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7. September 2018
Redaktion

Einlagen sind ihre Leidenschaft

PETRA ZIMMERMANN


Im August  2015 erfüllten sich Anja Zorn und Gabriele Bürkle einen Traum – sie gründeten einen kleinen, aber feinen Betrieb in der Lahrer Innenstadt (Schwarzwald). Ob orthopädische Maßschuhe, Einlagen oder sonstige schuhtechnischen Versorgungen, der Kunde steht bei ihnen immer im Vordergrund. Die beiden Orthopädieschuhtechnikerinnen nehmen sich Zeit, beraten und fertigen sehr individuell. Im Interview erzählen sie, wie ihre Selbstständigkeit im Doppelpack funktioniert.

Wie kam es dazu, dass Sie sich gemeinsam selbstständig gemacht haben?

Zorn: Wir lernten uns vor ungefähr fünf Jahren in einem Sanitätshaus in Emmendingen kennen. Ich baute dort als Meisterin den Bereich Orthopädie­schuhtechnik auf. Nach über zwei Jahren merkte ich, dass ich es nicht mehr alleine schaffe, und schrieb über das Arbeitsamt eine Stelle aus.

Bürkle: Ich erhielt dieses Angebot vom Arbeitsamt und stellte mich bei Frau Zorn vor. Nach einer Woche Probearbeit wurde ich angestellt. Gemeinsam arbeiteten wir dort fast drei Jahre zusammen.

Zorn: Wir hatten beide schon immer den Wunsch, selbstständig zu arbeiten. Weil ich schon so lange im Beruf war, war mir klar, dass ich das nicht alleine bewältigen kann. Deshalb hoffte ich immer darauf, jemanden zu finden.

Wie verlief der Start in die Selbstständigkeit?

Zorn: Während unserer Entscheidungsphase fand 
eine Tagung zum Thema Selbstständigkeit statt. Die Handwerkskammer Freiburg war dort, genauso wie Banken, die Selbstständigen Kredite gewähren und sie beraten, zum Beispiel die Bürgschaftsbank. Auf dieser Veranstaltung holte ich Informationen für uns beide ein.

Bürkle: Es gab dort eine Postkarte mit der Aufschrift „Ich werde meine Chefin!“, die wir uns gleich an die Wand pinnten. An diesem Vorhaben wollten wir jeden Tag arbeiten.

Anamnese, Fertigung und Abgabe: In all diesen Schritten sollen ihre Kundenvon einer Person betreut werden, haben sich Anja Zorn (l.) und Gabriele Bürkle zum Ziel gesetzt. Auch bei Einlagen legen sie Wert auf eine individuelle Versorgung.

Anamnese, Fertigung und Abgabe: In all diesen Schritten  sollen ihre Kundenvon einer Person betreut werden, haben sich Anja Zorn (l.) und Gabriele Bürkle zum Ziel gesetzt. Auch bei Einlagen legen sie Wert auf eine individuelle Versorgung.

Wie sind Sie dann konkret vorgegangen? Wer hat Ihnen geholfen?

Zorn: Die Handwerkskammer Freiburg beriet uns. Danach erstellten wir eine Marktanalyse, ganz klassisch mit Flipchart und Listen. Dabei ermittelten wir erstmal die Standorte der hiesigen Gesundheitsangebote. Wir prüften: Wo gibt es welche Ärzte, Orthopäden, Fußpfleger, Podologen, Physiotherapeuten usw.? Ohne Business-Plan geht es nicht.

Bürkle: Nach langer Suche nach einer geeigneten Immobilie wurde ich in meinem Geburtsort Lahr fündig: Hier gab es einen großen Raum, den wir nach unseren Wünschen aufteilen und gestalten konnten. Ganz einfach mit Krepp-Papier auf dem Boden. Man braucht nicht immer Spezialisten, man muss nur kreativ sein. Die Handwerker setzten unsere Wünsche um. So haben wir heute optimale Räume, in denen wir gerne arbeiten.

Zorn: Eine Präqualifizierungsstelle sandte uns Unterlagen zu, aus denen die gebäuderelevanten Voraussetzungen für die Präqualifizierung hervorgingen, zum Beispiel ein barrierefreier Eingang und eine behindertengerechte Toilette. Die beruflichen Voraussetzungen brachten wir ja schon mit.

Sie haben ja sehr unterschiedliche berufliche Hintergründe, passte das zusammen?

Zorn: Wir verstanden uns von Anfang an sehr gut und hatten ähnliche berufliche Vorstellungen, auch wenn unser Weg dahin sehr unterschiedlich verlaufen war. Ich bin 46 Jahre alt, gebürtig aus Bad Staffelstein in Oberfranken. Nach dem klassischen Hauptschulab­schluss wollte ich eigentlich Musik studieren, aber mein Vater empfahl mir erst einmal eine solide Ausbildung. So gingen wir zusammen zum Arbeitsamt, um Alternativen zu finden. Klar war für mich, dass ich ein Handwerk lernen möchte. Dort gab es zwei geeignete Ausbildungsplätze: einen zur Instrumentenbauerin, weit entfernt, der andere als Orthopädieschuhtechnikerin in der Nähe. Nach einer Woche Probearbeit war ich sicher: Das ist das richtige für mich! Übrigens hat meine Zwillingsschwester auch diesen Weg eingeschlagen und ist heute erfolgreiche Bereichsleiterin in meinem Ausbildungsbetrieb, der von fünf auf zirka vierzig Mitarbeiter gewachsen ist.

Bürkle: Ich bin 54 Jahre und habe schon viele unterschiedliche berufliche Stationen hinter mir. Nach dem Abitur wollte ich Medizin studieren und die Wartezeit für den Studienplatz mit verschiedenen Jobs über­brücken. Mein Versuch, mich alternativ zur OP-Schwester ausbilden zu lassen, scheiterte, weil ich gleich beim ersten Blutungsfall umgefallen bin. Mit 36 Jahren 
stellte ich mich dann über das Arbeitsamt bei einem Sanitätshaus vor. Eigentlich wollte ich Ortopädietechnikerin lernen, aber der Chef war selber Ortho­pädieschuhmacher-Meister und überzeugte mich von den handwerklichen Ansprüchen in diesem Beruf. Nach einer Woche Praktikum war ich überzeugt und habe bis heute meine Entscheidung nie bereut.

 

Anfangs war es nur ein großer Raum, den die beiden Orthopädieschuhtechnikerinnen mieteten. Die Aufteilung der Fläche überlegten sie sich selbst. Ob sie sich auf den Schuhverkauf einlassen sollten oder nicht, darüber waren sich Zorn und Bürkle anfangs nicht einig. Schließlich entschieden sie sich für Schuhmarken, die in Deutschland gefertigt werden
Anfangs war es nur ein großer Raum,
den die beiden Orthopädieschuhtechnikerinnen
mieteten. Die Aufteilung der Fläche überlegten
sie sich selbst
Ob sie sich auf den Schuhverkauf einlassen sollten oder nicht,
darüber waren sich Zorn und Bürkle anfangs nicht einig.
Schließlich entschieden sie sich für
Schuhmarken, die in Deutschland gefertigt werden

Gab es zu Anfang Ihrer Selbstständigkeit unterschiedliche Wünsche und Vorstellungen?

Zorn: Ja, bei den Überlegungen zum Sortiment. Frau Bürkle wollte keine Schuhe anbieten, ich schon. Aber nach langen Überlegungen entschieden wir uns für hochwertige Schuhe „made in Germany“, denn das hat für viele Kunden einen hohen Stellenwert.

Bürkle: Mir war der Bereich Komfortschuhe zunächst zu beratungsintensiv und zeitaufwändig, schließlich sind wir beide keine Schuhfachverkäuferinnen. Aber im Zusammenhang mit unserem Hauptgeschäft, „Aktiv­einlagen“, hat es sich gut zusammengefügt.

Wie lief die Selbstständigkeit zu Beginn ab, sie waren ja schließlich neue Anbieter im Ort?

Zorn: Am Eröffnungstag kamen überwiegend Familie und Freunde. Aber auch einige Passantinnen fragten, was wir denn anbieten.In den ersten Wochen kamen zu 90 Prozent Frauen zu uns, Interessentinnen, Fußpflegerinnen und Physiotherapeutinnen, die uns fragten, was wir machen. Später brachten einige ihre Männer und Familienangehörige mit, so sprach sich unser Angebot herum. Lediglich ein Orthopäde kam direkt zu uns, um uns persönlich kennen zu lernen.

Bürkle: Wir sagten von Anfang an klar, dass wir 
etwas anders machen wollen. Wir nehmen uns beim Erstgespräch sehr viel Zeit, das kann auch schon mal bis zu einer Dreiviertelstunde dauern. Denn es gibt bei der Erstanamnese viel zu klären: Welche Fuß- und 
Körperprobleme gibt es, welche Schmerzen und Erfahrungen liegen vor? Wir betrachten die gesamte Körperstatik und die Zusammenhänge zwischen Fuß und Körper – und gehen den Problemen auf den Grund.

Zorn: Wir bauen ganz individuelle „Aktiveinlagen“, die die Beschwerden lindern sollen, Körperdefizite ausgleichen und vor allem: die getragen werden sollen. Unsere Zuverlässigkeit und die Qualität unserer Arbeit haben sich inzwischen rumgesprochen. Eine unserer Kundinnen hat zum Beispiel nach einem Vierteljahr keine Migräne mehr.

Was machen Sie denn bei der Einlagenfertigung anders?

Zorn: Wir arbeiten ohne Rohlinge. Da steckt ganz viel Erfahrung drin. Außerdem wollen wir einen durchgehenden Eins-zu-eins-Kontakt: Anamnese, Fertigung und Abgabe aus einer Hand. Unsere Einlagen passen in alle Schuhe – auch in Pumps, was ganz besonders bei unserer weiblichen Kundschaft gut ankommt.

Bürkle: Eine Woche nach dem Erstgespräch vereinbaren wir einen Kontrolltermin, um festzustellen, wie es dem Kunden mit den Einlagen ergangen ist. Bei Bedarf arbeiten wir nochmal um oder bessern nach – oder es funktioniert einfach. Wir nehmen uns Zeit, bis sich der Erfolg einstellt. Jeder Schritt wird dokumentiert. Das vereinfacht die zweite Versorgung mittels Computerfräse. Erst wenn der Kunde zufrieden ist, sind wir es auch.

Zorn: 80 Prozent unserer Kunden kommen wegen Einlagen und sie sind dankbar dafür, dass wir sie so 
intensiv und ganzheitlich betreuen. Unsere Einlagen werden getragen – und persönliche Empfehlungen von zufriedenen Kunden sind immer noch die beste und 
zudem kostengünstigste Werbung.

Bürkle: Die Kunden sind für Aufklärung so dankbar, umso mehr, wenn wir ihnen zusätzliche Tipps geben, wie zum Beispiel Anleitungen zu Kraft- oder Dehnübungen der Fuß- oder Wadenmuskulatur.

Zorn: Ich habe vor 13 Jahren eine zusätzliche Ausbildung in ganzheitlicher Ernährungsberatung gemacht und kann auch in diesem Bereich Tipps geben.

Glauben Sie, dass Frauen diesen Beruf anders ausüben als Männer?

Bürkle: Ich glaube, das Zwischenmenschliche können Frauen besser und sie denken mehr über die 
Gesundheit nach, Männer schätzen eher das handwerkliche, pragmatische Zusammenbauen.

Zorn: Bei der Suche nach geeigneten Räumen haben wir uns auch bestehende Werkstätten und Geschäftsräume angesehen, das war nicht so unser Ding. Wir wollten etwas Eigenes, Ästhetisches, in dem wir uns wohlfühlen und gerne arbeiten. Denn wenn wir uns wohlfühlen, fühlen sich auch unsere Kunden wohl. Ich glaube, auch das ist typisch weiblich.

Bis zu einer Dreiviertelstunde Zeit nehmen sich Anja Zorn und Gabriele Bürkle für Untersuchung und Gespräch beim Erstkontakt – sie wollen den Beschwerden der Patienten auf den Grund gehen

Bis zu einer Dreiviertelstunde Zeit nehmen sich  Anja Zorn und Gabriele Bürkle für Untersuchung
und Gespräch beim Erstkontakt – sie wollen den Beschwerden der Patienten auf den Grund gehen

Haben Sie weitere berufliche Pläne für die Zukunft?

Bürkle: Eigentlich nicht (lacht), wir hoffen, es geht so weiter. Allerdings suchen wir Entlastung in der Werkstatt. Im Büro haben wir seit eineinhalb Jahren tatkräftige Unterstützung von unserer Mitarbeiterin Petra Göppert.

Würden Sie jungen Frauen empfehlen, dieses Handwerk zu lernen?

Zorn: Meine Erfahrungen haben gezeigt, dass man als Frau in diesem Beruf Erfüllung finden kann. Orthopädieschuhmacherin ist ein genialer Beruf mit vielen Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel als Fachkraft im Sanitätshaus, in der Ernährungsberatung oder Podologie.

Bürkle: Wir können es Frauen, die Handwerk mögen, nur empfehlen, diesen kreativen Beruf einzuschlagen. Orthopädieschuhtechnik ist eine attraktive Tätigkeit, man geht mit Menschen um und arbeitet für ihre Gesundheit. Man kann als Angestellte in einem größeren Unternehmen oder als Chefin im eigenen Betrieb erfolgreich sein – beides kann funktionieren. Halbherzig geht es allerdings nicht.

 Anschrift der Verfasserin:
Petra Zimmermann
texttipp Redaktionsbüro
Schleswiger Straße 30
48147 Münster

Ausgabe 09 / 2018

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Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
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