Die Plantaraponeurose und der Seilwindenmechanismus des Fußes
Von Dr. Ludwig Schwering
Zusammenfassung:
Die Plantarfaszie vertäut die Fußlängs- und –querwölbung des Fußes mit Unterstützung des Pfannenbandes passiv. Damit übernimmt sie eine wichtige Funktion bei der Übertragung der Körperkräfte auf den Fuß. Durch die kräftige Verbindung vom unteren Fersenbein zur plantaren Platte der Zehen und dem Ansatz im Bereich der Grundphalangen der Zehen ist der Spannungszustand der Plantarfaszie ganz erheblich von der Position der Zehen abhängig.
Bei einer Beugung der Zehen wird die Plantarfaszie angespannt, weil die Strecke vom unteren Mittelfußköpfchen zum Fersenbein durch die Hebung der Zehen bis zu zirka 1,8 Zentimeter verkürzt wird.
Über diesen Seilwinden-Mechanismus, häufig auch mit dem englischen Begriff „windlass mechanism“ bezeichnet, wird die Aufrichtung der Längswölbung und die Stabilisierung des Fußes in der Schrittabwicklung bewirkt. Betrachtet man die Bedeutung dieses Mechanismus für eine sichere und stabile Schrittabwicklung, wird auch deutlich, warum Schuhe ausreichend Raum für die Zehen haben müssen, damit sie sich gemäß ihrer Funktion bewegen können.
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Der Fuß des Menschen ist eine
der komplexesten biomechanischen Strukturen des menschlichen Körpers. Statische und dynamische Kräfte ergänzen sich in perfekter Art und Weise, um die Fortbewegungskräfte des Organismus auf den Boden zu bringen und sich bestmöglich an die unterschiedliche Beschaffenheit des Grundes anpassen zu können.
Gerade die Fußsohle und der Fußballen sind während des Gehens und Laufens sehr starken Zug-, Druck- und Scherkräften ausgesetzt. Die Fußsohle wiederum muss die vom Boden einwirkenden Kräfte so gut wie möglich an das Fußskelett vermitteln und gleichzeitig die Druckkräfte dämpfen und die Fußsohlenhaut stabilisieren. Außerdem müssen die in der Fußsohle verlaufenden Strukturen wie Nerven, Venen, Arterien, Sehnen und Sehnenscheiden geschützt werden.
Dennoch muss diesen Strukturen ein Höchstmaß an Flexibilität geboten werden, damit sie allen Bewegungen des Fußes folgen können, ohne Schaden zu nehmen. Einen wesentlichen biomechanischen Faktor stellt dabei die Plantaraponeurose dar.
Anatomie der Fußsohle und Plantaraponeurose
Die Plantaraponeurose hat eine, von fußsohlenwärts gesehen, fast dreieckige Form. Diese entspringt mit der „Spitze“ an der Unterseite des Fersenbeins (Tuberositas calcanei) und enthält meist einige Fasern, die von der Achillessehne her das Fersenbein umspannen.
Um der Form und Funktion dieser bedeutsamen Struktur gerecht zu werden, muss die Dreidimensionalität der Plantarfaszie an dieser Stelle unterstrichen werden. Es gibt eine Längsausrichtung, eine quere Struktur und Fasern, die aus der Plantaraponeurose nach plantar in die Fußsohle ziehen, um die notwendigen Strukturen für Stabilität und Dämpfung zu bilden.
Der Ursprung weist je nach Konstitution eine Breite von etwa 1,5–2 Zentimeter auf. Die Bindegewebsfasern entfalten sich nach distal und nehmen an Breite allmählich zu. Auf der Höhe des Mittelfußes teilt die Plantarfaszie die Fußsohle in fünf längsausgerichtete Stränge, die nach distal divergieren (siehe Abb. 1). Körpernah, von den Mittelfußköpfchen gesehen, teilen sich diese Stränge in je einen oberflächlichen und tiefen Strang (lacertus fibrosus superficialis und profundus) auf. Die drei oberflächlichen zentralen Stränge setzen sich in Richtung der Zehen fort, und der erste von ihnen erreicht die Region zwischen dem ersten und zweiten Zeh. Der nächste oberflächliche Strang strahlt in die Basis der dritten Zehe ein und der dritte zentrale oberflächliche Strang in die Basis der fünften Zehe. Vor den Mittelfußköpfchen senden die drei oberflächlichen Stränge der Plantaraponeurose Fasern in die Haut der Zehenballen und in quer verlaufende Fasern, die sich zum sogenannten natatorischen Ligament vereinen. Die beiden äußeren oberflächlichen Stränge begrenzen die Fußsohle innen und außen.
Körpernah, von den Mittelfußköpfchen aus gesehen, wird der oberflächliche Teil der Plantaraponeurose von quer verlaufenden netzartigen Fasern gekreuzt, die eine quere Verspannung bilden, die von der Großzehe bis zur Kleinzehe reicht.
Außerdem werden Fasern in die Fußsohlenhaut abgegeben sowie schräge Fasern, die sich wiederum mit längsverlaufenden Fasern vereinigen und zu den Basen der Zehengrundphalangen ziehen. Diese Ansätze teilen sich in einen jeweils inneren und äußeren Ansatz auf, um in der Mitte Platz für die kurze Beugesehne zu lassen, die in die plantare Basis der Mittelphalanx zieht, um ebenfalls wieder an der Innen- und Außenseite einzustrahlen und wiederum Platz für die lange Beugesehne zu lassen, die dann schlussendlich an der Unterseite der Endphalanx einstrahlt.
Die sagittalen Fasern strahlen der Reihe nach in die Bindegewebsschicht zwischen den Knochen des Fußes (Fascia interossea), in die Bindegewebsschicht des quer verlaufenden Großzehenanspreizers (M. adductor hallucis), in das quere Mittelfußband (Lig. metatarseum transversum) und in die plantare Platte sowie in die Kollateralbänder der Zehengrundgelenke.
Der innere Verlauf der Plantaraponeurose strahlt in die plantare Platte und das innere Sesambein des Großzehengrundgelenkes ein und verbindet diese mit der Bindegewebsschicht um den inneren Kopf des kurzen Großzehenbeugers (Caput mediale musculi flexor hallucis brevis). Der äußere Anteil des gleichen Strangs strahlt wiederum in das quere Mittelfußband, die plantare Platte und das äußere Sesambein und verbindet diese nun mit der Bindegewebsschicht um den äußeren Kopf des kurzen Zehenbeugers (Caput laterale musculi flexor hallucis brevis).
Auf der Höhe der Mittelfußköpfchen sind die längs verlaufenden Bindegewebsstränge mit vertikalen Fasern verbunden, die von der Sehnenscheide der Beugesehne und dem queren Mittelfußband entspringen und durch die oberflächliche Aponeurose bis in die Fußsohlenhaut einstrahlen.
Zwischen den Mittelfußköpfchen sind Fettkörper eingelassen, die den Verlauf der neurovaskulären Strukturen schützen.
Körperfern der Mittelfußköpfchen sendet die Aponeurose ein Netz von feinen Bindegewebsfasern, die die Zehenballenhaut mit den Beugesehnenscheiden und untereinander verbindet. Diese Struktur wird auch das „Mooring Ligament“ genannt.
Die mittleren Anteile der zentralen Aponeurose umscheiden den Großzehenabspreizer (M. abductor hallucis). Es bestehen Verbindungen zum inneren Anteil des Fersenbeins, zum quadratischen Sohlenmuskel (M. quadratus plantae), zum Kahnbein, zum mittleren Keilbein und zum äußeren Anteil des ersten Mittelfußschaftes. Die äußeren Anteile der zentralen Aponeurose strahlen in einen Graben (Sulcus) ein, der mit zahlreichen Bindegewebsfasern Fettzellen umgibt, die das äußere Fußsohlenpolster bilden. Dieses äußere Septum weist Verbindungen zum Fersenbein, zur Bandverbindung zwischen Fersen- und Würfelbein und zur Peroneus-longus-Sehne auf. Dagegen verbindet sich das zentrale Segment der Plantaraponeurose innen und außen mit der längsverlaufenden Zwischenmuskeltrennschicht der Fußsohle, einer äußerst straffen Struktur, die V-förmig vom Fersenbein einerseits zur Großzehe und andererseits zur Kleinzehe zieht und das knöcherne Fußskelett mit der Plantaraponeurose nochmals fest vertäut.
Die Plantaraponeurose teilt die Sohle des Fußes in Längsrichtung in vier Kompartimente: ein inneres, welches den Großzehenabspreizer, die Sehne des langen Großzehenbeugers und den kurzen Großzehenbeuger beinhaltet. Das laterale Kompartiment besteht aus dem Abspreizer, dem Opponierer und dem kurzen Beuger der fünften Zehe. Das zentrale Kompartiment wiederum ist unterteilt in ein oberflächliches (mit kurzem Zehenbeuger und einem Anteil der langen Zehenbeuger), ein intermediäres (beherbergt den quadratischen Sohlenmuskel und die körpernahen Anteile der langen Zehenbeuger und wurmartigen Muskeln = Mm. lumbricales) und ein tiefes Kompartiment (enthält den Großzehenanspreizer und den plantaren Raum zwischen den Mittelfußknochen).
Außer dieser komplexen Verspannung des Fußskelettes durch die Plantaraponeurose in allen drei Ebenen des Raumes und der Bildung von „Funktionsräumen“ (Kompartimenten) bestehen eine Unzahl von Durchlässen und Tunnel für die Sehnen, die Nerven und Gefäße, die zum Fußskelett und zu den Zehen ausstrahlen.
Plantarfaszie und Biomechanik
Die Plantarfaszie vertäut die Fußlängs- und –querwölbung mit Unterstützung des Pfannenbandes (Lig. calcaneonaviculare plantare) und dem langen Fußsohlenband (Lig. plantare longum) passiv. Durch die kräftige Verbindung vom unteren Fersenbein zur plantaren Platte der Zehen und dem Ansatz im Bereich der fußsohlenwärtigen Basen der Grundphalangen der Zehen ist der Spannungszustand der Plantarfaszie ganz erheblich von der Position der Zehen abhängig.
Bei der passiven Hebung (= Streckung = Dorsalextension) der Zehen wird durch den Seilwindenmechanismus, der in der englischsprachigen Literatur als „windlass mechanism“ bezeichnet wird, und sich so auch größtenteils in die deutschsprachige Literatur eingepflegt hat, das Fußgewölbe angehoben. Dieser Effekt kommt dadurch zustande, dass die Strecke vom unteren Mittelfußköpfchen zum Fersenbein durch die Hebung der Zehen bis zu ca. 1,8 Zentimeter verkürzt wird. Wie bei einem Bogen, dessen Krümmung größer wird, wenn die Bogensehne verkürzt wird, richtet sich das Fußgewölbe auf (Abb. 2 – 4).
Wegen der Architektur der Fußgelenke und vor allem des unteren Sprunggelenkes führt diese Aufrichtung zu einer leichten Innendrehung (Supination) des Rückfußes. Dabei kann regelmäßig eine zusätzliche leichte Außenrotation des Beines beobachtet werden.
Natürlich sind neben der Plantarfaszie auch die Zehenbeuger an diesem Effekt beteiligt, wie Hübscher schon vor fast hundert Jahren bei der Beschreibung seines Tests zum Nachweis einer flexiblen Plattfußdeformität beschrieben hat.
Biomechanisch kann der Zeh als Hebel angesehen werden, der über einen Seilwindenmechanismus um das Mittelfußköpfchen herum mittels Plantaraponeurose mit dem Fersenbein verbunden ist. Je länger der Zeh, umso kräftiger der einwirkende Hebelarm. Je schwerer der Mensch, dem der Fuß gehört, umso größer ist das einwirkende Drehmoment. Als Beispiel mag ein junger Mann mit einem Körpergewicht von 80 Kilogramm mit fünf durchschnittlich 6 Zentimeter langen (Mittelfußköpfchendrehpunkt bis Mitte der Zehenbeere) Zehen (Großzehe, drei Langzehen, eine Kleinzehe) dienen.
Da das Drehmoment M = Radius (r) x Kraft (F) ist, ergibt sich für M bei einem Radius, der der Länge von 0,06 Meter der Zehen entspricht und einer Gewichtskraft, die etwa 800 Newton entspricht, ein Wert von 48 Newtonmeter für alle fünf Zehen. Das heißt, dass für jede Zehe das Drehmoment gerundet etwa 10 Newtonmeter beträgt. Hierbei wird nicht berücksichtigt, dass die Zehen unterschiedliche Längen haben.
Mit diesem Drehmoment wird die Plantarfaszie beim Gehen, Laufen und Springen angespannt und so das Fußskelett stabilisiert. Da die Plantarfaszie auch eine gewisse Elastizität hat, konnte herausgefunden werden, dass sie sich in der Kontaktphase des Gangzyklus bis zur sogenannten Toe-off-Phase kontinuierlich verlängert. Dabei wirkt sie neben der Stabilisierung auch wie eine Feder, die mechanische Energie aufnimmt, um sie in der Beschleunigungsphase wieder abzugeben.
Schlussfolgerungen
Die Plantarfaszie hat eine eminent wichtig Bedeutung für die Vermittlung der vom Körper ausgehenden Kräfte auf die Fußsohlenhaut. Durch ihre Dreidimensionalität und Elastizität bietet sie dem Fußskelett ein Maximum an Flexibilität und Anpassungsmöglichkeit. Dämpfende Strukturen, wie die im Bindegewebe der Plantaraponeurose eingefassten Fettpolster schonen nicht nur den Bewegungsapparat, sondern schützen die neurovaskulären Strukturen und Sehnen vor schädigenden Einflüssen.
Bei der Fortbewegung wird im Gangzyklus beim Auftreten zunächst kinetische Energie gespeichert und dann in der Beschleunigungsphase wieder eingesetzt.
Daher ist es für eine ungestörte Gangabwicklung unabdingbar, dass ausreichend Raum im Schuhwerk für die Zehenhebung (Extension) gegeben ist, damit der stabilisierende und energiesparende Seilwindenmechanismus auch zum Tragen kommen kann. z
Anschrift des Verfasssers:
Dr. med. Ludwig Schwering
Chefarzt der Technischen Orthopädie
Mathias-Spital Rheine
Frankenburgstraße 3
48431 Rheine
Literatur
1. Bojsen-Moller, F; Flagstad, K. E. : Plantar aponeurosis and internal architecture of the ball of the foot; J. Anat. (1976), 121, 3, pp. 599 – 611.
2. Henkel, A.: Die Aponeurosis plantaris. Archiv für Anatomie und Physiologie, Anatomische Abteilung, 113 Supplement-Band, pp. 113 – 123, 1913.
3. Hicks JH. Mechanics of the foot: plantar aponeurosis and the arch; J. Anat 88:25–31, 1954.
4. Lanz, T, Wachsmuth, W. Praktische Anatomie, Band 1, 372 – 374, Vierter Teil, Verlag Julius Springer 1938.
5. Sarrafian, S. K. Anatomy of the Foot and Ankle; 137 – 158, J. B. Lippincott 1983.
Abbildungen: 1.-6. Schwering
Ausgabe 2/2016
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