Wie sehr ähneln oder wie sehr unterscheiden sich die Versorgungen und die Ergebnisse? Dieses Experiment wagte die Paromed GmbH, indem sie im vergangenen Jahr Fußexperten aus fünf Ländern nach Bad Aibling zum „Orthotic Summit“ einlud, wo es galt, Lösungen für vier Patienten mit ganz unterschiedlichen Fußproblemen zu finden. Von Wolfgang Best


Foto: Prof. Heinz Lohrer/SMI Frankfurt

Fünf Orthopädieschuhmacher, sechs Meinungen. Der Spruch ist ein Klassiker in der Branche, weil er eben nicht nur ein Scherz ist, sondern recht genau beschreibt, dass es in vielen Fällen für die richtige Schuh- und Einlagenversorgung keine allgemeingültigen Standards gibt. Im besten Fall gilt die Regel: „Viele Wege führen zum Ziel“. Doch wie findet man jeweils den Weg? Welche Kriterien werden der Versorgung zu Grunde gelegt und wie werden sie zum Beispiel in der Einlagenversorgung umgesetzt? Aufschluss darüber sollte der 1. Paromed Orthotic Summit geben.
Schon lange habe er die Idee zu einer solchen Veranstaltung gehabt, bekannte Roland Leyerer, Geschäftsführer von Paromed, gleich zu Beginn des zweitägigen Gipfeltreffens der Fußexperten im bayerischen Bad Aibling. Umso mehr freute er sich, dass so viele seiner Kunden der Einladung gefolgt waren und teils ­eine weite Anreise dafür auf sich genommen hatten. Aus Kanada, Schottland, der Schweiz, den Niederlanden und Deutschland kamen die Teilnehmer, die in der Regel in Zweierteams die Patienten untersuchten, Einlagen für sie fertigten und ihre Ergebnisse der Jury und den Kollegen zur Bewertung und Diskussion stellten.
Paromed war es mit Unterstützung von Dr. Christoph Ebert, der gemeinsam mit OSM Magnus Fischer für die fach­liche Leitung verantwortlich zeichnete, gelungen, drei Probandinnen und einen Probanden für dieses ungewöhnliche Experiment zu gewinnen. Die Probanden mussten sich einen Tag Zeit nehmen, um sich von den insgesamt zehn Versorgungsteams untersuchen und zu ihren Beschwerden befragen zu lassen. Ihre Probleme reichten dabei von klassischen Fußbeschwerden, wie einem Fersen­sporn, über einen Zustand nach plastischer Chirurgie am Fuß bis zu Haltungsbeschwerden. Die Teams waren also mit ganz unterschiedlichen Anforderungen konfrontiert. Im Vorfeld waren alle Pa­tienten schon von Prof. Heinz Lohrer, SMI Frankfurt, medizinisch untersucht worden, so dass alle Teams bereits einen ärztlichen Befund vorliegen hatten.

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40 Einlagen in zwei Tagen
Die Aufgabe war, das Problem des Pa­tienten zu erkennen und über eine Einlagenversorgung eine Verbesserung zu erzielen. 15 Minuten hatten die Teams für jeden Patienten. In dieser Zeit mussten die Anamnese, die Untersuchung, Tests, beobachtende Ganganalysen und das Maßnehmen erledigt sein. Als Hilfsmittel standen nur Blauabdruck, Trittschaum oder Fußscanner zur Verfügung. Danach mussten alle Informationen erfasst sein, die für eine Konstruktion der Einlage im CAD nötig sind. Dafür hatte Paromed im Seminarraum des Hotels Rechner installiert und in einem Nebenraum eine Fräse aufgebaut, mit der die Einlagen genau nach den Vorgaben der Teams gefräst wurden.
Schon bei der Anamnese zeigte sich, dass die Teams sehr unterschiedliche Ansätze verfolgen. Die Untersuchung der Gelenkbeweglichkeit und der Gelenklimitationen am Fuß sowie eine ­visuelle Beurteilung des Gangbildes gehörten bei allen Teams zum Repertoire, aber dann hörten die Gemeinsamkeiten schon auf. Ein Team forderte einen der Patienten zum einbeinigen Zehenstand mit geschlossenen Augen auf, um zu testen, wie gut die Propriozeption und die muskuläre Stabilisation am Fuß funktioniert. Die anderen maßen genau die Höhe der Längswölbung des Fußes aus. Wieder andere wollten sehen, wie gut der Patient seine Zehen anheben kann.
Für die Patienten war es eine ganz neue Erfahrung, ganz unterschiedliche Fragen gestellt zu bekommen und auf unterschiedliche Weise untersucht zu werden – immerhin handelte es sich bei ihnen immer um dasselbe Problem. „Jeder Behandler geht anders mit dem Fuß um“, berichtete eine Probandin. So verschieden wie die Analysen fielen dann auch die Einlagen aus. „Man glaubt nicht, dass die Einlage für denselben Fuß sein soll“, kommentierte eine andere Probandin die unterschiedlichen Formen der Einlagen, die sie nach der Untersuchung von den einzelnen Teams zur Beurteilung bekam.
Damit die Ergebnisse vergleichbar sind, trugen die Patienten die Einlagen immer in denselben, flachen Schuhen, die sie eigens für die Veranstaltung gestellt bekamen. In diesen Schuhen wurde auch die Druckverteilung mit den Einlagen gemessen und es wurde eine Haltungsanalyse ohne und mit Einlagen erstellt. Zusätzlich sollten die Probanden die Einlagen nach subjektiven Kriterien bewerten und auch beurteilen, ob es ­eine Verbesserung gegenüber der Ausgangs­situation ohne Einlage gab.

Messwerte und Patientenbewertung teilweise unterschiedlich
So unterschiedlich wie die Einlagen konstruiert waren, so unterschiedlich fiel teilweise auch das Urteil aus. Manche wurden spontan als komfortabel empfunden, andere weniger. Doch sind die Einlagen, die sofort als komfortabel empfunden werden, auch die besseren Einlagen? Oder doch jene, die sich zunächst weniger bequem anfühlten und drückten, aber auf Dauer eine bessere Korrektur des Fußes und damit langfristig eine Schmerzlinderung bewirkten?
Diese Frage galt es am zweiten Tag des Summits zu beantworten. In einer Nachtschicht werteten die Mitarbeiter von Paromed und die Tagungsleiter alle Messungen und Rückmeldungen der Probanden aus und druckten sie auf große Poster aus. Darauf waren nochmals die Diagnose sowie die Ergebnisse der Druckverteilungsmessung und der Haltungsanalyse und die subjektiven Bewertungen zu sehen. Auch die Besonderheiten, welche die Teams bei den Probanden entdeckt hatten, und das von ihnen angestrebte Versorgungsziel fanden sich auf den Postern. Vierzig Poster, zehn für jeden Probanden, hingen an den Stellwänden. Die Namen der Teams, deren Versorgung auf dem Poster dargestellt wurde, blieben aber zunächst verdeckt. Auch die einzelnen Teams wussten zunächst nicht, wie ihre Versorgung bei den Messungen und in der Beurteilung der Patienten abgeschnitten hatte.
Dr. Christoph Ebert, Magnus Fischer und Dr. René Somers, Fußspezialist aus den Niederlanden, hatten die Aufgabe, die einzelnen Versorgungen zu bewerten. Auch sie kannten die Urheber der einzelnen Versorgungen nicht. Sie suchten nach fachlichen Kriterien die besten Versorgungen heraus und begründeten in der Präsentation vor den Teilnehmern ausführlich ihre Wahl.
Die Bewertungen der Einlagen richteten sich vor allem nach dem Versorgungsziel. Das konnte beim einen Probanden die Druckentlastung schmerzhafter Bereiche sein oder die Aktivierung der Muskulatur für eine Verbesserung der Körperhaltung und der Bewegung.
Da jeder der Teilnehmer den jeweiligen Patienten selbst untersucht hatte, entwickelte sich zu jedem Fall eine lebhafte Diskussion über die Beurteilung des Patientenproblems, das Versorgungsziel und die Umsetzung in die Einlagenversorgung. Da auch die Notizen der Teilnehmer zu diesen Fragen dokumentiert wurde, konnte man gut erkennen, dass bereits das Fußproblem, wie auch die Definition des Versorgungszieles, durchaus unterschiedlich bewertet und formuliert wurden. Daraus erklärt sich wohl auch die Aussage der Probandin, die nicht glauben wollte, dass alle die unterschiedlichen Einlagen für ihren Fuß gemacht sind.
Wer die Ergebnisse näher unter die Lupe nahm, konnte schnell erkennen, wie unterschiedlich die einzelnen Einlagen wahrgenommen und von den Probanden bewertet wurden. Befragt wurden sie zum Beispiel über das Komfortgefühl im Stehen und im Gehen, ob sie ein sicheres Ganggefühl haben, ob es eine spürbare Verbesserung gab und ob sie Druckstellen verspürten. Auf den Postern war auch vermerkt, wo die Einlage nach dem Empfinden des Patienten drückt. Nur selten war eine Versorgung komplett im grünen Bereich, also in allen Aspekten positiv bewertet worden.
Die Messwerte der Haltungsanalyse zeigten, dass Beinachsen, Becken und Rücken teils deutlich von den Einlagen beeinflusst werden. Doch was man als Verbesserung interpretieren konnte, hatte nicht immer eine positive Bewertung durch den Probanden zur Folge. Tendenziell führten Druckstellen auf der Einlage zu einer schlechteren Bewertung. Im Gegenzug brachte weicheres Material nicht automatisch die besseren Bewertungen.
Dass auch die Bewertung der Experten und der Probanden weit auseinanderliegen können, zeigte das Beispiel einer sensomotorischen Versorgung, mit der der Beckenstand und die Beckenrotation positiv beeinflusst werden sollte. Das gelang nach Ansicht der Experten hervorragend. Doch die Probandin nahm die ungewohnten Impulse der Einlage als Druckstellen wahr. „Das ist bei diesen Versorgungen nicht ungewöhnlich und gibt sich meist“, so die Erfahrung von OSM Andreas Zänker, der die Einlage mit seiner Tochter gefertigt hatte.
Doch ob bei der Probandin nach der Gewöhnung die positiven Aspekte überwiegen würden, konnte bei der Veranstaltung nur vermutet werden. Fälle wie dieser führten zur Diskussion, wie verlässlich die Patientenbewertungen in diesem Versuch waren. So meinte Chris Fowley aus Schottland, dass immerhin zehn unterschiedliche Einlagen zu bewerten gewesen seien, teilweise zu einem Zeitpunkt, als die Probanden schon ermüdet waren. Und der Eindruck der vorherigen Einlage beeinflusse immer auch die Beurteilung der nächsten Einlage. „Würden sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder so urteilen?,“ bezweifelte ­Fowley.

Internationaler Austausch kam gut an
Am Ende des ersten internationalen Gipfeltreffen der Fußspezialisten konnte Roland Leyerer ein positives Fazit ziehen: „Allen hat es gefallen und alle würden wieder mitmachen“. Über die angedachte Folgeveranstaltung wurde auch gleich lebhaft diskutiert.
Das Treffen zeigte, wie unterschiedlich man an eine Einlagenversorgung herangehen kann und wie unterschiedlich die Ergebnisse ausfallen können. Erkennbar war auch, dass es international durchaus unterschiedliche Schulen gibt, also Auffassungen über die „richtige“ Funktion des Fußes, aus denen sich die Vorgaben für die Versorgung ergeben. Hier hätten sich einige Teilnehmer mehr Zeit gewünscht, die unterschiedlichen Auffassungen näher kennenzulernen. So fand es Magnus Fischer schade, dass der Weg, wie die Teams zu ihren Versorgungen kamen, aufgrund der Vielzahl der Versorgungen, nicht ausführlich besprochen werden konnte. Dann hätte man noch mehr Anregungen für die eigene Praxis mitnehmen können. „Nächstes Mal könnte man es so organisieren, dass man gemeinsam die Diagnose stellt und das Versorgungsziel festlegt“, regte er an.
Ein weiterer Vorschlag war, die Teams zu mixen, so dass die Teilnehmer direkt in der Versorgung mit anderen, neuen Auffassungen konfrontiert werden. Chris­toph Ebert regte an, dass die Probanden nicht mehr als fünf Einlagen bekommen, damit sie die einzelnen Einlagen differenzierter beurteilen können. Eventuell müsse man auch die Messmethoden und die Parameter festlegen, nach denen man den Erfolg bewertet.
Der Vorschlag, Versorgungen auszuführen, diese dann aber intensiver zu diskutieren, stieß bei allen Teilnehmern auf Zustimmung. „Der Summit ist dazu da, unterschiedliche Perspektiven kennenzulernen“, brachte es Chris Fowley auf den Punkt.

Ausgabe 2/2016

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Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
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