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11. Januar 2021
Redaktion

Die Untersuchung des Fußes (Teil 1)

Wie bei allen Körperregionen sind die ausführliche Anamnese und die klinische Untersuchung des Fußes für den Arzt unverzichtbar zur Diagnosefindung und Auswahl der geeigneten Therapie. Aber auch in der Orthopädieschuhtechnik gehören die Anamnese und die Fuß-Untersuchung zu den wesentlichen Vorarbeiten vor einer Versorgung mit Einlagen, Schuhzurichtungen oder orthopädischen Maßschuhen. In einer neuen Serie werden die wesentlichen Untersuchungstechniken vorgestellt und erläutert.
Foto: Sinus
Extreme Zehenfehlstellungen sind leicht zu erkennen. Für die orthopädieschuhtechnische Versorgung muss auch deren Auswirkungen auf die Fußbiomechanik beachtet werden.

In Teil 1 stehen die Anamnese und grundlegende Beobachtungen und Untersuchungen im Mittelpunkt. 

Die Untersuchung beginnt mit der Anamnese in der die fünf „W“ erfragt werden:
  1. Was sind die Probleme?
  2. Wo treten die Beschwerden auf?
  3. Wann treten die Beschwerden auf und seit wann besteht das Problem?
  4. Wie äußern sich die Beschwerden (z.B. stechend, dauerhaft, vermehrt bei Kälte oder Wärme, pochend, …)?
  5. Warum bestehen die Beschwerden (beispielsweise durch einen Unfall oder durch übermäßige Belastung, Training auf hartem Untergrund oder  falsches Schuhwerk)?

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„Schuhanamnese“

Foto: Möller/C.Maurer Fachmedien
Der Abrieb der Schuhsohle verrät dem Experten viel über eventuelle Fehlbelastungen.

Typisch und wichtig ist in der Orthopädieschuhtechnik auch die Schuhanamnese:

  1. Welches Schuhwerk wird getragen?
  2. Wann, das heißt, zu welchem Zeitpunkt und seit wann werden welche Schuhe getragen?
  3. Wie ist die Stellung der Schuhe, z.B. der Fersenkappe und des Absatzes? Wie ist der Sohlenabrieb?
  4. Wo zeichnen sich auf der Einlegesohle oder der Einlage die Hauptbelastungen ab?

Aus den Belastungsspuren an Schuhen und Einlagen lassen sich oft schon Rückschlüsse auf die Biomechanik der Schrittabwicklung und mögliche Ursachen für die Fußbeschwerden ziehen (Abb. 1). Anamnestisch ist auch immer abzuklären, ob Stoffwechselerkrankungen bestehen. Stoffwechselerkrankungen sind beispielsweise Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises oder Diabetes mellitus. Desweiteren soll erfragt werden, ob Erkrankungen neurologischer Ursache, Erkrankungen des Gefäßsystems oder auch Herz-Kreislauferkrankungen bestehen.

Beobachtende Gangbildanalyse

Schon beim „Hereinkommen“ des Patienten macht der geübte Diagnostiker eine erste beobachtende Ganganalyse.Man schaut, ob das Gangbild harmonisch ist oder ob beispielsweise ein Hinken auffällt. Beim Hinken erfolgt je nach Ausprägung sowie Art und Ursache des Hinkens eine Unterscheidung in ein Trendelenburg-, Duchenne-, Verkürzungs-, Versteifungs- oder Schmerz-Hinken (s. Kasten S. 26). Auch kann gesehen werden, ob ein sogenannter Steppergang, ein kurzschrittiges oder unsicheres Gangbild besteht oder ob der Fuß orthograd oder vermehrt in Außen- oder Innenrotation aufgesetzt wird.

Foto: Sinus
Extreme Zehenfehlstellungen sind leicht zu erkennen. Für die orthopädieschuhtechnische Versorgung muss auch deren Auswirkungen auf die Fußbiomechanik beachtet werden.

Gelenke und Fehlstellungen

Danach werden am entkleideten Bein die Beinachse und Stellung der Knochen und Gelenke zueinander überprüft. Fuß und Unterschenkel werden von allen Seiten betrachtet auf Schwellungen, Rötungen, knöcherne Prominenzen etc. untersucht. Fehlstellungen sollen entsprechend der Ebenen wie

  • Frontalebene (z.B. Rückfuß-Valgus oder -Varus),
  • Horizontalebene (Abduktion/Adduktion des Fußes) und
  • Sagittalebene (z.B. Abflachung der Fußlängswölbung) beschrieben werden (s. Abb. 4).

Bei Rötungen muss an zu starken Druck in einem geröteten Areal oder an einen Infekt gedacht werden. Bei Schwellungen des Unterschenkels sollte eine venöse oder lymphatische Störung abgeklärt werden. „Geschwollene“ Beine können aber auch Ausdruck einer Herz-Kreislaufstörung sein.

Untersuchung im Stehen

Foto: Sinus
Die Stellung des Fersenbeins gibt wichtige Hinweise für die Versorgung.

Bei der Untersuchung im Stehen ergeben sich folgende Fragestellungen:

  • Wie steht das Fersenbein (orthograd, im Varus oder im Valgus)?
  • Wie groß ist der Calcaneuswinkel?
  • Welche Form hat die mediale und laterale Längswölbung? Normal, abgesenkt (Senkfuß), in Wiegeform (schwerer Plattfuß), oder mit hohem Rist (z.B. Hohlfuß)?
  • Richtet sich die innere Längswölbung im Zehenstand auf?
  • Ist der Einbeinstand sicher – unsicher – nicht möglich?
  • Besteht eine Varus- oder Valgusfehlstellung der Beinachse?
  • In welchem Bereich liegt das Center of rotation and axis („CORA“).
  • Danach erfolgt die Untersuchung im Sitzen oder auf der Liege , die in der nächste Folge besprochen wird.
Foto: Sinus
Untersuchung der Beinachsen dem Lasar Posture, das auch die Kraftlinie darstellt (rote senkrechte Linie).

Beurteilung von Gehen und Stehen

Foto: C. Maurer Fachmedien
Die drei Ebenen des Körpers: sagittal, frontal und transversal.

Trendelenburg Zeichen
Benannt nach dem Chirurgen Friedrich Trendelenburg, bezeichnet es ein Ab-sinken der Hüften auf der Gegenseite wenn der Patient auf einem Bein steht bzw. nur ein Bein belastet. Als Auslöser gilt eine Schwäche des Musculus gluteus medius und des Musculus gluteus minimus. Im Gehen kippt das Becken zur gesunden Seite bei gleichzeitiger Beugung des Spielbeins in Hüfte und Knie.

Duchenne-Hinken
Auch beim Duchenne-Hinken, benannt nach Guillaume-Benjamin Duchenne, liegen die Ursachen für das pathologische Bewegungsmuster in der Hüfte. Meist tritt es beidseits auf. Bei dieser Gangstörung sinkt das Becken ebenfalls zur Spielbeinseite, während gleichzeitig der Oberkörper kompensatorisch zur Standbeinseite verlagert wird. Auch hier deutet das Hinken auf eine geschwächte Glutealmuskulatur hin.

Verkürzungshinken
Das Verkürzungshinken geht auf eine anatomische oder funktionelle Beinverkürzung zurück und wird von einer Schiefstellung des Beckens begleitet. Das Verkürzungshinken kann Symptom einer Beinlängendifferenz sein. Einseitige Beinverkürzungen können aber auch bei der Hüftgelenksarthrose, bei einer Hüftdysplasie oder als Folge einer Poliomyelitis auftretet. Auch Achsfehlstellungen nach Frakturen können der Auslöser sein sowie auch ein Spitzfuß, der zu einer funktionellen Beinverlängerung führt. Beim Verkürzungshinken senkt sich der Körperschwerpunkt im Gehen. Während der Belastung des verkürzten Beines wird der Oberkörper zur Gegenseite verlagert, um das Gleichgewicht zu halten.

Schmerzhinken
Schmerzhinken oder Schonhinken, dient, wie es die Begriffe nahelegen, der Vermeidung von Schmerzen, die durch Erkrankungen oder Traumata an Fuß, Bein, Knie oder Hüfte ausgelöst werden. Weil meist ein Bein durch Gewichtsentlastung geschont werden soll, zeigt sich ein asymmetrisches Gangbild. Das schmerzhafte Bein wird schneller abgerollt, um die Belastungszeit zu verkürzen. Je nachdem, wo es schmerzt, zeigen sich unterschiedliche Strategien der Schrittabwicklung, von einer weitgehenden Vermeidung der Abrollung über den Fuß oder nur der Vermeidung des Abstoßes im Vorfuß bei einem schmerzhaften Hallux rigidus.

Versteifungshinken
Bewegungseinschränkungen in Gelenken sind die Ursache des Versteifungshinken, wie zum Beispiel eine Versteifung in der Hüfte, die verhindert, dass das Bein beim Gehen frei nach vorne schwingen kann und deshalb eine Drehung des Beckens notwendig ist. Versteifungen im Kniegelenk führen dazu, dass zur Kompensation das Hüftgelenk stark angehoben wird, um das Bein mit dem steifen Gelenk in einem Bogen nach vorne zu schwingen.

Lähmungshinken
Schlaffe oder spastische Lähmungen können ganz unterschiedliche Ursachen auf das Gangbild haben. Zum Lähmungshinken gehört zum Beispiel der Steppergang, der meist durch eine Peroneuslähmung verursacht wird.

Anschrift des Verfassers:
Dr. Hartmut Stinus
Sturmbäume 3
37154 Northeim
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Foto: Andrey Popov/AdobeStock_495062320
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