Folgen Sie uns
7. Januar 2019
Redaktion

Die Qualität rückt in den Hintergrund

Das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz und die aktuellen Herausforderungen in der Hilfs­mittelversorgung waren die Themen beim Qualitätsforum des Qualitätsverbundes Hilfsmittel (QVH) am 8. November im Otto Bock Science Center in Berlin. Das bot viel Stoff für Diskussionen, 
zumal mit Dr. Roy Kühne und Gernot Kiefer zwei wichtige Akteure der Gesundheitspolitik Rede und Antwort standen.
Fotos: Ole Bader, Sandwichpicher.com

Was bewegt die Patienten und ihre
Angehörigen? Das, so Dr. Roy 
Kühne, ist für die Gesundheitspolitik 
eine wich­tige Richtschnur. Eine wichtige Rolle spie­le hierbei die Hilfsmittelversorgung. Die Ausgaben für Hilfsmittel nähmen im Gesamtvolumen zwar nur einen geringen Anteil ein. Doch gerade bei Hilfsmitteln entscheide sich, wie die Patienten und ihre Angehörigen das 
Gesundheitssystem als Ganzes wahrnehmen. „Hilfsmittel“, so Kühne, „bedeuten Lebensqualität und Teilhabe“ – oder auch nicht, wenn Patien­ten die benötigten Hilfsmittel nicht erhalten oder die Qualität der Hilfsmittelversorgung nicht gewährleistet ist.

„Wir müssen den Patienten zuzahlungsfrei Produkte in guter Qualität anbieten“, forderte er. Wenn Patienten bei Hilfsmitteln zuzahlen, müsse man fragen, warum das so ist. „Wenn aufzahlungsfreie Produkte nicht angenommen werden, muss ihre Berechtigung hinterfragt werden“, war Kühnes Schlussfolgerung.

Veraltete Versorgung versus innovative Hilfsmittel

Dass die Ausgaben für Hilfsmittel in den letzten Jahren gestiegen sind, sieht Kühne relativ gelassen. Auch in anderen Bereichen des Gesundheitswesens, wie der Endoprothetik, gebe es starke Steigerungen. „Das Geld ist sinnvoll investiert“, erklärte Kühne, um jedoch gleich darauf die Frage zu stellen, ob denn auch alles im Hilfsmittelbereich sinnvoll ist. Hier be­zog er sich auf das Hilfsmittelverzeich­nis und die Tatsache, dass vieles, was da­rin beschrieben ist, nicht mehr dem aktu­ellen Stand der Technik entspricht. Kühne sieht dabei die Diskrepanz zwischen ver-alteten Versorgungen und innovativen Hilfsmitteln und die Gefahr, dass die gesetzliche Krankenversicherung den Anschluss verpasst. „Übernehmen Google und Tchibo den Gesundheitsmarkt, wenn innovative Hilfsmittel nicht ins Hilfsmittelverzeichnis kommen?“, fragte er.

Die bisherige Haltung des GKV-Spitzenverbandes gegenüber Innovationen findet offenbar nicht Kühnes Zustimmung: „Kann man mit der Frage nach Evidenz etwas totschlagen? Ja, das kann man!“, meinte er. Man müsse sich deshalb fragen, welche Evidenz man braucht, um die Wirksamkeit eines Hilfsmittels zu bewerten.
In den Wochen zuvor hatte es vonseiten der Leistungserbringer teils heftige Kritik an den überarbeiteten Produktgruppen im Hilfsmittelverzeichnis gegeben, vor allem weil viele Vorschläge nicht berücksichtigt worden waren. „Ich hätte mir mehr Teilnahme der Fachbranche gewünscht“, sagte Kühne hierzu.

Foto: Ole Bader / sandwichpicker.com
Elisabeth Quack, Direktorin Otto Bock Science Center, und Hubertus Lasthaus, Vorstand des Qualitätsverbundes Hilfsmittel e.V., begrüßten die Gäste und Referenten beim Qualitätsforum 2018

Natürlich müsse der GKV-Spitzenverband am Ende den Hut aufhaben, doch im Vorfeld und auch im Überarbeitungsprozess müs­se es mehr Dialog mit den Fachverbänden und Experten geben. Kühne wies auch darauf hin, dass es mit der vom Gesetzgeber geforderten Überarbeitung bis zum Ende des Jahres nicht getan sein könne. Die Aktualisierung des Hilfsmittelverzeichnisses müsse ständig erfolgen.

Foto: Ole Bader / sandwichpicker.com
Der Abgeordnete Dr. Roy Kühne forderte mehr Dialog und die Einbeziehung der Fachkompetenz der Verbände bei der Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses

GKV-Spitzenverband will eine kontinuierliche Überarbeitung

Gernot Kiefer, Vorstandsmitglied des GKV-Spitzenverbandes, rekapitulierte noch­mals die wichtigsten Neuerungen des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes (HHVG) und ging dabei auch auf die Kritikpunkte von Dr. Roy Kühne
 ein. Es sei dem GKV-Spitzenverband schon bewusst gewesen, dass man das Hilfsmittelverzeichnis grundlegend renovieren muss, erklärte er. Teilweise sei es ja ein interessantes historisches Dokument, in dem sich viele Produkt-generationen von Hilfs­mitteln abgelagert haben. Da die Hersteller keine Meldung machen müssen, wenn sie ein Produkt vom Markt nehmen, fänden sich dort leider auch Produkte, die nicht mehr Stand der Technik und nicht mehr lieferbar seien.

„Dieses Projekt ist alles andere als tri­vial“, gab Kiefer zur Überarbeitung des Hilfsmittel-verzeichnisses zu bedenken.
Nicht alles habe der GKV-Spitzenverband selbst in der Hand. So liege die vom GKV-Spitzenverband erarbeitete Verfah­rensordnung zur Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses noch beim Gesundheitsministerium. Er hoffe, dass sie bis zum 1. Januar 2019 genehmigt sei. Aus diesem Grund wollte Kiefer den Vorwurf nicht gelten lassen, der GKV-Spitzenverband sei innovationsfeindlich. Er müsse sich an die vom Gesetzgeber geforderte Verfahrensordnung halten.

Zudem könne man nicht alle Kritik der Leistungserbringer am Spitzenverband festmachen. Die von vielen Leistungserbringern abgelehnten Dokumentationspflichten über die für die Patienten erbrachten Leistungen seien vom Gesetzgeber vorgeschrieben worden. Das Ziel sei dabei gewesen, die Rechte der Patienten zu stärken und mehr Transparenz herzustellen.

Kiefer stimmte der Aussage von Kühne zu, dass die Aktualisierung des Hilfsmittel-verzeichnisses kontinuierlich erfolgen muss. „Bis zum 31. Dezember 2018 haben wir alle Produktgruppen einmal ange­fasst“, erklärte er und bekannte sogleich, dass man sich beim Spitzenverband durchaus bewusst sei, dass man viele Produktgruppen nochmals mit den Leis­tungserbringern diskutieren und überarbeiten müsse.

Dass Leistungserbringer und deren Verbände zu wenig in die Fortschreibung einbezogen wurden, hatte schon Kühne angesprochen. OSM Jürgen Stumpf, der aktiv bei der AG Diabetischer Fuß an Stellungnahmen zur Fortschreibung der PG 31, Schuhe, mitgearbeitet hatte, be­män­gelte, dass deren Stellung­nahme keine Berücksichtigung fand. So seien
jetzt gravierende Fehler in der Produktgruppe, welche die Sicherheit der Patienten gefährden können. Als Beispiel nannte er die vorgeschriebene Spitzensprengung bei Diabetes-schutzschuhen, die biomechanisch unsinnig sei und zu vermehrten Ulzerationen an den Zehen führen könne.

Auch Alf Reuter, Vorstandsmitglied des BIV-OT, nutzte die Gelegenheit, seine Kritik an der Überarbeitung des Hilfsmittelverzeichnisses, speziell der Produkt­gruppe 23 (Orthesen), zu formulieren. Neben vielen Fehlern fänden sich darin auch alte, nicht mehr zeitge-mäße
Techniken, während neue Materialien
 im Orthe­senbau nicht berücksichtigt worden seien.

Gernot Kiefer erklärte dazu, dass die Einladung, Vorschläge zu machen, weiter bestehe. Für die weiteren Fortschreibungen kündigte er an, dass es mehr Anhö­rungen geben wird und damit auch mehr Beteiligung der Leistungserbringer. Außer­dem sollen die Entscheidungen des Spitzenverbandes künftig transparenter werden.
In seinem Vortrag hatte Kiefer auch die Kriterien für die Aufnahme von Hilfsmitteln ins Hilfsmittelverzeichnis beschrieben. Danach ist der Nachweis der Wirksamkeit durch wissenschaftlich aussagefähige Unterlagen, in der Regel
durch Studien höherer Evidenz, zu führen.

Unklar ist bislang jedoch, welche Art von Studien und welche Evidenz vom GKV-Spitzenverband anerkannt werden. „Das Thema steht auf dem Arbeitsprogramm“, antwortete Kiefer auf die Frage, wann es denn vom GKV-Spitzenverband Aussagen dazu gebe. Dabei soll offenbar auch externe Kompetenz mit einbezogen werden. Die Kriterien für sinnvolle wissenschaftliche Evidenz, so Kiefer, könne man nur im Dialog entwickeln.

BVA als zahnloser Tiger

„Ausschreibungen sind kein Teufelswerk, aber Qualität und Leistung müssen gewährleistet sein“, betonte Dr. Kühne in seinem Vortrag. Aber es dürfe nicht der Preis alleine im Vordergrund stehen. Deshalb müsse man die entsprechenden Rahmenbedingungen definieren.
Auch Gernot Kiefer zeigte sich nicht glücklich über die Entwicklungen in diesem Bereich. Ausschreibungen seien ein notwendiges Instrument, aber „das Verfahren sei diskreditiert worden, weil eini­ge Kassen das zulasten der Patienten genutzt haben“. Aber die Einflussmöglichkeiten des GKV-Spitzenverbandes seien beschränkt. Die Handelnden seien die Kassen. Der GKV-Spitzenverband könne nur formal bewerten, ob die Ausschreibungen korrekt sind oder nicht.

Als Aufsichtsbehörde für die gesetzlichen Krankenkassen soll das Bundesversicherungsamt (BVA) darüber wachen, dass sich die Krankenkassen regelkonform verhalten. Sehr zur Enttäuschung vieler Leistungserbringer ist es dem BVA bislang aber nicht gelungen, Kassen, die sich bei Ausschreibungen nicht an die allgemein anerkannten Regeln halten oder versuchen, Verträge vorzuschreiben statt zu verhandeln, zu disziplinieren. Einige Kassen ließen sich vom BVA nicht beeindrucken und wehrten sich teils sogar juris­tisch gegen das BVA.

Diese Situation ist auch für Kühne unbefriedigend. Unter den jetzigen Bedingungen könne man das BVA eigentlich abschaffen, meinte er. Das BVA sei derzeit ein zahnloser Tiger, der gestärkt werden müsse.

Kompetenz der Leistungserbringer wird ignoriert

Dr. Axel Friehoff, stellvertretender Vorsitzender der Fachvereinigung Medizinprodukte (FMP) und Leiter des Vertragsmanagements bei der Egroh, kam die Aufgabe zu, aus Sicht der Leistungserbringer das HHVG und seine Umsetzung zu bewerten. Friehoff meinte, dass die schon länger existierenden gemeinsam erarbeiteten Empfehlun­gen zu Ausschreibungen nutzlos seien, da sie nicht beachtet würden. Er kenne nicht eine Ausschreibung, die vernünftig gelaufen sei und bei der am Ende die Pati­enten nicht selber aufzahlen müssten. Auch die viel beschworene wohnortnahe Versorgung sei nicht gewährleis­tet.

Vor allem die Leistungen rund um das Hilfsmittel kämen zu kurz. Bei der vom Gesetzgeber vorgegebenen Vereinheitlichung der Vertragsbedingungen sei man zu keinem Ergebnis gekommen, sodass man ein Schiedsverfahren einleiten muss­te, das vom GKV-Spitzenverband immer wieder verzögert worden sei. Und bei der Überarbeitung des Hilfsmittelverzeichnisses würden zwar die Fristen eingehalten, doch die Qualität der Überarbeitung sei zweifelhaft. Man frage sich, ob es tat­sächlich inhaltlich oder nur redaktionell überarbeitet worden sei.

Zudem beklagte Friehoff, dass das Hilfsmittelverzeichnis mit oft gleichlautenden Vertragsregularien überfrachtet sei, die im Hilfsmittelverzeichnis eigentlich gar nichts verloren hätten, wie zum Beispiel die telefonische Erreichbarkeit oder bestimmte Dokumentationspflichten. Fachliche Hinweise für Leistungen rund um das Hilfsmittel fehlten hingegen.

Die Stellungnahmen der Leistungserbringerverbände seien zwar formal bewertet worden, wie gesetzlich vorgeschrieben. Leider laute der Kommentar aber meistens „nicht übernommen“. Friehoff forderte deshalb mehr Transparenz im Bewertungsprozess. Man müsse
nachvollziehen können, warum etwas angenommen oder abgelehnt wird. Angesichts des derzeitigen Verfahrens zweifelt er daran, dass der Spitzenverband tatsächlich Interesse am Austausch mit den Leistungserbringern hat. Aus Sicht von Friehoff dient das Hilfsmittelverzeichnis vor allem als Mittel der Vertragssteuerung, das den Kassen ermöglicht, den Leistungserbringern die Konditionen zu diktieren.

Ein Rechtsschutz gegen willkürliche Entscheidungen des GKV-Spitzenverbandes sei nicht in Sicht. Deshalb schlug er vor, sich für eine Schiedsstelle einzusetzen, über die strittige Fragen geklärt werden können. Die Chancen dafür stünden vielleicht gar nicht schlecht, meinte er. Die Politik habe begriffen, dass die Krankenkassen nicht immer nett sind und die Gesetze so umsetzen, wie sie von der Politik gedacht waren. „Wir müssen Nachweise liefern, wo die Krankenkassen die gesetzlichen Regelungen umgehen“, forderte er, um entsprechende gesetzliche Änderungen in Gang zu bringen.

Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
Schuhsohle
Zurück
Speichern
Nach oben